Martin Suchanek, Infomail 1284, 13. Juni 2025
In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni griff Israel den Iran massiv an. Rund 200 Flugzeuge kamen zum Einsatz, mehr als 100 Ziele wurden mit Raketen und Drohnen attackiert. Mindestens sechs Atomanlagen, darunter die Urananreicherungsanlage in Natans (auch: Natanz, Provinz Isfahan), wurden getroffen und teilweise schwer beschädigt. Mindestens sechs Wissenschaftler:innen wurden getötet, außerdem fielen auch führende Militärs wie der Chef des Generalstabs, Generalmajor Mohammad Bagheri, und der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hussein Salami. Neben Drohnen und Raketenangriffen aus der Luft verübte Israel auch gezielte Sabotageakte im Iran.
Triumphierend verkündete Netanjahu den Erfolg des „Präventivschlages“. Wieder einmal wäre der Iran kurz vor Fertigstellung eigener Atomwaffen gestanden. Israel, die einzige Nuklearmacht im Nahen Osten, könne nicht zulassen, dass auch andere über eben diese Massenvernichtungswaffen verfügten. Daher wäre das alles nur eine Form der „Selbstverteidigung“ gewesen, ganz so wie die ständigen Angriffe auf den Libanon, auf Syrien, ja wie der Genozid an den Palästinenser:innen. Und damit nicht genug. Netanjahu selbst spricht davon, dass die Angriffe erst der „Eröffnungsschlag“ gewesen seien und kündigt weitere Luftangriffe in den nächsten Tagen an. Diese sollen so lange fortgesetzt werden, bis die „Bedrohung“ aus der Welt geschafft werde.
Einmal mehr rechtfertigt der Pogromist Netanjahu die Angriffe auf andere Staaten mit einer zynischen Verkehrung der Realität. Wieder einmal brandmarkt er andere Staaten als „Zentrum des Terrorismus“, das es zu eliminieren gelte. Und wie die Angriffe auf Syrien, auf den Libanon oder den Jemen zeigen – man muss auch über kein Nuklearprogramm irgendeiner Art verfügen, um ins Visier der zionistischen Angriffsmaschinerie zu geraten.
In Wirklichkeit ist der Terrorstaat im Nahen Osten Israel selbst. Kein anderer beansprucht für sich mit derselben Selbstverständlichkeit das „Recht“, jeden möglichen anderen Staat „präventiv“ zu bombardieren. Natürlich intervenieren auch andere militärisch in Nachbarstaaten und verfolgen ihre eigenen reaktionären Ziele. Aber kein anderer kann sich der Rückdeckung durch die USA und ihre westlichen Verbündeten, allen voran Deutschland, so sicher sein wie Israel.
Fast alle Staaten des Nahen Ostens – Türkei, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman und andere mehr – verurteilten den Angriff auf den Iran. Nicht so die USA und Deutschland. Auch wenn die USA bestreiten, direkt in den Angriff involviert gewesen zu sein, so versicherte Donald Trump nichtsdestotrotz, dass die USA Israel bei etwaigen Gegenangriffen zur Seite stehen würden. Mehrere Stunden nach dem Angriff gratulierte er Israel zu den Bombardements und drohte dem Iran mit weiteren militärischen Schlägen, sollte das Land kein Atomabkommen zu den Bedingungen der USA unterzeichnen. Auch die deutsche Regierung, die anders als die französische vorab von den Angriffen informiert wurde, versichert einmal mehr, dass sie das „Existenzrecht“ Israels verteidigen würde.
Der grundsätzliche Beistand zum Aggressor wird mit den schon bekannten Aufrufen zur „Mäßigung“ verbunden, schließlich wollen weder die USA noch Deutschland jenen Flächenbrand im Nahen Osten, den Israel in Kauf zu nehmen bereit ist. Und wie immer schließen sich die meisten Staaten, ob nun Britannien oder Frankreich, ob China oder Russland der Forderung nach „Zurückhaltung“ an. Und einmal mehr entpuppt sich die die UNO als ohnmächtige Farce, wo doch ein Veto der USA genügt, um jede effektive Sanktion gegenüber Israel vom Tisch zu wischen. Der Aufruf der USA und ihrer westlichen Verbündeten an Netanjahu und sein Kabinett, sich zurückzuhalten, stellt einerseits ein übliches, billiges diplomatisches Manöver dar, bei dem der Aggressor verteidigt wird, wenn auch mit der Ermahnung, nicht zu sehr zu eskalieren, während die wirkliche Warnung dem angegriffenen Iran gilt, der auf Vergeltung möglichst zu verzichten habe.
Andererseits verbergen sich im Aufruf zur „Mäßigung“ auch unterschiedliche Interessen des rassistischen zionistischen Staates Israel einer- und der USA wie ihrer westlichen Verbündeten andererseits. Die USA streben eine längerfristige Stabilisierung des Nahen Ostens an, die auch einen Ausgleich zwischen Israel und den reaktionären Regimen der Region, allen voran Saudi-Arabien beinhalten soll. Daher handelten die USA ein Waffenstillstandsabkommen mit den Huthis aus, daher auch ihre Verhandlungen mit dem Iran, die durch die Angriffe Israels erfolgreich sabotiert wurden. Daher auch das Bestreben der USA, die Abraham Accords (unterzeichnet am 15. September 2020 von den USA, Bahrain, Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel, später auch von Marokko und Sudan, soll die Dialogbereitschaft und Zusammenarbeit zwischen den Unterzeichnerstaaten fördern und zwischen ihnen noch bestehende Animositäten beenden) wiederzubeleben, was jedoch unmöglich ist, solange Israel den genozidalen Angriff auf Gaza fortsetzt, ja verschärft.
Israel und der immer stärker gewordene ultrarechte zionistische Block teilen dieses Ziel nicht. Tatsächlich betrachten sie dies als Bedrohung für ihr Vorhaben, den israelischen Staat „vom Meer bis zum Fluss“ zu erweitern, die Palästinafrage ein für alle Mal zu lösen und den Völkermord zu vollenden. Mithilfe der westlichen politischen, militärischen und ökonomischen Unterstützung hat sich Israel zur stärksten Militärmacht der Region entwickelt, die faktisch ungestraft andere Staaten angreifen kann, ohne dass diese mit gleicher Macht zurückschlagen könnten. Das offenbart auch der jüngste Angriff auf den Iran. Während Israel rund hundert wirtschaftliche, militärische und „natürlich“ auch zivile Ziele wie Wohnblöcke traf, während die iranische Luftabwehr wenig effektiv war, so konnte Israel fast alle 100 Drohnen abschießen, die der Iran bei einem Gegenschlag einsetzte.
Dieses militärische Kräfteverhältnis drückt im Grund auch aus, dass es sich bei einem möglichen, beginnenden Krieg zwischen dem Iran und Israel nicht um einen Krieg zweier Gleicher handeln würde, sondern um einen reaktionären Krieg eines Vorpostens der imperialistischen Weltordnung, des israelischen Staates, gegen ein halbkoloniales Land. Auch wenn der Iran eine kapitalistische, islamistische Diktatur ist, die die eigene Arbeiter:innenklasse, die Frauen, die nationalen Minderheiten brutal unterdrückt, so ist der Angriff Israels durch und durch reaktionär und der Iran hat ein Recht, sich gegen diesen zu wehren. Im Krieg zwischen Israel und Iran treten Revolutionär:innen daher für die Niederlage des zionistischen Staates ein, ohne jedoch dem iranischen Regime irgendeine politische Unterstützung zu geben und den Aufbau einer revolutionären Partei und Opposition zurückzustellen. Aber die Niederlage des Iran würde nicht die Revolution befördern, sondern den imperialistischen Einfluss im Land und sie würde den zionistischen Staat und seine reaktionäre Rolle noch weiter stärken. Daher treten wir für die Niederlage Israels ein – ganz genauso wie bei seiner Besetzung im Libanon oder Syrien und natürlich beim Befreiungskampf Palästinas.
Wir haben aber auch gesehen, dass der Kampf gegen den israelischen Terrorstaat und den Genozid nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie eine direkt militärische Frage ist. Die Stärke des israelischen Staates beruht letztlich auch darauf, dass sein Regime von den USA, von ihren westlichen Verbündeten, aber auch von den reaktionären arabischen Regimen gestützt wird. Diese verurteilen zwar regelmäßig zionistische Angriffe, aber sie halten zugleich auch ihre eigene Bevölkerung ruhig. Das gilt letztlich auch für die Türkei oder selbst für den Iran, der eigentlich seinen Frieden mit dem Westen machen will und dafür bereit ist, die Palästinenser:innen im Stich zu lassen. Allerdings will Israel selbst das verhindern.
Daher müssen wir den heroischen Überlebenskampf des palästinensischen Volkes weiter unterstützen. Wir müssen alles tun, um die zionistische Kriegsmaschinerie gegen den Iran und alle anderen Völker des Nahen Ostens zu stoppen.
Das bedeutet, in den arabischen Staaten den Kampf gegen die Komplizenschaft der verschiedenen Länder mit Zionismus und Imperialismus aufzunehmen. So hält Ägypten beispielsweise 200 Aktivist:innen des „Global March to Gaza“ in Kairo fest, verhört diese und schiebt sie ab. Die As-Sisi-Diktatur agiert einmal mehr als Handlangerin der USA und Israels. Aber zugleich wächst die Wut der Bevölkerung über die zionistischen Angriffe und den Genozid am palästinensischen Volk. Eine Explosion dieses Zorns könnte einen neuen Arabischen Frühling und damit eine revolutionäre Welle im Nahen Osten entfachen – und somit dem palästinensischen Widerstand jene Verbündeten verschaffen, die den zionistischen Terror stoppen können, die Arbeiter:innen und Bäuer:innen des Nahen Ostens.
Von nicht minder großer Bedeutung ist der Kampf der Arbeiter:innenklasse und der Solidaritätsbewegung mit Palästina in den westlichen imperialistischen Zentren. Diese muss den Kampf gegen den Genozid mit dem gegen die zionistischen Angriffe auf den Iran verbinden – und zwar ohne irgendwelche Zugeständnisse an das dortigen Regime oder dessen Beschönigung.
Wir müssen unsere Aktionen und Mobilisierungen darauf richten, die materielle und militärische Unterstützung des zionistischen Staates zu durchbrechen. Das heißt: Stopp aller Waffenlieferung an Israel, aller ökonomischen Verbindungen!
Auch wenn einige westliche Staaten Waffenlieferungen eingestellt haben, so trifft das gerade auf die Hauptexporteure, die USA und Deutschland, nicht zu. Doch auch alle anderen westlichen Regierungen wollen den Druck auf den Zionismus mehr symbolisch als faktisch durchführen, weil auch für sie der zionistische Staat trotz einzelner Differenzen den Vorposten ihrer Ordnung im Nahen Osten darstellt.
Kein Wunder also, dass die Regierungen der USA und Deutschlands ebenso wie die rechten Regierungen in den europäischen NATO-Staaten die Angriffe auf die Solidaritätsbewegung verschärfen, eine Art repressiver Präventionsschlag gegen ein befürchtetes Kippen der Stimmung der Massen. In vielen anderen Ländern erleben wir seit Monaten Massendemonstrationen, die eigentlich nicht größer werden können. Aber sie bleiben auf der Ebene bloßer Proteste und Aufmärsche.
Notwendig ist, dass die Gewerkschaften die Lieferung von Waffen und anderen Gütern an Israel blockieren, dass die Beschäftigten in den Banken und Finanzinstitutionen die Transaktionen unterbrechen. Dazu braucht es Streiks, Arbeitsniederlegungen und Blockaden, die von einer Massenbewegung getragen werden. Schon in den letzten Monaten gab es erste, ermutigende Aktionen wie z. B. die erfolgreich Weigerung von Hafenarbeiter:innen, Militärgüter nach Israel zu verladen. Ähnliche Blockaden gab es auch in Griechenland und Norwegen. Diese Aktionen müssen verallgemeinert und international koordiniert werden.