Arbeiter:innenmacht

Studis gegen Rechts: Potenziale nicht verschenken!

Leonie Schmidt, Neue Internationale 288, Dezember 2024

Im Zuge der Massenproteste gegen die AfD Anfang des Jahres hat sich in Deutschland die Initiative „Studis gegen Rechts“ gegründet. So konnten sie massenhaft zum AfD-Parteitag nach Essen mobilisieren und nun zu Beginn des Wintersemesters 2024/25 wurden an verschiedenen Universitäten Auftakttreffen und Vollversammlungen organisiert – mit beachtlichen Erfolgen. In Leipzig nahmen 1.500 Studierende an einer Vollversammlung teil, in Berlin an der HU kamen 500 Interessierte zusammen. Viele der Teilnehmenden waren vorher nicht politisch aktiv, sondern wollen sich aufgrund der zunehmenden Manifestierung des Rechtsrucks einbringen. Dabei spielt auch die Sorge vor einer erstarkenden AfD im Rahmen der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar 2025 und der verschärften Asylgesetzgebung durch die Ampel eine entscheidende Rolle.

Als Marxist:innen begrüßen wir diese Initiative, da wir es für relevant erachten, sich auch an den Orten zu organisieren, an denen wir uns täglich aufhalten. Des Weiteren sind die zahlenmäßigen Erfolge ein Beweis dafür, dass das Bedürfnis der Studierenden sich gegen rechts zu stellen, zunimmt und es bisher scheinbar an anderen niedrigschwelligen Möglichkeiten dafür gefehlt hat. Aber trotz der wichtigen Initiative, die wir als Strömung auch in Städten wie Berlin, Halle und Merseburg aktiv mitgestalten wollen, denken wir, dass es auch eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Taktik und ihren Zielen braucht. Dafür wollen wir mit diesem Artikel einen Ansatzpunkt liefern, insbesondere da am letzten Novemberwochenende die bundesweite Konferenz stattfindet.

Wer sind „Studis gegen Rechts“?

Die „Studis gegen Rechts“ entstanden ursprünglich aus dem Umfeld des SDS, dem Studierendenverband der Partei Die Linke. Bei der sächsischen Landtagswahl engagierte sich die Gruppe, indem sie deren Leipziger Politiker Nam Duy Nguyen bei seinem Kampf um ein Direktmandat unterstützte. Besonders engagiert zeigten sich die Studierenden beim Haustürwahlkampf in Leipzig. Dennoch betont die Initiative ihre überparteiliche Ausrichtung: „Wir gehören zu keiner Partei, aber wir sind bereit, Politiker:innen zu unterstützen, die Politik grundsätzlich anders machen, nah an den Menschen“, erklärt Paula aus dem Organisationsteam gegenüber FURIOS, der Campus-Zeitung der FU Berlin. Die Ziele der Studis gegen rechts sind, einerseits die Linkspartei zu stärken durch Beteiligung am Haustürwahlkampf für „gute Kandidat:innen“, andererseits wollen sie eine breite bürgerliche Initiative sein, welche von der Linkspartei bis hin zum „linkeren“ Flügel der CDU reichen kann. Das bringt mehrere Probleme mit sich:

 1. Der Fokus auf die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag in Riesa im Januar 2025 ist wichtig und richtig – ein guter Aufhänger, um Menschen in die Aktivität zu ziehen. Doch der alleinige Fokus auf den Kampf gegen die AfD reicht nicht aus (vor allem man sie bekämpfen will!). Wenn wir erfolgreich gegen den Rechtsruck agieren wollen, dann müssen wir seine Wurzel angreifen. Das ist natürlich der Kapitalismus.

Den Hauptnährboden für den Rechtsruck bildet jedoch die Sparpolitik der letzten Jahrzehnte, die die Lebenssituation für viele verschlechtert hat. Breite Bündnisse sind deswegen wichtig, sollten aber nur mit Kräften stattfinden, mit denen wir auch gemeinsam gegen die Sparpolitik kämpfen können. In Formation mit CDU oder FDP müssen sich  Arbeiter:innenklasse und Unterdrückte unterordnen. Das kann auch an anderen Bündnissen der Vergangenheit beobachtet werden, zum Beispiel bei den Massenprotesten gegen die AfD im Januar 2024. In der aktuellen Situation helfen uns aber keine abstrakten Floskeln von „Demokratie“ oder „Toleranz“, wir müssen für konkrete Verbesserungen kämpfen, wenn wir Menschen überzeugen wollen.

2. Das führt uns auch zum 2. Punkt:  Aktuell steht die Linkspartei bei 3,3 % in Umfragen zur Bundestagswahl. Der Fokus auf den Haustürwahlkampf mag zwar ein Mittel sein, Direktmandate zu gewinnen. Aber insgesamt stellt sich schon die Frage, ob das überhaupt ausreichen kann, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Dieser spiegelt sich schließlich nicht nur in der parlamentarischen Beteiligung der AfD wider, sondern erfasst große Teile der Gesellschaft. Niederlage, Enttäuschung und Demoralisierung sind also im Grunde vorprogrammiert. Wenngleich wir anerkennen, dass die Studierenden nach allen Mitteln suchen, um der AfD etwas entgegenzusetzen, halten wir die Linkspartei, die über ihre Reformansätze überhaupt nicht hinauskommen kann und entweder in der dauerhaften Opposition verbleiben oder durch Regierungsverantwortung die Interessen der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten verraten muss, nicht für das Nonplusultra im Kampf gegen rechts.

Genau wie bei „Widersetzen“ oder „Aufstehen gegen Rassismus“ zeigt sich, dass es kaum Debatten darüber gibt, woher der Rechtsruck eigentlich kommt. Doch das ist elementar, um überhaupt herauszufinden, wie wir den Kampf dagegen führen können. Deswegen wollen wir unser Verständnis dessen im Folgenden skizzieren:

Woher kommt der Rechtsruck?

Es ist zentral zu verstehen, dass der aktuelle Rechtsruck eine materielle Grundlage hat und nicht entsteht, weil „Menschen zu wenig gebildet sind“. Er Rechtsruck ist Ausdruck der tiefen Krise des Kapitalismus und es reicht nicht, einfach Widersprüche im Diskurs aufzuzeigen oder die AfD zu verbieten, wenn wir ihn erfolgreich bekämpfen wollen. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 hat sich die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalist:innen und ihren Staaten verschärft. Es kam zu einer massiven Konzentration von Kapital. Gerade die größeren Monopole konnten davon profitieren, während kleinere Unternehmen nicht mithalten konnten. Letztere haben Angst, ihre Stellung zu verlieren und pleitezugehen. Getrieben von der Angst vor sozialem Abstieg fangen sie an, laut herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Argumente, um sich zu schützen. Das ist kein rein deutsches Phänomen, sondern international spürbar – ob nun in Frankreich, den USA, Ungarn oder Argentinien. Fast überall auf der Welt haben reaktionäre rechte Kräfte an Stärke gewonnen. Vor allem, da eine starke Antwort auf diese Existenzängste von links fehlt.

Hier in Deutschland haben die jahrelange sozialpartnerschaftliche Mitverwaltung der SPD (Einführung Hartz IV, Schuldenbremse), aber auch der Unwillen sowie die Strategielosigkeit der Linkspartei, reale Kämpfe zu führen (Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, Schweigen zu schlechten Tarifabschlüssen) dazu geführt, dass sich Teile der Arbeiter:innenklasse der AfD zugewandt haben. Dieser ist gleichzeitig Ausdruck von wie Katalysator für Verschlechterungen. Denn während sie hetzt, machen andere die Gesetze und Parteien wie SPD, Grüne oder CDU haben sich vor ihren Karren spannen lassen in der Hoffnung, Wähler:innenstimmen der AfD abzugreifen und die Interessen des deutschen Imperialismus in Bezug auf die Krisenauswüchse umzusetzen. Kürzungen im sozialen Bereich werden durchgeführt, während weiter aufgerüstet wird. Zeitgleich werden Geflüchtete, Migrant:innen und Sozialhilfeempfänger:innen zu Sündenböcken gestempelt.  Die Krisenkosten sollen zulasten von Arbeiter:innen und Unterdrückten abgewälzt werden. Ein Bündnis der Demokrat:innen kann – wie bereits geschrieben – dem wenig entgegensetzen, da es die Klassengrundlage, die überhaupt erst zu dieser Misere führt, verschleiert und die bürgerlichen Parteien, die den Rechtsruck neben der AfD mittragen, sich wohl kaum für eine Politik für Unterdrückte und Ausgebeutete einsetzen werden.

Wie kämpfen gegen rechts?

Die Forderungen, welche bei der Vollversammlung in Leipzig beschlossen wurden, zeigen ein klares Bild. Keine Kooperation mit der AfD, keine Einschränkung der Diskussionsfreiheit, Offenlegung von Drittmittelfinanzierung, Sicherung des Zugangs zur Uni für alle sowie eine Zivilklausel. Das mag erstmal ein guter Ansatzpunkt für eine Diskussion darstellen, aber es gibt ein Problem: Sie richten sich an das Rektorat der Uni und bieten keine Perspektive, den Status quo wirklich zu bekämpfen und verändern. Auch bleiben sie in viel zu engem, kleinkariertem Rahmen stecken. Nichtsdestotrotz finden wir die Initiative „Studis gegen Rechts“ vielversprechend und möchten nun einige Ansätze vorschlagen, wie sie dennoch zum Erfolg kommen kann.

1. Kampf gegen rechts heißt Kampf der Sparpolitik!

Wir erachten es für wichtig, die Auswirkungen und Motoren des Rechtsrucks wie Einsparungen und Kürzungen bei Löhnen und Sozialausgaben nicht aus dem Blick zu verlieren.  In diesem Sinne ist die sich vorgenommene Unterstützung des TVöDs richtig und wichtig – muss unserer Meinung nach – durch weitere Forderungen ausgebaut werden, die über diese Tarifauseinandersetzung hinausgehen. Gerade an der Uni und für Studierende gibt es hier viele Möglichkeiten, auch dafür einzutreten. Zentral ist dafür, sich auch mit den Mitarbeitenden und Gewerkschaftsstrukturen an der Uni zu vernetzen und den Kampf gemeinsam zu führen. Beispielsweise sollten wir uns einsetzen für:

  • Ein Mindesteinkommen für Studierende, angepasst an die Lebenssituation im jeweiligen Land durch die Besteuerung von Reichtum und Kapital unabhängig vom Familieneinkommen! 
  • Weg mit Bafög und Semesterbeitrag! Finanzierung der Ausgaben fürs Studentenwerk (subventioniertes Essen für Studierende, Wohnheime und Beratungsangebote) durch die Profite der Reichen!
  • Kostenloser ÖPNV für alle, auf Wunsch Buchung des vergünstigten Deutschlandtickets!
  • Selbstverwaltete und kostengünstige Student:innenwohnheime, gegen jede Mieterhöhung!
  • Lohnerhöhung und automatischer Inflationsausgleich (gleitende Lohnskala) für alle Mitarbeitenden der Uni!
  • Weg mit unbezahlten Pflichtpraktika, Minijobs und Werkstudententätigkeiten im Niedriglohnsektor! Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit! Gesetzliche Pflicht zur Entlohnung aller Arbeitstätigkeiten von Studierenden bei mindestens 15 Euro/Stunde! Bei Nichteinhaltung durch private Unternehmen müssen diese entschädigungslos enteignet werden!
  • Rücknahme aller Kürzungen! Massive Investitionen in Bildung, Soziales und Gesundheit statt in Aufrüstung! Zivilklausel erkämpfen!

2. Einheitsfront gegen rechts – Kämpfe verbinden!

Wie bereits beschrieben, ist das Bündnis der Demokrat:innen kein effektives Mittel im Kampf gegen Krise und Rechtsruck. Stattdessen schlagen wir eine Einheitsfront der Organisationen der Arbeiter:innenklasse vor. Ziel kann es dabei nicht sein, nur Gruppen der radikalen Linken anzusprechen. Um schlagkräftiger zu werden, aber auch um die Basis der Linkspartei, der SPD und der Gewerkschaften von einem revolutionären Programm im Kampf gegen den Rechtsruck zu überzeugen, müssen wir auch diese Organisationen zu einem gemeinsamen Kampf auffordern. Dabei ist der Klassenstandpunkt zentral und wir müssen uns gegen jeden Opportunismus wehren. Nur so kann eine Bewegung gegen rechts erfolgreich sein.

Gleichzeitig sollten sich die studentischen Initiativen gegen rechts auch mit denen, die gegen den Genozid in Gaza kämpfen, verbinden. Immerhin gibt es hier zur Frage der Zwangsexmatrikulationen und Zivilklausel wichtige Überschneidungspunkte. Aber auch der immer weiter aufkeimende antimuslimische Rassismus verbindet beide Themenfelder und bietet Potentiale für gemeinsame Kämpfe. Des Weiteren gibt es auch bestehende Strukturen propalästinensischer Student:innen, die durch Hörsaalbesetzungen und Camps bereits wertvolle Erfahrungen sammeln konnten. Doch unsere Forderungen sollten nicht bei der Uni stehen bleiben: Gegen Inflation, Kürzungen und Wohnungsnot muss gesamtgesellschaftlich gekämpft werden.

3. Aktiv an der Uni, nicht nur gegen rechts!

Wir finden es sinnvoll, Basisstrukturen aufzubauen an den Orten, an denen wir uns täglich aufhalten. Im Fall von Studierenden ist das die Universität. Ziel muss sein, Menschen zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind, und in Konfrontation für unsere Position zu gehen. Dies kann durch Aktionskomitees entstehen, die mobilisieren, indem sie beispielsweise Rassismus thematisieren, Vollversammlungen und Veranstaltungen vor Ort organisieren (bei denen Proteste durchaus als Aufhänger genutzt werden können) und über Forderungen der Bewegung mit entscheiden. Passiert das nicht, verbleiben wir nicht nur in unserer eigenen Blase, sondern überlassen den Rechten mehr und mehr die Diskussion!

Allerdings müssen wir uns auch die Frage stellen, welche Rolle die Universität in unserer Gesellschaft und auch im Rechtsruck einnimmt und wie wir sie von einem Ort der Reproduktion der Ware Arbeitskraft und Ideologielieferantin für die Herrschenden in dieser Klassengesellschaft zu einer verändern können, die dem allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt dient und nicht dem Kapital! Dabei können wir uns nicht nur dafür einsetzen, dass Studierende zahlenmäßig mehr im Uni-Senat vertreten sein sollten, denn die akademische Selbstverwaltung ist selbst nicht mehr als eine rückständige Ständedemokratie. Stattdessen müssen wir über die Perspektive der Kontrolle über das Budget, die Lehr- und Forschungsinhalte durch Studierende, Lehrende, Wissenschaftler:innen und die organisierte Arbeiter:innenklasse diskutieren und, wie wir dies erreichen können. Zentral dafür ist ein revolutionäres Programm! Aber wir wollen nicht nur im nationalen Rahmen den Rechtsruck bekämpfen, deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Ebenso stellen die kommenden sozialen Angriffe kein rein deutsches Phänomen dar, sondern finden auf gesamteuropäischer Ebene statt. Statt also vereinzelt Widerstand aufzubauen, sind beispielsweise Aktionstage sowie -konferenzen auf europäischer Ebene etwas, das den gemeinsamen Kampf beleben und stärken kann!

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