Arbeiter:innenmacht

Dänemark: Scheitern der „neuen“ Sozialdemokratie

Mette Frederiksen hilser landsmøtet Foto: Sandra Skillingsås, Arbeiderpartiet https://www.flickr.com/photos/arbeiderpartiet/34043901751

Markus Lehner, Neue Internationale 267, September 2022

Seit einigen Jahren wurde die „Modernisierung“ der dänischen Socialdemokraterne unter ihrer Frontfrau Mette Frederiksen als so etwas wie das Modell für die europäische Sozialdemokratie gefeiert. Jetzt deutet vieles darauf hin, dass bei vorgezogenen Neuwahlen im Herbst der Mette-Stern wieder im Sinken begriffen ist.

Rechtsruck

Auch Dänemark war im letzten Jahrzehnt durch das Aufkommen des Rechtspopulismus rund um die Migrationsfragen nach rechts gerückt. Bei der Folketingwahl 2015 hatte die Antimigrationspartei Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei), vergleichbar der AfD zu jener Zeit, um die 20 % der Stimmen bekommen und war so im bürgerlichen Lager zur stärksten Partei geworden. Die wichtigste offen bürgerliche Partei, mit dem irreführenden Namen Venstre (übersetzt eigentlich Die Linke, die wohl im 19. Jahrhundert als linksliberale galt) bildete unter Duldung auch der Rechtspopulist:innen eine Minderheitsregierung unter Løkke Rasmussen. Die in Opposition geschickte Sozialdemokratie „erneuerte“ sich daraufhin unter ihrer neuen Vorsitzenden Mette Frederiksen, indem sie weitgehend die rassistische Einwanderungspolitik der Rechtspopulist:innen übernahm, diese aber mit einem sozialen Programm nur für „einheimische“ Dän:innen koppelte. Tatsächlich konnte dann bei der Wahl 2019 die Sozialdemokratie wieder mit über 25 % zur stärksten Partei werden – gleichzeitig halbierten sich die Rechtspopulist:innen der Dänischen Volkspartei auf unter 10 %. Dies ging jedoch nicht nur zu Gunsten der Sozialdemokrat:innen – auch die anderen bürgerlichen Parteien, insbesondere Venstre und die Konservative Volkspartei waren nach rechts gerückt und gewannen Anteile von den Rechten. Insgesamt reichte es aber für eine Minderheitsregierung der Sozialdemokrat:innen.

In Dänemark sind Minderheitsregierungen der Normalfall. Es wird von einem roten Block um die Sozialdemokrat:innen, einem blauen Block um Venstre und die Konservativen ausgegangen, die abwechselnd Minderheitsregierungen bilden. Nach dänischem Recht bleiben diese im Amt, solange aus dem jeweiligen Block keine explizite Ansage getroffen wird, dass die Regierung nicht mehr unterstützt wird. Im roten Block befinden sich traditionell die Sozialistische Volkspartei (SF, die zwar aus einer eurokommunistischen Abspaltung der Kommunistischen Partei hervorgegangen ist, aber nicht zufällig im Europaparlament in der grünen Fraktion sitzt; sie bildet eine etwas linkere Version der deutschen Grünen) und die Rot-Grüne Einheitsliste (die Schwesterorganisation der deutschen LINKEN). Wesentlicher Bestandteil des Blocks ist aber immer auch eine offen bürgerliche Partei, die Radikale Venstre (vor Jahrzehnten als linksliberale Abspaltung aus Venstre hervorgegangen). Diese Radikalen sorgen jeweils dafür, dass die sozialdemokratischen Regierungen „maßvolle“ Sozial- und Steuerpolitik betreiben. Bei der Wahl 2019 ging es 52 % zu 48 % für den „roten Block“ aus. Somit war auch die Einheitsliste (mit ihrem 7 %-Anteil) durch ihre Tolerierung mitbeteiligt an solchen rassistischen Gesetzen wie der Unterbindung von „Ghettobildung“ durch Quoten für den Zuzug von MigrantInnen in bestimmte Gemeinden.

EU-Imperialismus

Die Regierung Frederiksen stand auch sonst während der Coronakrise und im Gefolge dem Ukrainekrieg ganz auf Linie der europäischen Bourgeoisie. Dänemark ist vorne dran bei Waffenlieferungen, Aufrüstung (insbesondere der Marine). Außerdem setzte Frederiksen per Volksabstimmung durch, dass Dänemark nun auch der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beitritt, wogegen früher vehement opponiert wurde. Dänemark erreichte hierzu bei den europäischen Verträgen eine Ausnahme, die nun aufgehoben wird. Nur die Einheitsliste opponierte, hielt aber an der Tolerierung fest. Außerdem ist Frederiksen eine radikale Unterstützerin aller Aspekte der israelischen Politik und benützt dies regelmäßig zur Begründung rassistischer Politik gegen Migrant:inen aus arabischen Ländern und deren linke Unterstützer:innen mithilfe von Vorwürfen des auf Israel bezogenen Antisemitismus‘. Kurz gesagt war Frederiksen in fast allen Aspekten für die rechte Sozialdemokratie in Europa so etwas wie die Anti-Corbyn.

Dass sie jetzt gerade trotzdem von der dänischen Bourgeoisie in Gestalt der Radikalen gestürzt wird, ist bemerkenswert. Vordergründig geht es um eine Untersuchungskommission zur Schlachtung der Nerzbestände während der Coronakrise. Dabei kam wohl heraus, dass die Regierung (wie viele andere in der Coronakrise) im rechtlichen Graubereich agierte, als sie auf Studien der Übertragung von Coronaviren durch Nerze die Massenkeulungen anordnete. Offensichtlich ist dies ein Vorwand. Umfragewerte hatten seit einiger Zeit einen Umschwung zugunsten des blauen Blocks gezeigt. Die dänische Bourgeoisie sieht wohl die Notwendigkeit, in einer wirtschaftlichen Krisensituation möglichst nicht über eine Regierung zu verfügen, die Rücksichten auf Gewerkschaften und Linke nehmen muss. Sowohl Gewerkschaften wie Einheitsliste drängen auf Preiskontrollen, Mietpreisbremsen und in bestimmten Bereichen auch auf Verstaatlichungen – und finden dafür auch in Teilen der Sozialdemokratie breite Unterstützung. Die rechten Parteien setzen dagegen auf Steuererleichterungen, was auch die Radikalen für den besseren Weg sehen. Dafür haben sie jetzt die „Nerzaffäre“ genutzt, um zu erklären, dass sie die Regierung Frederiksen nicht mehr unterstützen werden. Da Steuerpolitik zugunsten der Reichen und Nerze allein sicher keine Wahlen gewinnen lässt, spielt zufällig auch der Rechtspopulismus wieder seine Rolle.

Neuwahlen

Auch wenn der Niedergang der Dänischen Volkspartei weitergeht, so ist doch eine neue rechtspopulistische Alternative aufgetaucht: Ein Mitglied der ehemaligen Venstre-Regierung, Inger Støjberg, hatte als Integrationsministerin gesetzeswidrig migrantische Eheleute getrennt und war dafür sogar zu 60 Tagen Gefängnis verurteilt worden. Nunmehr aus Venstre ausgetreten, gründete sie eine neue Partei, nach schwedischem Vorbild Dänemarkdemokraten genannt. Als „Heldin“ des Antimigrationskampfes und stramme EU-Establishmentkritikerin sammelte sie sofort eine große Anhängerschaft und katapultierte ihre Partei auf Anhieb auf 11 % in den Umfragen. Wiederum ist sich der blaue Block nicht zu schade, diese noch übleren Rechten in ihre Reihen aufzunehmen. Konservative und Venstre schachern gar schon darum, wer von beiden künftig den Ministerpräsidenten stellt (es gibt dafür nur zwei männliche Kandidaten). Entsprechend sind die Sozialdemokrat:innen auf 21 % abgesackt so wie der rote Block insgesamt auf 48 %. Allerdings durchkreuzt der ehemalige Ministerpräsident Løkke Rasmussen die Rechnung, da er mit seiner Abspaltung von Venstre, den Moderaten, aus beiden Blöcken ausscheiden und eine „große Koalition“ (wohl unter seiner Führung) erzwingen will.

Es sieht also nach „Zeitenwende“ in Dänemark aus, allerdings in jedem Fall nicht im Sinne der Arbeiter:innen und migrantischen Menschen. Die Sozialdemokrat:innen, statt aus dem Debakel ihrer Rechtswende zu lernen, werden weiterhin versuchen, sich als die Rassist:innen mit sozialem Antlitz und als getreue NATO-Kriegstreiber:innen zu präsentieren mit linker Flankendeckung durch die SF. Allerdings hat die Rechtswende ihnen gerade in den Großstädten wie Kopenhagen oder Odense starke Verlust nach links, insbesondere in Richtung Einheitsliste gebracht (in Kopenhagen wurden letztere zur stärksten Kommunalpartei). Auch in den Umfragen legen SF und Einheitsliste auf jeweils 9 % zu. Auch wenn die Einheitsliste sich in den letzten Jahren als Steigbügelhalterin der Rechtswende der Sozialdemokratie betätigt hat, vereinigt sie jetzt schon im Vorwahlkampf all diejenigen hinter sich, die für Antirassismus, Antimilitarismus und Forderungen nach Umverteilung von oben nach unten in Zeiten der Inflation kämpfen wollen. Es mag sein, dass ein größerer Teil der organisierten Arbeiter:innenklasse weiterhin Sozialdemokratie wählen will, aber mit Inkaufnahme oder gar Unterstützung des rassistischen Kurses der Partei. Die Einheitsliste vereinigt daher die fortschrittlichen Teile der Arbeiter:innenklasse hinter sich, und sollte daher im Wahlkampf auch kritisch unterstützt werden. Eine Antikrisenbewegung in Dänemark, die sich gerade gegen die rechte Frederiksen-Sozialdemokratie herausbildet, kann tatsächlich ein Zeichen für die ganze EU setzen. Dies erfordert aber auch letztlich, dass sich jenseits der Einheitsliste und der in ihr vertretenen zentristischen Organisationen in diesen Kämpfen wieder eine neue revolutionäre dänische Arbeiter:innenpartei herausbildet.

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