Frederik Haber, Neue Internationale 242, November 2019
Die nächste große Krise der Weltwirtschaft steht vor der Tür. Auch in Deutschland kippt die Entwicklung Richtung Rezession. Besonders betroffen ist die Auto- und Zulieferindustrie, das viel beschworene Flaggschiff der deutschen Industrie und des Exports. Tausende Stellen werden schon gestrichen. Die Arbeitsplätze werden nicht wieder besetzt, aber Tausende sollen in den nächsten Monaten auch entlassen werden. Unvermeidlich werden die verschiedenen Krisenherde sich gegenseitig verstärken. Verschärfte Konkurrenz und Handelskriege können alles schnell schlimmer machen.
Ver.di und IG Metall haben ihre Gewerkschaftstage abgehalten und dabei so getan, als ginge sie das nichts an. Krise, wo sie herkommt, welche Gefahren es gibt, wie verhindert werden kann, dass wieder die ArbeiterInnenklasse mit Arbeitsplätzen, Reallohnverlust und weiterer Prekarisierung bezahlt – keine Themen. Digitalisierung ist zwar ein Punkt, aber die Gewerkschaftsführungen akzeptieren sie, fordern eine sozialverträgliche Umstellung und tun so, als ob diese „partnerschaftlich“ möglich wäre.
Gleiches gilt für den Klimaschutz. Offiziell sind die DGB-Gewerkschaften dafür. Praktisch tun sie nicht viel und da, wo er dem Kapital nicht passt, machen sie weiter wie bisher. Ähnlich wie die Bundesregierung.
Aber alle diese Themen spitzen sich auch in den Betrieben zu. Da werden Debatten über neue Zusatzrenten wie bei der IG Metall nichts helfen. Appelle an die Arbeit„geberInnen“ und die „Politik“ auch nicht. Arbeitszeitverkürzung, selbst bezahlt mit Lohnverlust, wie sie die IG Metall vor zwei Jahren vereinbart hat und wie sie ver.di für den öffentlichen Dienst plant, kann als selbst bezahlte Kurzarbeit höchstens ein Tröpfchen auf die heißen Steine sein, die demnächst nicht mehr ignoriert werden können, wie dies die Gewerkschaftsbürokratie derzeit noch tut.
Auch wenn in den Gewerkschaften – nicht nur auf den Kongressen – um die drohenden Gefahren keine wirkliche Debatte stattfindet, es gibt Unbehagen und Unmut.
Ein Zeichen war die Klatsche für IGM-Chef Hofmann auf dem Gewerkschaftstag, als er das schlechteste Wahlergebnis eingefahren hat, das jemals ein Vorsitzender ohne GegenkandidatIn erhielt. Ein Signal war auch die Umfrage, die die IGM-Spitze im letzten Jahr unter den Mitliedern machen ließ – nicht von den Vertrauensleuten, sondern ganz management-modern von einem Beratungsinstitut: Die immer noch hohe Zufriedenheit mit der Politik und den Ergebnissen der Organisation war gepaart mit einer dramatisch abgestürzten „Bindungskraft“.
Diese vage Unzufriedenheit oder kriselnder Glaube an die Führung können sich in den Strukturen solcher Organisationen nur sehr schwer manifestieren und formulieren. Im Gegenteil, die Strukturen wie die Politik des Apparates sind voll darauf fokussiert, Kritik mundtot zu machen oder zu isolieren, WortführerInnen einzukaufen oder zu entfernen. Eine neue, andere Strategie – ja selbst die Debatte darüber – muss organisiert angegangen, müsste dem Apparat von einer klassenkämpferischen Opposition erst aufgezwungen werden.
Doch diese existiert nicht, allenfalls in bescheidenen Ansätzen. Die kleinen oppositionellen Kerne in den Strukturen müssen sich vernetzen, aber mehr als das: Sie müssen auch Diskussionen und Initiativen absprechen und koordinieren. Sie dürfen sich nicht auf in den Gewerkschaftsgliederungen aktive Oppositionelle beschränken, sondern müssen auch kämpferischen, aber von den Gewerkschaften desillusionierten Mitgliedern eine Perspektive zeigen.
Das erfordert den Aufbau verbindlicher Strukturen, die letztlich darauf abzielen müssen, eine andere Politik gegen die heutige Führung durchzusetzen und damit auch diese zu ersetzen. Es erfordert nicht nur den Kampf gegen einzelne BürokratInnen, sondern das Brechen der Macht und Kontrolle des Apparates über die Gewerkschaften.
Praktisch erfordert das, örtliche und betriebliche Kerne aufzubauen, die in der Lage sind, an Brennpunkten, z. B. in Betrieben, die gegen Entlassungen oder für Tarifverträge kämpfen, solidarische Unterstützung zu organisieren und den kämpfenden KollegInnen zu helfen, eigene Vorschläge zur Führung des Kampfes gegen den Ausverkauf durch die BürokratInnen zu entwickeln und durchzusetzen. Es bedeutet auch von Anfang an, dass sich diese nicht nur um rein gewerkschaftliche Fragen, sondern auch um politische – Kampf gegen Rassismus, Abschottung der EU, internationale Solidarität und Mobilisierung zum Klimastreik, um nur einige Beispiele zu nennen – gruppieren.
Nach vielen Jahren gibt es wieder eine Chance für den Aufbau einer solchen Struktur. Bis etwa 2005 hatte es bundesweite Konferenzen der Gewerkschaftslinken gegeben, die bis zu 400 TeilnehmerInnen versammelt hatten. Diese waren immer geprägt vom Widerspruch zwischen denen, die daraus handelnde Strukturen aufbauen, und denen, die nur „Austausch“ pflegen wollten.
Der Aufbau der Linkspartei löste den Konflikt in Richtung Unverbindlichkeit. Die Konferenzen unter dem Titel „Erneuerung durch Streik“ dominierten das Feld. Auf der letzten dieser Art, die im Februar 2019 in Braunschweig stattgefunden hat, wurde aber mehr Leuten klar, dass dieses Format nicht reicht, um das, was eigentlich nötig wäre, anzugehen. Am 25./26. Januar 2020 soll eine Strategiekonferenz in Frankfurt/M. stattfinden. Die Kernthemen stehen auf der Agenda. https://www.vernetzung.org/.
Damit aber auch da qualitativ und quantitativ was rauskommt, muss noch viel passieren. Betriebliche AktivistInnen müssen verstehen, dass nicht ihr/e Betriebsratsvorsitzende/r das Problem ist, sondern die SozialpartnerInnenschaft, die alle Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit heute durchzieht.
Mit anderen Worten: Die betrieblichen AktivistInnen und die betrieblich engagierten Linken dürfen nicht denselben Fehler machen wie die Gewerkschaftsbürokratie, nämlich zu glauben, sich durch die kommende Krise wurschteln zu können. Auch die Linke kann noch mehr in die Defensive kommen, als sie heute schon ist. Sie kann aber auch gewinnen, wenn sie die Antworten gibt, die die bürokratischen Führungen heute verweigern!
Dazu muss die Konferenz im Januar neben der Vernetzung und dem notwendigen Aufbau handlungsfähiger Strukturen vor allem auch strategische Fragen klären: Welches Aktionsprogramm brauchen wir zum Aufbau einer klassenkämpferischen, organisierten Basisbewegung gegen die Bürokratie? Wie kann eine solche nicht nur in Deutschland aufgebaut, sondern auch mit ähnlichen Initiativen in ganz Europa, ja global vernetzt werden?
Die Diskussion um diese Fragestellungen ergibt sich letztlich aus dem Charakter der kommenden Angriffe. Der globale Kapitalismus bewegt sich auf einen erneuten Krisenausbruch zu. Die Abwälzung seiner Kosten auf die Lohnabhängigen wird nur durch Methoden des Klassenkampfes – Besetzungen, politische Großdemonstrationen und Massenstreiks – zu verhindern sein. Zugleich werfen die kommenden Auseinandersetzungen die Frage nach einem anti-kapitalistischen Aktionsprogramm der ArbeiterInnenklasse auf, das notwendigerweise nicht nur ein gewerkschaftliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches sein muss. Und schließlich muss dieser Kampf international koordiniert geführt werden, da national isolierte Kämpfe – zumal in der EU – unvermeidlich an ihre Grenzen stoßen werden.
Die Strategiekonferenz im Januar bietet den Rahmen, diese Fragen nicht nur in kleinen Zusammenhängen, sondern mit all jenen zu diskutieren, die über eine Gewerkschaftsopposition nicht nur reden, sondern einen erneuten Anlauf zu ihrem Aufbau machen wollen.
Für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik
25./26. Januar 2020
Frankfurt/Main, DJH Jugendherberge, Deutschherrnufer 12
Programm und Anmeldung: https://www.vernetzung.org