Arbeiter:innenmacht

24 Monate nach den Morden in Hanau: Kein Vergessen!

Martin Suchanek, Neue Internationale 262, Februar 2022

Die rassistischen Morde von Hanau jähren sich am 19. Februar. Vor zwei Jahren wurden Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Paun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoglu bei Anschlägen durch einen Akt faschistischer Barbarei brutal aus dem Leben gerissen.

Faschistischer Anschlag

Der Todesschütze von Hanau war darauf aus, möglichst viele migrantische Menschen zu töten. Über seine Motive besteht kein Zweifel. Seine Bekennerschreiben und Videos lesen sich wie Manifeste neofaschistischer und völkischer Barbarei, sind Aufrufe zum Pogrom, zur Vernichtung „bestimmter Völker“! War sein Hass auch mit obskuren Verschwörungstheorien verbunden, so richtete er sich vor allem gegen MigrantInnen. Tobias R., der Killer von Hanau, erinnert unmittelbar an den Attentäter von Christchurch oder an den norwegischen Massenmörder Breivik.

Der Anschlag reiht sich in eine ganze Serie erschreckender rassistischer Morde und Anschläge der letzten 30 Jahre ein. Seit 1990 sind über 200 Menschen Opfer rechter, rassistischer und faschistischer Gewalt geworden, einschließlich immer offener antisemitischer Anschläge wie in Halle.

Die Zunahme rechter Anschläge wie die Bildung terroristischer Gruppierungen, Zellen und Netzwerke stellen den zugespitzten Ausdruck eines Rechtsrucks dar, dessen Erscheinungsformen den Aufstieg der AfD, aber auch faschistischer Organisationen wie der „Identitären Bewegung“, klandestiner Terroreinheiten sowie irrationalistischer Bewegungen wie der QuerdenkerInnen umfassen.

Wut, Trauer, Widerstand

Wie viele andere AntirassistInnen und AntifaschistInnen rufen wir zur Teilnahme an den Demonstrationen und Aktionen zum Gedenken den Mord von Hanau auf. Wir wollen damit den Familien, den Angehörigen und FreundInnen der Getöteten unsere Anteilnahme zeigen, sie in ihrem Schmerz, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung nicht alleine lassen. Wir wollen ein Zeichen der Solidarität mit allen Opfern rassistischer und faschistischer Anschläge, Angriffe und Morde setzen, ein Zeichen der Solidarität mit allen Abgeschobenen, mit den Opfern der mörderischen EU-Grenzpolitik sowie allen Formen staatlicher und institutioneller rassistischer Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung.

Damit aus Wut und Trauer, Zorn und Angst Widerstand gegen den rassistischen Terror und Rechtsextremismus wird, müssen wir uns bemühen, die Ursachen, die sozialen Wurzeln der barbarischen Morde zu verstehen.

Rassistischer Wahn

Die faschistischen, neofaschistischen, aber auch zahlreiche rechtspopulistische Organisationen stellen ein irrationales völkisches Wahngebilde zunehmend ins Zentrum  ihrer Ideologie, eine Mischung aus Verschwörungstheorie, Rassismus, Antisemitismus und allen möglichen Formen reaktionären Gedankenguts wie z. B. des Antifeminismus, Leugnung des Klimawandels oder der Gefahr durch das Corona-Virus. So bizarr und wirklichkeitsfremd, ja die Realität auf den Kopf stellend diese Ergüsse auch wirken (und sind), knüpfen sie doch an die Vorstellungswelt eines viel breiteren rechten Spektrums an, das bis tief in bürgerliche und kleinbürgerlich-reaktionäre Schichten  reicht (und auch unter politisch rückständigen ArbeiterInnen Gehör findet).

Der individuelle Terrorismus auf Seiten der Rechten signalisiert daher auch einen grundsätzlichen Stimmungsumschwung unter weiten Teilen des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten. Das drückt sich auch in der Herkunft etlicher AttentäterInnen aus.

Viele entpuppten sich als Menschen mit klassischen kleinbürgerlichen Karrieren, häufig auch im Polizei- und Sicherheitsapparat. Über alle biographischen Besonderheiten hinweg verdeutlicht die Gemeinsamkeit der sozialen Herkunft, dass sich die gegenwärtige Krise im KleinbürgerInnentum, in den Mittelschichten ideologisch nicht nur als Angst vor Deklassierung, sondern auch als zunehmendes Misstrauen und Ablehnung gegenüber der traditionellen bürgerlichen Führung und dem Staat manifestiert. Es bedarf eines rechten Aufstandes, einer Pseudorevolution, der angelichen Entlarvung von „Verschwörungen”, eines Pogroms an den „fremden Rassen“ und „VolksverräterInnen“, was im terroristischen Akt an möglichst vielen schon exemplarisch vorgeführt wird.

Wie bekämpfen?

Wie der Mord am Regierungspräsidenten Lübcke gezeigt hat, kann sich der rechte Terrorismus auch gegen RepräsentantInnen des bürgerlichen Staates richten. Die Masse seiner Opfer findet er jedoch – und darin gleicht er dem Terror faschistischer Massenbewegungen – unter MigrantInnen, rassistisch Unterdrückten, linken AktivistInnen oder dem Subproletariat (z. B. Obdachlose), also den Lohnabhängigen und Menschen, die Rassismus und Faschismus entgegentreten wollen.

Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass wir uns dabei – wie im Kampf gegen den Faschismus insgesamt – nicht auf den bürgerlichen Staat und seine Polizei verlassen können. Die Forderung nach verschärfter Repression und Überwachung geht daher nicht nur ins Leere, sondern letztlich in eine falsche Richtung, weil sie einem bürgerlichen, repressiven, rassistischen Staatsapparat mehr Machtmittel in die Hand gibt, die in der Regel gegen uns eingesetzt werden.

Zweitens können aber auch der Selbstschutz, der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten, antifaschistische Recherche – so wichtig sie im Einzelnen wohl sind – gegen klandestine Terrorzellen oder Individuen nur begrenzt Schutz bieten.

Schwerpunkt

Das Hauptgewicht des Kampfes muss daher auf dem gegen die gesellschaftlichen Wurzeln liegen, und zwar nicht nur, indem der Kapitalismus als Ursache von Faschismus, zunehmender Reaktion, Rechtsruck, Krise identifiziert und benannt wird. Es kommt vor allem darauf an, dass die ArbeiterInnenklasse als jene soziale Kraft in Erscheinung tritt, die einen fortschrittlichen Ausweg aus der aktuellen gesellschaftlichen Krise zu weisen vermag. Der Zustrom zur AfD, die Mobilisierungskraft von Corona-LeugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, also der gesellschaftliche Rechtsruck und Irrationalismus, stellen keine unvermeidliche, automatische Reaktion auf eine Krisensituation dar.

Dass der Rechtspopulismus zu einer Massenkraft geworden ist und in seinem Schlepptau auch faschistische Organisationen und Terrorismus verstärkt ihr Unwesen treiben, resultiert auch, ja vor allem daher, dass sich die reformistische ArbeiterInnenbewegung nicht als antikapitalistische Kraft, sondern als bessere Systemverwalterin zu profilieren versucht. SPD und DGB-Gewerkschaften tragen auf Bundesebene die Ampel-Koalition und üben den Schulterschluss mit dem Kapital. Die Linkspartei, wie immer hoffnungsfroh, setzt auf die „Einheit der DemokratInnen“ (bis hin zu CDU und FDP, wenn es gegen die AfD geht).

Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus können geschlagen werden. Aber dazu braucht es einen politischen Kurswechsel, ein Programm, eine Strategie, die die Mobilisierung gegen diese Kräfte als Teil des Klassenkampfes versteht. Nur so kann dem Rechtsruck sein Nährboden entzogen werden. Nicht Einheit über alle Klassengrenzen hinweg, sondern Einheit der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der MigrantInnen gegen rechten Terror, Populismus und Rechtsruck ist das Gebot der Stunde.

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