Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 288, Dezember 2024 / Januar 2025
Es ist vollbracht: Die Ampelregierung wurde niedergestreckt. Zwar nicht so, wie man es sich für den „D-Day“ aus den Reihen der FDP gewünscht hätte, sondern durch die SPD selbst, die das Gezeter und Drohungen der 4,0 %-Partei nicht mehr aushalten wollte. Während Lindner anfangs noch versuchte, den Mythos zu nähren, dass Scholz ihn „auf die Straße“ gesetzt hätte, ist dieses Märchen nun Geschichte. Das Resultat: Am 23. Februar können jene mit deutscher Staatsbürger:innenschaft wählen. Doch warum ist es überhaupt zur Regierungskrise gekommen?
Die Chronologie der Streitigkeiten ist lang: Heizungsgesetz, Investitionsfonds, Kindergrundsicherung, Bürgergeld und schließlich die Frage des Haushalts. Immer wieder haben sich die Regierungsparteien gegenseitig blockiert und versucht, durch öffentliche Stellungnahmen ihre Positionen durchzusetzen. Auch Seitenhiebe aus der Opposition haben nicht gefehlt. Besonders Merz gab sich die beste Mühe, die Regierung vor sich herzutreiben. Seit September haben sich die Risse dann noch einmal klarer gezeigt. Lindner veröffentlichte an den Kolleg:innen vorbei ein 18-seitiges Papier für eine ganz andere Wirtschaftspolitik, als der Koalitionsvertrag vorsieht. Und dennoch kam das Ende ein bisschen unvermittelt, als dann Scholz am Mittwoch, den 6. November, um 21:25 Uhr im Bundeskanzleramt vor die Kamera trat. In gewohnt trockener Art erklärte er, was wenige Minuten zuvor durch die Medien als Eilmeldung raste: als Kanzler habe er Finanzminister Christian Lindner aus seinem Amt entlassen. Dieser Schritt sei notwendig, um Schaden von Deutschland abzuwenden, um es nicht im Chaos versinken zu lassen. Lindners Kompromisslosigkeit diene nicht dem Land, sondern der Rettung seiner eigenen Partei.
Das vorzeitige Ampel-Aus verdeutlicht die Krise der bürgerlichen Parteienlandschaft angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland. Es geht um die zentrale Frage, wer für die Kosten zahlen soll (und wofür Schulden überhaupt aufgenommen werden sollen). Zum Aufrüstungskurs, zur Militarisierung hat die FDP eigentlich gar keine Differenzen mit der SPD, ist eigentlich noch kriegstreiberischer – aber bezahlt werden soll das nicht durch Neuverschuldung, sondern durch rigorosen Sozialabbau beim Bürgergeld, bei Geflüchteten, dem Renteneintrittsalter und den „überregulierten“ Arbeitsverhältnissen.
Die FDP hat dazu klare Vorstellungen: Geplante Angriffe aufs Streikrecht, eiskaltes Durchsetzen der Schuldenbremse, weitere Kürzungen im sozialen Bereich. Zahlen sollen die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten – und zwar in voller Härte, nicht mit dosierter, wie es SPD und Grünen vorschwebt. Steuererhöhungen für Unternehmen darf es auf keinen Fall geben. SPD und Grüne stehen hingegen für einen Transformationskurs im klassisch keynesianischen Stil: Lieber mehr Schulden aufnehmen und, wie Scholz es sagte, nicht „innere und äußere Sicherheit“ gegeneinander ausspielen. Also die Interessen des deutschen Imperialismus mit Sozialschaum verfolgen. Ebenso hat es die Differenzen in der Ausrichtung zwischen Sozialdemokratie und Liberalen schon immer gegeben. Dass sie zur Regierungskrise führten, hat also tiefere Ursachen als der Stimmenverlust der FDP.
So gesehen ist die Ampel auch Opfer der Zeitenwende, die Scholz damals selbst verkündete. Als die „Fortschritts“koalition zusammenkam, gab es weder Ukraine- noch Gazakrieg. Inmitten von Krieg, Inflation und Rezession ließ sich das Gönnerhafte jedoch nicht leicht verwirklichen. Zumindest nicht, wenn man sich darauf beschränkt, Realpolitik im Parlament zu betreiben und das Interesse der zu „unserer Wirtschaft“ verklärten herrschenden Klasse fest im Blick hat.
Hintergrund dabei ist auch die Verteilungskrise, eine wirtschaftliche Entwicklung seit der Finanzkrise 2007/2008. Auch wenn diese durch konterzyklische Maßnahmen und die Ausweitung von Kredit und Schulden gebremst werden konnte, so doch nur um den Preis der Fortschreibung ihrer Ursachen – fallender Profitraten und Überakkumulation von Kapital. Mit der synchronisierten globalen Rezession infolge der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg hat sich die Situation für den deutschen Imperialismus, der sich bis dahin recht gut halten konnte, zugespitzt. Der Exportnation haben gestiegene Energiepreise massiv zu schaffen gemacht. Hinzu kommen Konkurrenzdruck und Erneuerungszwang in einem der Kernsektoren der deutschen Industrie, der Autobranche. Genauer haben wir die aktuelle Situation hier beleuchtet: https://arbeiterinnenmacht.de/2024/10/29/brd-wirtschaft-duestere-wolken/. Das Ergebnis ist jedoch, dass die aktuelle Rezession in Kombination mit der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre den Spielraum für die in Deutschland bislang etablierte Sozialpartner:innenschaft massiv verringert und somit auch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Klassen in Frage stellt.
Ein weiterer Effekt dieser Entwicklung ist der internationale Rechtsruck. Im Zuge der Krisenhaftigkeit stieg die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Kapitalfraktionen und die Lage des Kleinbürger:innentums und der lohnabhängigen Mittelschichten wird unsicherer und instabiler, was sich in Deutschland in der Gründung der AfD ausdrückte. Gleichzeitig versuchte der deutsche Imperialismus während der Merkel-Ära, in der internationalen Politik zwischen den USA einerseits und Russland und China andererseits zu lavieren, was selbst Differenzen innerhalb der herrschenden Klasse um die strategische Ausrichtung der Bundesrepublik und der EU widerspiegelte. Mit Zunahme der innerimperialistischen Konfrontationen und Blockbildung ist dies schwieriger geworden. Der Ukrainekrieg stellt hier eine Zäsur dar, weil ein strategisches Bündnis mit Russland, wie es noch Kohl und Schröder, aber auch Teile der Merkel-Regierungen angestrebt hatten, in weite Ferne gerückt ist. Das muss jedoch nicht immer so bleiben, denn der Gewinn Trumps bei den US-Wahlen stellt natürlich auch die transatlantische Ausrichtung von BRD und EU in Frage. So zeigt sich das Problem deutlich bei der Ukrainepolitik. Einerseits wird mantraartig die Unterstützung der Ukraine garantiert und von der CDU/CSU wird noch deren Ausweitung gefordert. Andererseits vermag Deutschland selbst natürlich die USA nicht zu ersetzen, und ein dauerhafter Krieg in Europa stellt eigentlich eher eine Belastung denn einen strategischen Vorteil dar (wie die AfD und das BSW offen, Teile von SPD und CDU eher verdeckt denken).
Ganz unabhängig von der Lage in der Ukraine wird es jedoch zu einer massiven Beschleunigung der europäischen Aufrüstung führen (inklusive einer möglichen Debatte um die „nukleare Unabhängigkeit der Bundesrepublik“), zu einem neuen Versuch, die EU-Rüstungsindustrie konkurrenzfähiger zu machen und so längerfristig Europa, also die deutsche Vorherrschaft in der EU, zu stärken. Das Problem der deutschen Bourgeoisie besteht jedoch auch darin, dass sie keine wirklich gemeinsame strategische Vorstellung verfolgt, wie diese Politik umgesetzt werden kann – und dieser Konflikt durchzog letztlich die Ampelregierung, die auch an diesen Widersprüchen scheiterte.
Am meisten profitieren von der Entwicklung AfD und Union. Unter der Führung Merz’ war letztere schon in der Vergangenheit sehr gut darin, sich selbst zu inszenieren und die Regierung vor sich herzutreiben – zuletzt in der Frage, wann die Neuwahlen denn konkret stattfinden sollen. Eine neue Regierung unter Führung der Union – und mit Friedrich Merz als Kanzler – ist deswegen wahrscheinlich. Währenddessen kann die AfD nicht nur den Kurs fahren, dass sie die Ampel „schon immer“ scheiße gefunden hat, sondern auch bezüglich des Themas Frieden für sich punkten. Denn während SPD und Grüne, aber auch CDU/CSU und FDP weiterhin ins Kriegshorn blasen werden, können sich AfD und BSW als Friedensparteien in der Ukraine darstellen.
Am schwersten wird es DIE LINKE haben. Sie ist es auch, deren Organisationsstruktur aktuell am meisten am Boden liegt. Bis zur Bundestagswahl im September hätte sie sich vielleicht noch aufrappeln können, aber vorgezogene Neuwahlen machen an der Stelle ein vorzeitiges Aus für sie selbst wahrscheinlicher – deswegen liegt der Fokus nun darauf, mindestens 3 Direktkandidaturen zu gewinnen. Die wahrscheinlichsten Chancen haben dabei Gysi (Berlin, Treptow-Köpenick), Bodo Ramelow (Erfurt) und Sören Pellmann (Leipzig, Connewitz). Dies wird aber durch die Konkurrenz des BSW auch kein Zuckerschlecken.
Bei der nächsten Wahl und Regierungsbildung in Deutschland wird sich entscheiden, welcher Kurs eingeschlagen wird. Dabei ist klar: Soziale Angriffe wird es geben, ob nun mit oder ohne Abfederungspolitik seitens SPD und Grünen. Deswegen ist es notwendig, nicht nur passiv zu warten, bis gewählt wird und sich eine neue Regierung konsolidiert hat. Vielmehr müssen wir jetzt klar sagen: Eure Kriege und Krisen zahlen wir nicht! Schluss mit Sozialpartnerschaft, gegen Massenentlassungen und Schuldenbremse!
Denn schon jetzt wird bei Land und Kommunen, insbesondere im sozialen Bereich, fleißig gekürzt und auch mit der Krankenhausreform kommt es nicht nur in der Autoindustrie zum Stellenabbau und Entlassungen. Um die Angriffe also erfolgreich abzuwehren, braucht es einen Bruch v. a. der Gewerkschaften mit der Politik der Klassenkollaboration, eine Aktionskonferenz gegen die Krise, auf der die Linke in Deutschland diskutiert, mit welchen Forderungen sie einen Ausweg aus der aktuellen Misere aufzeigen kann – bei Tarifrunden und durch eigenständige Aktionen. Und wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Art Partei, welches Programm, welche Politik wir gegen die Krise brauchen. Der Zusammenbruch der Ampel, der Niedergang der SPD und der Linkspartei verdeutlichen, dass wir nicht nur organisierten Massenwiderstand aufbauen müssen. Wir müssen zugleich für eine revolutionäre Alternative zum Reformismus, für den Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenpartei kämpfen.