Arbeiter:innenmacht

Nein zu den Verschärfungen beim Bürgergeld! Kampf gegen alle Kürzungen!

Stefan Katzer, Neue Internationale 280, Februar 2024

Seitdem das Bundesverfassungsgericht im November vergangenen Jahres die haushaltspolitischen Taschenspielertricks der Ampelkoalition entlarvt hat, stellt sich die Frage, wie die nun fehlenden 60 Milliarden Euro eingespart werden können. Der neueste Vorstoß der Regierung sieht vor, auch Einsparungen beim Bürgergeld vorzunehmen und das Sanktionsregime erneut zu verschärfen.

Zur Erinnerung: Die Ampelkoalition hatte Schulden, die zur Bekämpfung der Coronapandemie aufgenommen wurden, nachträglich umgewidmet und das zur Bekämpfung der Pandemie lockergemachte Geld kurzerhand in den sogenannten Klimatransformationsfonds gepackt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Umbuchung für rechtswidrig erklärt. Da das Geld bereits fest eingeplant war, stellt sich die Frage, woher die Milliarden kommen sollen, die nun im Haushalt fehlen.

Die Antwort der Regierung auf dieses Problem zeichnet sich immer deutlicher ab: Anstatt das fehlende Geld bei denjenigen abzuschöpfen, die in den vergangenen Jahren enorme Gewinn- und Vermögenszuwächse verzeichnen konnten, möchte die Regierung lieber notwendige Investitionen weiter aufschieben, weitere Kürzungen im sozialen Bereich vornehmen und zusätzlich den – im übertragenen Sinne –  nackten Leuten in die Taschen greifen, also das fehlende Geld dort holen, wo ohnehin kaum welches vorhanden ist: bei Erwerbslosen und Geringverdiener:innen, die ihren Lebensunterhalt durch den Bezug von Bürgergeld absichern müssen.

Leere Versprechen und faule Kompromisse

Dabei war mit seiner Einführung seitens der Regierung das Versprechen verknüpft, Erwerbslose künftig nicht mehr unnötig zu drangsalieren. Stattdessen sollten die „Klient:innen“ künftig auf Augenhöhe behandelt und der Fokus auf Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen gelegt werden. Im Zuge der Bürgergeldreform wurden dann aber tatsächlich nur kosmetische Veränderungen am „Hartz 4“-System vorgenommen. So wurde etwa das Schonvermögen erhöht und es wurden Anreize geschaffen, an Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. In diesem Zusammenhang werden vom Jobcenter geringfügige Bonus-Beträge ausgezahlt, die für Qualifizierungsmaßnahmen, die nicht auf einen Berufsabschluss zielen, nun wieder gestrichen werden sollen.

Arbeitslosigkeit: eine Frage der Motivation?

Das Problem der Arbeitslosigkeit solchermaßen zu adressieren, heißt in Wahrheit jedoch, es zu verschleiern. Denn das Problem der Arbeitslosigkeit wird letztlich nicht auf seine gesellschaftliche Ursache zurückgeführt – d. i. die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, durch welche immer mehr variables Kapital, lebendige Arbeit aus dem Produktionsprozess verdrängt wird –, sondern auf die Eigenschaften und Einstellungen der Erwerbslosen. Entsprechend dieser falschen, ja verkehrten Problemanalyse fällt auch die Lösungsstrategie der bürgerlichen Parteien aus.

Arbeitslosigkeit wird von ihnen wahlweise als ein Bildungs- oder Motivationsproblem derer behandelt, die in Wirklichkeit deshalb arbeitslos sind, weil die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dem Kapital keinen Mehrwert verspricht. Ein gesellschaftliches Problem wird so unter der Hand individualisiert und psychologisiert.

Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, statt der gesellschaftlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen selbst zu bekämpfen. Dabei werden die Erwerbslosen zunächst stigmatisiert. Ihnen wird unterstellt, nicht arbeiten zu wollen. Sie werden als „Asoziale“ hingestellt, die auf Kosten anderer ein angenehmes Leben führen.

In einem zweiten Schritt wird politisches Handeln durch (schwarze) Pädagogik ersetzt. Das Problem der Arbeitslosigkeit soll durch eine nachträgliche Erziehung der Arbeitslosen gelöst werden. Diese sollen durch Überwachung, Beschämung, Demütigung und Bestrafung zum richtigen Verhalten „motiviert“ werden. Die Frage, über die sich die bürgerlichen Parteien dann noch streiten, betrifft letztlich nur noch die nach der richtigen „Erziehungsmethode“: bestrafen oder motivieren, Leistungen kürzen oder Anstrengungen belohnen?

„Arbeitsscheue Arbeitslose“ als Ausbeuter:innen des „hart arbeitenden kleinen Mannes“

Das Klischee der arbeitsscheuen Langzeitarbeitslosen, der sich über die Dummheit derer lustig macht, die noch arbeiten gehen, während sie selbst schlau und vor allem dreist genug ist, andere für sich arbeiten zu lassen, erfüllt in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion. Diese besteht in erster Linie darin, die gesellschaftlichen Ursachen des Problems zu verschleiern und die berechtigte Wut über schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne seitens der arbeitenden Bevölkerung auf die Erwerbslosen umzulenken.

Dabei wird denjenigen, die einer Lohnarbeit nachgehen und vielleicht auch ein Gefühl dafür haben, dass sie um ihre tatsächliche Leistung (ihre Mehrarbeit) gebracht werden, suggeriert, ihre wahren Ausbeuter:innen seien nicht etwa die von ihrer Mehrarbeit lebende Kapitalist:innen, sondern faulenzende Arbeitslose, die sie von ihrem Lohn mit durchfüttern müssen. Durch diese perfide Verkehrung der tatsächlichen Zusammenhänge können sich diejenigen, die gegen Arbeitslose hetzen, auch noch als Kämpfer:innen für die Interessen „des kleinen Mannes“ inszenieren – und die BILD-Zeitung sich selbst als deren Sprachrohr.

So war es auch im Falle der nun bevorstehenden Verschärfungen beim Bürgergeld. Vorbereitet und begleitet wurde die Verschärfung von einer Kampagne, in der erneut das Zerrbild der „Arbeitsverweiger:innen“ an die Wand gemalt wurde, die sich auf Kosten der hart arbeitenden Bevölkerung ein angenehmes Leben mache.

Und was soll man sagen: Es hat wieder einmal gezündet. Die SPD ist erneut eingeknickt und verspricht nun, hart gegen sogenannte „Totalverweiger:innen“ vorzugehen. Durch verschärfte Sanktionen bei Leistungsberechtigten, die sich „beharrlich verweigern“, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, soll jährlich ein Betrag von 170 Millionen Euro eingespart werden. Zum Vergleich: Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung jährlich ca. 100 Milliarden (!) Euro verloren. Verschärfungen in diesem Bereich sind jedoch nicht geplant. Den von den nun angedrohten Sanktionen Betroffenen droht dabei die Streichung sämtlicher Bezüge (außer für Miete und Heizung). Die vollständige Sanktionierung soll bis zu zwei Monate andauern können.

Die entsprechende Regelung ist allerdings sehr schwammig formuliert. Sie besagt, dass eine „willentliche“ Weigerung, „eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“, vorliegen muss, um die Sanktionsmechanismen auszulösen. Diese Formulierung lässt somit viel Interpretationsspielraum, den besonders eifrige Jobvermittler:innen im Zweifelsfall dazu nutzen können, ungerechtfertigte Sanktionen zu verhängen, unter denen die Betroffenen auch dann leiden werden, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die verhängten Sanktionen doch nicht angemessen waren. Dies wird aller Voraussicht nach besonders Menschen treffen, die nicht deutsch sprechen oder sich gegenüber Behörden ohnehin hilflos fühlen, also vornehmlich rassistisch Unterdrückte und psychisch belastete Menschen.

Neben der Tatsache, dass die von der Regierung prognostizierten Einsparpotentiale durch die nun anvisierten Kürzungsmaßnahmen völlig übertrieben erscheinen, ist daran vor allem problematisch, dass den Betroffenen damit de facto die notwendigen finanziellen Mittel entzogen werden, mit denen diese ihre Existenz sichern können. Ihnen droht die völlige Verarmung.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass ca. zwei Millionen Kinder Bürgergeld beziehen. Sanktionen, die sich gegen ihre Eltern richten, treffen natürlich auch sie. Dabei bekommen sie schon jetzt nicht das, was für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig wäre. Weitere Kürzungen wären daher vor allem für sie fatal, da sie sich langfristig auf ihre Entwicklung auswirken können.

Rechte und neoliberale Scharfmacher:innen

Davon lassen sich die Scharfmacher:innen von rechts allerdings nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Sie befeuern lieber weiterhin die leidliche Debatte um das sogenannte „Lohnabstandsgebot“ und verteufeln in diesem Zusammenhang die letzte Bürgergelderhöhung von 12 % als arbeitsmarktpolitische Generaldummheit. Sie argumentieren dabei, dass die Erhöhung des Bürgergeldes dazu verführe, sich auf Kosten der Allgemeinheit einen faulen Lenz zu machen. Dabei hält die Erhöhung kaum Schritt mit der dramatischen Inflation und ist folglich keine reale. Zugleich „vergessen“ sie gerne, dass die Erhöhung des Bürgergeldes keine gönnerhafte Wohltat ist, die der Staat nach Lust und Laune gewähren kann oder auch nicht. Vielmehr geht es hier um die Existenzsicherung und um einen Rechtsanspruch, der sich aus dem Grundgesetz herleitet.

Ebenso verschweigen sie die Tatsache, dass das von Ihnen hochgehaltene „Lohnabstandsgebot“ auch anders gewahrt werden könnte als durch die Absenkung des Existenzminimus – nämlich durch die Erhöhung der (Mindest-)Löhne. Gegen die Einführung eines Mindestlohns haben sie selbst aber jahrelang gekämpft. Schon alleine daran erkennt man die ganze Heuchelei dieser Parteien und ihrer Führungsfiguren. Aber auch SPD und Grüne spielen das perfide Spielchen mit und drücken nun die Sanktionen durch, die sie zuvor noch als unmenschlich und weitgehend wirkungslos kritisiert haben.

Widerstand aufbauen, Kürzungen bekämpfen!

Umso dringender ist es, dass sich gegen diese Politik auf den Straßen Widerstand formiert. Dabei kommt den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle zu. Als Kampforgane der Arbeiter:innenklasse mit Millionen Mitgliedern wären sie dazu in der Lage, den notwendigen Widerstand zu organisieren. Dafür müssen sie aber endlich mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik brechen und anfangen, entschlossen für die Interessen der gesamten Klasse zu kämpfen. Um dorthin zu gelangen, müssen die Mitglieder Druck aufbauen und die Führung ihrer Gewerkschaften zum Handeln auffordern.

Der Kampf gegen die Verschärfungen beim Bürgergeld muss dabei mit dem gegen die weiteren Einschränkungen im Asylrecht sowie mit dem für höhere Löhne und gegen Entlassungen verbunden werden. Dadurch kann der spalterischen Politik der Herrschenden entgegengearbeitet und die Einheit der Lohnabhängigen erkämpft werden. Der Kampf gegen die geplanten Verschärfungen und Kürzungen kann aber letztlich nur erfolgreich sein, wenn er von Massenmobilisierungen, Streiks und  Besetzungen getragen wird und weitergehende Forderungen umfasst, die letztlich auf die Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems zielen.

  • Weg mit allen Bürgergeldgesetzen und Nein zu den geplanten Sanktionen! Für die Kontrolle der Arbeitsagenturen durch Gewerkschaften und Erwerbslosenkomitees anstelle von Ämterwillkür! Allgemeines, uneingeschränktes Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung während der Erwerbslosigkeit!
  • Für die sofortige Wiedereinführung der Vermögensteuer! 115 Mrd. Euro jährlich durch progressive Besteuerung!
  • Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro/Stunde! Für Arbeitslose, Studierende, RentnerInnen, SchülerInnen ab 16, chronisch Kranke, Schwerstbehinderte und Invalid:innen kämpfen wir für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation ,von 1.100 Euro plus Warmmiete! Die Kontrolle darüber den Gewerkschaften!
  • Streiks und Besetzungen im Kampf gegen Massenentlassungen und Schließungen! Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Firmen!
  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften unter Einbeziehung von Ausschüssen der Lohnabhängigen und aller nicht-ausbeutenden Schichten der Bevölkerung!
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