Rosa Favre, Was Tun, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 13, März 2025
Seit Donald Trump zum zweiten Mal Präsident der USA geworden ist, bekannten sich viele amerikanische Frauen auf TikTok zur „4B-Bewegung“: Ihr Name leitet sich von den vier Formen des Boykotts, des „Nein“ ab, zu dem ihre Anhängerinnen aufrufen: Boykott von Sex, Dates und Ehen (mit Männern) sowie Geburten. Als Reaktion auf die sexistischen Aussagen Trumps und der Debatte um eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts schließen sich ihr viele Frauen an, teils aus Protest, teils aus Selbstschutz. 4B gibt es allerdings nicht erst seit Trumps Wiederwahl, sondern entstand 2015/16 in Südkorea. Wie kommt es, dass eine Bewegung, die international bisher wenig Aufmerksamkeit bekam, im Ausland so groß wird?
Die südkoreanische Gesellschaft ist stark patriarchal geprägt: Laut OECD lag das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern 2023 bei fast 30 % und viele Frauen berichten, dass sie am Arbeitsplatz und im Alltag sexuelle Übergriffe erlebt haben. 2016 löste ein Femizid in einer Karaoke-Bar und das Bekanntwerden von massenhaften versteckten Kameras in öffentlichen Toiletten, Hotels und privaten Schlafzimmern große Protestwellen im Zuge der #Metoo-Bewegung aus. Für viele Frauen brachten diese Fälle das Fass zum Überlaufen, da sie schon lange unter sexistischer Gewalt und traditionellen Rollenbildern zu leiden hatten. Lange wurde beispielsweise nicht über das extreme Lohngefälle zwischen den Geschlechtern debattiert, da von Frauen ohnehin erwartet wurde, sich in ihren 30er-Jahren einen wohlhabenden Mann zu suchen und diesen zu heiraten. Abgesehen davon, dass sie sich dieser Vorstellung und finanzieller Abhängigkeit nicht mehr beugen wollen, ist es nahezu unmöglich geworden, einen Mann zu finden, dessen alleiniges Einkommen für die Versorgung einer ganzen Familie reicht.
Diesen Druck spüren auch die südkoreanischen Männer, die einer enormen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind und Frauen zunehmend als gefährliche Mitbewerberinnen wahrnehmen. Laut NZZ (Neue Zürcher Zeitung) hat fast ein Drittel der Bevölkerung keinen festen Job, während Sozialleistungen fehlen. Im Zuge des Wandels Südkoreas zu einer Dienstleistungsgesellschaft bekamen mehr und mehr Frauen Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen, im Gegensatz zu den Männern, keinen 18-monatigen Wehrdienst nach der Ausbildung leisten. Die Konsequenz ist ein verschärftes Konkurrenzdenken in Kombination mit einer ohnehin starken Leistungsideologie, die dazu führt, dass Menschen in fast keinem anderen Industriestaat mehr Zeit am Arbeitsplatz verbringen als in Südkorea. Laut dem 2019 erschienenen Buch „Men in 20s“ (Autoren: Cheon Gwan-yul und Jeong Han-wool) ist ein Großteil der Männer der Meinung, Frauen würden im selben Job weniger verdienen, weil sie sich schlichtweg nicht genug anstrengten und hofften, dass ein Rollback der Geschlechterrollen ihre eigene wirtschaftliche Situation verbessern wird.
Während Südkorea ohnehin mit einer niedrigen Geburtenrate zu kämpfen hat, bedeutet die 4B-Bewegung für viele junge Männer die endgültige Unerreichbarkeit des Lebens als Vater und erfolgreichem Karrieristen, das gesellschaftlich von ihnen erwartet wird. Ihre Wut und Enttäuschung richtet sich aber nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem und dessen unmenschliche Arbeitsbedingungen, sondern gegen die Feminist:innen und entlädt sich in antifeministischen Protesten.
Es ist verständlich, dass die Enttäuschung durch männliche Kollegen Frauen dazu führt, diese zu boykottieren. Es ist auch nicht falsch, wenn eine bestimmte Frau dies tut – ihr Körper, ihre Entscheidung. Vor allem im Falle von geleakten Sexvideos, die oft vom eigenen Partner aufgenommen und verschickt wurden, ist es absolut nachvollziehbar, sich nicht mehr auf Männer einlassen zu wollen. Allerdings kann dies nicht das Ende sein, da es keinen Ansatz zur gesamtgesellschaftlichen Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen bietet. Beziehungen zu Männern zu boykottieren, muss man sich leisten können. Für viele Frauen bedeutet die Familie die finanzielle Absicherung, auf die man nicht verzichten kann. 4B hat in seiner Strategie kein Verständnis für Lebensrealitäten wie diese und bleibt deshalb eine kleinbürgerliche Bewegung.
Das Narrativ des Gegensatzes zwischen konservativen Männern und feministischen Frauen aus Südkorea fand allerdings großen Anklang bei der US-amerikanischen Wähler:innenschaft, insbesondere bei gebildeten Frauen, die Harris’ Hauptwählerinnen bildeten. Die letzten Wahlen in den USA haben die Spaltung zwischen den Geschlechtern besonders sichtbar gemacht. Kein Wunder, wenn einer der Kandidaten ein vehementer Verfechter des Abtreibungsverbots ist. Einige US-amerikanische Frauen haben sich daraufhin der 4B-Bewegung angeschlossen.
Wir müssen dies unbedingt beachten, denn als Trump 2016 für seine erste Amtszeit gewählt wurde, führten Frauen in den USA Großdemonstrationen an, die Teil einer weltweiten Bewegung feministischer Streiks waren.
Der 4B-Boykott greift die Rhetorik des Radikalfeminismus und des politischen Lesbianismus der zweiten Welle auf und reproduziert damit auch deren Fehler: Frauen, egal welcher Klasse, werden als Einheit gegen das Patriarchat verstanden und es wird ein strukturelles Verständnis von Geschlecht vorausgesetzt, demgemäß Männer ihrer Natur nach gewalttätig und übergriffig gegenüber Frauen seien. Gleichzeitig spiegelt sich die Transfeindlichkeit des Radikalfeminismus auch in den bekanntesten südkoreanischen Akteur:innen der 4B-Bewegung, wie sich anhand der wichtigsten Onlineplattform WOMAD (Wortkombination aus „woman“ und „nomad“) nachvollziehen lässt. Nutzerinnen forderten hier beispielsweise, dass Nutzerinnen von weiblichen Toiletten ihr biologisches Geschlecht mithilfe von ID-Scannern verifizieren müssen.
Eine Bewegung, die wie 4B Frauen ganz allgemein als revolutionäres Subjekt betrachtet, begeht den Kardinalfehler, dass sie die Klassenfrage nicht stellt. Frauen, auch lesbische, sind weit davon entfernt, eine Gruppe mit gleichen Interessen zu bilden. Arbeiterinnen haben außer ihrem Geschlecht nichts mit ihren Chefinnen gemeinsam, von denen sie Tag für Tag ausgebeutet werden. Denn die Chefinnen, die ihre frauenfeindlichen Ehemänner verurteilen, sind immer die Ersten, die zusehen, wie die Löhne ihrer Putzfrauen und Angestellten gesenkt werden. Die geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung bleibt für sie ein Weg, um größere Gewinnspannen zu erzielen, und sie werden nicht zögern, diese Waffe einzusetzen.
Gleichzeitig versteht die 4B-Bewegung das Patriarchat als ein individuelles Verhältnis zwischen Männern und Frauen, welches aus einem vermeintlichen Interesse der Männer entstünde und dem man sich durch Boykott entziehen könne. Dieser setzt zwar durch eine historisch tiefe Geburtenrate die Regierung zunehmend unter Druck, wird aber keine Strategie liefern, um das Patriarchat als gesellschaftliches Verhältnis des Kapitalismus zu überwinden.
Den Kampf für bessere Lebensbedingungen können Arbeiterinnen nur gemeinsam mit den Männern führen, mit denen sie ihr Leben und ihre Ausbeutung teilen: proletarische Kollegen, Ehemänner, Familienangehörige oder Freunde!
Der Grund dafür ist, dass es trotz der scheinbaren Schwesternschaft keinen gemeinsamen Klassenkampf seitens der 4B-Bewegung gibt: Es gibt nur Klassenverachtung! Die eifrigsten Wählerinnen von Harris (gebildet und im Allgemeinen reich), die die Vorhut von 4B im Westen bilden, haben sich in den sozialen Netzwerken über Männer mit geringer Bildung beschwert, da diese per Definition Machos seien. Natürlich können Frauen zu Recht Angst vor männlicher Gewalt empfinden. Aber wie merkwürdig ist es, dass sich diese Frauen über Männer beschweren, mit denen sie nichts zu tun haben, die sie per se als gewalttätig fantasieren, weil sie Männer und Proletarier sind?!
Wenn bürgerliche Frauen im gleichen Maße von männlicher Gewalt betroffen wären, würden sie sich wünschen, dass Männer dafür sensibilisiert werden. Dann würden sie das Problem der Verschlechterung der Bildung angehen und ihre Steuern zahlen, um die öffentliche Schule zu finanzieren. Sie würden das Privileg einiger weniger beenden, Zugang zur Universität zu haben, ohne in Schulden zu versinken. „Seltsamerweise“ führt ihre Argumentation nicht dazu.
Was die Bourgeoisie noch mehr fürchtet als sexistische Arbeiter, ist eine zusammengeschweißte Arbeiter:innenklasse. Man muss sich nur anschauen, wie die Schweizer Bourgeoisie den Sexismus ausgenutzt hat, um die Erhöhung des Rentenalters für Frauen durchzusetzen. Der Sexismus unterdrückt uns nicht nur direkt persönlich, was unbedingt angeprangert werden muss, sondern löst auch unsere Kräfte auf und verhindert so die Klassensolidarität.
Darüber hinaus setzt ein solcher Boykott voraus, dass 1) Frauen sich nur zu Männern hingezogen fühlen und 2) die starre Zuweisung der Geschlechter bei der Geburt durch die Form der Genitalien stattfindet. Das bedeutet also, dass die Existenz von trans Personen von vornherein ausgeschlossen ist. In einer Zeit, in der die extreme Rechte weltweit mithilfe der TERFs (trans exclusive radical feminists; trans Personen ausschließende Radikalfeminist:innen) versucht, trans Personen (und vor allem Frauen) zu Sündenböcken zu machen, muss dieser Ideologie die soziale Grundlage entzogen werden! Sei es durch die Bewegung für trans- und Queer-Rechte, die Arbeiter:innen- und Frauenbewegungen und vor allem durch die Marxist:innen darin.
Revolutionär:innen müssen sich der reaktionären radikalfeministischen Ideologie der Bewegung bewusst sein, aber dafür kämpfen, ihre Anhänger:innen für unsere Inhalte zu gewinnen. In der Schweiz, wo der feministische Streik ein wichtiger Bestandteil des Klassenkampfes ist, geht es darum, ihn mit aller Kraft, die uns zur Verfügung steht, zu stärken. Lassen wir nicht zu, dass unsere Schwestern, die durch Niederlagen gegen die extreme Rechte demotiviert sind, der Anziehungskraft der simplen und falschen Ideologie von 4B erliegen. Lasst uns die Flutwelle der Demotivation eindämmen und ihr mit dem Kampf um reale Forderungen, wie der nach finanzieller Unabhängigkeit von Frauen und dem Schutz durch Selbstverteidigungskomitees, begegnen!
Wenn Kommunist:innen die Aufgabe haben, die Frauenbewegung aufzubauen, kann 4B, wenn es nicht bei einem Internet-Trend bleibt, eine gelegentliche Verbündete bei Einheitsfronten für Demonstrationen und Streiks sein. Dennoch bleibt es eine radikalfeministische Bewegung, mit der wir nur unter unseren Bedingungen und mit der Durchsetzung von Forderungen für trans Personen und alle Geschlechter der Arbeiter:innenklasse zusammenarbeiten werden. Trotz ihrer radikalen Sprache wird es immer notwendig sein, ihre konterrevolutionäre Natur zu entlarven und einen klaren Klassenstandpunkt in die Bewegung zu tragen und die Anhänger:innen für ein Programm zu gewinnen, in dem Menschen aller Geschlechter gemeinsam für das Ende der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen.