Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt und Sonti M., Revolution Deutschland und Gruppe Arbeiter:innenmacht, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 13, März 2025
Eltern, die das Aufwachsen ihres Kindes dokumentieren, sind nichts Ungewöhnliches – auch nicht auf Social Media. Während einige ihre Kinder kapitalisieren, etwa durch Kooperationen mit Spielzeug- oder Bekleidungsmarken, gibt es einen neuen Trend, der immer mehr Klicks bekommt: Gentle Parenting. Oft präsentieren Mütter diese Erziehungsmethode, die verantwortungsvoll mit den Limits ihrer Kinder umgeht und sie als eigenständige Personen mit Gefühlen wahrnimmt. Ziel ist es, das Verhalten von Kindern zu reflektieren und verständnisvoll darauf einzugehen, ohne ihre Grenzen zu überschreiten – ebenso wie die eigenen anerzogenen Muster zu hinterfragen.
Emotionen werden co-reguliert, sanfte Grenzen erklärt und oft verhandelt. Statt mit Strafen wird mit Empathie, Präsenz und Raumlassen gearbeitet, um Verhaltensänderung und Reflexion zu bewirken. Im deutschsprachigen Raum ist Marlies Johanna eine der bekanntesten Influencer:innen. Und ehrlich: Wer einmal sieht, wie ein Wutanfall eines Dreijährigen mit einer Umarmung beantwortet wird, dem wird warm ums Herz. Es wirft unweigerlich die Frage auf: Kann das für uns als Kommunist:innen ein Modell für die Zukunft sein?
Viele Eltern, die Gentle Parenting oder ähnliche Modelle anwenden, wollen mit bindungsorientierter Erziehung ihre Kinder stärken. Das ist nachvollziehbar, wünschenswert und steht im Kontrast zu „alter, autoritärer“ Pädagogik, die oft darauf abzielte, den Willen von Kindern zu brechen. Gleichzeitig zeigt sich hier ein Problem: Es geht darum, das eigene Kind besser auf Kita, Schule und Leben vorzubereiten.
Dass Eltern für eine gesunde Bindung sorgen und Werte vermitteln, die im Kapitalismus oft zurückgedrängt werden, ist verständlich. Jedoch ist es eine Illusion, dass die Welt eine gute wird, indem wir einfach nur unseren Kindern Toleranz und gute Kommunikation vermitteln.
Wir sprechen hier nicht nur über Gentle Parenting, sondern auch über diverse Formen antiautoritärer Erziehung, deren Ursprünge in der Frankfurter Schule liegen, oder das Spektrum Reformpädagogik wie Montessori, eine der bekanntesten Vertreter:innen.
Dabei sind Bildungswissenschaften und Pädagogik keine exakten Wissenschaften, sondern eine Mischung aus psychologischen, philosophischen und historischen Schlüssen mit wenig zusammenhängender Systematik. Oft wird von einem fixen Menschenbild ausgegangen, mit unwissenschaftlichen Methoden (wie bei Montessori) Erfolg „bewiesen“ und werden die Ziele der Erziehung (oder auch Bildung wie bei Montessori) wenig kritisch hinterfragt. Obwohl ihre Grundannahmen und Methoden nicht unbedingt gleich sind, teilen sie ähnliche Probleme. Sie alle zu kritisieren ist schwierig, da eine gemeinsame Basis fehlt und sie oft zusammengewürfelt wirken. Trotzdem wollen wir es im Folgenden versuchen.
Im Kapitalismus findet ein Großteil der Erziehungsarbeit im Privaten statt, da diese als Teil der Reproduktionsarbeit ins Private, also die Familie, geschoben wird. Das passiert vor allem, um Kosten zu sparen, nicht weil dem System die Eltern-Kind-Bindung so am Herzen liegt. Gleichzeitig müssen Eltern ja auch arbeiten und Kinder aufs spätere Leben vorbereitet werden (also lernen, am Produktionsprozess teilzunehmen und sich dafür zu qualifizieren). Aus diesen Gründen sind unter anderem Kindertagesstätten und Schulen gegründet worden. Der Kern der „alternativen” Erziehungsansätze (ob jetzt für den privaten Rahmen oder in der Schule) besteht darin, dass sie sich als Alternative zum bestehenden System darstellen. Doch das bringt Probleme mit sich:
Schon im Hier und Jetzt wird das Problem sichtbar: Das ständige Hin und Her zwischen Eltern und Lehrer:innen zeigt, wie wenig das jetzige System die Bedürfnisse von irgendwem richtig abfangen kann. Die Lehrer:innen schimpfen auf die Eltern, die ihren Kindern nicht die richtige Erziehung mitgeben, damit sie in der Schule funktionieren, und die Eltern schimpfen auf die Lehrer:innen, weil sie den Kindern nicht die richtigen Dinge beibringen, damit ihre Kinder in der Welt funktionieren können. Währenddessen ist von außen klar, dass nur ein kollektives Bewusstsein für die Aufgabe diesen Widerspruch positiv auflösen kann. Ein behütetes Aufwachsen und gesunde Bindungen stehen jedem Menschen zu und nicht nur jenen, die in privilegierte Familien geboren werden! Bedürfnisorientierung ist eine wichtige Metrik, die Gewalt gegen Kinder vermindern kann. Zeitgleich sollte eine Bedürfnisorientierung in kollektive Bedürfniswahrung einbezogen werden – und das bedeutet nicht nur die Bedürfnisse von Eltern und Kind. Doch im Hier und Jetzt ist das nicht für alle umsetzbar: Wir leben in einer Welt, die nicht allen erlaubt, frei und bedürfnisorientiert zu leben: mit Krieg, Flucht, Umweltkatastrophen und Armut, die speziell Kinder betreffen. Unter solchen Umständen ist es umso wichtiger, eine Erziehung aufzubauen, die kollektiv und für das Kollektiv erzieht, um niemanden zurückzulassen. Im Kapitalismus haben die wenigsten Kapazitäten und Ressourcen, diesen privilegierten Weg zu gehen, so sehr sie es auch wollen. Deswegen müssen wir im größeren Rahmen denken. Es ist also Zeit, die positiven Ansätze von Gentle Parenting auf ein Kollektiv zu übertragen! Die Frage ist also: Was wollen wir mit Erziehung erreichen?
Autarke Funktionalität (also das möglichst unabhängige und eigenständige Funktionieren) steht im Mittelpunkt der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Die frühe Selbstständigkeit ist Maßstab – und idealerweise auch emotionale Ausgeglichenheit. Das ist vielleicht aber nicht in jeder Phase und Situation zentral – eventuell ist es auch im Kapitalismus phasenweise „effektiver“, Kindern beizubringen, Schmerz auszuhalten, oder dass das Leben hart ist. Funktionieren ist eben kein unflexibles Phänomen, sondern eines, das auf die Situation angepasst ist. Zum Beispiel kann es in Kriegssituationen auch wieder ein Besinnen auf veraltete, brutale Pädagogikmethoden und Lehrinhalte geben, um Kindern Disziplin einzuhauchen. Stattdessen sollten wir die Frage vielleicht anders stellen: Wie kann Erziehung aussehen, die auf gemeinsamer Funktionalität im Rahmen der jeweiligen Fähigkeiten ausgerichtet ist und in der das Lernen emotionaler Ausgeglichenheit sowie stabiler Beziehungen ein Recht ist?
Ein wichtiger Grund, warum Dinge wie Montessori oder Gentle Parenting so einen großen Reiz haben, ist, dass sie konkrete Ansätze haben. Kind macht A und du machst B. Da gibt es auch viele Ideen, aus denen man lernen und die man in die eigene Praxis integrieren kann. Zum Beispiel das Formulieren von „Ich-Botschaften“, Co-Regulieren von Emotionen, Optionen geben oder kindgerechte Umgebungen. Das Ziel muss allerdings immer sein, nicht nur aus einer individuellen, sondern auch aus einer gesellschaftlichen Sicht zu lernen, wo wir gerne hin möchten und nicht nur was im Moment – für einige wenige – funktioniert.
Dazu gibt es aus unserer Sicht zum Beispiel die Ansätze von Paulo Freire, Edwin Hoernle, Marx, Krupskaja und vielen weiteren, auf die wir uns in einem Verständnis von marxistischer Pädagogik konzentrieren können. Diese schaffen einen Spagat zwischen Erziehung zum Klassenkampf, kollektiver Erziehung zum Sozialismus und der Vergesellschaftung der Hausarbeit. So sagt Hoernle beispielsweise: „Die Schule des siegreichen Proletariats ist kollektive Arbeit plus Massenbewegung.“ Die Erkenntnis, dass nicht die Eltern erziehen, sondern die Lebensumstände, die wiederum auch die Eltern erziehen, ist ein wichtiger Ausgangspunkt. Dieser Tatsache kann man nur durch gemeinsame Organisierung entgegentreten – die sich auch darauf konzentriert, wie man in allen Teilbereichen des Lebens mit Kindern gemeinsam arbeitet und lebt – je nach Fähigkeiten und Energie natürlich. Das Ablegen der Idee, dass es eine natürliche und naturbedingte Unterdrückung gibt, verdeutlicht auch Freire in seinen Konzepten zum selbstverwalteten Lernen der Unterdrückten. Speziell Letzteres ist ein verwobenes Ziel, das nur zu oft bei der Erziehung vergessen wird. Recht auf Ganztagsbetreuung, Auflösung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit und politische Mitbestimmung des Lehrplans sind dabei wichtige Forderungen. Sie alle stehen in Verbindung mit einer Arbeitszeitreduktion und der Entlastung von anderen Haushaltstätigkeiten, z. B. durch Gemeinschaftsküchen, damit auch wiederum ein Einbringen der Eltern in das Leben ihrer Kinder und das gemeinsame Aneignen von Strategien und Best-Practice-Ideen in öffentlichen Räumen möglich ist.