Arbeiter:innenmacht

Rechtsruck – nur ein sächsisches Problem?

Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1016, 28. August 2018

Nazis, die AusländerInnen jagen – oder auch jene, die nicht in ihr Bild des „guten Deutschen“ passen. Neu ist das für jene, die in Sachsen linke Politik zu machen versuchen, nicht. Messerangriffe, Morddrohungen, AktivistInnen, die nach dem Versuch, Nazis zu blockieren, von bewaffneten FaschistInnen aus dem Bahnhof gejagt werden – all das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Erfahrungen der letzten 3 Jahre.

Die rassistische Gewalt von Chemnitz ist leider nicht so neu, wie es in den bürgerlichen Medien mitunter erscheint. Ein Mitglied der Linksjugend erlitt bei einem rechten Angriff am 31. Dezember 2016 einen Basisschädelbruch; nach der Silvesternacht in Köln versuchten Rechte Bürgerwehren aufzustellen. Nazis und RassistInnen haben auch schon früher Selbstjustiz an Geflüchteten verübt. In Cottbus liefen Rechte mit Ku-Klux-Klan-Kapuzen herum. Neu an Chemnitz – und damit ein weitere tragischer Höhepunkt rassistischer Mobilisierungen – ist die Tatsache, dass die Nazis einen Mob von Tausenden in kürzester Zeit mobilisieren konnten.

Tal der Ahnungslosen

Liest man die bürgerliche Presse, so entsteht mitunter das Bild von einem einzigen Bundesland, das sich widerspenstig weigert, die Werte der Demokratie anzuerkennen. Medien und Politiker_Innen verweisen auf einen wütenden Mob, der in Freital, Heidenau, Bautzen, Wurzen und nun auch in Chemnitz Selbstjustiz verübt und Geflüchtete sowie Linke jagt, als lokale Besonderheit. Das ist in einem Land, dessen Bundesregierung ansonsten wenig Skrupel kennt, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, noch nicht salonfähig.

So scheint es, als ob das Ganze ein ganz spezifisches Problematik sei, die man unter dem Namen „sächsisches Problem“ zusammenfasst. Sachsen, das Land der Nazis, das deutsche Ungarn, das Bundesland der Abgehängten – man hat viele Namen für die Situation, doch wenig Erklärungen. Aber kann man so etwas überhaupt erklären?

Sachsen – Ausdruck und Ausblick zugleich

Festzuhalten ist eines: Das „sächsische Problem“ ist kein isoliertes Problem eines einzelnen Bundeslandes. Es ist Ausdruck einer bundesweiten und internationalen Entwicklung – des internationalen Rechtsrucks. Dieser schlägt sich aufgrund der ökonomischen Lage, der gezielten Aufbaupolitik der Rechten und der Schwäche der Linken besonders in dieser Region nieder – und ist in gewisser Weise ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn wir keinen Widerstand aufbauen können.

Denn seit mehreren Jahren können wir einen Rechtsruck in Deutschland beobachten. Ab 2014 ist die Anzahl der rechten Gewalttaten gestiegen, also Übergriffe auf Geflüchtete, ihre Unterkünfte, sowie auch auf Linke und ihre Strukturen. Daneben gab es einen Anstieg an rechten Mobilisierungen, und rassistische und extrem nationalistische Positionen sind mit dem Anstieg der Popularität der AfD salonfähig geworden.

Dies zu verstehen ist wichtig, denn betrachtet man die Hetzjagden etc. unabhängig von der gesamten Entwicklung, kann man sie nicht verstehen – und nicht bekämpfen.

 

Feuerwehrpolitik oder Sozialarbeit?

 

Kurzfristige und rasche Gegenproteste gegen die Ausschreitungen sind wichtig. Sie zeigen auf, dass diese Vorfälle nicht stumm hingenommen werden und es immer noch Menschen gibt, die bereit sind, sich den Rechten zu stellen. Doch mit welcher weiterführenden Perspektive sind diese Proteste verknüpft? Mit keiner – und das ist ein zentrales Problem.

Die PEGIDA-Gegenproteste verdeutlichen diese traurige und besorgniserregende Tatsache. Während sie anfangs viele Menschen mobilisierten, sind es im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Einen traurigen Höhepunkt der Schwäche markierte der Zeitraum, als sich weniger als 50 Aktivist_Innen gegen tausende Nazis und „besorgte“ BürgerInnen stellten.

Ein anderer Irrweg besteht darin, Rassismus und Faschismus als bloßes Konstrukt in den Köpfen von Menschen zu betrachten, also als reines Bildungsproblem. Denn das verkennt, dass es gesellschaftliche Ursachen für den Rassismus gibt und dieser weit mehr ist, als nur die Angst vor Fremden aufgrund eines beschränkten Weltbildes. Im Kapitalismus dient Rassismus zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse. In Krisenperioden verschärft sich die Konkurrenz. Der Rassismus dient als Mittel, die vom Abstieg bedrohten Schichten des KleinbürgerInnentums und auch Teile der ArbeiterInnenklasse gegen MigrantInnen und Geflüchtete in Stellung zu bringen – ihnen eine reaktionäre Erklärung und „Lösung“ ihrer Probleme zu liefern. Wenn es die Linke und die ArbeiterInnenbewegung nicht schaffen, ihrerseits eine fortschrittliche Alternative zu präsentieren, gegen Rassismus und soziale Angriffe zu kämpfen, dann droht uns der Rassismus wie ein Lawine zu überrollen.

Doch es gibt nicht nur kleinbürgerliche und reaktionäre Rechte. Es gibt auch eine andere Schicht von Menschen, die ein objektives Interesse hat, diese Spaltung zu vertiefen und zu nutzen, um ihre Profite zu steigern, nämlich die herrschende Klasse.

Was braucht es wirklich?

Es bedarf es auch einer antirassistischen Bewegung der Organisationen der Arbeiter_Innenklasse. Möchte die SPD wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, dann sollte sie nicht im Sommerloch leere Worte über Hartz-IV- Sanktionen oder das Rentenniveau schwingen, sondern offen Stellung beziehen, gegen Abschiebungen stimmen und ihre Mitgliedschaft dazu aufrufen, sich an antirassistischen Protesten zu beteiligen.

Gleiches gilt für die Linkspartei. Statt sich nur an „#aufzustehen“ abzuarbeiten, müsste die Partei auch etwas tun und für offene Grenzen eintreten, StaatsbürgerInnenrechte für alle fordern und für Selbstverteidigungsstrukturen kämpfen. Die Linkspartei sollte aktuell antirassistische Proteste initiieren und zusammen mit den Gewerkschaften mobilisieren. Denn nur wer klar Stellung bezieht und Kämpfe, wie die gegen die Polizeiaufgabengesetze oder für bessere Arbeitsbedingungen mit Antirassismus verbindet, kann in der aktuellen Situation die Kräfteverhältnisse verändern.

Ein erster Schritt, dem „sächsischen Problem“ entgegenzutreten und eine antirassistische Bewegung aufzubauen, wäre es, das Problem nicht zu ignorieren. Antirassische Konferenzen und Proteste in Berlin oder Hamburg sind gut und schön. Dass Großmobilisierungen – wenn überhaupt – nur solchen Großstädten realistisch erscheinen, ist aber auch ein Zeichen der Schwäche. Dabei hätten bundesweite Mobilisierungen nach Sachsen mehrere Effekte. Zum einen würden sich die AktivistInnen und MigrantInnen vor Ort nicht permanent allein gelassen und in der Defensive fühlen. Zum anderen könnten sie diese Mobilisierungen nutzen, um einen elementaren Schritt für den Aufbau einer antirassistischen Bewegung zu tätigen: Basisarbeit an den Orten, an denen man sich tagtäglich bewegen muss, also an Schulen, Universitäten und in Betrieben. Wer schon aus einer Schwächeposition mobilisiert, hat wenig Kraft dafür, den Kampf gegen Rassismus mit dem gegen steigende Mieten, schlechte Infrastruktur oder zu wenig Lohn zu verbinden. Doch bundesweite Solidarität kann auch deutlich machen, dass AntifaschistInnen in Sachsen nicht allein dastehen.

Der Kampf gegen Aufmärsche und Strukturen wie in Chemnitz ist eine Aufgabe, die uns alle angeht.

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