Arbeiter:innenmacht

Pakistan: Gwadars Kampf gegen den kapitalistischen „Fortschritt“

Sheraz Arshad, Infomail 1178, 21. Februar 2022

Die Hafenstadt Gwadar in der pakistanischen Provinz Belutschistan ist der Ausgangspunkt für den Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC), eine wichtige strategische Verbindung im Rahmen von Pekings „Neuer Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“). Doch von Prestigeprojekten wie einem internationalen Flughafen, Kraftwerken, neuen Hafenanlagen und Schnellstraßen haben die Menschen in der Region keine Vorteile. Schlimmer noch, die Hauptstütze der lokalen Wirtschaft, die Küstenfischerei, wurde durch die Ankunft der gigantischen Trawler aus China praktisch zerstört.

Bewegung

Nach Jahren gebrochener Versprechungen in Bezug auf neue Arbeitsplätze und Industrien wandelte sich im November das Ausmaß der Proteste radikal, als eine neue Bewegung, Gwadar Ko Haq Do (Rechte für Gwadar), ins Leben gerufen wurde. Bei einer Sitzblockade in der Stadt unterstützten Hunderttausende die 19 Kernforderungen der Bewegung. Diese beinhalten unter anderem ein Verbot von Fischtrawlern, die Beseitigung von Hindernissen für den grenzüberschreitenden Handel mit dem Iran, die Beseitigung von Sicherheitskontrollpunkten, ein hartes Durchgreifen gegen den illegalen Drogenhandel, die Schaffung von Arbeitsplätzen vorrangig für die örtliche Bevölkerung, Beendigung der Schikanen und Maßnahmen gegen Hunderte von „Vermissten“ durch die Polizei – Aktivist:innen, von denen angenommen wird, dass sie von den Sicherheitskräften entführt wurden.

Schon das Ausmaß der Bewegung machte sie zu einem Meilenstein im Kampf um die Entwicklung Belutschistans. Noch bedeutender war jedoch die Tatsache, dass zum ersten Mal eine große Zahl von Frauen daran beteiligt war. Sie sagten, sie seien aus ihren Häusern vertrieben worden, weil ihre Männer wegen des illegalen Fischfangs durch Trawler und der Handelsbeschränkungen an der iranischen Grenze ihre Arbeit verloren hätten. Sie beklagten ihre extreme Armut, den Hunger in den Familien, den Mangel an sauberem Wasser und Strom sowie das völlige Fehlen von Gesundheits- und Bildungsangeboten.

Die Bewegung von Gwadar breitete sich auf andere Städte aus und erhielt Unterstützung aus ganz Belutschistan. Dies alles geschah auch, weil sich seit dem Ausbruch der Covid19-Pandemie eine bedeutende Veränderung vollzogen hat. Die Pandemie sorgte dafür, dass die große Masse der Menschen mobilisiert wurde, deren Zahl ihre Angst vor dem Staat übersteigt.

Mittlerweile protestieren auch Student:innen aus Belutschistan für ihre Rechte. Trotz Polizeigewalt und Festnahmen fordern sie beharrlich, dass die Regierung die Privatisierung des Bolan Medical College und der Universität von Belutschistan zurücknimmt. Die Student:innen besetzten die Universität aus Protest gegen das gewaltsame Verschwinden von zwei ihrer Kommiliton:innen. Zu ihrer Unterstützung wurden in großem Umfang Bildungseinrichtungen in ganz Belutschistan geschlossen, bis die Regierung sich gezwungen sah, zu verhandeln und die Rücknahme der Privatisierungen zu versichern. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich dies sein wird, bedeutet aber in jedem Fall einen großen Erfolg für die belutschischen Student:innen.

Die Gesellschaft der Belutsch:innen wird insgesamt politisch aktiver. Früher gab es lediglich Konfrontationen zwischen den Sicherheitskräften und Guerillakämpfer:innen, jetzt sind auch Student:innen, Frauen, Arbeiter:innen, die untere Mittelschicht und die Armen, kurz gesagt: die Masse der Bevölkerung, auf die politische Bühne getreten und fordern Mitbestimmung über ihre eigene Zukunft.

Diese Bewegung bedeutet deshalb einen großen Schritt nach vorne für die belutschische Gesellschaft, aber um Fortschritte zu erreichen, muss sie sich selbst organisieren. Es überrascht nicht, dass die Bewegung zunächst von religiösen Persönlichkeiten angeführt wurde, insbesondere von Maulana Hidayat-ur-Rehman, dem Generalsekretär der Jamaat-e-Islami (Islamische Gemeinschaft) in Belutschistan. Er war es auch, der das Abkommen mit der Regierung aushandelte, das den Sitzstreik beendete. Jamaat-e-Islami war jedoch zuvor eine Verbündete der Sicherheitskräfte. Deshalb braucht die Bewegung eine zuverlässigere und vor allem kontrollierbare Führung.

Perspektive

Wir fordern, dass alle Sektoren – Fischer:innen, Arbeiter:innen, Frauenorganisationen, Student:innen – ihre eigenen Aktionskomitees wählen und sich untereinander abstimmen. Wir fordern, dass alle Projekte, die in Gwadar in Angriff genommen werden, der Zustimmung dieser Volksorganisationen bedürfen. Unabhängig von den politischen oder religiösen Bindungen stellt die Bewegung objektiv einen Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und die Unterordnung der Region unter die Interessen des chinesischen Imperialismus dar, weshalb Sozialist:innen sie in jeder möglichen Weise unterstützen sollten.

Die beste Unterstützung besteht darin, das Verständnis für die Bewegung und die Solidarität mit ihr unter der Arbeiter:innenklasse und den armen Bauern/Bäuerinnen im übrigen Pakistan zu verbreiten. Im ganzen Land sehen sich Millionen von Menschen mit zunehmender Not konfrontiert, nicht nur als direkte Folge der Pandemie und der steigenden Preise für lebensnotwendige Güter, sondern auch auf Grund der Regierungspolitik zum Schutz der Interessen der größten pakistanischen und imperialistischen Konzerne.

Sozialist:innen müssen bei der Organisierung der Kämpfe für wirtschaftliche und politische Forderungen eine führende Rolle spielen, indem sie zu demokratischer Selbstorganisation in Gewerkschaften und kommunalen Organisationen aufrufen. Nur solche können sowohl eine effektive und kontrollierbare Führung im Kampf bieten als auch die Grundlage für den Sturz des bestehenden Systems und seine Ersetzung durch eine demokratisch geplante, sozialistische Gesellschaft schaffen. Alle Aktivist:innen, die die Notwendigkeit dieses Kampfes verstehen, müssen sich selbst organisieren und eine neue, revolutionäre Arbeiter:innenpartei in Pakistan aufbauen.

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