Arbeiter:innenmacht

Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen: Rechtsruck geht weiter

Valentin Lambert/Susanne Kühn, Infomail 1263, 1. September 2024

Schon nach den ersten Prognosen lässt sich ein erstes Fazit aus den Wahlen in Sachsen und Thüringen ziehen. Verwunderlich sind die Ergebnisse nicht. In Thüringen fällt das Ergebnis nach ersten Hochrechnungen (dimap, 19.59) folgendermaßen aus: AfD: 32,4 % (+9,0), CDU 23,8 % (+2,1), BSW 15,6 % (+15,6), DIE LINKE 12,9 % (-18,1), SPD 6,2 % (-2,0), Grüne 3,5 % (-1,7), FDP 1,2 % (-3,8). Für Sachsen stellt sich die Prognose wie folgt dar: CDU: 31,8 % (-0,3 %), AfD: 30,7 % (+3,2 %), BSW 12 % (+12), SPD 7,6 % (-0,1), Grüne 5,2 % (-3,4), DIE LINKE 4,1 % (-6,3), die FPD liegt bei 1,1%.

Drei Wahlsieger:innen

In beiden Ländern gibt es drei Wahlsieger:innen. Erstens natürlich die AfD, die in Thüringen zur stärksten Partei wurde und in Sachsen den zweiten Platz belegt. In beiden Ländern konnte sie vor allem bisherige Nichtwähler:innen mobilisieren. Rassismus und Rechtspopulismus schrecken offenkundig niemanden ab, im Gegenteil: Sie sind längst salonfähig in beiden Bundesländern.

Zweitens konnte sich die CDU in beiden Ländern behaupten, in Thüringen sogar leicht hinzugewinnen. Voraussichtlich kann sie in beiden zukünftig die Landesregierung anführen und weiter Fahrtwind für die Bundestagswahlen aufnehmen. Einziger Wehrmutstropfen: Sie wird zumindest in Thüringen nicht um eine Beteiligung des BSW herumkommen, in Sachsen könnte es eventuell zu einer Fortführung der CDU-SPD-Grünen-Koalition reichen.

Drittens das BSW, das in beiden Ländern gute Chancen hat, als Koalitionspartner der Konservativen in die Regierung einzutreten. An der politischen Bereitschaft von Wagenknecht und Co. fehlt es nicht, wie erste Interviews am Wahlabend zeigen.

Die Verliererinnen

Ebenso klar sind die Verliererinnen auszumachen. Die SPD blieb wie schon 2019 in beiden Ländern unter der 10-Prozent-Marke. Die Grünen schafften in Sachsen gerade so den Einzug in den Landtag, in Thüringen werden sie im zukünftigen Landesparlament nicht mehr vertreten sein. Das wohl einzig erfreuliche Ergebnis aus linker Sicht war bei diesen Wahlen das vernichtende Abschneiden der FDP, die gerade noch mehr als ein Prozent erreichte.

Doch auch DIE LINKE erlitt das erwartete Desaster. In beiden Ländern verlor sie in absoluten Zahlen mehr als die Hälfte ihrer Wähler:innen und rund zwei Drittel ihres Wähler:innenanteils.

Was bedeutet das Ergebnis?

Über die beiden Bundesländer hinaus kommt dem Ergebnis auch eine große bundespolitische Bedeutung zu.

1. Rechtsruck und Referendum für Rassismus

Die Ergebnisse verfestigen nicht nur den bundesweiten Rechtsruck der letzten Jahre. Nach den Morden von Solingen durchzog eine regelrechte rassistische Hysterie und Hetze das Land, das sich in weiteren Einschränkungen des Asylrechte, Verschärfungen von Grenzkontrollen und Erleichterungen von Abschiebungen manifestiert. Das Ergebnis von Thüringen und Sachsen stellt auch eine Art rassistisches Plebiszit dar, bei dem ausschließlich Parteien, die die Ampelkoalition bei den Themen Migration und Flucht von rechts angreifen, gewinnen konnten. Die Verluste der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP, die in den letzten Jahren immer wieder die rassistischen Forderungen der Rechten aufgegriffen haben, verdeutlichen dabei, dass diese Anpassung an AfD und CDU (und neuerdings auch BSW) nichts bringt. Rassistische Wähler:innen wählen dann allemal lieber das rechte oder konservative Original als die grün-liberal-sozialdemokratische Kopie.

2. Abstrafen der Bundesregierung

Doch die Verluste der Regierungsparteien haben noch einen weiteren Grund: die Regierungspolitik selbst. Schon im Wahlkampf wichen die landespolitischen Inhalte immer mehr den Debatten um die bundespolitischen Versäumnisse der Ampelregierung. Dabei profitiert von der Dauerkrise, den weltweiten Konfliktherden und den sozialen Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse vor allem die AfD, die sich gerade im Osten als pseudoradikale, völkische und extrem chauvinistische Pseudoopposition inszeniert.

3. Die Lage in den ostdeutschen Ländern

Die Verluste für die Regierungsparteien kommen dabei sicher nicht unverdient. Auch in den Landesregierungen haben sie den miserablen Status quo verteidigt und sind beim Verfall ganzer Regionen untätig geblieben. Regieren tun sie als „Verwalterinnen“ des weitgehend deindustrialisierten Ostens, dessen Bevölkerung weiter abwandert. Bis heute gibt es hier längere Arbeitszeiten bei geringeren Gehältern und Renten als im Westen. Gerade die ländlichen Regionen leiden nicht nur unter Abwanderung, sondern sind auch in der Entwicklung der Infrastruktur abgehängt. Die selektiven Ansiedlungen von industrieller Produktion und Logistik stellen eher kommerzielle Inseln in einer benachteiligen Region dar und keine „blühenden Landschaften“.

Gerade in den ostdeutschen Parlamenten wird die weitere „Zersplitterung“ des aktuellen Parteiensystems besonders deutlich. Die SPD, aber auch die DIE LINKE büßen ihre Massenbasis ein oder haben das längst getan. Auch die CDU ist von diesem Prozess erfasst, auch wenn sie sich bei den Wahlen vordergründig als „Volkspartei“ behaupten konnte.

Es ist kein Zufall, dass dieser Prozess gerade im Osten stärker ausgeprägt ist, weil es dort eine schwächere Kapitalist:innenklasse gibt und die kleinbürgerlichen und Mittelschichten ein weniger stabiles Milieu darstellen, das weniger Vertrauen in „ihren“ Staat und „ihre“ Parteien entwickeln konnte als im Westen. Daher verfängt der Rechtspopulismus der AfD hier umso mehr. Er nährt sich zusätzlich aus der Enttäuschung und Frustration von politisch rückständigeren Arbeiter:innenschichten über die Politik von SPD und Linkspartei, für die die Grünen weniger als Alternative erscheinen als im Westen.

Die instabilere Wähler:innenbasis der „etablierten“ Parteien kommt in der aktuellen Lage nicht nur der AfD, sondern auch dem „linkskonservativen“ BSW zugute. Die AfD hat dabei zweifellos eine stabile soziale Basis gefestigt. Beim BSW wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob seine Erfolge von Dauer sind oder sich angesichts einer wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der CDU als politisches Strohfeuer entpuppen.

DIE LINKE – ein Debakel

Die Linkspartei zieht mit massiven Verlusten in den Erfurter Landtag ein. In Sachsen bleibt sie deutlich unter der 5 %-Hürde, auch wenn sie wahrscheinlich durch zwei Direktmandate in Leipzig dennoch in den Landtag einziehen kann.

Dieses Wahldebakel der LINKEN offenbart auch die Schwäche der linken Kräfte insgesamt mehr als deutlich. Auf viele Fragen wie Klimawandel, Aufrüstung, Sozialabbau, Pflegenotstand, Bildungsmisere und Perspektivlosigkeit findet sie keine überzeugende Antwort und stellt für die Massen keine radikale Alternative oder gar Opposition zum Kapital dar, auch wenn ihre Wähler:innenschaft sowohl in Sachsen wie Thüringen die politisch bewusstesten Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend darstellt, die sich subjektiv ernsthaft dem Rechtruck entgegenstellen will.

Kampf gegen rechts heißt Klassenkampf

Egal wie die Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen ausgehen wird, so werden wir in beiden Ländern in den nächsten Jahren mit einem weiteren Rechtsruck inklusive offenem Rassismus auf den Straßen und Angriffen auf Migrant:innen, aber auch Antirassist:innen und Antifaschist:innen ausgesetzt sein.

Wer dagegen wirklich etwas bewegen will, muss bereit sein, für ernsthafte Veränderungen zu kämpfen – auch gegen Regierung und Kapital. Wer von der Brandmauer spricht, darf also zur Ursache des Rechtsrucks nicht schweigen und muss einen klaren Klassenstandpunkt vertreten.

Um das aktuelle Kräfteverhältnis tatsächlich zu ändern, müssten aktive Mitglieder dieser Organisationen aufgerufen und unterstützt werden, Versammlungen und Infoveranstaltungen zur Mobilisierung in ihren Betrieben, an Schulen und Universitäten zu organisieren und aktiv die Debatte um Rassismus und die ökonomische Krise, die diesen befeuert, zu führen. Demos – wie die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag – können dabei als Aufhängerinnen genutzt werden. Ziel muss es aber sein, in derem Zuge Aktionskomitees aufzubauen.

Um sich positiv abzugrenzen, bedarf es klarer Forderungen. Auch wenn es die ökonomische Krise ist, die den Rechten Aufwind verleiht, so sollte man nicht glauben, dass es ausreicht, sich auf Verbesserungen auf dieser Ebene zu beschränken. Mögliche Forderungen können sein:

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!
  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!
  • Mindestlohn von 15 Euro/Stunde, Mindestrente und Arbeitslosengeld von 1.600 Euro/Monat für alle!
  • Hunderte Milliarden für Bildung, Umwelt, Renten und Gesundheit statt Aufrüstung – finanziert durch die Besteuerung der Reichen!

Darüber hinaus ist es Aufgabe von Revolutionär:innen, dafür zu kämpfen, dass die Forderung nach demokratisch organisiertem Selbstschutz gegen rassistische Angriffe auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die mittlerweile regelmäßigen Anschläge auf Politiker:innen bei Wahlkämpfen zeigen, dass das keine tollkühne Fantasie ist, sondern bittere Notwendigkeit, wenn man – insbesondere auf dem Land und im Osten der Republik – linke Politik auch tatsächlich auf die Straße tragen will.

Perspektive

Diese Forderungen müssen nicht nur aufgestellt werden, man muss auch für diese aktiv kämpfen. Doch derzeit sind die Gewerkschaften eher Teil des Problems. Ihre Führungen sind personell eng mit SPD und Linkspartei verwoben und decken zum Selbsterhalt ihres bürokratischen Apparats wie eh und je deren Politik. Damit muss Schluss sein! Wenn wir den Kampf gegen rechts gewinnen wollen, müssen wir dafür eintreten, dass diese sich nicht länger an der sozialpartnerschaftlichen Verwaltung der Krise mitbeteiligen! Sie müssen stattdessen für echte Verbesserungen kämpfen, gegen Sparpolitik und Sozialabbau und diesen Kampf aktiv mit jenem gegen Rassismus verbinden.

Das bedeutet auch, dafür einzustehen, dass Geflüchtete in die Gewerkschaften integriert werden, und sich offen gegen alle Abschiebungen und Abkommen, die die Festung Europa aufrechterhalten, auszusprechen oder nicht davor zurückzuscheuen, Enteignung unter Kontrolle der Beschäftigten als Perspektive auf die Tagesordnung zu setzen, wenn einem/r entgegnet wird, dass leider kein Geld da ist für Sozialausgaben. Doch sowas fällt nicht einfach so vom Himmel, es muss praktisch erkämpft werden. Wir treten daher für den Aufbau einer klassenkämpferischen, revolutionären Organisation ein.

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