Katjuscha Seelig und Sani Meier, FIght! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2025
Mit dieser Artikelreihe wollen wir den Themenkomplex Mutterschaft und Muttersein im Kapitalismus genauer unter die Lupe nehmen. Welchen Lebensrealitäten begegnen Mütter in Deutschland, aber auch international? Von welchen Mythen und Ideologien wird Mutterschaft beeinflusst? Weshalb sind werdende Eltern häufig politisch inaktiv? Welchen Einfluss haben Mom-InfluencerInnen auf unser Verständnis von Mutterschaft? Wie können wir unsere Kinder im Sinne eines linken Selbstverständnisses erziehen? Und was ist eigentlich mit denjenigen unter uns, die es bereuen, Mütter geworden zu sein, oder keine Kinder bekommen wollen?
Diesen und noch vielen weiteren spannenden Fragen wollen wir uns in der heutigen und den kommenden Ausgaben der Fight! widmen. Hierbei sei vorab gesagt, dass dies ein erster Beitrag ist, in dem wir leider einige wichtige Realitäten der Elternschaft aufgrund des begrenzten Rahmens nicht abbilden können. Dieser Artikel wird sich primär mit der Perspektive von (alleinerziehenden) cis-Müttern auseinandersetzen, da er auf einem Interview mit einer cis-weiblichen Genossin und Mutter basiert, welches im Podcast „Lage der Klasse” erscheint.
Adoptiveltern, Eltern mit Behinderung, queere Eltern oder Eltern außerhalb der imperialistischen Länder sind hier nur einige wenige Beispiele, die wir in dieser Ausgabe (noch) nicht behandeln können.
Schauen wir uns auf fortschrittlichen Demonstrationen, auf antikapitalistischen Bündnistreffen und Sommercamps oder in den Reihen linker aktivistischer Organisationen um, so gibt es eine gesellschaftliche Gruppe, die besonders wenig an diesen Orten vertreten zu sein scheint: junge Eltern, insbesondere Mütter mit ihren Kindern! Viele weibliche Aktivist:innen werden politisch inaktiv, sobald sie Kinder bekommen. Oder es ist schon von vornherein schwer, Eltern für aktives Linkssein zu gewinnen. Aber warum ist das so? Was lässt werdende Eltern politisch inaktiv sein? Warum brauchen wir gerade sie in unseren Organisationen und wie können linke Strukturen in dieser Lebensphase integrativ und unterstützend wirken?
Während es für eine Mitgliedschaft in bürgerlichen Parteien völlig ausreicht, einen monatlichen Mitgliedsbeitrag auf das entsprechende Konto zu überweisen und kleinere politische Ziele oft leichter zu realisieren sind, so sind die Anforderungen an wirklich aktives Linkssein, welches tatsächlich von der Basis und aus der eigenen Klasse heraus Einfluss nehmen möchte, deutlich höher. Meint man es ernst mit dem eigenen politischen Engagement, so bedeutet das im Idealfall, regelmäßige Verpflichtungen einzugehen, verlässlich an Plena und öffentlichen Veranstaltungen zu partizipieren oder diese sogar inhaltlich mitzugestalten, sich kontinuierlich über tagespolitische Themen zu informieren und sich in linker Theorie weiterzubilden. Es bedeutet, je nach zugeteiltem Arbeitsbereich Texte zu verfassen, täglich einen Social-Media-Kanal zu unterhalten, Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zu leisten und organisatorische Aufgaben zu übernehmen. Kurzum: Politische Aktivität beansprucht enorme zeitliche Ressourcen, ohne dass sie jedoch finanziell entlohnt wird (im Gegenteil!). Für Menschen unserer Klasse, die gezwungen sind, täglich ihre Ware Arbeitskraft für einen meist viel zu niedrigen Lohn an KapitalistInnen zu verkaufen, bleibt ohnehin nach einem 8-stündigen Arbeitstag wenig Zeit, geschweige denn Energie, um den umfangreichen Ansprüchen linker politischer Aktivität gerecht werden zu können. Meist müssen die Bedürfnisse des Kindes gegenüber den eigenen priorisiert werden und es fällt schwer, gleichzeitig im Blick zu behalten, was gerade politisch auf der Welt passiert. Hinzu kommt, dass revolutionäre politische Arbeit immer wieder über die Grenzen des bürgerlichen Rechts hinausgehen muss, sei es in Form von illegalen Demonstrationen, polizeilicher Repression durch Strafverfahren oder dem Aufwerfen strafrechtlich relevanter Forderungen, die den bürgerlichen Staat an sich gefährden. Dass es objektiv notwendig ist, dieses Risiko einzugehen, dürfte für alle Revolutionär:innen klar sein, allerdings gestalten sich die realen Konsequenzen einer Verhaftung und eines Strafprozesses für Eltern deutlich herausfordernder als für Menschen ohne Kinder. So muss beispielsweise für die Dauer einer Demonstration eine Betreuung organisiert werden, doch kann diese auch spontan verlängert werden, wenn die Mutter über Nacht in der Gefangenensammelstelle bleiben muss? Oder kann sich jede Mutter eine Vorstrafe leisten, ohne um ihr Sorgerecht zu fürchten oder finanziell ruiniert zu sein? Von den Konsequenzen einer Haftstrafe ganz zu schweigen, erhöht sich das Risiko, von Polizeigewalt, Kriminalisierung, aber auch von Angriffen durch die politische Rechte betroffen zu sein, für Mütter of Colour um ein Vielfaches. Die potentiell hohe psychische Belastung, die mit den oben beschriebenen Risiken einhergehen kann, stellt Mütter ebenfalls vor große Herausforderungen, da ihnen zeitliche Kapazitäten für emotionale Entlastungsgespräche fehlen. Zudem ist die Gefahr der Desillusionierung hinsichtlich eines in der Ferne liegenden revolutionären Ziels für körperlich und psychisch schwer belastete Mütter besonders hoch. Doch die Hürden für politische Arbeit beginnen schon vor der illegalen Demonstration. Die meisten politischen Plena finden zur gleichen Uhrzeit statt, zu der Kinder ins Bett gebracht werden. Oft ist eine Online-Teilnahme nicht möglich und für fehlende Ressourcen wegen der Kindererziehung gibt es oft wenig Verständnis.
Neben den Herausforderungen, potentiellen Gefahren und Risiken politischer Arbeit, die man auf sich nehmen können muss, bleibt die Hürde, diese mit Lohn- und Reproduktionsarbeit zu vereinbaren: Während eine alleinstehende Person nach getaner Lohnarbeit „nur“ ihren Haushalt, ihre bürokratischen und medizinischen Angelegenheiten, sprich ihre „eigene“ Reproduktionsarbeit leisten muss, so sieht das in familiären Zusammenhängen schon anders aus. Um die Ware Arbeitskraft wiederherzustellen, sind es überwiegend weiterhin Frauen und Mütter, die unentgeltlich im Privaten diese Arbeit verrichten. In Deutschland liegt der Anteil der Frauen, die Reproduktionsarbeit verrichten, noch immer bei ca. 72 % aller Erwachsenen. Im europäischen Durchschnitt sind es sogar 79 % (vgl. Eurostat, destatis, 2019).
Einfach nur irgendwie die Rolle der Mutterschaft zu erfüllen, reicht im Kapitalismus schon lange nicht mehr aus. Das gesellschaftlich und kulturell ohnehin weit verbreitete Ideal der „guten Mutter“, welche selbstlos all ihre Bedürfnisse hinten anstellt und ihr ganzes Glück in der Fürsorge für ihr Kind zu finden scheint, wird seit einigen Jahren durch sogenannte Mom-Influencer:innen noch verstärkt. Auch hier hält der kapitalistische Markt Einzug und kommerzialisiert die Rolle der Mutter bis ins kleinste Detail. Er erzeugt die idealisierte Darstellung von Muttersein, die von Mom-Influencer:innen oft gezeigt wird, was bei vielen Frauen Druck und Gefühle wie Unzulänglichkeit, Angst und Neid auslöst. Aber nicht nur hier, sondern auch in allgemeinen wissenschaftlich-theoretischen Diskursen ist das Bild der „guten Mutter“ allgegenwärtig und wird als gegeben und somit zum Ausgangspunkt weiterer inhaltlicher Ausführungen zum Thema Mutterschaft gemacht. Neuere Publikationen erweitern das Bild noch um den Aspekt der erfolgreichen Berufstätigkeit [vgl. Baig, S. 10 ff.]. In feministischen Diskursen ist die Rede von der „Top-Mom“ oder der „Total Motherhood“. Hier spiegelt sich die neoliberale Logik der Selbstoptimierung und Effizienz im Mutterideal wider, welche mit folgenden Anforderungen an Mütter einhergeht: Es sollen möglichst leistungsstarke Mitglieder der Gesellschaft produziert und jegliche Gesundheitsrisiken vermieden sowie die physische und psychische Gesundheit des Kindes stets gefördert werden, während die Mutter gleichzeitig noch ihre eigene Karriere erfolgreich am Laufen hält. Die Verrichtung der Reproduktionsarbeit geht mittlerweile mit unerreichbar hohen Standards und zahlreichen Widersprüchen einher. Letztlich ist es von ihrer Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozess abhängig, ob eine Familie es sich leisten kann, die notwendige Reproduktionsarbeit auszulagern, sich also auch von dem hohen Perfektionsdruck freizukaufen, indem beispielsweise Kinderbetreuung oder Hausarbeit an bezahlte Arbeitskräfte delegiert wird. Da aber die Adressat:innen von linken und klassenkämpferischen Forderungen meist Lohnabhängige sind, sprich weder Menschen, die der herrschenden Klasse angehören, noch solche, die hauptsächlich reproduktiv tätig sind, kommen Forderungen für eine Verbesserung der Lage von Eltern, vor allem von reproduktiv tätigen Müttern, innerhalb der Arbeiter:innenklasse in linksradikalen Kreisen häufig zu kurz und ihre Perspektiven werden selten mitgedacht.
Wir sehen also, welche Hindernisse Mütter davon abhalten, politisch aktiv zu sein, und warum in dieser Folge ihre Bedürfnisse und Probleme selten in den Forderungen revolutionärer Organisationen zum Ausdruck kommen.
Die politische Organisierung von Eltern und insbesondere Müttern ist kein Selbstzweck. Diese Gruppe steht als Teil sexistisch Unterdrückter vor besonderen Herausforderungen und hat daher ein objektives Interesse, für eine Verbesserung ihrer persönlichen und ökonomischen Lage einzutreten. Mit einer starken linken Organisation an ihrer Seite können sie sich beispielsweise für kostenloses Kita- und Schulessen, für eine kinderfreundliche Stadtplanung, höheres Kindergeld oder gar die Vergesellschaftung von Hausarbeit starkmachen und dabei stets den Klassenstandpunkt im Blick behalten – denn es sind die herrschenden Produktionsverhältnisse, die es Müttern in unserer Gesellschaft so schwer machen und welche letztlich überwunden werden müssen, um auch Frauen und Mütter zu befreien. Schon im Kampf um diese Befreiung ist die Perspektive von Müttern notwendig, um sie nachhaltig in den Übergang in eine neue Gesellschaft implementieren zu können. In der Isolation des eigenen Privathaushalts ist es jedoch unmöglich, Klassenkampf zu betreiben. Gerade darum braucht es eine Vernetzung von Müttern mit der restlichen Arbeiter:innenklasse oder zumindest mit ihren fortschrittlichen Teilen, um die private Isolation zu durchbrechen.
Letztlich leisten Eltern und insbesondere Mütter mit Kinderversorgung und Erziehung einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag und schaffen die notwendige Grundlage dafür, dass es auch in Zukunft jungen klassenkämpferischen Nachwuchs geben wird: Die Kinder von heute sind das potentielle revolutionäre Subjekt von morgen; sie sind als Teil der Arbeiter:innenklasse selbst Opfer der herrschenden Produktionsverhältnisse. Eltern, die gut in revolutionäre politische Arbeit eingebunden sind, können auch die Form und den Inhalt ihrer Erziehung entsprechend ihrer politischen Werte ausrichten und somit ihre Kinder nicht nur über die Gesellschaft aufklären, sondern ihnen auch die Möglichkeit bieten, für ihre individuelle Befreiung zu kämpfen. In vielen feministischen Kreisen wird das linke Muttersein jedoch à la „das Private ist politisch” ausschließlich auf individuelle Erziehungsfragen reduziert (Mit welcher Kleidung, mit welchen Spielsachen kann ich meinem Kind ein genderneutrales Angebot machen?. Wie spreche ich emanzipatorisch mit meinem Kind über Sex und Konsens? Wie vermittle ich ihm ein Gespür für seine Privilegien als Kind weißer Eltern? Und wie kann ich meinem Kind einen umweltfreundlichen Konsum vorleben?) All das mögen relevante Fragen sein, die sich einige linke Eltern in ihrem Alltag stellen. Jedoch verweisen sie auf eine rein individualkritische Ebene, die den gesamtgesellschaftlichen Kontext nicht in den Blick nimmt und aufgrund mangelnder zeitlicher und finanzieller Ressourcen vielen Eltern verwehrt bleibt. Umso wichtiger ist es, dass sich Eltern (gemeinsam mit ihren Kindern) an den Orten organisieren, an welchen nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Kinder sich tagtäglich aufhalten müssen, um für deren Rechte und die Mitbestimmung bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Kinderbetreuung, Vereinsleben und Schulunterricht zu kämpfen. Darüber hinaus sollten Eltern und Mütter revolutionäre Organisationen als Sprachrohr nutzen, um ihre spezifischen Perspektiven in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu setzen und sie in die Klasse hineinzutragen.
Um die Vereinbarkeit von Elternschaft und Aktivismus zu fördern, müssen auch linke Organisationen ihren Beitrag leisten. Sie können Mutterschaft als Radikalisierungsmoment fördern, indem sie Mütter innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen konkret ansprechen und sich ihre spezifischen Belastungen schildern lassen, um im Anschluss materialistisch herzuleiten, was die Ursachen für ihre Mehrfachbelastungen sind und welche Perspektiven zur Bekämpfung dieser eingenommen werden sollten. Beispiele hierfür sind Artikel, die sich mit den Auswirkungen der Haushaltskürzungen auf Eltern beschäftigen, und die Intervention in Arbeitskämpfe der Branchen, in denen verstärkt weibliche Personen arbeiten. Dazu gehört aber auch eine antisexistische Reflexion der Mitglieder, in welcher reaktionäre Stereotypen und Vorstellungen von Elternschaft bekämpft werden.
Ganz konkret sollten linke Organisationen sogenannte „Elternschaftsgespräche” in ihre Arbeitsstruktur implementieren, welche umgehend bei Bekanntgabe von Schwangerschaft oder Elternschaft den eigenen Genoss:innen angeboten werden und auf die unterschiedlichen Herausforderungen Rücksicht nehmen, die mit der geschlechtlichen Sozialisierung einhergehen. Im Rahmen solcher Gespräche kann sich darüber ausgetauscht werden, was die spezifischen alltäglichen Bedürfnisse und Probleme der jeweiligen Mutter sind. Zudem kann hier dialogisch herausgearbeitet werden, welche politischen Aufgaben sie übernehmen können und wollen und wie mit der fehlenden Planbarkeit/Zuverlässigkeit umgegangen werden kann, die Elternschaft oft mit sich bringt. Die Gestaltung politischer Orte sollte Kinder und Eltern mitdenken, indem beispielsweise Still- und Wickelräume bereitgestellt werden, Kinderbetreuung auf politischen Camps und in Schulungskontexten sowie für den Zeitraum von risikoreichen Aktionen von der Organisation angeboten (nicht ausschließlich von weiblichen Genoss:innen übernommen) oder die Online-Teilnahme an Plena ermöglicht werden. Die Organisation sollte nach ihren Möglichkeiten für eine finanzielle und arbeitszeitliche Entlastung von Müttern sorgen, indem ihnen Mitgliedsbeiträge teilweise erlassen und sie eher in inhaltliche statt in organisatorische Fragen mit einbezogen werden, wenn das gewünscht ist. Letztlich muss uns im aktuellen Stadium des Klassenkampfes, in welchem linksrevolutionäre Gruppen noch über wenige finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, klar sein, dass wir keinen gänzlich diskriminierungsfreien Raum herstellen können, in dem alle Menschen, ungeachtet ihrer persönlichen Einschränkungen, gleichermaßen partizipieren können. Gerade dieser Umstand zeigt uns, dass es eine gesamtgesellschaftliche Lösung für die Probleme von Müttern braucht. Damit auch Frauen und Mütter die vollständige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichheit mit ihren Genossen erreichen, muss die gesellschaftliche und wirtschaftliche Basis ihrer Unterdrückung zerstört werden. Schlussendlich werden sich erst im Sozialismus, in dem jegliche Reproduktionsarbeit vergesellschaftet ist und Erziehung und Fürsorge nicht mehr nur auf isolierte familiäre Zusammenhänge zurückfallen, sondern im Kollektiv geleistet werden, Mütter umfangreich und nach ihren Wünschen in politisches Leben einbringen können. Deshalb müssen Revolutionär:innen nicht nur die Optimierung ihrer eigenen Strukturen zugunsten von Eltern optimieren, sondern deren Perspektiven in ihren Forderungen und ihrem Programm Ausdruck verleihen. Wir fordern deshalb: