Mattis Molde, Neue Internationale 288, Dezember 2024 / Januar 2025
Werksschließungen, Entlassungen – die Ankündigung des VW-Managements war ein Schock für die Belegschaft, viel mehr als eine bloße Ankündigung. Es ist eine Kampfansage an alle Belegschaften, Betriebsräte und die IG Metall selbst. Seitdem reißen die Entlassungsdrohungen nicht ab, wie die von Ford, wo mit 2.900 rund ein Viertel der Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen soll.
Vonseiten des Konzerns sind die Ansagen unmissverständlich: 2 – 3 Werke stilllegen und über 10.000 Beschäftigte abbauen, die Anworten aus der Belegschaft unterschiedlich.
Im September hatte es große Betriebsversammlungen an den verschiedenen Fabrikstandorten gegeben, die Vertrauensleute riefen zu einer Kundgebung nach Hannover auf. Danach begann die Tarifrunde der IG Metall. Die meisten westdeutschen VW-Belegschaften unterliegen einem Haustarifvertrag für 125.000 Beschäftigte. Die ostdeutschen Belegschaften und Osnabrück gehören zu den jeweiligen regionalen Tarifbezirken; die IG Metall fordert, sie in die konzernweite Regelung aufzunehmen. Bei den bundesweiten Aktionen in der Tarifrunde war VW Thema, aber nicht mit dem Ziel einer bundesweiten Kampagne gegen die Angriffe auf die Arbeitsplätze.
Bei den Verhandlungen um den VW-Haustarifvertrag geht es um alle Themen, nicht nur Entgelt. Zur dritten Verhandlungsrunde am 19.11. hatten IG Metall und Gesamtbetriebsrat ein Paket vorgelegt, das im Kern vorsieht, die Tariferhöhung aus den anderen Bezirken zu übernehmen, aber nicht auszuzahlen. Das Geld soll in einen Fonds fließen, zusammen mit den Jahresboni der Beschäftigten wie auch des Managements. Daraus soll ein sozialverträglicher Abbau, aber auch Arbeitsausfall bezahlt werden. Die IG Metall beziffert das Einsparvolumen auf 1,5 Milliarden. Kein Werk darf geschlossen werden, Personal soll weiterhin „sozial“ abgebaut werden, d. h. mit hohen Abfindungen und Altersteilzeit.
Der Vorstand für die Marke VW, Schäfer, lehnt das Paket als unzureichend ab. Er fordert 4 Milliarden und verweist darauf, dass in den laufenden Sparprogrammen, u. a. bei Material und Logistik, schon 7,5 Mrd. eingespart worden seien. Diese Summe sei für Investitionen nötig. Er vergisst: Nötig ist sie v. a. für das angestrebte Renditeziel. Der Automarkt in Europa sei heute um 2 Mio. Kfz/Jahr kleiner als vor Corona. Das bedeute 500.000 Fahrzeuge weniger für VW.
Zur 3. Verhandlung am 21.11. kamen 5.000 – 6.000 Beschäftigte, vor allem Vertrauensleute, aus mehreren Standorten zur Konzernzentrale nach Wolfsburg. Das war wohl der kämpferische Kern. Die Betriebsratsvorsitzende Cavallo und der IG-Metallchef von Niedersachsen, Gröger, stellten diese Aktion, wie auch mögliche Streiks, unter das Ziel, das vorgeschlagene Verzichtspaket durchzusetzen. Gröger drohte: „Wenn nötig, dann wird es ein Arbeitskampf werden, den die Bundesrepublik so seit Jahrzehnten nicht erlebt hat.“
Natürlich könnten die rund 140.000 Beschäftigten bei VW richtig was losmachen. Ebenso könnte dieser Arbeitskampf noch stärker ausfallen, wenn die IG-Metall-Spitze nicht bewusst den schnellen Abschluss beim Flächentarif gesucht hätte, die tausenden Beschäftigten bei der VW-eigenen Leihfirma, die in der Werks- und Produktionslogistik und der Zulieferer mit in den Kampf gezogen würden. Bei letzteren Gruppen will Schäfer ja 7,5 Milliarden einsparen, was ebenfalls zehntausende Arbeitsplätze kosten dürfte und für viele schlechter bezahlte Beschäftigten noch weitere Lohndrückerei bedeutet.
Aber die IG-Metall-Spitze hat nicht nur den Tarifkampf in der Fläche beendet und damit die Möglichkeit, auch dort Streiks durchzuführen und das Thema Arbeitsplätze und Lohnsteigerung offensiv aufzunehmen. Sie hat auch bei VW Ausgliederungen in niedrigere Lohnbereiche unterstützt. Das Wohl der großen drei deutschen Autokonzerne war der Gewerkschaftsführung immer das Wichtigste. Das sichert auch der Bürokratie Aufsichtsratsposten und ein stabiles Machtgefüge innerhalb der Gewerkschaft.
In einer globalen Industrie bedeutet Sozialpartner:innenschaft auch, die Interessen des Weltkonzerns gegen die Konkurrenz der anderen Monopole zu vertreten. Dafür macht man so ziemlich alles mit: die Umstrukturierung der heimischen Produktion auf fette SUVs oder andere als Transportmittel ineffiziente Luxusvehikel; Abgasbetrug; bei Konflikten des Konzerns mit ausländischen Belegschaften keine oder nur begrenzte Solidarität; Abbruch der Unterstützung der amerikanischen Automobilgewerkschaft UAW, die dortigen VW-Belegschaften zu organisieren.
Dies schließt auch die enge Kollaboration mit der Regierung ein: In Brüssel als IG Metall gemeinsam mit Regierung und Verband der Autoindustrie für die optimale Regelung für deutsche Hersteller auf Kosten der Umwelt kämpfen (Abgasskandal), die Aufrüstungspolitik der Regierung öffentlich mittragen und stillschweigend die damit einhergehenden sozialen Kürzungen. Und wenn die Metallgewerkschaften weltweit gegen den Völkermord in Gaza protestieren, dann unterstützt die IG Metall in Deutschland diesen doch nach Kräften.
Dass der Generalangriff des VW-Managements nicht nur den Arbeitsplätzen und den Löhnen gilt, sondern auch die Partner:innenschaft mit der reformistischen Bürokratie in Betriebsräten und Gewerkschaft in Frage stellt, ist dieser klar. Auch linke Kritiker:innen sehen diese Krise. Aber die hat zwei tiefere Ursachen, die gerne übersehen werden:
Die Krise der IG Metall beschleunigte sich Anfang des Jahrhunderts durch die Zustimmung zur Agenda 2010. Nach ersten halbherzigen Protesten – es ging ja gegen einen sozialdemokratischen Kanzler – und einem eintägigen illegalen Generalstreik in der Industriestadt Schweinfurt, der zeigte, was möglich gewesen wäre, entschied die IG Metall auf Druck des Treffens der Gesamtbetriebsratsfürst:innen der Autokonzerne, allen Widerstand einzustellen. Die Angriffe auf die Arbeitslosen zwangen diese, jede Arbeit anzunehmen. Ein riesiger Niedriglohnsektor entstand, die Stammbelegschaften wurden mit der Drohung, in diesen zu fallen, zu immer weiteren Zugeständnissen gezwungen.
Standortsicherungsverträge mit bedingtem Schutz vor Entlassung und Zugeständnissen bei Ausgliederungen und Verlagerungen wurden Mode. Jede Belegschaft kämpfte für sich und gegen die andere, gerade auch innerhalb des gleichen Konzerns. Solidarität hieß nicht mehr gemeinsam kämpfen, sondern gemeinsam verzichten, oder wurde für den Kampf jede/r gegen jede/n aufgegeben. Internationale Solidarität, schon immer schwach, kam fast völlig zum Erliegen. Innerhalb der Betriebe wurde die jeweilige Belegschaft in Stammpersonal mit alten und solche mit neuen, niedrigeren Verträgen gespalten. Es gibt Leiharbeiter:innen bei eigenen Leih- oder Fremdfirmen, Werksverträge, also Firmen, die Teile des Betriebs, einschließlich der Produktion in eigener Regie übernehmen. Wer bei einem Autohersteller in der Produktion die Arbeit aufnimmt, tut dies bei einer anderen Firma. Der Weg in die Stammbelegschaft führt – wenn überhaupt – nicht über gewerkschaftlichen Kampf, sondern Kriecherei.
Der Knall bei VW, dem größten deutschen Konzern, ist aber nicht zuletzt auch ein Symbol für die Krise der deutschen Industrie. Wenige Länder stützen ihren Einfluss in der Welt derart stark auf ihre industriellen Monopole wie die BRD. Die weltweite wirtschaftliche Krise des Kapitalismus führt zu verschärften Kämpfen um Märkte. Die Autoindustrie ist eine der zentralen Industrien, mit globaler Arbeitsteilung, mit Monopolen, die sich auf wenige imperialistische Länder konzentrieren. Deutschland stellt nicht nur den umsatzstärksten Autokonzern, sondern auch drei Konzerne unter den Top 10 – mehr als jede andere Nation. Die politische und militärische Neuordnung der Welt wird auch das in Frage stellen.
Die verschärften Konflikte zwischen den imperialistischen Blöcken USA, China, Russland und der EU sind aber nicht nur ein Problem für eine derart globalisierte Industrie, sie machen es auch höchst unwahrscheinlich, dass Europa und Deutschland einen überproportionalen Teil der internationalen Automonopole stellen können. Wenn die weltweite Krise dann noch für eine Stagnation der Autoproduktion sorgt – und im Falle Europas sogar für einen schrumpfenden Markt – dann wird klar, dass der Plan von Gröger, den Abbau abzufedern, nur Flickwerk sein kann.
Somit sind nicht die Fehler eines einzelnen Managements ursächlich, wenn die gesamte Industrie in der Krise ist. Der deutsche Imperialismus wollte vor 20 Jahren, wie explizit in der Agenda von Lissabon festgehalten, gemeinsam mit der EU, die USA herausfordern. Der Aufschwung der deutschen Industrie ging vor allem aus Kosten der europäischen Partner:innen, konnte aber den Aufstieg der chinesischen nicht verhindern.
Das VW-Konzept „in China for China“ hat es in den letzten Jahren erlaubt, auch viele Autos zusätzlich nach China zu exportieren. Es war die starke Stellung Deutschlands, die gestattet hat, einerseits eine starke Autoindustrie in Deutschland zu halten und zugleich zum größten Global Player zu werden – mit Daimler, BMW und VW an der Spitze. Die Schwäche Deutschlands zwingt VW zu einem Entweder – Oder. Klar ist jedoch, dass die Beschäftigten den Preis zahlen.
Das Zerstörungstreiben der Konzernspitze muss unbedingt gestoppt, die Arbeitsplätze müssen verteidigt werden. Aber das geht nicht durch die Verzichtspolitik der IG Metall. Sie hat bisher eine schleichende Anpassung nach unten mitgemacht und bietet jetzt eine etwas beschleunigte. Auch fette Staatshilfen, wie sie die IG-Metall-Vorsitzende Benner nach dem Autogipfel forderte oder wie in der gemeinsamen Erklärung mit Gesamtmetall aufgeführt, würden das grundlegende Problem der deutschen Autoindustrie (und des deutschen Imperialismus) nicht lösen.
Auch wenn jetzt IG-Metall-Bezirksleiter Gröger zum Kampf bläst, solange die Bürokratie monolithisch an ihrem Kurs an der Seite von Kapital und Regierung festhält, diese Aktionen nur „verhandlungsbegleitend“ sind, wird sich keine Perspektive zur erneuten Unterwerfung und Schwächung der IG Metall auftun.
Aber am Ende können Arbeitsplätze nur verteidigt werden, wenn die Fabriken besetzt werden, die von Schließung bedroht sind. Die Werke müssen unter Arbeiter:innenkontrolle die Produktion umstellen auf umwelt- und klimagerechte Produkte und entsprechende Verfahren. Das muss aus staatlichen Mitteln bezahlt werden und dafür sind die Milliarden gerechtfertigt, die seit Jahren den Konzernen in den Rachen geworfen werden.
Die Warnstreiks vom 2. Dezember zeigen, welches Potential die Beschäftigten bei VW haben. Daher muss der nächste Schritt auch heißen: Schluss mit Verhandlungen, wo es nur darum geht, wie groß die Zugeständnisse sein sollen, die die Beschäftigten bei VW machen! Kämpferische Gewerkschafter:innen müssen auf Vollversammlungen dafür eintreten, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und so rasch wie möglich die Urabstimmung einzuleiten, um den Kampf mit Streiks und Besetzungen zu führen.
In der IG Metall brauchen wir einen gemeinsamen Kampf für alle Arbeitsplätze bei VW und in gesamten Metallindustrie. Gegen die Vorgabe der Bürokratie, jeden Betrieb für sich abzuhandeln und abzuwickeln, mit Verzicht beim Lohn und Verlust bei den Arbeitsplätzen, müssen wir für den gemeinsamen Kampf dagegen eintreten, dass wieder die Arbeitenden die Lasten der Krise aufgehalst bekommen. Für regionale Kampfkonferenzen zur Vereinbarung gemeinsamer Aktionen, Aktionskomitees, -ausschüsse aus Delegierten aus den Betrieben, nur ihrer Belegschaft verantwortlich und jederzeit abwählbar.
Schluss mit dem Vertrauen in die Gewerkschaftsführung, die mitverantwortlich ist für das Desaster! Die Basis braucht die Kontrolle über Kampfziele und -schritte! Alle kämpferischen Gewerkschafter:innen müssen sich jetzt koordinieren, um diese Perspektive in den verschiedenen Standorten und gegenüber dem Apparat durchzusetzen.
Südamerika - Politik, Gesellschaft und Natur
Ein politisches Reisetagebuch
Südamerika: Politik, Gesellschaft und Natur
Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen