Arbeiter:innenmacht

Kasachstan: Zhanaozen steht an der Spitze einer zweiten Protestwelle

Gastbeitrag von Sozialistische Bewegung Kasachstans, Infomail 1178, 20. Februar 2022

Dieser Artikel der Sozialistischen Bewegung Kasachstans wurde zuerst am 16. F2022 auf Russisch auf der Website socialismkz.info veröffentlicht (http://socialismkz.info/?p=27264) und von Christoph Wälz übersetzt.

Am Dienstag, den 15.02.2022, streikten Arbeiter:innen aus allen Abteilungen und Unterabteilungen von Ozenmunaigas in Zhanaozen und schlossen sich damit den Öl-Bohrer:innen an, die bereits am 9. Februar die Arbeit niedergelegt hatten. Die Behörden versuchen ihrerseits, die Demonstrant:innen mit verschiedenen kleinen Versprechungen zu beschwichtigen, aber die Streiks weiten sich immer weiter aus und ziehen neue Teilnehmer:innen an.

Alles begann am Morgen, als sich am Busbahnhof von Zhanaozen den Schichtarbeiter:innen der Burgylau-GmbH, die streikten und die sofortige Verstaatlichung forderten, ihre Kolleg:innen von Ozenmunaigas anschlossen, die ebenfalls einen Streik verkündeten. Auf der gemeinsamen Kundgebung brachten sie nicht nur ihre sozialen und wirtschaftlichen Forderungen zum Ausdruck, sondern forderten die Behörden auch auf, die Repressionen unverzüglich einzustellen und alle Verhafteten freizulassen.

Darüber hinaus wiesen Beschäftigte darauf hin, dass sie für ihre Arbeit unterbezahlt seien und statt für 12 Stunden nur für 11 Stunden bezahlt würden. Sie forderten bezahlte 12-Stunden-Schichten, die Einführung von Wechselschichten, eine 50-prozentige Lohnerhöhung und zusätzliche Einstellungen, da die Arbeiter:innen aufgrund der Kürzungen eine zusätzliche Arbeitsbelastung zu tragen hätten.

Auch Elektriker:innen und Schweißer:innen, deren Löhne niedriger sind als die der anderen Berufsgruppen, brachten ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck und forderten eine 50-prozentige Lohnerhöhung. Sie forderten auch den Ersatz veralteter und abgenutzter Ausrüstung durch neue, die Einführung von Wochenschichten, die Wiedereinführung von Zuschlägen für gefährliche und schwierige Arbeitsbedingungen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze für verschiedene Spezialist:innen für die Hauptproduktionsanlagen, da jene zuvor entlassen worden waren.

Die Streiks der Arbeiter:innen von Ozenmunaigas begannen am Montagabend, als die Mitarbeiter:innen der „Abteilung für Bohrarbeiten“ sich in ihrem Betrieb versammelt hatten und den Präsidenten Kasachstans Tokajew wegen des Befehls zur Einleitung groß angelegter Repressionen kritisierten. Die Abteilung war übrigens eigens für die 2011 entlassenen Öl-Arbeiter:innen gegründet worden, die einen Streik durchgeführt hatten, der in Blut ertränkt wurde.

Dann, am Nachmittag des 15. Februar, fanden die wichtigsten Ereignisse auf dem Betriebsgelände der „Abteilung für Bohrarbeiten“ statt, wo eine Massenversammlung der Arbeiter:innen aller Abteilungen von Ozenmunaigas abgehalten wurde. Alik Aidarbayev, der Vorstandsvorsitzende von KazMunayGas, kam in das Büro dieser Abteilung, wo er erfolglos mit Vertreter:innen der streikenden Arbeiter:innen und mit einer Delegation der Erwerbslosen von Zhanaozen verhandelte.

Auf der Kundgebung stellte Aidarbajew fest, dass er die Löhne nicht einmal um 30-40 Prozent anheben könne. Gleichzeitig wurde er an ein früheres Versprechen erinnert, die Löhne um 15 Prozent als Anpassung infolge der Inflation zu erhöhen, was jedoch immer noch nicht geschehen ist. Die Erwerbslosen verwies er an die lokalen Behörden, die das Problem ihrer Beschäftigung lösen sollten. Der Konzern Ozenmunaigas selbst versprach lediglich, 150 Menschen zu beschäftigen, was nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Schließlich gelang es dem Chef des staatlichen Unternehmens KazMunayGas nicht, die streikenden Arbeiter:innen dazu zu bewegen, sich zu zerstreuen und er war praktisch zum Rückzug gezwungen. Den Arbeiter:innen zufolge wurde Aidarbajew eigens zu ihnen geschickt, um die Demonstrant:innen zu beruhigen.

Gleichzeitig versuchte er immer wieder, auf die gelben Gewerkschaften zu verweisen, mit denen angeblich Verhandlungen geführt würden. Aber niemand in der Öl-Industrie traut den offiziellen Gewerkschaften des Gewerkschaftsbundes der Republik Kasachstan (FPRK), und die Behörden und Kapitaleigentümer weigern sich, unabhängige Gewerkschaften anzuerkennen und mit ihnen zu verhandeln. Es kann so keine ernsthaften Diskussionen mit ihnen geben.

Inzwischen sind auch die Belegschaften weiterer Öl-Konzerne in den Streik getreten. Insbesondere die Beschäftigten des Transportunternehmens Kezbi-GmbH, die bereits im vergangenen Jahr mehrmals gestreikt hatten, legten am Dienstag die Arbeit nieder und forderten die Rückkehr ihres Unternehmens in den Mutterkonzern KazMunayGas. Die Weigerung des Energieministeriums, eine Verstaatlichung auch nur in Erwägung zu ziehen, hat sie buchstäblich auf die Barrikaden gebracht.

Dies umso mehr, als frühere Forderungen ebenfalls nicht erfüllt und Versprechen nie eingehalten worden waren. Sie forderten außerdem eine Lohnerhöhung von 50 Prozent und schlossen sich dem Streik an. Am Abend versprachen die Öl-Arbeiter:innen von Aktau, von den Öl-Feldern Kalamkas und Karazhanbas, sich den streikenden Arbeiter:innen von Zhanaozen anzuschließen. Am 16. Februar wird die Zahl der Streikenden noch größer sein.

An diesem Tag besetzten die Erwerbslosen in einer Reihe von Bezirkszentren die Rathäuser und forderten, dass Alik Aidarbayev zu ihnen kommt. In Zhanaozen selbst fand eine Massenaktion vor dem Rathaus statt, bei der die Forderungen der vergangenen Tage nach der Schaffung neuer Arbeitsplätze, auch durch den Bau neuer Betriebe, bekräftigt wurden. Gleichzeitig lehnten die Demonstrant:innen die vorgeschlagene Prioritätenliste ab.

Das Ausmaß und die Politisierung der Proteste ließen die lokalen Behörden erschaudern, die nun versuchen, die Streiks durch künstlich geschaffene Ausschüsse zu stoppen, die aber nichts entscheiden. Am Abend trat der Präsident des Bezirks Mangistau, Nurlan Nogayev, der im Januar von Kundgebungen in Zhanaozen und Aktau verjagt worden war, im lokalen Fernsehen auf. Er sprach auf Russisch, was für eine Region, in der hauptsächlich Kasachisch gesprochen wird, ungewöhnlich ist, und versprach, das Beschäftigungsproblem Schritt für Schritt zu lösen, allerdings hauptsächlich auf Kosten der kleinen und mittleren Unternehmen, die bereits Verluste machen und in Konkurs gehen.

Er sprach erneut davon, 150 Personen in der Öl-Industrie zu beschäftigen, was überhaupt keine Lösung für die Situation darstellt. Schließlich forderte Nogayev die Einwohner:innen auf, sich nicht provozieren zu lassen. „Als Oberhaupt des Bezirks und als besorgter Bürger unserer Region wende ich mich an Sie mit der Bitte, nicht auf Provokationen einzugehen und sich nicht auf populistische Parolen und leere Versprechungen einzulassen“, betonte Nogayev.

Dies deutet darauf hin, dass die Behörden möglicherweise eine gewaltsame Unterdrückung der Streiks und Kundgebungen, die derzeit in Zhanaozen stattfinden, vorbereiten und alle Opfer „Terroristen“ und „Provokateuren“ zuschreiben. Daher sollten die Ereignisse so weit wie möglich publik gemacht und alle Forderungen der Öl-Arbeiter:innen, einschließlich der Verstaatlichung von Konzernen und der Legalisierung unabhängiger Gewerkschaften, unterstützt werden.

Die Bedeutung von erfolgreichen Streiks und Protesten im Bezirk Mangistau kann kaum überschätzt werden, da die Arbeiter:innen des Bezirks der gesamten Arbeiter:innenbewegung des Landes ein Beispiel für den Kampf geben. Hinzu kommen die Erfahrungen aus früheren Streiks, und alle Teilnehmer:innen an den Aktionen haben den Januar-Aufstand mitgemacht und sind nicht gebrochen. Es handelt sich nicht nur um eine weitere Streikaktion, sondern um eine neue, zweite Protestwelle, die bald alle Regionen des Landes erfassen könnte. Schließlich wurde keine der Forderungen der Streikenden vom Januar erfüllt, außer einer Senkung der Gaspreise, und das für 180 Tage.

Ähnliche Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen wurden am 15. Februar von Arbeiter:innen der Petro Kazakhstan Kumkol Resources im Gebiet Kyzylorda und sogar von Krankenwagenfahrer:innen in Aktjubinsk, deren Betrieb an türkische Investoren verkauft wurde, erhoben. Ihre Löhne wurden seit 10 Jahren nicht mehr erhöht und die Arbeiter:innen haben sich an den türkischen Präsidenten Erdogan gewandt, dass sie zu einem Streik aufrufen werden, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Der Februar entwickelt sich also nicht weniger kämpferisch und die Klassenkämpfe sind nicht mehr aufzuhalten.

Dieser Artikel der Sozialistischen Bewegung Kasachstans wurde zuerst am 16.02.2022 auf Russisch auf der Website socialismkz.info veröffentlicht (http://socialismkz.info/?p=27264) und von Christoph Wälz übersetzt.

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