Arbeiter:innenmacht

Spanien: Sánchez verdrängt Rajoy, aber was nun?

Dave Stockton, Infomail 1006, 10. Juni 2018

Pedro Sánchez, Vorsitzender der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), ist jetzt im Moncloa-Palast als Ministerpräsident Spaniens. Jeder fortschrittliche Mensch im spanischen Staat wird froh sein, den Rücken des autokratischen Führers der Volkspartei, Mariano Rajoy, zu sehen.

Der kritische Moment kam, als die Baskische Nationalistische Partei (EAJ/PNV) enthüllte, dass sie zusammen mit Podemos (deutsch: Wir können), zwei katalanischen Pro-Unabhängigkeitsparteien und einer zweiten baskischen Partei (BILDU, linkes baskisches Wahlbündnis; deutsch: versammelt) einen Misstrauensantrag der PSOE als Reaktion auf einen großen Korruptionsskandal, der die PP heimsuchte, unterstützen würde.

Die liberale Partei Ciudadanos (deutsch: BürgerInnen), die vor kurzem in den Wahlen ihre Rivalinnen überholt hat, unterstützte Rajoy, aber Führer Albert Rivera sieht nun eine goldene Gelegenheit, die Volkspartei als Hauptpartei der Rechten zu ersetzen.

Podemos, die einst ihre Entschlossenheit erklärte, die PSOE vollständig zu verdrängen, und die Idee einer Koalition mit ihr ablehnte, forderte Sánchez auf, eine Koalition mit MinisterInnen von ihr zu bilden, ein Angebot, das der PSOE-Führer sofort ablehnte.

Podemos selbst steckt jetzt in einer Flaute. Der Guru der Partei, Pablo Iglesias, wurde kürzlich zu einer Mitgliederaabstimmung gezwungen, um seine Führung nach heftigem internen Widerstand gegen seine Entscheidung, ein 600.000 Euro teures Haus mit Swimmingpool außerhalb Madrids zu kaufen, zu bekräftigen, welche Mitglieder und AnhängerInnen einer Partei erzürnte, die sich zum Teil wegen ihrer Kampagne zur katastrophalen Immobilienkrise in Spanien einen Namen machte.

Sánchez‘ Versprechen

Unmittelbar nach dem Misstrauensvotum erklärte Sánchez: „Wir werden eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie in unserem Land unterzeichnen.“ Hier wird der/die Vorsichtige einen Moment innehalten, um zu fragen: Ist das derselbe Mann, der Rajoys Weigerung unterstützt hat, ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens gutzuheißen, sowie die Urteile des Obersten Gerichtshofs, die den Präsidenten seiner Generalitat (Gesamtheit der Selbstverwaltungsinstitutionen Kataloniens im Rahmen des Autonomiestatuts) ins Exil trieben und mehrere MinisterInnen ins Gefängnis brachten?

Sánchez hat zwar versprochen, Gespräche mit der neuen katalanischen Regierung aufzunehmen, aber er schließt nach wie vor die Möglichkeit eines legalen Referendums über den Status Kataloniens aus. Gleichzeitig wurde eine neue katalanische Regierung unter der Leitung von Joaquim „Quim“ Torra, einem Handlanger des im Exil lebenden Präsidenten Carles Puigdemont, vereidigt, was den Zustand beendete, dass Katalonien acht Monate lang direkt von Madrid aus regiert wurde.

Sánchez wird wahrscheinlich einige der undemokratischsten Aspekte von Rajoys berüchtigtem „Gag-Gesetz“ aufheben, das Demonstrationen in der Nähe des Parlaments, des Senats und der Regionalparlamente strenge Beschränkungen auferlegte, unterstützt durch Geldbußen von bis zu 600.000 Euro für Sitzstreiks an öffentlichen Orten oder die Blockade von Hausräumungen, wenn die „zuständige Behörde“ (ein Gericht, die Polizei) die Auflösung der Versammlung angeordnet hat.

Aber um eine wirklich neue Seite in der gewundenen Geschichte der Demokratie in Spanien zu schreiben, bedarf es nicht der Huldigung der Establishment-Parteien an die Post-Franco-Verfassung, sondern ihrer Ersetzung durch eine demokratisch gewählte Verfassunggebende Versammlung, die die Monarchie abschafft und das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Abspaltung vom spanischen Staat für alle seine Nationalitäten anerkennt. Revolutionäre SozialistInnen wollen den spanischen Staat nicht auflösen, aber das wäre besser als erzwungene Einheit.

Sánchez hat versprochen, auf die „dringenden sozialen Bedürfnisse“ der BürgerInnen in einem Land einzugehen, das immer noch von hoher Arbeitslosigkeit und der von verschiedenen Regierungen verhängten Sparpolitik geplagt ist. Aber er hat auch sofort zugesagt, den von Rajoy vorgeschlagenen Haushalt 2018 beizubehalten, gegen den die PSOE erst vor einer Woche gestimmt hat. Seine Entschuldigung ist, dass er nur so die Stimmen der PNV erhalten konnte, deren Anliegen vor allem darin bestand, die dem Baskenland zugewiesenen Mittel, die im Haushalt enthalten waren, sicherzustellen. Er sagt, dass das Budget „die wirtschaftliche und steuerliche Verantwortung garantieren wird“ und betont, dass Spanien seine „europäischen Pflichten“ erfüllen wird. Aber das wird die neue Regierung entweder an die Kürzungen und Sparmaßnahmen ihrer Vorgängerin binden oder, wenn er einige davon ändert wie die vorgeschlagene Erhöhung der Renten wird er Peter immer noch ausrauben müssen, um Paul zu bezahlen.

Maßnahmen ergreifen

Es gibt eine Alternative dazu, wenn er bereit wäre, die Vermögen der Reichen und der großen Konzerne ernsthaft zu besteuern. Natürlich werden einige sagen, angesichts seiner bisherigen Bilanz könnte man genauso gut Schweine bitten zu fliegen, aber das ist nicht der Punkt. Die Gewerkschaften und die Jugend einschließlich der Mitgliedschaft von PSOE und Podemos haben in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession ihre Kampfbereitschaft bewiesen und könnten und sollten nun mobilisieren, um Sánchez dazu aufzufordern, die Austeritätsmaßnahmen ganz aufzugeben. Sie sollten sich an die massive Unterstützung erinnern, die Jeremy Corbyn in Großbritannien sowohl auf der Straße als auch an der Wahlurne erhielt, als er ein Ende der Sparpolitik forderte.

Einige werden sagen, dass die EU eingreifen würde, um jede Regierung oder Führung zu stoppen, die versuchte, ihre „Fiskaldisziplin“ zu brechen, genau wie sie es mit Syriza in Griechenland getan hat. Aber im Gegensatz zu Alexis Tsipras sollte eine spanische Regierung, die es wagte, sich der EU zu widersetzen, ihre Zeit nicht damit verschwenden, AkademikerInnen als untertänige BittstellerInnen nach Brüssel oder Frankfurt zu schicken. Sie sollten sich den Merkels und Macrons widersetzen und direkt an die ArbeiterInnen in Europa appellieren, Maßnahmen zu ihrer Unterstützung zu ergreifen. Die Bilanz der Kapitulation von Syriza zeigt, dass mutige Reden von FührerInnen wenig wert sind, wenn die ArbeiterInnen und die Jugend nicht organisiert und bereit sind, unabhängig zu handeln, wenn ihre AnführerInnen sich weigern zu kämpfen.

Wenn Spaniens ArbeiterInnen, unterdrückte Nationalitäten, Frauen und Einwanderergemeinschaften sich vereinigen und einen Massenkampf für ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in den kommenden Monaten einleiten, dann kann selbst diese in den Knien weiche PSOE-Regierung als Hebel benutzt werden, um soziale und demokratische Rechte zu erringen und den Weg des Kampfes zu einer echten ArbeiterInnenregierung einzuschlagen, die auf den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse, den Gewerkschaften, Parteien und Kampforganen fußt.

Dank

Wir danken dem Solidaritätskomitee Katalonien für die Übersetzung des Artikels,

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