Johnathan Frühling, Revolution-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6
Wir veröffentlichen hier die ungekürzte Version des Interviews.
Scheiße. Die Hebammen sind im öffentlichen Dienst beschäftigt, aber immer mehr sind privat beschäftigt, weil die Krankenhäuser privatisiert werden. Allerdings arbeiten auch viele Hebammen freiberuflich in Krankenhäusern, vor allem in Süddeutschland. Hebammen, die in Geburtshäusern arbeiten oder notwendige Hausgeburten anbieten, werden immer weniger.
Hebammen arbeiten in Schichtarbeit. Es kommt vor, dass eine Hebamme in einer Schicht 7 Geburten machen und zusätzliche Frauen betreuen muss, die Sorgen haben, verletzt sind oder überwacht werden müssen wegen vorzeitiger Wehen. Der Druck entsteht dadurch, dass alle Frauen versorgt werden müssen. Die Stationen sind total unterbesetzt und da herrscht ein Mordstrubel. Es gibt kein gemütliches und entspanntes Umfeld.
Auch unbezahlte Überstunden müssen geleistet werden, wenn nicht alles untergehen soll.
Der Grund ist, dass die Krankenhäuser privatisiert werden. Eigentlich sollen sie so funktionieren, dass es kein Plus und kein Minus gibt, aber bei privaten Krankenhäusern muss da immer ein Plus stehen.
Der nächste Grund ist nicht, dass es nicht genug Hebammen gibt, sondern, dass viele einen anderen Job machen, weil sie unter diesen Umständen ihre Arbeit nicht mehr ausführen wollen.
Die Versicherung wird jedes Jahr teurer. Momentan liegt sie bei 7.500 Euro im Jahr. Nächsten Sommer wird sie schon wieder erhöht (auf 10.000 Euro). Man kann außerklinisch gar nicht so viele Geburten annehmen, um etwas zu verdienen oder auch nur die Versicherung zu bezahlen. Viele Frauen bekommen ihre Kinder zuhause, weil sie im Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht haben. Allerdings gibt es dafür nicht mehr genug Hebammen, weshalb die Kinder im Extremfall unbetreut zu Welt kommen.
Die Krankenkassen bringen immer mehr Vorschriften raus, wie die freiberuflichen Hebammen abrechnen müssen: Z. B. dürfen sie nur 2 Frauen gleichzeitig abrechnen. D.h. für eine dritte Frau bekommen sie kein Geld mehr und müssen es im Extremfall unbezahlt machen, wenn sie die Frauen nicht wegschicken wollen. Es ist unmöglich, dass das die Krankenkassen bei einem solchen Hebammenmangel vorschreiben, vor allem, da die angestellten Hebammen zum Teil deutlich mehr Frauen gleichzeitig betreuen.
Ja, immer mehr Geburtsstationen in kleinen Krankenhäusern schließen, weil es sich einfach nicht lohnt. Es bringt zu wenig Profit. Z. B. In einer Stadt mit 250.000 Einwohner_Innen gibt es nur 2 Krankenhäuser, in denen Geburten stattfinden. Teilweise müssen Frauen 50 km fahren, um eine Klinik zu erreichen.
Viele Hebammen aus kleinen Krankenhäusern wollen auch nicht in „Geburtsfabriken“ arbeiten“ und suchen sich einen neuen Job, weil sie sich das nicht mehr antun wollen für das Geld.
Irgendjemand muss die Geburten ja machen. Ärzt_Innen dürfen das nicht. Ganz abschaffen kann man uns auf jeden Fall nicht. Natürlich denkt man positiv, dass es irgendwie weitergeht, auch für die freiberuflichen Hebammen. Aber in letzter Zeit merkt man fast nur Rückschritte.
Viele geben ihren Job auf, weil sie unter diesen Umständen keine gute Arbeit leisten können. So was macht einen kaputt. Deshalb werden auch viele Hebammen krank. Bei dem Stress geht es nämlich anders als im Büro um Menschenleben.
In dem ganzen Krankenhaustrubel ist kaum Zeit dafür, etwas erklärt zu bekommen und zu lernen. Wir müssen einfach die Arbeit leisten, die sonst nicht gemacht wird. Außerdem machen wir viel Arbeit, die wir nur theoretisch gelernt haben, und wissen nicht, ob wir sie richtig machen, weil uns niemand auf die Finger schaut. Ich habe das Gefühl, ich habe im ersten Jahr nur wenig gelernt und war nur dazu da, um zu arbeiten.
Auf jeden Fall. Es kommt darauf an, wie viel los ist. Wenn nur eine Frau da ist, ist es o. k. Wenn es sehr stressig ist, dann funktioniert das nicht mehr. Deshalb finden auch manche Geburten ohne Hebamme statt. Von 12 Stunden Geburt ist vielleicht 2-3 Stunden, wenn es hoch kommt, jemand im Raum. Im Endeffekt sind sie oft alleine und es gibt wenig Zeit für Fragen und Ängste. Es werden in stressigen Situationen den Frauen auch mehr Narkosemittel (PDA) im Zusammenhang mit medikamentös beschleunigter Geburtseinleitung verabreicht, was einen negativen Einfluss auf die natürlichen Abläufe bei der Geburt hat.
Dadurch erhöht sich auch die Anzahl der Kaiserschnittrate. Wenn die Frauen sich nicht wohl fühlen, dann klappt auch die Geburt nicht mehr reibungsfrei.
Die nächste interessante Entwicklung ist, dass die Wochenbettbetreuung nicht mehr nur zuhause, sondern auch in den Krankenhäusern stattfindet, weil es nicht genug Hebammen gibt. Die Mütter müssen dann teilweise 4 Tage nach dem Kaiserschnitt und mit einem frisch geborenen Kind ins Krankenhaus kommen. Gerade bei Geburtsverletzungen oder einer Wochenbettdepression (Depression nach Geburt und Hormonumstellung) ist das besonders schlimm.
Es passieren im Stress mehr Fehler, die eigentlich nicht passieren dürfen. Es führt auch dazu, dass Frauen am Anfang weniger stillen, weil sie auch dafür manchmal Unterstützung brauchen. Dann stillen die Frauen auch schneller ab. Auch Kaiserschnitte sind für die Kinder nicht so gut wie reguläre Geburten.
Was müsste der Staat deiner Meinung nach tun, um die Situation für Mütter, Kinder und Hebammen zu verbessern?
Das Versicherungsproblem in den Griff kriegen. Es gibt nämlich nur eine Versicherung für Hebammen. Dadurch, dass es keine Konkurrenz gibt, werden die Beiträge extrem hoch. Ärzt_Innen zahlen für ihre Versicherung nur einen Bruchteil!
Die Krankenhäuser sollten wieder verstaatlicht werden, damit es nicht mehr um Profit geht. Außerdem soll die Bezahlung verbessert werden, damit der Beruf wieder attraktiver wird. Dabei wollen die Hebammen vor allem mehr Personal und erst in zweiter Linie mehr Geld. Gerade wenn ab 2020 der Hebammenberuf nur noch im Studium angeboten wird, kann sich die Zahl der neu Ausgebildeten weiter verringern. Da Hebammen bis zu 30 Jahre lang haftbar gemacht werden können, ist es auch für die Hebamme ein Risiko, überhaupt zu arbeiten – gerade unter diesen unsicheren Umständen.
Es ist halt schwierig, gerade auch mit der ganzen Streikerei. Man kann zwar viel erreichen, aber wie willst du in unserem Job streiken? Auch die Bevölkerung, die das aktuell betrifft, ist ein sehr kleiner Teil der Gesellschaft. Gerade wenn du schwanger bist oder ein neues Kind hast, hast du keine Zeit, dich politisch für Hebammen einzusetzen.
Man muss auf jeden Fall gemeinsam kämpfen, um etwas zu erreichen!