Arbeiter:innenmacht

Labour-Linke nach Corbyn – eine Chance zum Bruch mit der Kompromissstrategie

Urte March, Infomail 1103, 8. Mai 2020

Zwei aufeinanderfolgende Wahlniederlagen, die mit der Ablösung von Jeremy Corbyn als Vorsitzenden der Labour-Partei durch Keir Starmer endeten, haben eine Debatte über die Bilanz des Corbyn-Projekts, die Ziele der Labour-Linken und die Rolle, die Momentum (innerparteiliche „Graswurzel“organisation) in den kommenden Kämpfen spielen sollte, eröffnet.

Entbunden von dem Druck, sich hinter die Führung „zu stellen“, wurden zahlreiche Artikel veröffentlicht und Initiativen gebildet, die über die Niederlage reflektieren und für eine Neuzusammensetzung von Momentum mit einem stärkeren Fokus auf interne Demokratie und Verbindungen zu lokalen Strukturen plädieren. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf, mit denen man sich schon längst hätte befassen müssen, die jetzt aber unvermeidlich geworden sind.

Grundlegende Fehler von Momentum

Die erste Frage ist eine, die sich die Labour-Linke selten stellt: Wofür ist die Labour-Partei da? Für die meisten Mitglieder ist die Antwort einfach – um eine Labour-Regierung zu bekommen. Das wirft die größere Frage auf: Wozu gibt es eine Labour-Regierung? Die meisten Mitglieder des linken Flügels würden sagen: Sozialismus. Aber was ist Sozialismus? Ist es das, was eine Labour-Regierung unter linker Führung tut? Wenn ja, dann besteht die einzige Aufgabe der Linken darin, eine/n linke/n Parteivorsitzende/n einzusetzen und zu verteidigen und eine Labour-Regierung wählen zu lassen.

Genau dieser Logik des Zirkelschlusses folgend hat Momentum die Wahl einer Labour-Regierung stets als erste Priorität betrachtet. Ihr Ziel war es, Corbyns Labour zu einer effektiveren Wahlmaschine zu machen, ihr zu helfen, die Macht zu erringen und eine radikale Politik umzusetzen, die dann das Gleichgewicht der Klassenkräfte von oben her verändern würde.

Hinter dem Scheitern von Momentum steckt nicht nur eine unzulängliche Organisationsstruktur, sondern auch ein Versagen der politischen Strategie. Von dem Moment an, als es sich weigerte, eine Debatte über den Zweck einer Labour-Regierung und den Inhalt der sozialistischen Agenda zu führen, war das Schicksal von Momentum völlig mit dem der Führung unter Jeremy Corbyn verbunden.

Momentums Fehler war es, das Verhältnis zwischen Staats- und Klassenmacht falsch zu verstehen. Die Machteroberung, selbst bei einer Wahl, hängt nicht nur von der Politik des Manifests oder der Reichweite der sozialen Medien ab, sondern auch davon, wie sich das bestehende Gleichgewicht der Klassenkräfte in der Wahlarena darstellt. Die Veränderung des Gleichgewichts der Klassenkräfte und das Verständnis, dass Wahlen nur ein Terrain eines Klassenkampfes sind, der auf mehreren Bühnen geführt wird, müssen vor und neben den Wahlkampagnen stattfinden. Dies erfordert ein Engagement für die Organisation von Taktiken, die die Unabhängigkeit der Bewegung über den Wahlsieg stellen.

Eine Reihe miteinander verbundener Krisen – die Coronavirus-Pandemie, der bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch und der rasante Klimawandel – stellen eine unmittelbare und kolossale Bedrohung nicht nur für die Linke oder die ArbeiterInnenklasse, sondern auch für die menschliche Zivilisation dar. Wenn Momentum oder irgendeine andere Organisation der Labour-Linken die ArbeiterInnenbewegung in den Kämpfen zur Überwindung des kapitalistischen Systems effektiv organisieren will, muss sie die Debatte über ihre politische Strategie neu eröffnen und sich als unabhängige politische Kraft neu konstituieren, die erkennt, dass der Klassenkampf der Motor der Geschichte ist.

Corbyns Kompromisse

Momentum wurde einige Wochen, nachdem sich Zehntausende während Corbyns Kampagne um den Vorsitz 2015 der Labour Party angeschlossen hatten, gegründet und bezeichnete sich selbst als eine aktivistische Machtbasis innerhalb der Labour Party mit dem Ziel, die Partei zu demokratisieren und die Unterstützung für linke Politik zu festigen. In diesem Bestreben gab es einen inhärenten Widerspruch – sollte es eine breite „Bewegung“ oder eine politische Fraktion verkörpern?

Linke aller Couleur erkannten die objektive Notwendigkeit einer Organisation, die den Enthusiasmus der neuen, überwältigend jungen Mitglieder außerhalb der offiziellen Strukturen der Partei nutzbar machen konnte. Die schwerfälligen Bezirks- und Wahlkreisstrukturen kleiner Gruppen von AktivistInnen, die sich der routinemäßigen WählerInnenidentifikationsarbeit verschrieben haben und sich auf eine passive Mitgliedschaft stützen, wurden von den meisten als völlig ungeeignet für die Organisation der massiv ausgeweiteten Basis für jeglichen kollektiven sozialen Kampf angesehen.

Von Anfang an war Corbyns Führung prekär. Trotz seines überwältigenden Erfolgs beu seiner Wahl zum Vorsitzenden konnte man seine AnhängerInnen in der PLP (Labour-Unterhausfraktion) an zwei Händen abzählen, und die Zahl der loyalen ParteifunktionärInnen war kaum größer. Die neue Führung erkannte, dass die Massenbasis, die sie an die Macht brachte, auch ihr einziges Bollwerk gegen einen feindseligen Kern von rechtsgerichteten FunktionärInnen und ParlamentarierInnen war, und sah die Bedeutung der Pflege einer engen Verbindung zu den neuen Mitgliedern.

Der berühmt-berüchtigte „Hühnerputsch“ der Parteirechten wurde durch die Mobilisierung dieser Armee von Mitgliedern und AnhängerInnen vereitelt und gab dem Argument, dass Momentums Existenzberechtigung darin bestehen sollte, Corbyn zu unterstützen, anstatt ein unabhängiges Programm der Demokratisierung der Partei oder eine politische Agenda zu verfolgen, einen enormen Auftrieb.

Je mehr sich Corbyns Erfolg und Attraktivität und damit das Schicksal seiner Führung mit seinem „Graswurzel“-Image verflochten, desto wichtiger war es für die Führung, die Unterstützung der linken Mitglieder um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Da sowohl der Apparat als auch die Mitglieder sich einig waren, wie bedeutsam eine organisierte Verteidigung gegen rechte SaboteurInnen von Corbyns Anti-Austeritätsagenda war, erschien das Arrangement zunächst natürlich, ja für viele sogar unvermeidlich.

Gleichzeitig entschied sich Corbyn für eine Strategie des Kompromisses und nicht für die Konfrontation mit dem rechten Flügel der Partei und der Gewerkschaftsbürokratie. Dies war fatal. Während die Mitglieder der Basis eine Corbyn-Regierung zur Einführung lang anhaltender, schwer wieder aufhebbarer Sozialreformen wünschten, die schließlich zum Sozialismus führen würden, wollten die parlamentarische Fraktionsmehrheit und die Gewerkschaftsbürokratie, dass eine Labour-Regierung eine wachsende kapitalistische Wirtschaft mitverwaltet und erst dann begrenzte Sozialreformen einführt. Lässt man die Kritik an beiden Perspektiven beiseite, sind und erwiesen sich beide als unvereinbar.

Bei jeder Wende begünstigten Corbyns Kompromisse jedoch strategisch die letztgenannte Option. Das Vorzeigeversprechen, eine „offene Auswahl“ von Abgeordneten umzusetzen, wurde unter dem Druck von Len McCluskey, Chef der Gewerkschaft „Unite“, unter Missachtung des Mandats seiner Gewerkschaft fallen gelassen. Die Konferenz durfte mehr Debatten führen, aber immer noch keine Kontrolle über das Manifest ausüben. Die StadträtInnen wurden angewiesen, die Tory-Kürzungen nicht zu bekämpfen, indem sie keine Einschnitte oder Defizithaushalte verabschieden – unter Androhung des Ausschlusses. Der Druck der Gewerkschaften und der Parlamentsfraktion wurde auch auf die Positionen zu Atomkraft, NATO, sogar auf die Erweiterung des Flughafens Heathrow und die Bombardierung Syriens ausgeübt.

Die meisten Hoffnungen der Mitglieder auf eine „transformative“ Labour-Regierung richteten sich auf das Wirtschaftsprogramm von John McDonnell. Aber selbst hier war die Weigerung, eine Verstaatlichung der Banken und des Finanzsektors oder der größten UmweltverschmutzerInnen zu befürworten, ein katastrophales Zugeständnis an die Rechte. McDonnell und seine BeraterInnen der „neuen Linken“ behaupteten wiederholt, es sei ein geschickter Trick, makroökonomische Maßnahmen außen vor zu lassen, um die Märkte nicht zu verunsichern, und versuchten, ihre mangelnde Radikalität durch die Förderung von Genossenschaften als „neuer“ Lösung zu überspielen. In der durch die Tory-Sparpolitik berühmt gewordenen Fiskalregel – keine Reformen, bis die Wirtschaft wächst – wurde diese Unterwerfung unter den Kapitalismus untermauert.

„Red Flag“ hat immer argumentiert, dass es Corbyns Haltung in internationalen Fragen ist, die der rechten Fraktion und der hinter ihr stehenden Bourgeoisie am meisten missfällt. Und die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Brexit waren am schädlichsten für das Verhältnis zwischen der Führung und den Mitgliedern.

Corbyn hatte recht, sich gegen die Annahme einer Definition von Antisemitismus zu wehren, die das Recht, Israel wegen seiner Apartheid ähnlichen Politik gegenüber den PalästinenserInnen als „rassistisches Unterfangen“ zu definieren, ausdrücklich beschneidet. Als Jon Lansman von Momentum aus der Führungsriege ausbrach und eine Hexenjagd gegen linke Mitglieder des Nationalen Exekutivausschusses von Labour begann, wobei er auch mit der Rechten in diesem Gremium stimmte, spaltete sich die Linke, und viele verließen Momentum.

Beim Brexit waren sowohl die Linke als auch die Rechte gespalten, aber die Art und Weise, in der Corbyn seine eigene Position durchsetzte, war trügerisch und bürokratisch. Konfrontiert mit der Möglichkeit, dass die Konferenz einen „Verbleib und Reform“-Antrag verabschieden könnte, legte der Nationale Exekutivausschuss zwei Jahre in Folge einen verwirrenden und inkohärenten Kompromiss vor, der es im Wesentlichen dem Büro der Führung und der Labour-Parlamentsfraktion überließ, die Politik selbst festzulegen. Die fast einstimmige Verabschiedung eines Antrags über offene Grenzen im Bereich der Migration war bedeutungslos, als Corbyns Büro wiederholt deutlich machte, dass die Freizügigkeit mit Brexit enden würde.

Je mehr die Widersprüche von Corbyns Strategie aufgedeckt wurden, desto größer wurde die Gefahr ernsthafter Meinungsverschiedenheiten innerhalb seiner linken Basis, und desto mehr sah sich die Führung gezwungen, die Bewegung zu instrumentalisieren, auch wenn dies bedeutete, ihren unabhängigen Ausdruck zu unterdrücken und zu kontrollieren.

Die Strategie von Momentum

Letztlich hat Momentum es nicht nur versäumt, die Führung für ihre eigenen Demokratisierungsversprechen zur Rechenschaft zu ziehen, sondern sie hat es sogar versäumt, für diese Politik zu kämpfen – bis es viel zu spät war.

Stattdessen bot Momentum wenig mehr als E-Mails-Nachrichten an, in denen die Linie aus dem Führungsbüro nachgeplappert wurde. „The World Transformed “ („Neu gestaltete Welt“), anfangs ein vielversprechendes Forum für eine offene Diskussion der Parteipolitik, weigerte sich bald, an Diskussionen über die Parteistrategie teilzunehmen oder die Rolle von Momentum oder die der Labour Party selbst zu analysieren. Es geriet zu einem Diskussionsforum, das an den buchstäblichen Rand der Konferenz gedrängt wurde, während der eigentliche Kampf um die Politik auf dem Parkett diskutiert und entschieden wurde.

Wie können wir die gescheiterten Bestrebungen von Zehntausenden von Momentum-Mitgliedern bilanzieren? Wie wurde das demokratische und radikale Versprechen von Corbyns euphorischen Wahlkundgebungen in bürokratische Trägheit und Loyalitätssucht kanalisiert? Im Fall von Momentum wurde es durch den inzwischen berüchtigten „Lansman-Coup“ durchgesetzt, der die embyronalen demokratischen Strukturen der Organisation auf Befehl unterdrückte.

Die ungelösten Widersprüche, die mit der Gründung von Momentum einhergingen, kamen an einen Bruchpunkt und mussten gelöst werden.

Unter Jon Lansmans Führung wurde die „sozialistische“ Mission von Momentum zum Synonym für den Sieg bei internen Wahlen, um Corbyns Einfluss auf die Partei zu festigen, und die Mobilisierung von Bodentruppen für allgemeine Wahlen, die letztlich über das Schicksal eines/r jeden Parteivorsitzenden entscheiden. Jedes Potenzial für eine wirklich unabhängige politische Organisation, die innerhalb und außerhalb der Labour Party für ihre eigene Auffassung vom Sozialismus kämpft, wurde zerschlagen, und die Organisation wurde als Privatunternehmen (Inhaber Jon Lansman) registriert.

Die Nationale Koordinierungsgruppe (NCG) entzog den lokalen Momentum-Gruppen jeglichen offiziellen Status, wodurch den Mitgliedern die Möglichkeit genommen wurde, Kampagnenschwerpunkte oder Gelegenheiten zur nationalen Koordinierung lokaler Kämpfe zu bestimmen. Die Ortsgruppen blieben isoliert, waren sich der Erfolge anderswo nicht bewusst und es fehlten ihnen Foren zur Erörterung von Strategie und Taktik. Wenn das nationale Büro von Momentum sich einmischte, war es ebenso störend, wie im Fall von „Labour Against Racism and Fascism“ („Labour gegen Rassismus und Faschismus“). Es überrascht nicht, dass sich die wirkliche, aktive Labour-Linke nicht insgesamt Momentum anschloss, und schließlich wurde dieser Unterschied ignoriert, da die Linke ihre eigenen Fraktionen und Datenbanken aufbaute.

Die symbolische Online-Demokratie von Lansman’s Momentum wurde genau für ihren Zweck entworfen – die Aufrechterhaltung und Mobilisierung der Wahlunterstützung für Corbyns Führung unter einem dünnen Deckmantel des „Movementism“ (Bewegungstümelei). Eine der wenigen Möglichkeiten der Einflussnahme, die Momentum-Mitgliedern zur Verfügung stehen, ist die Online-Petition. Wenn mehr als 10 % der Momentum-Mitglieder eine solche unterschreiben, muss der Vorschlag zu einer Online-Abstimmung aller Mitglieder gehen. Im Sommer 2018 erreichte eine Petition, die Momentum aufforderte, seine Mitglieder vor dem bevorstehenden Parteitag über die Brexit-Politik der Organisation abstimmen zu lassen, die 10 %-Schwelle.

Die NCG verzögerte die „Konsultation“ gebührend bis nach dem Parteitag, so dass sie nicht Gefahr lief, die Ereignisse tatsächlich zu beeinflussen, führte eine verworrene Umfrage mit bizarren Optionsangeboten und Leitfragen durch, berichtete über die Ergebnisse in unverschämt selektiver Weise und unternahm keinerlei Schritte, um gemäß deren Ergebnis zu handeln.

Dass dies die einzige tatsächliche Abstimmung über eine politische Frage war, die von den Mitgliedern kam, zeigt, wie es um die „Basisdemokratie“ von Momentum bestellt war. Die völlige Missachtung der Ansichten der Mitglieder, die die NCG zu dem wichtigsten politischen Thema der Ära Corbyn an den Tag legte, zeigt, wie oberflächlich ihr Engagement selbst für diese Farce war.

Ergebnisse und Aussichten

Fünf Jahre später ist klar, dass die Strategie gescheitert ist. Corbyn hat nicht nur zwei Wahlen verloren und die linke Führung der Partei eingebüßt, sondern es hat auch keine dauerhafte Demokratisierung oder Transformation der Labour-Partei gegeben. Momentum vermochte die Partei nicht dazu anzuspornen, aus dem Enthusiasmus ihrer Mitglieder Kapital zu schlagen, um größere Kampagnen oder Kämpfe jenseits auf den Kiez fokussierter Initiativen zu gewinnen oder gar zu führen.

Jetzt, da es keine einigende Person in der Parteiführung gibt und fast nichts unternommen wurde, um eine unabhängige politische und organisatorische Existenz aufzubauen, ist die in Momentum verkörperte pro-corbynsche Koalition zersplittert und droht, sich völlig aufzulösen. Die bevorstehende Neuausrichtung wird sich am unmittelbarsten in einer Debatte über die Zukunft von Momentum und die bevorstehenden Wahlen zur NCG der Partei niederschlagen.

Zwei grobe Trends haben sich herauskristallisiert. Der erste ist die Gruppierung von UltraloyalistInnen der Hauptströmung von Corbyn, darunter Mitglieder der derzeitigen NCG, ehemalige ParteimitarbeiterInnen oder FunktionärInnen der Jugendorganisation der Partei, „Young Labour“, die von der Redaktion der Zeitschrift „Tribune“ unterstützt werden. Die zweite ist Forward Momentum („Momentum voran“), eine neue Fraktion, die sich aus ehemaligen OrganisatorInnen von „The World Transformed “und etwas unabhängigeren Corbyn-AnhängerInnen zusammensetzt, die einen stärker horizontal ausgerichteten Ansatz bevorzugen.

Forward Momentum hat einen detaillierten Vorschlag veröffentlicht, während „Tribune“ bisher nur eine allgemeine Reflexion herausgebracht hat, die mit der NCG-Erklärung zusammenfällt, in der eine Erneuerung gefordert wird. Keine der beiden Gruppen hat jedoch dargelegt, was sie von der anderen unterscheidet. Beide Fraktionen bemühen sich, die breite Orientierung zu betonen, über die sie sich einig sind, und räumen ein, dass Momentum zu sehr institutionalisiert wurde, was letztlich nach hinten losging und den Wahlsieg verhinderte. Beide argumentieren, dass wir jetzt mehr Demokratie brauchen, um die Verbindung zwischen der Labour-Linken und Bewegungen außerhalb des Parlaments wiederherzustellen.

Das ist zwar soweit richtig, aber nach der umfassenden Niederlage der Linken wäre es für jedeN auch schwer zu leugnen. Vielleicht noch bezeichnender ist die Haltung wichtiger AktivistInnen beider Gruppen in der Vergangenheit. Viele waren bereits zentral an den Debatten um die Zukunft von Momentum in den Jahren 2016–2017 beteiligt; keineR sprach sich gegen den Lansman-Putsch aus. Einige in der Tribune-Fraktion unterstützten sogar aktiv die Bürokratisierung von „Momentum“ und trugen viel dazu bei, die Bunkermentalität und die Kultur der Führungsanbetung zu fördern, die auf den aufeinander folgenden Parteitagen immer deutlicher zutage traten.

Tatsächlich beschränken sich die festgestellten Unterschiede zwischen den Fraktionen weitgehend auf kulturelle Nuancen, die mehr ein Codewort zur Selbstidentifikation als eine sinnvolle Unterscheidung darstellen. „Tribune“ spricht von einem „Bruch mit der Londoner Komfortzone“ und einer Verlagerung „weg von einem engen Fokus auf die Jungen und UniversitätsstudentInnen“. Forward Momentum spricht von Internationalismus, Inklusivität und Befreiung. Dies sind kodifizierte Kennzeichen des Kampfes zwischen populistischen BefürworterInnen eines „linken Brexit“ und „neuen Linken“, BewegungstümlerInnen für kulturelle Hegemonie innerhalb der Linken. Obwohl die bisherigen Positionen der OrganisatorInnen zum Brexit nicht unbedingt in der Mitte auseinandergehen, sind die kulturellen und politischen Bedeutungsmerkmale, die die Brexit-Debatte begleiten (Internationalismus vs. linker Nationalismus), die deutlichsten Einzelaspekte, die die Spaltung aufzeigen.

Diese Unterscheidung würde zweifellos an Bedeutung gewinnen, wenn eine der beiden Gruppen die Gelegenheit zu einer ernsthaften Neuorganisation oder Führung der Bewegung erhalten würde. Während keine der beiden Gruppen es wagt, das B(rexit)-Wort zu erwähnen, hat die Regierung Johnson bereits einen umfassenden Angriff auf MigrantInnen und den öffentlichen Sektor begonnen. Die Haltung der Linken zur Freizügigkeit und zur Umsetzung der vollständigen Deregulierung der britischen Wirtschaft im Namen von Brexit ist eine wesentliche Frage.

Dennoch ist die Haltung der einzelnen Fraktionen zu diesen Fragen nirgendwo näher erläutert. Die aufstrebenden FührerInnen von Momentum haben die Trennung der organisierten Labour-Linken von der ArbeiterInnenklasse richtig diagnostiziert, doch sie sehen die Ursachen der Niederlage in kulturellen oder organisatorischen Fragen und weigern sich, das wirkliche Scheitern – eine Reihe politischer Fehler – anzuerkennen.

Die ganze Zeit, in der Momentum dachte, es würde den Kampf gegen die Rechte gewinnen, indem es seine Kontrolle über wichtige Ausschüsse und Parteiposten konsolidiert, verlor es den Krieg in der realen Welt. Der Triumph von Brexit, der von einem großen Teil der Corbyn-AnhängerInnen unterstützt wurde, war der der nationalistischen, chauvinistischen Kräfte. Die Unfähigkeit der Labour Party, ihre Opposition gegen diesen reaktionären Schwindel der ArbeiterInnenklasse klar zu definieren, und das ständige Manövrieren im Namen des Wahlkalküls ließen die Menschen das Vertrauen in die Partei als aufständische soziale Kraft verlieren.

Um eine Verbindung zwischen Labour-Linken und „sozialen Bewegungen“ oder Kampagnen einzelner „Identitätsgruppen“ zu erneuern, muss sich Momentum auf die entscheidenden Kämpfe beziehen, für die es mit einer konkreten Politik aufwarten muss. Dafür ist Demokratie notwendig, aber sie darf nicht als Selbstzweck betrachtet werden. Demokratie ist in jeder Organisation die Verpflichtung, die volle Äußerung der Interessen der Mitglieder zuzulassen, die Behauptung der Unabhängigkeit der Organisation, die Ablehnung der Sektionsinteressen jeglicher Bürokratie und die Ablehnung von Erwägungen „oberhalb“ der Basis. Organisationsziele und -strukturen bedingen sich gegenseitig, aber in letzter Instanz ist die Demokratie lediglich eine Methode, um Schlussfolgerungen aus diesen Fragen zu ziehen und sich zu organisieren, um Aktionsmaßnahmen zu ergreifen.

So ist es gerade die Frage nach den politischen Zielen, die die Linke dringend beantworten muss, aber das ist die Frage, die keine der beiden großen Momentum-Fraktionen bereit ist anzugehen.

Wie geht es weiter?

Die Coronavirus-Pandemie hat den Aktienmarkt zum Absturz gebracht und den Ausbruch einer weltweiten Wirtschaftsrezession beschleunigt, die die Krise von 2008 in den Schatten zu stellen droht. Millionen sind bereits arbeitslos geworden, und wenn der Abriegelungsprozess beendet ist, wird der Kampf zur Rettung des kapitalistischen Systems und zur Abwälzung der Kosten der Krise auf die Rücken der Werktätigen beginnen.

Um diese Krise zu bekämpfen, muss die Linke eine Reihe dringender Fragen beantworten. Wie sollten wir uns dem falschen Umgang der Regierung mit der Pandemie widersetzen, Maßnahmen zum Schutz der ArbeiterInnenklasse ergreifen und das Großkapital für die Krise, für die es verantwortlich ist, zahlen lassen? Wie sollten wir uns auf die kommende Wirtschaftskrise und die Klassenkämpfe, die sie auslösen wird, vorbereiten? Welche Rolle wird die Labour Party in diesen Kämpfen spielen, und wie kann sie zu einem Kampfinstrument für die ArbeiterInnenklasse gemacht werden? Was ist unser Ziel – wie definieren wir Sozialismus?

Angesichts der bevorstehenden Krise muss die Linke diese Fragen so schnell wie möglich diskutieren. Es besteht keine Notwendigkeit für eine ausgedehnte Konsultation darüber, wie man Momentum demokratisieren kann, die nur dazu dienen kann, weiter zu zittern und zu zögern. Die neue Nationale Koordinierungsgruppe sollte so schnell wie möglich eine demokratische Mitglieder- und AnhängerInnenkonferenz einberufen, um die Prioritäten von Momentum festzulegen.

Die Erfahrung der letzten fünf Jahre war eine intensive Schule für die britische Linke in ihrer Aufgabe zu erkennen, wofür sie kämpft und wie sie ihre Ziele erreichen will. Hier skizzieren wir fünf Prinzipien, die bei der Entwicklung der neuen Strategie von Momentum eine Rolle spielen sollten.

1. Eine klassenkämpferische Strategie in der Coronavirus-Krise und der kommenden Rezession

Die Coronavirus-Pandemie hat die Unfähigkeit des politischen und wirtschaftlichen Systems der Welt – des Kapitalismus – offenbart, die von ihm verursachten Krisen zu verhindern, geschweige denn zu lösen. Die wirtschaftliche Lähmung wird den Ausbruch einer globalen Wirtschaftsrezession beschleunigen und die zunehmenden Konflikte zwischen den Großmächten verschärfen.

Die politische Strategie des Reformismus – eine langwierige Kampagne von Zugeständnissen, Kompromissen und Verhandlungen innerhalb der Logik des kapitalistischen Systems – wird durch das Ausmaß und die Schwere der Herausforderungen, vor denen wir stehen, irrelevant. Bei der Entwicklung der Mittel zur Bekämpfung sowohl der Covid-19-Krise als auch des bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs brauchen wir eine Strategie, die mittelfristig die Verteidigung gegen die Angriffe der Bosse mit dem Kampf um ArbeiterInnenmacht und eine sozialistische Wirtschaft verbindet.

2. Demokratie

Der Zweck des Kampfes für mehr Demokratie in der Labour-Partei besteht darin, den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, der Bürokratie und der falschen, kompromittierenden Politik der Führung und der Parlamentsfraktion wirksam entgegenzutreten. Deshalb ist sie als ein Prinzip im Kampf für den Sozialismus nicht verhandelbar.

Unser Ausgangspunkt muss die Forderung nach der vollen Souveränität des jährlichen Parteitages sein, über sein Programm zu entscheiden, auf dem die Wahlmanifeste und die Taktik der Parlamentsfraktion basieren sollten. Momentum muss sich weiterhin mit Nachdruck für die Umsetzung der gesamten bestehenden Konferenzpolitik, für die offene Auswahl von ParlamentskandidatInnen, Ratsmitgliedern, BürgermeisterInnen und anderen gewählten AmtsträgerInnen einsetzen. Parteimitglieder sollten auch gegen ungerechte Disziplinarverfahren verteidigt werden.

Ein Härtetest für die Bereitschaft von Momentum, für die demokratische Selbstdarstellung der Basis zu kämpfen, wird die längst überfällige Demokratisierung des eigenen internen Regimes sein.

3. Die Gewerkschaften transformieren

Die von der Corbyn-Bewegung repräsentierte politische Wende beruhte auf dem Versagen der Gewerkschaften, sich dem Sparprogramm der Koalitionsregierung wirksam entgegenzustellen. Die politische Strategie der professionellen bürokratischen Kaste, die die Gewerkschaften führt und die Labour Party finanziert, ist die der Vermittlerin zwischen Kapital und Arbeit, d. h. die reformistische, gradualistische Methode der Verhandlung und des Kompromisses.

Der Zustrom neuer Mitglieder und die Diskussion über die Labour Party gingen an den Gewerkschaften jedoch weitgehend vorbei: ein fataler Fehler. Die Gewerkschaften üben ihren Einfluss auf die Partei aus – auf allen Ebenen und in ihrem eigenen Interesse. Die Entwicklung von Taktiken, um die Gewerkschaften aus der toten Hand der Bürokratie zu befreien und sie durch klassenkämpferische Methoden zu ersetzen, um die Unorganisierten zu organisieren, eine bessere Bezahlung zu erreichen und allgemeine politische Forderungen zu verfolgen, ist ein Schlüsselziel für SozialistInnen innerhalb oder außerhalb der Labour Party.

4. Internationalismus

MigrantInnen und ethnische Minderheiten wurden systematisch zum Sündenbock für das Versagen des Kapitalismus, Sicherheit und Wohlstand für alle zu schaffen, erkoren. SozialistInnen müssen deshalb gegen Rassismus in all seinen Formen kämpfen. Alle, die hier leben und arbeiten wollen, sollten willkommen sein. Antirassismus muss universell sein, und so muss der Widerstand gegen Antisemitismus mit dem Widerstand gegen anti-palästinensischen Rassismus einhergehen.

Nur sozialistische Maßnahmen und eine internationale Neuordnung der Wirtschaft können dauerhafte Lösungen für die großen politischen Krisen unserer Generation – wiederkehrende Wirtschaftskrise, Klimawandel, Flüchtlingskrise, neue Kriege und ungleiche gesundheitliche Behandlung – bieten. Nur eine internationale sozialistische Bewegung kann die politische Führung bieten, die wir brauchen, um einem globalen System zu widerstehen.

Jede national basierte Bewegung, die für den Sozialismus kämpft, muss dem Aufbau internationaler Verbindungen, der Organisation der Solidarität mit allen ArbeiterInnen- und demokratischen Kämpfen auf der ganzen Welt Vorrang einräumen und letztlich dafür eintreten, den Sprung von Solidaritätsbekundungen mit den nationalen Kämpfen der anderen zu Strukturen für die Koordinierung gemeinsamer Aktionen zu schaffen.

5. Eine kämpfende Partei

Wie wir zuvor dargelegt haben, legen Wahlen das Gleichgewicht der Klassenkräfte offen und liefern eine Momentaufnahme des Klassenkampfes. Eine steigende Flut des Klassenkampfes ist daher nicht nur vorteilhaft, sondern wahrscheinlich auch wesentlich für die Wahl einer linken Labour-Regierung. Und die Fortsetzung dieses Kampfes durch die Labour Party ist sicherlich für jede linke Labour-Regierung notwendig, um die Sabotage der Bosse und ihres Staatsapparates zu überwinden.

Die Linke muss dafür sorgen, dass aus der Labour Party eine Partei des Kampfes wird und nicht nur eine Wahlmaschine. Es sollte keine Privilegien für Abgeordnete, Ratsmitglieder und Partei- oder GewerkschaftsfunktionärInnen geben. Im Gegenteil, diejenigen, die an der Spitze des Kampfes stehen, sollten diejenigen ersetzen, die die Sache des Sozialismus nicht über ihre persönliche Karriere stellen können.

Schlussfolgerung

Das Potenzial der Corbyn-Bewegung lag nicht nur in ihrem Versprechen, die Manifestpolitik der Partei nach links zu verlagern, sondern in der historischen Chance, die rechten prokapitalistischen Elemente, die die Labour Party kontrollieren, zu stören und sich von ihnen zu lösen.

Dies ist die Aufgabe, der sich die Labour-Linken nun wieder stellen müssen. Die Parteibürokratie, die Gewerkschaftsbürokratie und die große Mehrheit ihrer gewählten FunktionärInnen und MitarbeiterInnen sind ein Mühlstein um den Hals der ArbeiterInnenklasse, wann immer sie mit ihrem eigenen Schicksal konfrontiert wird, unabhängig davon, ob die Bürokratie einen „linken“ oder „rechten“ Charakter trägt.

Das Scheitern des Corbynismus und der entscheidende Sieg von Starmer sollten alle verbleibenden Illusionen in die Möglichkeit einer friedlichen, allmählichen, demokratischen – oder bürokratischen – Umwandlung der Labour Party von einer Wahlroutine im parlamentarischen System zu einer Waffe in den Händen der ArbeiterInnen im Kampf für den Sozialismus zunichtemachen.

Wirtschaftskrise und Klimanotstand werden den Kapitalismus in den kommenden Monaten vor existentielle Fragen stellen. Die Auseinandersetzungen darüber, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, in wessen Interesse sie ergriffen werden und wer sie bezahlen wird, sind ein Teil eines größeren Kampfes darum, wie die Gesellschaft ihren Reichtum nutzt und welche Klasse herrscht.

Nur antikapitalistische Lösungen können einen Fahrplan für eine Zukunft bieten, die auf menschlicher Solidarität und sozialer Gleichheit beruht. Um Demoralisierung und Verwirrung zu vermeiden, muss die Linke die Gelegenheit ergreifen, die sich durch diese historischen Krisen bietet, und eine Organisation aufbauen, die bereit ist, sich an vielen verschiedenen Methoden des Kampfes zu beteiligen, zunehmend auch außerhalb von Wahlkampagnen. Am wichtigsten ist, dass wir eine Organisation brauchen, die sich über ihr Ziel im Klaren ist – die Interessen der ArbeiterInnenklasse zu schützen, die kapitalistische Offensive zu besiegen und den Kampf um die Macht zu führen.

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