Bruno Tesch, Infomail 1237, 16. November 2023
Bei der Hafenbetreiberin Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) brodelt es, und das nicht erst seit den letzten Wochen. Schon vor Jahren wurde über private bzw. fremdstaatliche Investitionsinteressen in Form von Beteiligungen oder gar Übernahmen spekuliert. Hochgekocht ist die trübe Gerüchtebrühe durch die Bekanntgabe, dass ein Kaufangebot der Mediterranean Shipping Company (MSC) über Anteile von 49,9 % an der HHLA vorliegt, über das am 20.11. entschieden werden soll. Diese Nachricht wiederum löste am 6.11. eine spontane eintägige Arbeitsniederlegung der HHLA-Belegschaft aus. MSC ist die weltweit größte Containerreederei mit Sitz in Genf und über Tochterunternehmen auch im Kreuzfahrt- und Fährgeschäft engagiert.
Der Hafen als Image für die Weltoffenheit der Hansestadt war seit jeher von herausragender Bedeutung, vor allem aber hat der Güterumschlag das Portfolio der Handelsmetropole prall gefüllt. Seit 20 Jahren jedoch hat sich der Wind gedreht. Hamburg liegt jetzt im Lee und ist im Vergleich mit den europäischen Seeumschlagplätzen und erst recht mit Konkurrent:innen weltweit auf den 20. Rang zurückgedrängt worden.
Der große Nachteil gegenüber Rotterdam und Antwerpen, dass der Hamburger Hafen nur einen vermittelten Zugang zum Meer hat und Belgien und die Niederlande ozeanografisch leichter anzufahren sind, lässt sich auf natürlichem Wege einfach nicht ausgleichen. Da helfen auch keine Maßnahmen wie die Elbvertiefung, um größere Pötte einlaufen zu lassen.
Kürzere Fahr-, Liege- und Warenumschlagszeiten zählen heute doppelt. So ist es auch erklärlich, dass im Containerbereich die Hamburger Umsätze bereits seit einiger Zeit stagnieren, ja im ersten Halbjahr 2023 befanden sie sich sogar im beschleunigten Krebsgang von -11.7 %.
Das war vermutlich auch das Signal für den Hamburger Senat, in Verhandlungen mit einer potenten Investorin einzutreten. Man glaubte, sie in MSC gefunden zu haben. Dieser Konzern, in italienischem Privatbesitz und mit Geschäftssitz in der „Seefahrtnation“ Schweiz, kann damit repräsentieren, als mittlerweile global größte Reederei zu gelten, die gleichermaßen die Sparten maritimer Güterverkehr und die besonders einträgliche Kreuzschifffahrt bedient. Mit Hilfe der MSC, die über ein weitgespanntes und expandierendes Netz an Geschäftsverbindungen verfügt, hofft Hamburg, seine Investitionsvorleistungen wie Bau der Hafen-City mit ihren eigens angelegten Verkehrswegen und Gewerbeflächen amortisieren zu können und den Hafen wieder auf Volle-Kraft-voraus-Kurs zu bringen.
Der zu entrichtende Preis wäre jedoch eine Reduktion des stadtstaatlichen Anteils an der HHLA von 69 % auf 50,1 %. Daraus ergibt sich, dass die Hamburger Regierung einen kompakten Klotz an Aktienminorität am Bein herumschleppen müsste, der ihr nicht nur die HHLA, sondern auch infrastrukturelles Hafenumfeld betreffend, Zugeständnisse im MSC-Interesse abringen könnte.
Der Deal muss von der Hamburger Bürgerschaft noch abgenickt werden. Proteste für seine Entscheidung erntete der Hamburger SPD-geführte Senat sowohl von den alteingesessenen Reedereien wie Hapag-Lloyd, die sich konkurrenzmäßig übergangen fühlten, wie auch von der CDU-Opposition, die den „grotesk niedrigen“ Übernahmepreis bemängelte und meinte, bei einer öffentlichen Ausschreibung hätte wesentlich mehr herausgeschlagen werden können.
Schwierigkeiten ganz anderer Art mit diesem Senatsdeal haben allerdings die HHLA-Beschäftigten. Der Terminalbetreiber Eurogate hat bereits vor einigen Jahren in einer internen Studie die mangelnde Automatisierung und daraus resultierend den um 25 % geringeren Containerumschlag im Hamburger Hafen moniert. Wenn denn an den natürlichen Gegebenheiten nicht gerüttelt werden kann, so ist der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft jedoch eine veränderbare Größe. Das weiß sicher auch die MSC, ohne diese Studie kennen zu müssen, und sie wird auf Verschlankung der Produktion, sprich Entlassungen, drängen. Das haben auch die Arbeiter:innen bei der HHLA als elementaren Knackpunkt erkannt und sind daraufhin am 6. November in den Ausstand getreten. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen!
Am Nachmittag des 6. November legten 150 Hafenarbeiter am Burchardkai ihre Arbeit nieder, die Abfertigung an dem Terminal wurde eingestellt. Die nächsten vier Schichten schlossen sich dem wilden Streik an.
Der Streik wurde schnell von der „neutralen“ Justiz einkassiert und als „illegal“ kriminalisiert, weil er sich nicht an das Tarifrecht, das Politisierung untersagt, gehalten habe. Dies bot die Handhabe für etliche Abmahnungen durch die HHLA-Geschäftsführung. Die Streikenden hatten um unverzügliche Gespräche mit dem Senat über den Deal gebeten. Diese Bitte wurde ihnen jedoch von den zuständigen Vertreter:innen abschlägig beschieden, weil sie mit der Arroganz der Macht dem Streik die Legitimität absprechen wollten.
Das Vorgehen der Klassenfeind:innen in Politik, Justiz und Unternehmen hat Empörung dagegen und Solidaritätsbekundungen mit den Kolleg:innen von Seiten zumeist gewerkschaftlicher Arbeiter:innenorganisationen im In- und Ausland hervorgerufen. Die Gewerkschaft ver.di veröffentlichte Forderungen nach:
Aber die dringlichste Forderung ließ sie vermissen:
Ver.di zieht sich offenbar auf eine Vermittlerposition für Gespräche mit dem Senat zurück und hat zu einer Kundgebung am Hamburger Rathaus aufgerufen. Ein Appell an die Regierenden reicht bei weitem nicht aus. Verhandlungen und Entscheidungen von solcher Tragweite – gerade in Hamburg hängen mit Infrastruktur, Zulieferbetrieben usw. schätzungsweise zehntausende Existenzen von Hafen und Umgebung ab – müssen von der Arbeiter:innenbewegung öffentlich kontrollierbar gemacht und gegebenenfalls zurückgenommen werden können. Zusätzlich muss die nationale Binnenkonkurrenz unter den deutschen Seehäfen – z. B. Tiefwasserhafen Wilhelmshaven mit weiterer Elbvertiefung –, aber auch die europaweite zugunsten eines planvollen Konzepts für eine rationale Verkehrswende im Sinne einer integrierten bundesweiten und kontinentalen öffentlichen Infrastruktur zu Land, Wasser und in der Luft unter Arbeiter:innenkontrolle und -planung aufgehoben werden. Im Zusammenspiel mit einem staatlichen Außenhandelsmonopol würden auf diese Weise der Güterverkehr auf sein rationales menschliches wie ökologisches Maß schrumpfen und die gleichmäßigere Auslastung der Häfen erreicht werden können.
Um die Fragen der Knebelung des Streikrechts und Forderung nach Arbeiter:innenkontrolle über die Entscheidungen zu öffentlichen Einrichtungen muss eine bundesweite Kampagne entfaltet werden. Ansätze bieten sich, dies in den Rahmen einer jetzt angelaufenen kämpferischen Tarifrunde der Länder zu stellen.
Nicht außer Acht gelassen werden darf außerdem, dass gerade in der jetzigen internationalen Situation Seehäfen einen neuralgischer Punkt für den Versand von Kriegsmaterial, v. a. an die israelische Armee, bilden. Solche Waffenlieferungen müssen verhindert werden, und dies ist v. a. eine Aufgabe der internationalen Arbeiter:innenbewegung.