Arbeiter:innenmacht

China-Italien-Deal: Brückenkopf der Neuen Seidenstraße

Tobi Hansen, Infomail 1056, 31. Mai 2019

Das als „Neue Seidenstraße“ oder OBOR (One Belt, One Road) bekannte Projekt hat neue Mitglieder in der EU gefunden. Es gilt als wichtigstes Unterfangen der chinesischen Staats- und Parteiführung zur ökonomischen Erschließung „Eurasiens“ und Festigung als imperialistische Macht. Mittels „eigener“ Finanzinstitutionen wie der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) und der New Development Bank (NDB) werden bis zu 1 Billion US-Dollar als Kredite bereitgestellt.

Auf der Schiene, per Häfen und Seewegen, per Direktinvestitionen in Produktion und zur Erschließung von Rohstoffen werden somit mehr als 60 Staaten als chinesische Wirtschaftszone aufgebaut, dazu auch Standorte fernab der „alten“ Seidenstraße in Lateinamerika, wie der in Bau befindliche „Nicaragua-Kanal“ verdeutlicht. Die neue Seidenstraße soll ein Territorium durchziehen, auf dem 60 % der Weltbevölkerung leben und in dem mehr als 35 % des Welthandels abgewickelt werden. Mit Italien als neuem Mitgliedsland werden demnächst 40 % des Welthandels erreicht und der erste G7-Staat wird integriert.

Der unterschriebene Handelsvertrag, welcher vor allem bei der mitregierenden Fünf-Sterne-Bewegung für viel Begeisterung sorgte, stellt faktisch nichts Ungewöhnliches zwischen zwei kapitalistischen Mächten dar, eigentlich auch vom Umfang her nicht. Bis zu 20 Mrd. US-Dollar Umsatz kann er erreichen. Gegenseitige Marktzugänge werden erweitert. Die ganz konkreten Investitionen und Verträge sollen ein Volumen von 4 Mrd. US-Dollar umfassen. Dazu gehören auch Investitionen in die Tiefwasserhäfen Genua und Triest. Diese werden Teil der „Maritime Silk Road“, wie auch Italien als Nationalökonomie in die Seidenstraße integriert wird.

Darin liegt die Bedeutung des Deals. China baut Brückenköpfe in der EU auf.

EU und China

Während die Verhandlungen zwischen China und Italien liefen, fanden 3 EU-Gipfel statt. Diese sollten auch darüber entscheiden, welches Verhältnis die EU zu China einnimmt. Aber wegen der schweren „Brexit“-Krise wurde dies immer wieder verschoben. Dies illustriert beispielhaft die Zwickmühle, in der die EU steckt, aber auch dass China diese Krise nutzt, um Fakten zu schaffen. Bereits seit 2012 finden jährlich die 16+1-Gipfel zwischen mittel- und osteuropäischen Staaten und China statt. Hier tagen zwar auch Länder aus der EU mit, aber sie kann dabei nicht mitentscheiden. De facto baut China hier seine Verbindungen und Brückenköpfe aus und schafft täglich vollendete Tatsachen. Das gilt auch für Deutschland. Beispielsweise in Duisburg, Nürnberg und Hamburg erreichen wöchentlich Züge aus China den deutschen Markt, wie auch Duisburg als Rheinbinnenhafen inzwischen hauptsächlich von chinesischen Investitionen lebt.

Während die EU durch verschiedene Krisen schlingert, vermag sie keine strategische Orientierung gegenüber China zu entwickeln. Rein strategisch muss speziell der deutsche Imperialismus auf dem asiatischen Markt vertreten sein, da dieser für globale Ambitionen von entscheidender Bedeutung ist. Allerdings muss gerade die deutsche Bourgeoise wissen, welches Szenario in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit China droht. Schließlich ist dieser Partner ebenso sehr Konkurrent. Der aufstrebende chinesische Imperialismus, der sich auch gegenüber den Kernsektoren des hiesigen Kapitals als konkurrenzfähig erweist, droht Deutschland in eine Rolle zu versetzen, die seine KonkurrentInnen in der EU nur allzu gut nachvollziehen können. Deutschland wäre höchstens einer von mehreren möglichen Juniorpartnern des chinesischen Imperialismus.

Diese Rollenverteilung war man eigentlich von den USA gewöhnt, mit der EU sollte diese abgelegt werden.

Daher steht auch die deutsch-französische Führung vor einer weiteren Entscheidungsfrage. Einig war man sich bei den globalen Ambitionen der EU. In der Krise und dem aktuellen Ende dieser Ambitionen steht dieses Bündnis auf dem Prüfstand. Können beide Mächte die noch vorhandene Union, vor allem den Euro-Raum, als eigenen, gleichwertig konkurrenzfähigen Block formieren oder müssen sie sich als strategische Partner einer der beiden führenden imperialistischen Mächte, den USA und China, „anbieten“? Eine gleichwertige Rolle im Kampf um die Neuaufteilung der Welt würde jedenfalls eine Überwindung strategischer Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich erfordern wie auch der inneren Widersprüche in den jeweiligen herrschenden Klassen.

In Italien hat die rechts-populistische Regierung den für sie günstigsten Deal unterschrieben, auch wenn aus den USA gleich rügende Worte kamen. Doch sollte niemand übersehen, dass der italienische Imperialismus selbst auf dem absteigenden Ast ist. Nach 18 Jahren Euro-Zone hat er gegenüber den Konkurrenten Frankreich und Deutschland an Boden und Einfluss verloren. Als Teil der Seidenstraße suchen Regierung und Bourgeoise einen Ausweg, der freilich die Krise des italienischen Kapitalismus nicht wird lösen können – wohl aber eine weitere Konfliktlinie im Kampf um die Neuaufteilung der Welt aufmacht.

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