Arbeiter:innenmacht

Urabstimmung Berliner Kitas: Alle für den Streik!

Martin Suchanek, Neue Internationale 285, September 2024

Für den September 2024 haben GEW und ver.di Berlin die Gewerkschaftsmitglieder in den städtischen Berliner Kitas zur Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik aufgerufen. Die Beschäftigten fordern einen Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung, der mehr Freizeit oder Geld bei hoher Belastung sicherstellen soll.

Von den Forderungen der rund 7.000 pädagogischen Beschäftigten bei den Berliner Eigenbetrieben will der Senat – einmal mehr – nichts wissen und weigert sich, über die Forderungen überhaupt zu verhandeln, eine Vorgehensweise die auch die Berliner Lehrer:innen seit Jahren kennen.

Die Kita-Beschäftigten reagierten auf die Politik des schwarz-roten Senats mit 14 Warnstreiks, an denen sich regelmäßig rund 3.000 Erzieher:innen beteiligten. Das änderte jedoch nichts an der Haltung des Senats. CDU-Finanzsenator Stefan Evers ging sogar so weit, die Aktionen als „Sinnlosstreiks“ zu diffamieren und verwies im Übrigen darauf, dass nur die Tarifgemeinschaft der Länder über Tarifverträge verhandeln dürfe. Mehr Personal einstellen dürfte der Senat zwar dennoch, aber davon wollen SPD und CDU nichts wissen. Lieber wird das Geld für Prestigeprojekte, Polizeiaufrüstung und Unternehmensförderung verballert.

Nun gehen die Gewerkschafter:innen von ver.di und GEW den nächsten Schritt – zur Urabstimmung. Denn: Streik ist die einzige Sprache, die der Berlin „Sinnlos-Senat“ versteht.

Lage der Beschäftigten und Kitas

Wie wichtig Neueinstellungen und Entlastung im Berliner Kita-Bereich sind, dokumentieren die Reden und Berichte der Beschäftigten bei den Warnstreiks seit Monaten. Eine umfangreiche Pressemappe, die ver.di erstellt hat, belegt die Misere mit Zahlen. Insgesamt gab es 2023 in Berlin 2.787 Kindertageseinrichtungen, die 49.327 Kinder unter drei und 103.452 Kinder über drei Jahren betreuten. Rund 20 Prozent werden von den fünf Berlin Kita-Eigenbetrieben in 282 Einrichtungen betreut.

Diese beschäftigen 7.000 von insgesamt 35.692 pädagogischen Fachkräften, also auch rund 20 %. Immer weniger arbeiten dabei in Vollzeit – 2019 42 %, 2022 nur noch 38 %. Ver.di führt dazu weiter aus: „Die Berliner Eigenbetriebe fallen bei der Teilzeitquote weit auseinander. Sie rangieren zwischen 44,78 und 57,7 %. Im Jahr 2023 reduzierten in drei Kita-Eigenbetrieben zusammen 1.559 Kolleg*innen ihre Nettostundenzahl. Ein deutliches Signal für die Belastung.“

Und diese wird unter den gewärtigen Bedingungen weiter anwachsen, denn es herrscht Knappheit an Mitteln, Fachkräftemangel und Ausbildungsnotstand. Der Personalschlüssel liegt in Berlin in fast allen Bereichen schlechter als im Bundesdurchschnitt. So fasst der Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2023 für Berlin zusammen: „Fast alle Kita-Kinder unter und ab drei Jahren (92 % bzw. 69 %) werden in Berlin in Gruppen mit nicht kindgerechten Personalschlüsseln betreut, mehr als im Bundesdurchschnitt mit 70 % bzw. 66 %.“ Besonders dramatisch ist dabei in Berlin wie im Bund die Lage im Bereich Integration, was sich in fehlendem Personal, aber auch in der Nichtanerkennung von Kinder mit Behinderungen und Förderbedarf ausdrückt. Nicht minder prekär verhält es sich bei geflüchteten Kindern und deren fehlender oder unzureichender Betreuung. Diese stammen oft aus Kriegsgebieten wie Afghanistan, Syrien oder der Ukraine. Sie und ihre Familien sind massiv traumatisiert. Es bedürfte also zusätzlichen, geschulten Personals wie auch der Unterstützung der Eltern.

Senat setzt auf Spaltung

Doch auch davon will der Berliner Senat nichts wissen. Statt die Kitas mit auszufinanzieren, stellen CDU und SPD-Rechte wieder einmal die Abschaffung der Beitragsfreiheit in Frage. Dabei war letzte noch auf Druck der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, doch die neue SPD-Spitze um Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini will nun das „Ende der Umsonst-Stadt“, also die „besserverdienenden Eltern“ zur Kasse bitten.

Dabei geht es nicht um die wirklich Reichen und Superreichen, sondern um die Masse der durchschnittlich verdienenden Lohnabhängigen, die für die Spar- und Plünderpolitik des Senats und die Schuldenbremse die Kassen aufbessern sollen. Davon hat natürlich noch kein einziges Kind, dessen Eltern Anspruch auf Integrationsleistungen hätten, etwas. Der Senat erspart sich aber die Finanzierung der Kitas und andere sozialer Einrichtungen, deren marode Lage durchaus behebbar wäre, würden die Profite und Vermögen der Reichen, Unternehmen und Kapitalbesitzer:innen massiv besteuert werden.

Der Senat setzt nicht nur bei der Beitragsfreiheit auf die Spaltung der Lohnabhängigen. Er stellt den Streik auch gern als Anschlag auf die Eltern dar, den „verantwortungslose“ Streikende verüben würden, betreibt also die Spaltung von Beschäftigten und lohnabhängigen Eltern. Wie schon bei der Finanzierung setzt er darauf, Beschäftigte in öffentlichen und privaten Trägern gegeneinander auszuspielen – auch, wenn deren Arbeitsbedingungen in der Regel ähnlich beschissen sind.

Beschäftigte brauchen Einheit und Unterstützung!

Demgegenüber müssen alle Lohnabhängigen auf die möglichst große Beteiligung am Streik und seine Unterstützung setzen. Alle Kita-Beschäftigten, die noch nicht bei ver.di oder GEW organisiert sind, sollten jetzt einer der beiden Gewerkschaften beitreten. Wenn die Urabstimmung mit einem klaren Ja endet, geht es ums Ganze: um einen unbefristeten Erzwingungsstreik! Dann brauchen die Streikenden die uneingeschränkte Unterstützung aller Lohnabhängigen!

Die Beschäftigten in den privaten Trägern dürfen sich nicht als Streikbrecher:innen missbrauchen lassen, sondern müssen selbst Solidaritätsaktionen durchführen. Die Eltern dürfen sich nicht als Druckmittel des Senats missbrauchen lassen, sondern sollten Unterstützungskomitees in enger Verbindung mit ihrer Kita aufbauen. Darüber hinaus braucht es auch eine öffentliche Kampagne von GEW, ver.di, Elternvereinigungen sowie allen DGB-Gewerkschaften, den zu erwartenden Lügen und Diffamierungen des Senats und der bürgerlichen Medien entgegenzutreten.

Damit der Streik erfolgreich und für viele andere Kita-Beschäftigten eine Inspiration werden kann, muss er auch auf eine breite Basis gestellt werden. Es reicht nicht, wenn er nur von Hauptamtlichen und Funktionär:innen organisiert wird. Es braucht regelmäßige Versammlungen in den 282 städtischen Einrichtungen, die Wahl- und Abwählbarkeit der Streikleitungen und deren Zentralisierung zu einer Gesamtberliner, gewerkschaftsübergreifenden Streik- und Verhandlungsführung, die der Basis direkt verantwortlich ist. So kann sichergestellt werden, dass die Streikenden nicht nur ihre Führung kontrollieren, sondern auch nur sie über etwaige Verhandlungen entscheiden. Der Kampf muss mit aller nötigen Konsequenz und Entschlossenheit geführt werden.

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