Gastbeitrag von Louise Wagner, Debt for Climate, Infomail 1206, 11. Dezember 2022
Die hiesige Klimabewegung ist geprägt von ihrer mehrheitlich mittelständischen Zusammensetzung, was darin resultiert, dass die Forderungen, die eine Bewegung mit einer derartigen Ausrichtung hervorbringt, der Ideologie der Mittelklasse entspricht: Forderungen nach individueller Konsummäßigung, Veränderungen der Lebensumstände, der Urlaubsplanung, des Ernährungsverhaltens etc. Forderungen, die in sich ihre Legitimität haben, jedoch zum einen zu kurz in ihrer Problemanalyse greifen und zum anderen die Entfremdung derjenigen Klassen zur Folge haben, für die Konsumverhalten keine Frage der Wahl, sondern der ökonomischen Notwendigkeit ist.
Es ist insbesondere diese Kluft zwischen der Arbeiter:innenklasse und der Klimagerechtigkeitsbewegung, die die Rechte für ihre eigenen Zwecke zu kapitalisieren weiß und dementsprechend nährt. Denn diese weiß genau, dass eine vereinte Bewegung in dem Augenblick nicht mehr aufzuhalten wäre, an dem die Arbeiter:innenklasse erkennt, dass sie der fehlende Funke in der Bewegung für eine soziale und wahrhaftig transformative Umwelt- und Klimagerechtigkeit ist. Sie kann dringend benötigte Veränderungen herbeiführen, indem sie sich auf ihre standhafte Tradition der Organisierung von Streiks besinnt und der Kapitalseite ihre „Mitwirkung“ entzieht. Und das wäre alles andere als im Interesse der menschenverachtenden Politik der Rechten.
Die globale Graswurzelbewegung Debt for Climate bietet diese Verbindung an, nicht durch ein künstliches Herbeiwünschen von vereinten Kräften, sondern indem sich Gewerkschaften, indigene Widerstands-, feministische und Klimagerechtigkeitsbewegungen unter einem gemeinsamen Nenner vereinen können, der Kämpfe für soziale Gerechtigkeit wie für den Zugang zu guter Bildung und Gesundheitsversorgung, gesunden Arbeitsbedingungen und einer gesunden Umwelt für alle Menschen zusammenbringt. Und das ist die Streichung der Schulden des globalen Südens.
Schulden, als mächtiges Instrument der Enteignung der Armen und des ungleichen Vermögenstransfers von unten nach oben, sind eine existenzielle treibende Kraft hinter dem Abbau des öffentlichen Sektors, aber sie sind vor allem die Peitsche von Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, um Länder des globalen Südens zu zwingen, fossile Brennstoffe zu fördern, damit sie die Zinsen für Kredite zurückzahlen können, die sie nach Jahrhunderten kolonialer Plünderung und systematischer Ausbeutung aufnehmen mussten oder die teilweise sogar illegal aus der ehemaligen Kolonie vom Kolonisator transferiert wurden. Die Entschuldung ist eine Bedingung dafür, einen systemischen Wandel, wirkliche Veränderung zu ermöglichen.
Arbeiter:innen im globalen Norden werden die am ehesten und stärksten Betroffenen sein, wenn Umweltkatastrophen auch hier heftiger und häufiger vorkommen werden. Und sie sind es, die sich eine sogenannte Anpassung nicht leisten werden können. Dass wird niemanden von „oben“ kümmern, denn sie sind die „Entbehrlichen des Nordens“, obwohl auf ihren Schultern die gesamte Weltwirtschaft lastet. Der Kampf für eine vielfältige und lebenswürdige Umwelt ist auch der der Arbeiter:innen, denn sie haben letztendlich die Fähigkeiten und das Wissen, sowohl technisch als auch organisatorisch, um eine gerechte Energiewende tatsächlich umsetzen zu können. Allerdings kann eine globale gerechte Energiewende de facto nicht passieren, solange Länder im Süden dazu gezwungen werden, weiterhin ein Entwicklungs- und Wirtschaftsmodell zu verfolgen, was auf der Ausbeutung von Arbeiter:innen und fossilen Rohstoffen aufbaut und durch die systematische Verschuldung dieser Länder aufrechterhalten wird.
Diese Forderung ist nicht nur eine, die die tatsächlichen systemischen Ursachen globaler sozialer und klimatischer Ungerechtigkeiten priorisiert statt des individuellen Verhaltens derjenigen, die es sich nicht anders leisten können. Sie nimmt nichts denjenigen weg, die eh schon nicht viel haben, sondern durchschneidet einen zukünftigen Profitstrom derjenigen, die von dem Wenigen anderer profitieren. Sie ist auch eine, die von einer Bewegung getragen wird, die Arbeiter:innen als Protagonist:innen und nicht als Antagonist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung anerkennt und ihre Organisationen weltweit miteinander verbindet, um die Macht einer internationalen Arbeiter:innenbewegung von unten aufzubauen, um der momentan sehr viel besser organisierten herrschenden Klasse vereint und entschlossen entgegentreten zu können. Es geht dabei nicht darum, lokale Bemühungen und Forderungen aufzugeben, sondern es geht darum, die Kämpfe, die in der Sache bereits sowieso miteinander verbunden sind, auch in ihrer Organisation miteinander zu verbinden.
Am 27. Februar 2023 wird es genau 70 Jahre her sein, dass die Schulden von Nazideutschland etwa zur Hälfte gestrichen wurden. Schuldenstreichung ist also absolut möglich, wenn sie den Interessen der Herrschenden entspricht, im Falle Deutschlands ein Instrument gegen die Verlockung des Kommunismus. Wenn die Schulden von Nazideutschland gestrichen werden konnten, um die US-Hegemonie aufrechtzuerhalten, dann können sie es für globale Gerechtigkeit allemal. Dafür müssen wir uns gemeinsam organisieren, um öffentlich das Mögliche zu fordern, auch wenn es als politisch unmöglich abgestritten wird. Organisiert euch mit uns!