Jaqueline Katherina Singh,Neue Internationale 287, November 2024
Vom 18. bis 20. Oktober fand in Halle der Bundesparteitag der Linkspartei statt. Vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr geht es für die Partei ums Überleben – und das prägte auch die Diskussionen. Schmerzlich darum bemüht, ein gutes mediales Bild zu präsentieren, an einem Strang zu ziehen und die Streitigkeiten der Vergangenheit hinter sich zu lassen, lächelte der Großteil der Delegierten in Kameras. Doch wird das ausreichen, den Untergang der LINKEN zu verhindern?
Damit der Neustart auch gut verkauft wird, gibt es mit Jan van Aken und Ines Schwerdtner (mal wieder) ein neues Frontduo, das passend zur Bundestagswahl den Karren aus dem Dreck ziehen soll. Doch wofür stehen die beiden eigentlich? Van Aken beschreibt sich selbst als erfahrenen Kampagnenmacher, ist ehemaliger UN-Biowaffeninspekteur und war bereits in der Vergangenheit stellvertretender Parteivorsitzender (2012 – 2013). Schwerdtner ist seit einem Jahr Parteimitglied und hat damit einen Aufstieg hingelegt, den nur die wenigsten schaffen. Gesichert wurde dies dadurch, dass sie ehemalige Jacobin-Chefredakteurin ist. Bekannt wurde sie darüber hinaus als Gesicht und führende Kraft von „Genug ist genug!“ – einer sinnvollen Kampagne, die aber wenig Dynamik entfalten konnte, weil man darauf gesetzt hatte, dass ver.di gegen die Preissteigerungen nach dem Beginn des Ukrainekrieges in den Tarifrunden wirklich mobilisieren würde.
So weit so gut. Aber mehr als Worthülsen wie „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“ und Motivationsreden, die Streitereien hinter sich zu lassen, gibt es bisher wenig. Beides sind Kandidat:innen, die durch den Flügel der Bewegungslinken unterstützt wurden. Insbesondere Schwerdtner steht für einen Kurs, der mehr Bezug auf Gewerkschaften nimmt sowie den Versuch einer klassenorientierten Politik verkörpert, zugleich aber die Konfrontation mit dem linken Flügel des Apparates scheut. Einigkeit und Klarheit haben somit augenscheinlich ihre Grenzen. Wer glaubte, dass der Parteitag genutzt wurde, um die tiefgehenden, richtungsweisenden Fragen anzugehen, die die Partei paralysieren, wurde enttäuscht. Das zeigen auch die Debatten.
Der Ukrainekrieg hat in die gesamte internationale Linke einen Spalt getrieben. Die Frage, wer sich wann, wie, wo bei einer imperialistischen Invasion verteidigen darf, ist umstritten. Während ein Teil auch der radikalen Linken den russischen Imperialismus verharmlost (ja auch dessen imperialistischen Charakter negiert), spielen andere herunter, dass die NATO versucht, die Ukraine für ihr Interesse zu nutzen. Die traditionelle pazifistische Position, gegen alle Waffenlieferungen zu sein, ist nicht nur deshalb insbesondere beim Ukrainekrieg schwierig, da sie um die Frage zum Verhältnis der Einbindung des Krieges in die globale Konkurrenz einer- und dem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine andererseits einfach einen Bogen schlägt.
Welche Rolle Sanktionen und Waffenlieferungen einnehmen, ist deswegen nach wie vor umstritten und kann durch die verabschiedeten Formelkompromisse verschieden interpretiert werden. So heißt es in einem der Anträge: „Als Friedenspartei vertritt DIE LINKE das Primat ziviler, nichtmilitärischer Lösungen. Verhandlungen, Deeskalation und zielgerichtete Sanktionen, die auf die ökonomische und politische Machtbasis und die militärischen Fähigkeiten eines Aggressors zielen, sind für uns die Mittel der Wahl, um die Waffen zum Schweigen zu bringen und das Töten zu beenden.“
Viele Floskeln, die letzten Endes ebenso viele Fragen aufwerfen und sehr praktisch zeigen, dass eine klassenbewusste, internationalistische Politik nicht mit Konzepten wie „rebellisches Regieren“ gelöst werden kann. Frieden in der Ukraine heißt klar, weder Putin noch die NATO zu unterstützen. Das bedeutet auf der einen Seite, sich klar gegen den imperialistischen Angriffskrieg Russlands zu stellen und das Recht auf Selbstverteidigung der ukrainischen Massen gegen die Besatzung und Okkupation ihres Landes – und zwar auch mit Waffen – anzuerkennen.
Zugleich bedeutet es hier wie in der Ukraine, die Arbeiter:innen und Bäuer:innen vor ihren Illusionen in die NATO und den Westen wie auch vorm reaktionären Charakter der Selenskyj-Regierung zu warnen. Das heißt, für die Ablehnung aller gegen Russland gerichteten Sanktionen und jeder Aufrüstung von NATO und Bundeswehr einzutreten. All das dient nicht zur „Verteidigung der Ukraine“, sondern zur Zuspitzung zum neuen Kalten Krieg des Westens gegen Russland und China. Es bedeutet, gegen die faktische ökonomische Unterordnung der Ukraine als Halbkolonie des Westens durch Verschuldung und Verscherbelung von Agrarflächen und Rohstoffen an die imperialistischen Monopole zu kämpfen.
In der Linkspartei stehen sich hingegen abstrakter Pazifismus auf der linken Seite und Anpassung an die NATO auf dem rechten Flügel gegenüber oder gehen z. B. in den Beschlüssen zu den Sanktionen eine unheilvolle Verbindung ein.
Abstrakte Appelle nach Verhandlungen und erst recht Sanktionen (wie „gezielt“ diese auch sein mögen), also an die imperialistischen Staaten, auf diese Weise als „Friedensstifter:innen“ hervorzutreten, sind konsequent abzulehnen. Es ist ihre Politik, die den Krieg erst hervorgebracht hat. Ihre Friedensverhandlungen werden für die Bevölkerung nichts Positives bringen, sondern vielmehr zu einer Aufteilung der Ukraine unter Vorherrschaft der jeweiligen imperialistischen Blöcke führen. Hier wird besonders deutlich, dass die Konzepte vom „rebellischen Regieren“ in ihrer Logik begrenzt sind und letzten Endes zur Mitverwaltung des Imperialismus führen. Es wundert daher nicht, dass Slogans wie „Krieg dem Krieg!“ kaum zu hören sind. Solch eine Position würde auch in anderen Fällen wie beispielsweise Palästina zu keiner eindeutigen Positionierung führen können.
Während auf der Berliner Landesversammlung die Debatte um den Krieg in Gaza eskalierte, bemühte man sich auf dem Bundesparteitag, (fast) alle an einen Tisch zu bringen und zu befrieden. Aber eben nur fast alle. Das Ergebnis: Ein Kompromissantrag, der die bestehende Position in Erinnerung ruft. Der einzige Erfolg: Hardliner:innen wie Sören Benn, Udo Wolf oder Henriette Quade, die sich nicht zu schade gewesen ist, in Halle den Protest von Handala offen zu blockieren (!) und eine Kundgebung anzumelden, wo auch eine IDF-Fahne offen gezeigt wurde, haben die Partei verlassen.
Auch Zionist:innen wie Breitenbach oder Lederer sind nach dem Parteitag ausgetreten. Gleichzeitig ist mit der Debatte auch der Status quo zementiert, der auf die aktuelle politische Situation keine Antwort gibt. Was ist das für eine Partei, die in der aktuellen Situation immer noch an der Zwei-Staaten-Lösung festhält? So traurig es ist, man ist fast dankbar, dass sich hier getraut wird, klar zu sagen, dass man gegen Waffenlieferungen ist.
Dass man sich jedoch mit Kritik schwertut und wirklich kritische Stimmen ignoriert, zeigt dabei der Umgang mit Handala Leipzig. Statt den Schritt zu wagen und Aktivist:innen der Bewegung die Möglichkeit zu geben, offen zu sprechen, wurde der Antrag (wenn auch knapp) abgelehnt, jenen eine Redezeit zu geben, die vor dem Linksparteitag eine Demo angemeldet hatten. Hingegen erhielt Sarah-Lee Heinrich, die ehemalige Vorsitzende der Grünen Jugend, eine 8-Minuten-Redezeit zu ihrem Austritt. Nicht dass es schlecht wäre, dass Heinrich, die zu den ausgetretenen Vorstandmitgliedern der Grünen Jugend zählt, reden durfte. Es zeigt nur sehr klar und deutlich, wo die Prioritäten liegen und dass DIE LINKE eben nicht stark genug ist, inhaltliche Kritik zu ertragen, und vermeiden will, Aktivist:innen der Palästinasolidarität eine Bühne zu geben.
Das wirft die Frage auf: Wie will DIE LINKE, wenn sie so viel Angst davor hat, was Parteirechte und die Presse sagen könnten, überhaupt erfolgreiche Kämpfe führen?
Gar nicht, lautet die Antwort. Zumindest, wenn man den Worten von Sebastian Walter glauben will. Der Spitzenkandidat der Brandenburger Linkspartei sprach laut NEUES DEUTSCHLAND vom 21. Oktober von einer Überheblichkeit der LINKEN, und dass sie in ihrer Lage anfangen müsse, „mehr Fragen zu stellen, als Antworten zu geben“. So wird aus dem Fehlen jedes Kampf- und Mobilisierungsplans für die eigenen Forderungen auch noch eine politische Leistung!
Der große Plan ist nämlich, dass bis zum Jahresende Mitglieder der Partei 100.000 Haustürgespräche führen. Also klingeln, sich vorstellen, nachfragen, was die Menschen bewegt. Die Wahlkampagne um Nam Duc Nguyen hat gezeigt, dass der Haustürwahlkampf ein wirksames Mittel sein kann, um Stimmen zu gewinnen.
Die Schwerpunktthemen, die hierbei angesprochen werden sollen, sind, dazu braucht man kein politisches Genie zu sein, schon irgendwie klar: bezahlbarer Wohnraum, Bekämpfung der Inflation, Friedenspolitik. Denn hinter dem Image der Kümmerin stehen die 1:1-Gepräche und das daraus resultierende Mapping aus dem Organizing-Handkoffer, mit dem versucht wird, die Partei wieder zu beleben. Dass man den Menschen zuhören will, hört sich aber auch bodenständiger an als „Strukturtest“, um die zerfaserte Aktivist:innenstruktur der Linken auf bundesweite Kampagnen zu trainieren.
Falsch mag das nicht sein, beschäftigen tut es die Verbliebenen sicherlich. Doch eine zentrale Frage, die sich die meisten bei der LINKEN stellen sollten, ist: Wie sollen die Forderungen durchgesetzt werden? Denn zuhören ist gut, aber für Veränderung sorgen noch besser. Wie genau das passieren soll, dazu bleibt DIE LINKE schweigsam. Und das ist das Problem. In Zeiten des Rechtsrucks ist es nicht nur schwerer, für linke oder gar revolutionäre Ideen einzutreten, es ist nochmal schwerer, sie auch wirklich durchzusetzen. Was hilft es, an 10.000 Berliner Türen zu klopfen, um herauszufinden, was man ohnedies weiß, nämlich dass hohe Mieten ein Problem sind; und vor allem: Was hilft es, wenn man dies letzten Endes mit zu verantworten hat, indem man die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen verraten hat, weil man hoffte, doch noch mitzuregieren? Wer soll so einer Linkspartei glauben, dass sie sich wirklich kümmert?
Trotzdem ist es mit der aktuellen Aufstellung nicht unmöglich, den Einzug in den Bundestag zu schaffen. Einfach jedoch auch nicht, unabhängig davon, ob mit der „Aktion Silberlocke“ Gysi, Bartsch und Ramelow versuchen, Direktkandidaturen zu gewinnen. Doch selbst wenn DIE LINKE ihren Einzug schafft, sollte klar sein, dass die Krise nicht vorbei ist.
Nach dem Bruch mit Wagenknecht, den Verlusten von Mandaten und Posten in Landesregierungen sowie Austritten seitens des rechten Parteiflügels sind die Regierungsozialist:innen zwar etwas geschwächt, die sog. Bewegungslinke wärmt die alte reformistische Strategie aber neu auf. Zugleich werkelt die Partei in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern weiter in den Landesregierungen – und alle hoffen, dass davon möglichst wenig bundesweit bekannt wird. Von einem Linksruck sollte daher niemand sprechen.
Es ist aber auch falsch, die innere Krise der Partei auf die Haltung zu den Regierungsbeteiligungen zu reduzieren. In Wirklichkeit gab es in dieser Frage in der Linkspartei (und bei der Mehrheit von PDS und WASG) immer eine klare Mehrheit für die Beteiligung an bürgerlichen „Reformregierungen“. Und das ist auch kein Wunder, sondern ergibt sich folgerichtig aus dem reformistischen Charakter und Programm der Partei. Wer den Kapitalismus nicht revolutionär stürzen will, muss entweder auf Dauer bloß Opposition, Gegenstück zu letztlich immerwährenden bürgerlichen Verhältnissen sein oder versuchen, diese „mitzugestalten“, zu regulieren oder gar in Richtung einer anderen Gesellschaft zu „transformieren“.
Die Differenz zwischen linken und rechtem Flügel besteht darin, dass ersterer unter den aktuellen Bedingungen wieder das klassenkämpferische Gesicht des Reformismus hervorzaubern will und von diesem eine „Wiederbelebung“ der Partei erhofft, also über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Wenn Ines Schwerdtner und Jan van Aken erklären, dass wir den Klassenkampf zu führen hätten, so meinen sie das durchaus ernst. Das Problem ist vielmehr, dass sie unter Klassenkampf alles ohne seine revolutionäre Zuspitzung verstehen. Ganz auf dieser Linie empfehlen Teile des linken Flügels, sich an den neuesten Erfolgsmodellen eines „radikalreformistischen Minderheitsprojekts“ à la KPÖ oder belgischer Arbeiter:innenpartei zu orientieren, damit es später mit dem „rebellischen Regieren“ besser klappt.
Revolutionär:innen müssen daher drei Dinge tun: Erstens die Linkspartei auffordern, für die sozialen und politischen Interessen der Lohnabhängigen, die sie zu vertreten vorgibt, auch zu mobilisieren. Wenn DIE LINKE schon vom Klassenkampf spricht, so soll sie ihn auch führen. Zweitens die inneren Widersprüche der gesamten reformistischen Strategie offenlegen und den Reformismus in allen Spielarten einer grundlegenden Kritik unterziehen. Drittens vor allem die Linken in der Linkspartei zu einer systematischen Diskussion um die Frage auffordern: Welche Partei, welche Strategie, welche Programmatik brauchen wir wirklich? Einen weitere neoreformistische Organisation oder eine revolutionäre Kampfpartei der Arbeiter:innenklasse?