Arbeiter:innenmacht

Rechte Umsturzpläne: Ein Menetekel an der Wand

Martin Suchanek, Infomail 1206, 9. Dezember 2022

3.000 Polizeibeamte und Spezialkräfte mobilisierte die Bundesanwaltschaft am 7. Dezember beim größten Antiterroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

In einer koordinierten Aktion wurden 150 Objekte durchsucht, Materialen und ganze Waffenlager beschlagnahmt. Mindestens 50 Personen, die der „Patriotischen Union“ oder deren Umfeld zugerechnet werden, wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Gegen 25 wurde Haftbefehl erlassen. 19 sitzen seither in Untersuchungshaft, weitere dürften folgen.

Das erklärte Ziel der ominösen Gruppe von Verschwörer:innen aus dem Milieu der Reichsbürger:innen ist hinlänglich bekannt: der Sturz der Regierung und die Errichtung einer „Übergangsregierung“ zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1871.

An den mörderischen Absichten der „Patriotischen Union“ besteht kein Zweifel, auch wenn dem Netzwerk um Heinrich Prinz Reuß, der aus einer Thüringer Adelsfamilie stammt und als Heinrich XIII. nach gelungener Machtübernahme zum König von Deutschland ernannt hätte werden sollen, etwas unfreiwillig Clowneskes anhaftet.

Irrationalismus ist nicht harmlos

Dies darf jedoch kein Grund zur Entwarnung oder Verharmlosung sein. Betrachtet man die Äußerungen und Ideologie rechter Putschist:innen und Verschwörer:innen, enthalten diese immer jede Menge Obskurantismus, Wahnwitz, Entrückung und Irrationales. Darin bildet die Truppe um Heinrich XIII. keine Ausnahme. Ihr „Weltbild“, ihre Geisteshaltung erinnert an viele, die am 6. Januar 2021 das US-Capitol stürmten. Verschwörungstheorien wie jene von QAnon begeisterten schließlich auch etliche Mitglieder des „Schattenkabinetts“ des Möchtegernregenten.

Darin liegt nichts Zufälliges. Die gesamte Ideologie solcher Verschwörer:innen stellt eine wilde Mischung aus reaktionären, völkischen, antisemitischen Ideologien, Rückgriffen auf Mystik und Esoterik dar, kombiniert mit übersteigertem Wahn von der vorgeblichen Bedrohung und gleichzeitigen Überlegenheit der eigenen Nation und „Rasse“. Was sie so gefährlich macht, ist die Bereitschaft, für die reaktionäre Sache gewaltsam vorzugehen, weil „ihre“ Nation nur so der Herrschaft „dunkler“ Mächte entrissen werden könne.

Gerade die bekannteren, aus der angeblichen Elite der bürgerlichen Gesellschaft stammenden Führungsfiguren der „Patriotischen Union“ waren vom QAnon-Netzwerk nicht nur inspiriert. Sie waren nicht nur Anhänger:innen der Ideologie von sog. Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen, denen zufolge die Bundesrepublik eigentlich nicht existiere, sondern nur eine „Firma“ unter Kommando der Alliierten und/oder des „Weltjudentums“ darstelle.

Sie waren wie der Adelige Heinrich Reuß nicht bloß Gutsbesitzer und, wenn auch nur mäßig erfolgreicher, Immobilienmakler, sondern auch aktive geistige Brandstifter:innen. So verbreitet er seit Jahren das Märchen, der Erste Weltkrieg sei Resultat einer Verschwörung der Freimaurer:innen und Juden/Jüdinnen gewesen und die Monarchie bestehe daher noch.

Die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, selbst als Innenministerin vorgesehen, hetzt seit Jahren gegen Migrant:innen und Geflüchtete und radikalisierte sich weiter mit den sog. Querdenker:innen und reaktionären Impfgegner:innen.

Reuß und Malsack-Winkemann stehen exemplarisch für einen Teil der „Patriotischen Union“. Dieser stammt aus den sog. gebildeten Schichten Deutschlands, aus einer „Elite“, die den Bestand „ihres“ Staates so weit gefährdet sieht, dass sie sich gegen Regierung und staatliche Institutionen verschwört, den Putsch zur patriotischen „Notwehr“ stilisiert.

Den anderen großen Teil der Verschwörung bilden ehemalige Offizier:innen der Bundeswehr, insbesondere von Spezialeinheiten wie dem KSK, sowie einige alte NVA-Leute, also Menschen aus dem Offizierskorps des deutschen Imperialismus, dessen patriotische Tugenden von „liberalen“ Politiker:innen und „verweichlichten“ Vaterlandsverräter:innen zerstört würden.

Wie weit die Planungen zu einem bewaffneten Umsturz wirklich gediehen waren, ist zwar bislang unklar. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Vorbereitungen zur „Machtübernahme“ eindeutig über das Stadium allgemeiner Absichtserklärung und Wunschvorstellungen hinausgegangen waren. So hatte der Kreis einen leitenden „Rat“, ein „Schattenkabinett“ samt Regenten und zukünftigen Minister:innen sowie Verantwortliche für den Aufbau eigener bewaffneter Einheiten bestimmt. Auch wenn die Verschwörung zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf eine erfolgreiche Machtübernahme hatte, so enthielt sie offenbar Pläne zur Entführung des Gesundheitsministers Lauterbach sowie „Neutralisierung“, also Ermordung seines Personenschutzes. Mit der „Patriotischen Union“ bildete sich eine rechtsterroristische Verschwörung, die es in dieser Form seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr gegeben hat. Allein dies belegt einen massiven Radikalisierungsprozess, der weit über diese Gruppierung hinausgeht.

Bodensatz

Mögen sie als Einzelne noch so obskure Figuren darstellen, so stehen sie für die Entfremdung viel breiterer kleinbürgerlicher und bürgerlicher Schichten vom politischen System. Die ökonomischen, sozialen und politischen Krisen seit 2008 unterminieren deren gesellschaftliche Stellung. Diese Entwicklung wird jedoch subjektiv als Werk fremder Mächte gefasst – als Verschwörung, die zur „Umvolkung“ durch Migrant:innen, zur „Ausblutung“ Deutschlands durch Euro und EU, zur „Durchimpfung“ zwecks Sterilisierung der Weißen, zur Unterjochung des Landes durch die USA und eine „jüdische Weltverschwörung“ führt, in deren Dienst Genderwahn, Feminismus, Antirassismus, Kosmopolitismus usw. stünden.

Der reaktionäre Wahn inklusive einer großen Portion Antisemitismus hat in den letzten Jahren breitere Schichten der Bevölkerung erfasst – im Grunde seit Beginn des Rechtsrucks und der Ausbreitung des Rassismus gegen die Geflüchteten.

Der Aufstieg der AfD, die reaktionäre Bewegung der Querdenker:innen, der deutschen Spielart der Impfgegner:innen, haben den gesellschaftlichen Boden bereitet, auf dem Gruppierungen wie die „Patriotische Union“ und andere Formen des rechten, gewaltbereiten Terrorismus und militante Verschwörungstruppen entstehen.

Sie stützen sich auf verschiedene rechte Milieus und Bewegungen wie jene der Impfgegner:innen, die AfD oder, im extremsten Fall, direkten militanten Naziorganisationen. Die „Patriotische Union“ selbst stand in enger Verbindung mit den sog. Reichsbürger:innen, die während der Pandemie Zulauf erhielten und lt. Verfassungsschutz auf 21.000 angewachsen sein sollen.

Sie bewegen sich selbst zwischen Obskurantismus und Terrorismus. So erklären selbsternannte, rabiate Kämpen ihre Häuser und Gartenlauben zu „unabhängigen Staaten“ oder gar Fürstentümern. Ein Teil der Reichsbürger:innen möchte die Monarchie wiedererrichten, andere träumen von esoterisch-germanischen Landkommunen, die als Selbstversorgerinnen dahinvegetieren, andere wiederum sind Teil der Naziszene oder eng mit dieser verbunden.

Gemeinsam ist dieser Szene, dass sie sich weiter radikalisiert – sei es in immer extremeren Verschwörungstheorien, sei es in völkisch-esoterischen Ideologien oder direkt beim Faschismus.

Der Begriff Szene darf dabei nicht als isolierte, randständige Gruppe verstanden werden. Gerade während der Pandemie haben Irrationalismus und kleinbürgerliche Radikalisierung deutlich zugenommen und auch Teile der Arbeiter:innenklasse erfasst. Vor allem aber drücken sie sich bei den Mittelschichten und im Kleinbürger:innentum aus – und nicht zuletzt im „demokratischen“ Staatsapparat. Es ist kein Zufall, dass die AfD  überdurchschnittlich von Polizeibeamt:innen gewählt wird. Es ist kein Zufall, dass sich in der Bundeswehr trotz ihrer ständigen Beschwörung als demokratisch-humanitärer Truppe rechte Umtriebe mehren. Regelmäßig fliegen bei den bewaffneten Kräften rechte Chatgruppen auf. Doch diese Skandale stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Im Zuge der Krise, aber auch der realen Umstellung der Armee auf verstärkte, wenn auch humanitär verbrämte imperialistische Intervention tendieren Offizierscorps, Berufsoldat:innen wie auch Polizeikräfte überdurchschnittlich nach rechts. Der/Die Berufssoldat:in, der/die zur Verteidigung „unserer“ Werte, also „unserer“ Profite und geostrategischen Ziele an den NATO-Grenzen, in Mali oder am Horn von Afrika rekrutiert wird, muss zuerst „Patriot:in“ sein, bereit, für den deutschen Imperialismus notfalls zu sterben, vorzugsweise aber zu töten.

Heuchelei

Es gehört zur üblichen, üblen Heuchelei und Doppelmoral der bürgerlich-demokratischen Parteien, insbesondere der Grünen und der reformistischen SPD, dass sie nicht sehen wollen, dass die kapitalistische Krise und ihre kapitalkonforme Politik gerade jenen Nährboden schaffen, auf denen Rechtspopulismus, Verschwörungstruppen und letztlich auch der Faschismus gedeihen. Sie wollen nicht erkennen, dass nicht demokratische Heuchelei, sondern der imperialistische Kurs der BRD genau jene Leute im Sicherheitsapparat prägt und erzieht, die für rechte und extrem imperialistische Ideologie besonders empfänglich sind.

Die „Patriotische Union“ darf daher keineswegs als clowneske Truppe verharmlost werden. Sie ist vielmehr ein Menetekel an der Wand, ein Vorbote, eine Warnung vor dem, was noch zu kommen droht. Doch anders als in der biblischen Erzählung ist dieses Menetekel nicht übernatürlichen Ursprungs, sondern vielmehr Resultat menschlichen Handelns, genauer versäumten menschlichen Tuns.

Dass die rechten verschiedener Façon und der Irrationalismus in dieser Gesellschaft solche Wurzeln schlagen können, eine rechte Terrorgruppe zur Vorbotin einer viel gefährlicheren rechten Bewegung werden kann, ist auch auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung, genauer ihrer Führung in der Krise, während der Pandemie und angesichts des Krieges zurückzuführen.

Nicht die Beschwörung der bürgerlichen Demokratie – und erst recht nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft – werden uns im Kampf gegen die rechte Gefahr helfen. Notwendig ist vielmehr, dass die Linke, die Gewerkschaften, alle Parteien der Arbeiter:innenbewegung mit dieser Politik der Unterordnung unter das Kapital brechen und gemeinsam den Kampf gegen Krise, Umweltzerstörung und Krieg aufnehmen, um so den Rechten ihren gesellschaftlichen Nährboden zu entziehen.

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