Tomasz Jaroslaw, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021
Im Dezember 2019 hat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE) eine Broschüre mit dem Titel „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise“ veröffentlicht. In dieser Publikation werden in den ersten beiden Kapiteln die Begriffe Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft beschrieben, in Kapitel 3 und 4 die Vorteile der Vergesellschaftung von Wohnraum und wird im letzten Kapitel abschließend die angedachte Verwaltungs- und Mitbestimmungsstruktur dargestellt.
Vorab muss festgestellt werden, dass das Motiv, Grundbegriffe einem breiteren Publikum vorzustellen, verständlich ist. Gleichzeitig ist es schwierig für eine Kampagne, deren gemeinsames Ziel einzig und allein in der erfolgreichen Durchführung eines Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne liegt, politische Aussagen zu treffen, die die gesamte Breite der UnterstützerInnen teilt. Daher ist es für politisch breite Aktionseinheiten, wie die Kampagne sie darstellt, empfehlenswert, sich nur auf konkrete praktische Ziele zu verständigen, aber möglichst wenig politisch-programmatische Aussagen zu tätigen, die alle TeilnehmerInnen zu unterstützen verpflichtet sind. Programmatischer und ideologischer Kampf sollte vor allem politischen Gruppen vorbehalten sein.
Bei den internen politischen Diskussionen im Vorfeld zur Broschüre wurden der freien Diskussion und demokratischen Entscheidungen im Plenum Steine in den Weg gelegt. Anfänglich wurde beschlossen, den Broschürenentwurf offen zu diskutieren. Später versuchten Teile der Kampagne (vor allem die Interventionistische Linke; IL), den Entwurfstext der Arbeitsgruppe ohne weitere politische Diskussionen im Plenum zu bestätigen. Dabei wurde jede alternative Meinung scharf angegriffen – darunter Anträge von Mitgliedern der Gruppe ArbeiterInnenmacht, aber auch Kommentare der Akelius-MieterInnenvernetzung. Wer eine breite städtische Partizipation und demokratische Beteiligung bei der Verwaltung vergesellschafteter Wohnungen verspricht, sollte dies zuerst in der Kampagne selbst realisieren, um glaubwürdig zu sein.
Wir unterlagen bei der abschließenden Plenarbesprechung im Januar 2020 mit unseren Änderungsanträgen in den zentralen Punkten. Trotzdem unterstützen wir die Sammelaktion und das Enteignungsziel mit all unseren Kräften, denn wie bei jeder Einheitsfront muss das Motto lauten: Einheit der Aktion, Freiheit der Kritik – Letztere auch an den PartnerInnen der Initiative.
Bei aller Solidarität mit Aktionen und Ziel der DWE halten wir es für notwendig, mit unserer Kritik auf die strategische Schwachstellen der Broschüre aufmerksam zu machen.
Die Broschüre trägt insgesamt die politische Handschrift der IL, mit deren wohnungspolitischem Programm, das mehrere Aspekte als das Heftchen der DWE umfasst, wir uns an anderer Stelle unserer Broschüre auseinandersetzen. Durch die gesamte Broschüre wird ohne jede Erläuterung der ominöse Begriff Stadtgesellschaft verwendet.
Mit Stadtgesellschaft soll möglicherweise die Gesamtheit der Berliner Bevölkerung gemeint sein. Hier einen Interessenkonflikt zwischen Wohnenden, Regierenden und den VertreterInnen des Kapitals zu suggerieren, ist erst einmal in der Tendenz begrüßenswert und sachlich gerechtfertigt. In der Tat ist der Hauptgrund für Mietpreissteigerung das internationale, mit dem Finanz- und Bankensektor verbundene Kapital, das durch langfristige Renditeerwartungen Mieten hochtreibt. Der bürgerliche Staat in Form des rot-roten Senats hatte durch die Privatisierung der 2000er Jahre diesen Prozess ermöglicht oder zumindest beschleunigt. Offen bürgerliche Regierungskoalitionen haben noch größeren Schaden in der Mietenpolitik angerichtet. Die Einbeziehung von SenatsvertreterInnen in den Verwaltungsrat ist daher kontraproduktiv. Ebenfalls problematisch und irreführend ist der fehlende Hinweis, dass die sog. Stadtgesellschaft analog zum Volksbegriff aus verschiedenen Klassen mit teilweise abweichenden und auch gegensätzlichen ökonomischen und politischen Interessen besteht. Als ob die besitzende Klasse ihre Interessen und ihre Feindschaft zur Vergesellschaftung einfach mal vergisst, nur weil sie wie alle zur Zivilgesellschaft gehört und DWE das Klasseninteresse der ArbeiterInnen nicht anspricht und die Besitzenden begriffstechnisch wie strukturell einbindet. Diese klassenübergreifende Einheit ist natürlich strategisch auf Sand gebaut.
Eine Einheit im politischen Kampf muss sich in erster Linie aus den Gruppen und Schichten zusammensetzen, die ein gemeinsames objektives Interesse haben. Die Zahl der ArbeiterInnen und lohnabhängigen Mittelschichten reicht zum Sieg des Volksbegehrens. Der Klassenbegriff würde hier für Klarheit sorgen. Das Verhältnis MieterIn–VermieterIn ist zwar kein auf der Ausbeutung von Lohnarbeit in der Produktion beruhendes, sondern die Immobilienkonzerne eigenen sich Monopolrenten an. Doch die überwältigende Mehrheit der Mieterinnen sind ProletarierInnen, die weder Eigentum an Produktionsmitteln, Wohnungen noch Grund und Boden besitzen, was sie deutlich von den Klassen mit großem und kleinem Besitz unterscheidet.
Da MieterInnen meist Lohnabhängige sind und deren Lebenserhaltungskosten tarifliche Erfolge und leichte Lohnsteigerungen auffressen, ist der Kampf für Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung über das Wohnungswesen hinauszutreiben, also in alle Bereiche der Wirtschaft. Für dieses Gesamtinteresse der Lohnabhängigen wäre die Integration von VertreterInnen der Gewerkschaften notwendig anstelle der Stadtgesellschaft oder des Senats. Dieser Vorschlag wurde jedoch leider abgelehnt.
Dies ist umso bedauerlicher, weil sich die ArbeiterInnenbewegung mächtige Organisationen geschaffen hat wie die Gewerkschaften, die mittels einheitlicher Aktionen – wirtschaftliche wie politische Streiks, Besetzungen, Mietpreiskontroll- und Mietsteigerungsboykottkomitees – wesentlich mehr Druck aufs Großkapital ausüben können als eine auf Volksabstimmungen fixierte BürgerInneninititative.
So sehr BürgerInnenbewegungen außerparlamentarischen Druck auf Kapital und Staat erzeugen können, so wenig sind sie alleine als Transformationsvehikel zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise geeignet. Ohne Einbindung in eine bewusste, revolutionäre Klassenpolitik enden selbst Initiativen oder Bewegungen mit Massenanhang als außerparlamentarische Anhängsel des parlamentarischen Reformismus oder werden – wie im Falle der Grünen – selbst zu einer bürgerlichen Partei.
In Kapitel 1 wird konstatiert, dass Vergesellschaftung die Wohnungskrise lösen kann. Es sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass dieser Begriff historisch unterschiedlich definiert wird. Im marxistischen Kontext beschreibt er eine Situation, wo die Konsumentinnen und Produzentinnen in einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft über das erwirtschaftete Gesamtprodukt einschließlich eines Überschussfonds, der nicht in den unmittelbaren Verbrauch eingeht, als Kollektiv verfügen können. Nach Artikel 15 Grundgesetz liegt eine Vergesellschaftung vor, wenn Grund, Boden, Naturschätze oder Produktionsmittel durch Gesetz ihren Eigentumstitel zugunsten der Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft ändern. Die folgende Verwendung dieses Begriffs erfolgt in einem breiteren Sinn, den auch die bürgerliche Gesellschaft anerkennt.
Die Verwaltung des vergesellschafteten Wohnraums durch ein System von sog. „MieterInnenräten“ und einer demokratisch kontrollierten Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) stellt zweifelsohne einen Fortschritt nicht nur gegenüber der gemeinwohlorientierten Regulierung privaten Eigentums, sondern auch der Überführung in eine städtische Wohnungsgesellschaft nach dem Vorbild der existierenden dar. Auch ist das Festhalten an einem einheitlichen (kollektiven, staatlichen) Gemeineigentum sinnvoller als mögliche Szenarien des Aufteilens der Wohnbestände auf Individualbesitz oder kleinere Besitzgemeinschaften zur Realisierung einer kleindimensionierten Selbstverwaltung. Auch eine Wohnungsgenossenschaft wäre möglich, die gemeinwirtschaftlich arbeitet und eine interne demokratische Verfassung präsentiert.
Die AöR soll via Gesetz eingerichtet werden. Es ist positiv, dass DWE hier Druck auf die Senatsparteien ausüben will. Eine Schwäche ist jedoch, dass wenn die AöR durch ein Gesetz des Abgeordnetenhauses eingerichtet wird, dieses auch von ihm je nach Mehrheitsverhältnissen und Senatszusammensetzung wieder, zu Ungunsten der MieterInnen, reorganisiert werden könnte.
Nach dem aktuellen DWE-Modell sollen die Entschädigungen per Schuldscheine über einen Zeitraum eines halben Jahrhunderts abbezahlt werden. Damit entfällt die Abhängigkeit von Bankkrediten, jedoch nicht von der Kursentwicklung langfristiger Anleihen, und wird deren Verzinsung auch auf die Mieten umgelegt, was einen Negativpunkt darstellt. Wer wird diese kaufen können mit entsprechenden Erwartungen an langfristige Verzinsung? Große VermögensbesitzerInnen wie Banken, Investmentfonds, Versicherungen? Was passiert zudem mit den Überschüssen nach der Entschädigung? Fließen die in den Haushalt, wird der Überschuss in Sozialneubau investiert oder werden die Mieten gesenkt? In jedem Fall muss die Entscheidung durch die MieterInnen getroffen werden und nicht vom Senat oder dem Gesetzgeber. Hier sollten die sog. MieterInnenräte eine entscheidende Rolle spielen.
Positiv ist die Idee einer gewissen Autonomie einzelner Häuser (Hausplenum) und von MieterInnengremien als Kontrollorganen auf verschiedenen lokalen Ebenen (Siedlung-, Gebiets- und Berliner GesamtmieterInnenrat). Dadurch wird es möglich werden, die Basis einzubeziehen, bessere Ansprechbarkeit der Verwaltungs- und Servicestruktur zu garantieren und gewisse Aufgaben lokal zu entscheiden (Subsidiaritätsprinzip). Nur Aufgaben, die die Gesamtheit betreffen, sollen zentral in der AöR entschieden werden, die durch einen Verwaltungsrat und eine Geschäftsführung geleitet wird. Der GesamtmieterInnenrat setzt hier die VertreterInnen der MieterInnen ein. Zusammen mit den VertreterInnen der Beschäftigten bilden diese eine Mehrheit im Verwaltungsrat. Das ist positiv. Mit den VertreterInnen auch der Stadtgesellschaft, davon zweien des Senats, hat der Verwaltungsrat aber auch einen bürgerlichen Charakter – zusätzlich zu den vollständig bürgerlichen Besitzverhältnissen auf dem gesamten Wohnungssektor und erinnert leicht an einen Staatskapitalismus im Unterschied zu einer wirklichen Vergesellschaftung. Die Anstalt des öffentlichen (!) Rechts ist Staatseigentum.
Zwar werden die Kontrollstrukturen „Räte“ genannt (Siedlungs-, Gebiets-, GesamtmieterInnenrat), jedoch werden diese ohne jederzeitige Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der gewählten VertreterInnen statt zu Institutionen der direkten oder ArbeiterInnendemokratie auf bürgerlich-repräsentative Organe reduziert. Also statt richtiger Räten werden Miniparlamente vorgeschlagen. Der Begriff des Rates wird nicht aus den Doppelmachtorganen der ArbeiterInnenbewegung der Jahre 1918 bis 1921 abgeleitet oder aus dem ursprünglichen Begriff der Betriebsräte als Organ der Betriebsbelegschaftskontrolle über die Industrie, sondern aus dem Betriebs- bzw. Personalrat als Vertretungs- und Mitbestimmungsorgan des sozialpartnerschaftlichen Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzes der BRD. Die Betriebs- und Personalräte sind hier alles andere als vollständige Interessenorgane der Beschäftigten.
Personal- und Betriebsräte bilden eine der wichtigsten Stützen des Reformismus in der ArbeiterInnenklasse und damit von SPD und Linkspartei. Die politische Handschrift des Verständnisses von Vergesellschaftung und Räten im DWE-Pamphlet liegt mit dem Ankerpunkt Art. 15 Grundgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz eindeutig im Sozialdemokratismus und sperrt sich damit gegenüber einer realen Vergesellschaftung im Sinne einer Kollektivierung und der wirkungsvollen Kontrolle wie in einer Rätedemokratie. Dies sieht man nicht nur am parlamentarischen Verständnis von den Organisationsstrukturen der AöR, sondern v. a., indem der Unterschied zwischen Integration ins System und ArbeiterInnenkontrolle verwischt wird.
Natürlich muss jeder Kampf für direkte Demokratie auf Basis einer gesamtgesellschaftlichen Gemeinwirtschaft (Sozialismus) mit konkreten Auseinandersetzungen beginnen. Und die Kampagne macht hier einen guten Anfang, weil sie auch grundlegende Fragen des Eigentums und der Kontrolle in der öffentlichen Auseinandersetzung aufwirft.
Jedoch muss das strategische Ziel – eine grundlegende, ihrem Wesen nach sozialistische Transformation – in den Rahmen einer Übergangsmethode eingebunden werden, wo tagespolitische Aufgaben verbunden werden mit dem Aufbau von Gegenmachtstrukturen, die von der bürgerlichen Klasse und ihren Institutionen unabhängig agieren und letztlich auf den Bruch mit der Staatsmacht und dem Kapitalismus orientieren. Diese Methode liegt in der Broschüre jedoch nicht vor, sondern der reformistische Ansatz, soziale, klassenübergreifende Zonen zu schaffen, als Teil des bürgerlichen Staates, und den Kapitalismus von innen her zu reformieren. Diese Strategie mag sich zwar aufdrängen, hat historisch jedoch immer versagt.
In Kapitel 2 wird der Begriff der Gemeinwirtschaft historisch skizziert. Es war die Perspektive einer neuen politischen Ordnung und in den Jahren 1918–1919, Mietstreiks, Aufstände, bewaffnete Milizen und die ArbeiterInnen- und SoldatInnenräte, die die Regierenden zu Zugeständnissen bewegt haben. Ein erwähnenswerter Bezugspunkt für DWE wäre der Berliner Mietstreik 1919, wo Arbeitslosenräte Versammlungen mit 200.000 Teilnehmenden durchführten und Forderungen nach Enteignung der HausbesitzerInnen und Mietpreiskontrolle aufgestellt haben. Hier zeigt sich zentral der Klassenkampf als Ursache für Reformen jeder Art (Gesetze, Verfassungen) und nicht die umgekehrte, falsche Sichtweise, das Grundgesetz als Motor für Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft zu betrachten.
Es reicht für die AutorInnen dagegen die reine Existenz eines nie zuvor verwendeten Grundgesetzartikels aus, um eine „lange Tradition“ zwischen Gemeinwirtschaft und Grundgesetz zu konstruieren. In Artikel 14 steht, dass Eigentum verpflichtet und der Allgemeinheit diesen soll. Diese beiden Aussagen haben die besitzende Klasse nie davon abgehalten, ihren Reichtum auf Kosten der Massen zu vermehren, öffentliche Güter und Profite mehr und mehr zu privatisieren und dabei Kosten zu sozialisieren. Der Art. 15, der „Sozialstaats“gedanke in Form der sozialen Marktwirtschaft, ist auf Basis einer breiten antikapitalistischen Stimmung und in Konkurrenz zu einer Forderung nach Elementen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, wie der Verstaatlichung der Grundstoffindustrie, entstanden. Es ist natürlich opportun, sich in der Kampagne rechtlich auf den Artikel 15 GG zu berufen. Man muss jedoch auch gleichzeitig feststellen, dass die historische Alternative von vornherein zu vergesellschafteten, gemeinwirtschaftlichen Wohnbeständen geführt hätte und es damit keinen Boden für die Mietpreisspirale gäbe. Diese Aussagen sind also, diplomatisch ausgedrückt, sehr optimistisch und einseitig und greifen Rechtspraxis und Natur des bürgerlichen Staates inklusive Grundgesetz in keinster Weise an. Ferner fehlt jeder Verweis auf Erfolge, die mittels dieser Paragraphen erreicht wurden. Warum wohl? Die Verstaatlichung des Grund und Bodens sowie der Grundstoffindustrie wurde außer auf dem Gebiet der späteren DDR trotz überwältigender Zustimmung im hessischen Volksentscheid nicht durchgesetzt. Um Flächen für Autostraßen, AKWs und Braunkohletagebaue zu enteignen, hat sich das GG dagegen bestens bewährt. Sprach sich ein Volksentscheid dagegen mit überwältigender Mehrheit gegen die Schließung eines Krankenhauses aus wie in Hamburg, schloss der dortige Senat es trotzdem. Wir erinnern an dieser Stelle auch an die zahlreichen Anläufe für Volksabstimmungen für mehr Klinikpersonal, die von etlichen Landesverfassungsgerichten (Bayern, Hamburg) für unzulässig erklärt wurden.
Im zweiten Kapitel werden die historischen Ursprünge der Gemeinwirtschaft in Form von Genossenschaften und Kooperativen auf sozialistische wie liberale WirtschaftsreformerInnen zurückgeführt. Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts existierten vielfältige Zusammenschlüsse wie Darlehenskassenvereine, Handwerks-, ArbeiterInnen- und Gewerksvereine, Produktions- und Konsumgenossenschaften, von denen heute nur die Raiffeisen- bzw. Volksbanken auf der einen Seite und Gewerkschaften und Wohnungsgenossenschaften auf der anderen Seite überlebt haben.
Zunächst muss man zwischen den kleinbürgerlichen und proletarischen Organisationen unterscheiden. Ständische Gewerks- oder Wohnvereine, die sich um Meister, leitende Angestellte, BeamtInnen und Intellektuelle gruppierten, hatten zwar den Anspruch, ihren Mitgliedern das Leben zu vereinfachen, jedoch bestand nie der, Gesellen und ArbeiterInnen aus dem ausbeuterischen Lohnverhältnis und der Preisdiktatur zu befreien.
Anders stellt sich das mit den proletarischen Organisationen in der Tradition der jungen, teilweise noch revolutionären Sozialdemokratie dar, die den Anspruch auf Umwandlung in eine sozialistische Wirtschaft und proletarische Demokratie aufgriffen. Aber auch die sozialistischen Organisationen haben im 20. Jahrhundert praktisch und politisch den Anspruch aufgegeben, ihr Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Gemeinwirtschaft zu verallgemeinern und eine alternative, sozialistische Ökonomie aufzubauen. Dafür wäre der Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und den bürgerlichen Institutionen eine Bedingung gewesen. Was passiert, wenn man dies nicht tut, sieht man gerade an den Konsequenzen: zahlreiche Vereinigungen sind zusammengebrochen, der Rest passte sich den ihn umgebenden politischen Institutionen und „wirtschaftlichen Sachzwängen“ an. Von den ArbeiterInnenkooperativen (Neue Heimat, Bank für Gemeinwirtschaft, Konsumgenossenschaften, … ) existiert heute noch genauso viel wie von der sonstigen sozialdemokratischen Gegengesellschaft (Presse, Sport-, Gesangs- und Bildungsvereine) – nämlich nichts! ArbeiterInnengenossenschaften werden entweder Schulen des Sozialismus und integraler Teil einer internationalen demokratischen Planwirtschaft oder sie enden als stinknormale Läden wie andere auch.
Der Apparat der Wohnungsgenossenschaften lässt sich personell und politisch kaum von dem der privaten Konzerne unterscheiden. Die Führung der Wohngenossenschaften wetterte gegen den Mietendeckel und kämpft mit Falschbehauptungen auch gegen DWE und ihre Vergesellschaftungspläne. Damit enthält sie 300.000 BerlinerInnen das vor, was sie ihren Mitgliedern bietet: gewisse Selbstbestimmung, moderate Mieten und kostendeckendes Wirtschaften. Die politische Union zwischen zahlreichen Berliner Wohnungsgenossenschaften und finanzindustriellen Wohnkonzernen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Covivio wird dadurch treffend symbolisiert, dass sie alle in derselben Immobilienlobby Mitglied sind (Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V.; BBU).
Hier liegt das Grundproblem der AöR: Entweder deren Verwaltung konstituiert sich als Organisation der MieterInnen, Beschäftigten und ArbeiterInnenklasse, wird ein Motor des Klassenkampfes und schafft es, als Teil einer Massenbewegung zusammen mit Gewerkschaften, oppositionellen Betriebsgruppen, der MieterInnenbewegung, sowie sozialistischen und revolutionären Gruppen den Kapitalismus zu stürzen, oder sie wird dasselbe Schicksal erleiden wie die Prototypen, auf die sie sich beruft. Und der besteht dann nur noch im wirtschaftlichen (siehe Neue Heimat) oder politischen Verfall (siehe SPD und kommunale Wohnungsgenossenschaften). Die aktuelle Strategie der DWE-Mehrheit schließt den Brückenschlag zu einer wirklichen Vergesellschaftung politisch aus. Entweder es wird in einer offenen, geduldigen und demokratischen Auseinandersetzung um Taktik, Strategie und Programm zu neuen demokratischen Mehrheiten und einer politischen Kehrtwende führen, oder der Weg, den die Wohnungsgenossenschaften bereits beschritten haben, wird leider wieder beschritten.
Im Abschnitt „Perspektiven fürs Kleingewerbe“ (Kapitel 3) wird beschrieben, dass kleine Gewerbetreibende ebenfalls von steigenden Mieten und Verdrängung bedroht sind. Diese würden auch von günstigen Mieten durch Vergesellschaftung profitieren und ihre Mehrkosten nicht auf die KonsumentInnen abwälzen. Es existiert jedoch hier kein Automatismus, dass niedrige Kosten sich immer in günstigen Preisen für den/die DurchschnittsarbeiterIn auswirken. Es ist korrekt, das Kleinbürgertum und kleine Gewerbetreibende, die mehrheitlich auch von steigenden Mieten betroffen sind, von der Richtigkeit und dem Nutzen vergesellschafteten Wohnraums zu überzeugen. Was jedoch übersehen wird, ist dass die Hauptadressatin der Vergesellschaftung die ArbeiterInnenklasse ist, die Notwendigkeit der Preiskontrolle als wichtige politische Forderung aus dem Kreis der proletarischen MieterInnenbewegung integriert werden müsste, damit sich die Kostenersparnis in niedrigen Warenpreise niederschlägt und das Ziel von Gemeinwirtschaft nicht in der Stärkung des Kleinkapitalismus endet.
Es wurde von uns ein alternativer Antrag unter dem Titel „Perspektiven für Klein- und Gemeingewerbe“ eingebracht:
„Wo Gewerberäume leer stehen oder Kleingewerbetreibende ihre Unternehmung einstellen, sollen diese ausschließlich durch gemeinnützige Träger und Vereine, gemeinschaftlich und demokratisch organisierte und rein kostenfinanzierte DienstleisterInnen und ProduzentInnen ersetzt werden. Wir nutzen vergesellschafteten Wohnraum vorsätzlich im Interesse und für die Bedürfnisse der Allgemeinheit und streben den systematischen Ausbau gemeinwirtschaftlicher Einheiten an. (…)“
Auch dieser Kompromissvorschlag wurde abgelehnt. Das steht natürlich im Widerspruch zum Titel der Broschüre, wo es gerade um Gemeinwirtschaft und Demokratisierung gehen sollte.
Auch an diesem Punkt halten Broschüre und Initiative eindeutig nicht das, was sie versprechen. Des Weiteren wird die Bereitschaft ersichtlich, das zentrale und strategische Interesse der Kampagne zugunsten der Hinwendung zur (klein)bürgerlichen Mitte und neuer zeitweiliger SymphatisantInnen und TrittbrettfahrerInnen zu opfern. Die Ablehnung dieses Vorschlages, jeder politischer Ansatz, der der ArbeiterInnenklasse gemeinsame strategische Interessen mit anderen Klassen suggeriert, betreiben Augenwischerei und ordnen die politischen Interessen und Perspektiven der große Masse der Bevölkerung einer kleineren Schicht unter. Während Kleingewerbetreibende und Kleinunternehmen Verbündete auf Zeit sein könnten, sind die besitzlosen Lohnabhängigen der strategische Kern für Vergesellschaftung. Auch wenn sich gemeinwirtschaftliche Unternehmungen langfristig im Kapitalismus nicht halten können, würden diese nicht nur ein viel loyaleres und politisches Umfeld bilden, sondern auch die Frage der Wirtschaftsordnung stellen.
Positiv ist zu bemerken, dass die Broschüre die Frage des Neubaus aufgreift und beantwortet. Im Absatz „Neubau für die wachsende Stadt“ (Kapitel 3) und „Die Bauhütte“ (Kapitel 4) wird festgestellt, dass der Privatsektor wenig und unerschwinglich baut und durch die Vergesellschaftung von Grund und Boden neue Flächen zur Verfügung stünden. Der Bezug auf die gemeinwirtschaftliche Bauhütte der 1920er Jahre ist positiv. Ergänzend müsste man vorschlagen, dass die Bauhütte, ähnlich der AöR, auch einer demokratischen Kontrolle unterliegt und die Sozialbindung von deren Wohneinheiten entweder unbefristet ist oder die Mietpreise durch demokratische Kontrollorgane festgesetzt werden sollen.
Einen weiteren Vorteil der Vergesellschaftung verkörpert die Forderung, Räume für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen (Kitas, Jugendliche, Schutzräume gegen Gewalt, barrierefreies Wohnen, Geflüchtete, Wohnungslose/Verbot von Zwangsräumungen, Kunst- und Kulturschaffende) anzubieten und eine diskriminierungsfreie Vermietung sicherzustellen.
Unser Antrag auf entschädigungslose Enteignung – 1 Euro symbolische Entschädigung, um formal im Rahmen des GG zu bleiben – wurde abgelehnt. Inhaltlich wurde nicht begründet, warum den Immobilienkonzernen die Verwandlung ihres fiktiven Kapitals (Titel auf zu realisierende Gewinne) vergoldet werden soll. Formal könnte man denken, dass eine „gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ (Art. 14 GG) notwendig sei. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel zeigt jedoch eindrücklich, dass im bürgerlichen Rechtssystem auch im einseitigen Interesse entschieden werden kann – leider im Interesse der Immobilienkonzerne. Es zeigt aber auch, dass es nicht um gerechte Abwägung geht, sondern um im Klassenkrieg schlicht und einfach zu siegen.
Die grundsätzliche Anerkennung einer Entschädigung bei Enteignung impliziert logisch auch, dass ein Gewinn aus dem Immobiliengeschäft selbst als grundlegend berechtigt anerkannt, also das Recht auf Profite im Voraus akzeptiert wird. Daraus folgt logischerweise, dass auch ein Volksentscheid vor die Frage gestellt wird, was es denn zu bieten hat für zu entschädigenden EigentümerInnen.
Mit Beginn des Volksbegehrens, der 2. Stufe im Volksentscheid, präsentierte DWE eine Höhe, die es für angemessen hält. Diese bewegt sich zwischen 7,3 Mrd. und 13,7 Mrd. Euro. Das bedeutet pro Kopf jeden/r EinwohnerIn Berlins eine Steigerung der Landesschuld zwischen 2.000 und 4.000 Euro oder – auf Basis der Staatsschuld vom 31.12.2019 von 14.700 Euro – um ca. 14 bis knapp 27 %.
Die von DWE in Aussicht gestellte Hauhaltsneutralität könnte nur dann gewährleistet werden, wenn die Entschädigung weit unter Marktwert liegt oder es zu einer steuerlichen Umverteilung kommt. Das von DWE favorisierte Faire-Mieten-Modell (FFM) versucht dabei, die Interessen der MieterInnen zum Ausgangspunkt für die Berechnung der Entschädigung zu nehmen, indem nicht die Werte der Immobilien als Berechnungsgrundlage herangezogen werden, sondern leistbare Mieten. Doch selbst die Verwirklichung dieser guten Absicht erfordert letztlich einen politischen Kampf und eine soziale Mobilisierung, um für 300.000 Menschen eine spürbare Entlastung sicherzustellen. Darüber hinaus entkommt auch das FFM einem grundsätzlichen Problem nicht.
Die Anerkennung einer „gerechten“ Entschädigung impliziert nämlich auch, dass diese letztlich über bürgerliche Parlamente und Gerichte ausgehandelt wird. So geht z. B. die amtliche Kostenschätzung unter dem rot-rot-grünen Senat von Kosten zwischen 28,8 und 26 Milliarden Euro aus. Die Immobilienlobby wird hier sicher noch weit höhere Forderungen präsentieren.
In jedem Fall eröffnet sich damit den Kapitalinteressen ein weites Feld für zukünftige Auseinandersetzungen, um eine Enteignung durch extreme Rückzahlungsforderungen für die Steuern zahlenden Lohnabhängigen unattraktiv und teuer zu machen. Damit wollen sie nicht nur maximale Profite sichern, sondern können auch einen Spaltkeil zwischen einen Teil der MieterInnen und die Mehrheit der Klasse treiben. Die einzige Möglichkeit, dem grundsätzlich entgegenzuwirken, besteht darin, die Legitimität von Entschädigungen grundsätzlich zu bestreiten und dafür zu kämpfen, alle Kosten den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere aufzuzwingen.
Die entschädigungslose Enteignung – und eine symbolische von einem Euro ist im Grunde nur eine Sonderform davon – zeigt deutlicher und besser, wie wir diesen Kampf führen sollten: Nicht durch Verhandlungen um die Entschädigung, sondern indem wir – wie die Gegenseite – unsere einseitigen Interessen als Basis des politischen Handelns betrachten und unsere Instrumente verwenden, um zu gewinnen oder zumindest das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu verschieben. Man sollte neben den Unterschriftensammlungen auch Massenmobilisierung, politische Streiks und Mietboykotte einbeziehen, anstatt die bürgerlichen Kreise (nur) mit vernünftigen oder seriösen Kalkulationen zu überzeugen.
Die Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ stellt zentrale Modelle einer breiten Öffentlichkeit vor. Es werden dadurch Alternativen zu Privateigentum, Profitwirtschaft und der bürokratischen Führung aufgeworfen. Wichtige politische Instrumente (demokratische Kontrolle, Reprivatisierungsverbot), Schnittpunkte (Bauhütte) und auch die Vorteile für marginalisierte soziale Gruppen (Kinder/Jugendliche, FLINT, Gehinderte, Wohnungslose, Geflüchtete) werden positiver Weise dargestellt.
Auch wenn „rechtssichere“ Gesetzesentwürfe vorteilhaft sind, sieht man jedoch an dem Fokus darauf, dass es mehr darum geht, als „ExpertInnen“ intellektuelle Mittelschichten und die politische „Mitte“ zu überzeugen, anstatt eine Strategie zu entwickeln, die die Interessen der Masse der ArbeiterInnenklasse in den Mittelpunkt stellt. Diese stellt einerseits die deutliche gesellschaftliche Mehrheit und hat andererseits als einzige Klasse ein objektives und strategisches Interesse daran, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung konsequent, also über die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinaus durchzusetzen, zu verteidigen und auszuweiten. Die politische Orientierung auf bürgerliche Institutionen (Grundgesetz, Abgeordnetenhaus) wie die der Broschüre und der Kampagne zugrundeliegende politische Programmatik schränken die Weiterentwicklung dieser positiven Ansätze ein.
Anstatt Modelle der direkten Demokratie für die MieterInnenkontrolle vorzuschlagen, werden die sog. MieterInnenräte auf einen Miniparlamentarismus reduziert, politische Zugeständnisse an den Staat (SenatsvertreterInnen), das Kleinbürgertum (Kleingewerbetreibende) und der Bourgeoisie (via Stadtgesellschaft) gemacht. Das gefährdet das Projekt, erhöht die Angriffsfläche für Staat und Kapital, die AöR entweder zu verbürokratisieren (Neue Heimat) oder wie in der Privatwirtschaft zu reorganisieren (Wohnungsgenossenschaften). Die historischen Fehler der sozialdemokratischen Wohnungsgenossenschaften werden in der Broschüre wiederholt. Entsprechend kann festgestellt werden, dass sie viele gute Ansätze beinhaltet, jedoch am Ende nicht hält, was sie verspricht.
Auch wenn die Broschüre auf halben Weg stehen bleibt, ist die Kampagne zu unterstützen, da sie einen positiven Referenzpunkt einer Mietenpolitik im Interesse von Lohnabhängigen darstellt. Trotz ihrer inneren Widersprüche beinhaltet sie auch ein Potenzial, diese positiv aufzulösen und eine neue MieterInnenbewegung auf eine neue klassenkämpferische Grundlage zu stellen.
Des Weiteren strahlt die Kampagne mit ihren Losungen auf andere Teile der sozialen Bewegungen und Organisationen der ArbeiterInnenklasse (wie Mieterverein, SPD, Linkspartei, Gewerkschaften) aus. Der Kampf um Enteignung, Vergesellschaftung und Kontrolle durch die Beschäftigten und NutzerInnen könnte beispielsweise in Auseinandersetzungen gegen Schließungen und Entlassungen, für den Ausbau des Gesundheitswesens oder für ein ökologisch nachhaltiges Energie- und Verkehrssystem dem Trend der letzten Jahrzehnte entgegentreten, der in Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Schulden bestand. Ja, er könnte ihn sogar umkehren. Wenn wir das Potenzial aufgreifen und weitertreiben wollen, das DWE schon jetzt auch gezeigt hat, müssen wir jedoch auch eine kritische Auseinandersetzung um die Schwächen der Initiative bzw. ihre programmatische und strategische Ausrichtung führen. Zu dieser notwendigen Diskussion wollen wir mit unsere Kritik beitragen.