Tobi Hansen, Neue Internationale 242, November 2019
Zunächst die Zahlen: 53 % Wahlbeteiligung, d. h. praktisch 213.693 gültige Stimmen von 425.690 Mitgliedern. Die Übergangsführung um Dreyer, Schäfer-Gümbel und Schwesig sowie Generalsekretär Klingbeil wollten auf jeden Fall die über 50 % als basisdemokratische Erneuerung feiern. Dass die sechs zur Auswahl stehenden Duos über 200.000 Mitgliedern praktisch egal waren, zeigt auch den zerrütteten Zustand dieser Partei.
Das Duo „Erfahrung und Vereinigung“, Schwan und Stegner, erhielt 9,6 % und fuhr somit das schlechteste Ergebnis ein. Köpping und Pistorius, die LandesministerInnen aus Sachsen und Niedersachsen, erzielten 14,61 %. Sie hatten eher mit „Law and Order“ und „Sorgen der BürgerInnen“ zu punkten versucht und wurden mit 14,63 % knapp von Scheer/Lauterbach geschlagen. Diese hatten deutlich Richtung Rot-Rot-Grün argumentiert, ein „GroKo“-Ende gefordert wie auch mit Klima und Gesundheit argumentiert. Eher überraschend war, dass Kampmann/Roth, das dynamische „Wohlfühl“-SPD-Duo mit 16,28 % den 3. Platz machten, nur geschlagen von den „FavoritInnen“ im Vorlauf. Das nordrhein-westfälische Duo Walter-Borjans/Esken holte mit 21,04 % den 2. Platz, knapp hinter Scholz/Geywitz die mit 22,68 % schlussendlich gewannen.
Vom 19.–29. November wird per Urabstimmung zwischen diesen beiden Duos entschieden. Beim Bundesparteitag vom 6.–8. Dezember soll das Siegerduo durch die Delegierten bestätigt werden. Während in der britischen Labor Party die Abstimmung über den Parteivorsitz zu hunderttausenden Eintritten führte, wollten 47 % der SPD-Mitgliedschaft darüber nicht abstimmen und schon gar niemand neu eintreten. Da war z. B. die „NoGroKo“-Kampagne der Jusos 2018 deutlich erfolgreicher. Mehrere zehntausende Eintritte folgten. Jetzt unterstützt die Jugendorganisation Walter-Borjans/Esken.
Während Scholz/Geywitz vor allem für ein geräuschloses Weiterregieren in der Bundesregierung stehen – Scholz macht Vizekanzler und Geywitz Parteiführung –, steht das „NRW“-Duo für eine Rückbesinnung auf die „linke“ Volkspartei, inkl. Steuergerechtigkeit, digital für alle und etwas Sozialromantik. Vor allem will es auch eine andere Regierungspolitik, weiß neben den Jusos auch den größten Landesverband hinter sich wie wahrscheinlich auch die dortigen DGB-GewerkschafterInnen.
Dass die Konkurrenz zur aktuellen Bundes-SPD aus NRW kommt, ist nicht überraschend. Hier lebt mehr als ein Drittel der Mitglieder der Partei und der aktuelle Landesvorstand steht der GroKo kritisch gegenüber.
Die zerfaserte SPD-Linke könnte in diesen Vorstandswahlen und den begleitenden Diskussionen über die GroKo gewinnen. Es ist aber weder klar, ob sie die politischen Entscheidungen herbeiführen kann, noch wohin sie eigentlich will – inwieweit die Jusos, die man nicht insgesamt auf „Kühnert-Kurs“ sehen sollte, die DL 21 um Mattheis/Hirschel oder gar Landesverbände wie Bayern und NRW tatsächlich die GroKo platzen zu lassen bereit wären.
Gerade deshalb wäre eine breite Diskussion in den Gewerkschaften, Betrieben, Ortsverbänden, Stadtteilen, Quartieren eine gute Möglichkeit, tatsächlich große Teile der Mitgliedschaft zu mobilisieren für ein GroKo-Ende und für einen Bruch mit der neoliberalen und sozialpartnerschaftlichen Spitze in Partei und letztlich auch den Gewerkschaften zu kämpfen. Dazu ist die SPD-Linke derzeit jedoch nicht in der Lage.
Die krisengeschüttelte SPD erodiert in ihrer aktuellen Krise so sehr, dass sie ihren letztmöglichen „Sinn“ für den deutschen Imperialismus verlieren könnte. Dieser besteht ja gerade darin, ihre soziale Basis unter den Lohnabhängigen „einbinden“ zu können und zugleich als tüchtige Vollstreckerin der Gesamtinteressen des Kapitals zu fungieren. Bundesweite Umfragewerte von 13 % lassen Zweifel an dieser Fähigkeit aufkommen. Wird der aktuelle Kurs fortgesetzt, so könnte für die Partei tatsächlich die „finale“ Phase ihrer Krise anbrechen.
Für sozialistische, kommunistische, revolutionäre Linke beinhalten diese Krisen, Umbrüche und Wendepunkte jedoch Chancen, wenn sie in die Konflikte der reformistischen Organisationen eingreifen, von deren linken Flügel einen innerparteilichen Kampf wie auch Mobilisierungen auf der Straße fordern – und zugleich immer wieder die Notwendigkeit einer revolutionären Alternative, einer neuen und kommunistischen ArbeiterInnenpartei betonen.