Arbeiter:innenmacht

Aufstehen und kämpfen: Was muss die Linkspartei jetzt tun?

blu-news.org, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 286, Oktober 2024

Die Sommerpause ist zu Ende, die Debatten über die Zukunft der Linkspartei gehen weiter. Eingebettet in eine erneute Verschärfung der rassistischen Hetze, Grenzkontrollen, anhaltenden Genozid in Palästina – und eine herbe Wahlschlappe bei den Landtagswahlen. Klar, niemand hatte im Vorfeld erwartet, dass das Ergebnis für besonders viel Freude sorgen würde. Aber die Idee, dass nach jahrelangem/r, öffentlichen Richtungsstreit und Passivität Wissler und Schirdewan das Ruder pünktlich zu Europa- und Landtagswahlen rumreißen können, war illusorisch. Der Karren steckt so tief im Dreck, den rauszuziehen, ist keine Frage von wenigen Monaten.  Ob es da hilft, nochmal die Parteivorsitzenden zu wechseln, ist mehr als fraglich – doch auch das wird Teil des diesjährigen Bundesparteitags sein, der vom 18. – 20. Oktober in Halle stattfindet.

Sicher: Besonders den verbleibenden Reformer:innenflügel muss es im Herzen schmerzen, dass das BSW rasant vorbeizieht. Und während Wagenknecht sicherlich mit süffisantem Lächeln auf die „Zurückgebliebenen“ schaut, müssen die sich die Frage stellen: wie weiter?

1. Bewegung initiieren statt darauf warten

In vielen Debattenbeiträgen heißt es immer wieder, dass die Linkspartei sich als Bewegungspartei sehen sollte. Damit ist gemeint, dass dort, wo Bewegungen existieren, sie teilnimmt, Infrastruktur stellt, solidarisch Aktivist:innen unterstützt, um so eine organische Verbindung aufzubauen. So richtig das auch ist, so unzureichend ist dieses Verständnis aus gleich zweierlei Gründen. Erstens mag dies seit Gründung der Partei zutreffen: Hartz IV, Blockupy, Antiausterität, Geflüchtetenbewegung, zuletzt Fridays for Future. Aber die Zeiten haben sich geändert und mit Beginn des Rechtsrucks und allerspätestens der Pandemie sind solche Bewegungen kleiner und sporadischer geworden, was sich aus der Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ergibt. Es heißt auch nicht, dass sie für immer ausbleiben. Nur wo keine Bewegung ist, kann auch eine Partei nicht andocken. Es bleibt Aufgabe einer politischen Partei, nicht nur nachzulaufen und die Hand zu halten, sondern voranzuschreiten und den Weg zu weisen.

Das heißt: Bewegungspartei zu sein, bedeutet erstens, nicht nur Infrastruktur zu organisieren, sondern Protest zu initiieren dort, wo er gebraucht wird: offen auftretend als Linkspartei. Es bedeutet zweitens, Vorschläge zu präsentieren, wie eine Bewegung ihre eigenen Forderungen erfolgreich umsetzen kann. Ansonsten verliert sie an politischer Bedeutung und wird zur NGO, die einfach nur Räume und Zelte stellt. Also: Wo sind die Bündnisse gegen den Haushalt der Bundesregierung? Wo ist das Solidaritätskomittee für Volkswagen? Wo ist die Linkspartei, die verstanden hat, dass sie die Kraft ist, die politische Kämpfe anführen und deswegen die Kräfte der anderen Linken in Deutschland bündeln muss?

2. Konfrontation in Kauf nehmen

Ulrike Eifler, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft, kämpft in ihren Debattenbeiträgen für eine stärkere Ausrichtung auf die Gewerkschaften und eine einheitliche Betriebsarbeit der Linken. In Zeiten, in denen Friedrich Merz als Kanzlerkandidat Rassismus verbreitet und Hetze gegen Arme, stellt das eine Chance dar. Damit diese genutzt werden kann, reicht es aber nicht aus, bei Streiks präsent zu sein oder einfach nur Sozialberatungen zu stellen, wie es Ines Schwerdtner, ehemaliger Chefredakteurin des Magazins Jacobin und jetzt Kandidatin für den Bundesvorsitz von DIE LINKE, unter anderem vorschwebt.

Eine linke, antikapitalistische Partei muss auch hier eine klare Perspektive auf den Tisch bringen. Das heißt auch, dass dort, wo mehr drin ist, nicht zurückgescheut werden darf aufzeigen, wie Kämpfe erfolgreich geführt werden. Oder anders gesagt: Eine erfolgreiche Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit bedeutet, auch einen politischen Kampf gegen Sozialpartner:innenschaft zu führen. Das zieht wiederum Konfrontationen mit der Gewerkschaftsbürokratie nach sich, die aktiv gesucht und geführt werden müssen. Wer sich scheut, Tarifrunden zu kommentieren, die man politisch unterstützt hat, weil man „die eigenen Bündnispartner:innen“ nicht verschrecken will, der/die wird Schwierigkeiten haben, selbst die Idee der Umverteilung von unten nach oben (die an sich problematisch ist, weil sie die grundlegend ausbeuterischen Produktionsverhältnisse nicht antastet) erfolgreich umzusetzen. Es muss allen klar sein: Der Kampf gegen die Sozialpartner:innenschaft in den Gewerkschaften ist nicht nur dekoratives Extra, sondern Fundament einer erfolgreichen Betriebs- und Gewerkschaftsintervention und einer der Schlüsselmomente, wie der Rechtsruck aufgehalten werden kann. Denn beispielsweise eine Integration von Geflüchteten in die Gewerkschaft, die gemeinsam mit Beschäftigten für einen höheren Mindestlohn und das Recht für alle zu arbeiten kämpfen, wäre ein Schritt in die Richtung, die Verschiebung nach rechts aufzuhalten.

3. Klarheit schaffen

In ihrem Beitrag „Für eine Weststrategie“ endet Daphne Weber, Mitglied des Geschäftsführenden Parteivorstands, mit den Worten: „Nur wenn hier eine glaubwürdige Perspektive und an den realen Ressourcen orientierte Strategiefähigkeit entwickelt und auch vermittelt werden, kann DIE LINKE wieder Vertrauen gewinnen.“ Da möchte man ihr zustimmen. An realen Ressourcen orientierte Strategiefähigkeit kann aber vieles bedeuten. Was ihr Papier – auch im Unterschied zu anderen positiv macht – ist, dass es versucht, konkrete Zielgruppen und Thematiken einzugrenzen. Am entscheidenden Punkt für DIE LINKE hört es aber auf, konkret zu werden. Richtigerweise schreibt sie: „Das Hauptproblem der Linken ist die fehlende Durchsetzungsperspektive und, dass die Partei keine systematische Diskussion darüber führt, wie sich das ändern ließe“, um dann weiter auszuführen, dass dies kein Schlagwortgefecht bedeutet, „sondern eine strategische Bestimmung, was konkret mit wem mit welchen Mitteln zu welchem Zeitpunkt realistisch betrachtet durchgesetzt wird/werden kann“.

Das Problem ist: Niemand möchte diese Fragen konkret beantworten, weil niemand Leute verlieren möchte. Es berührt letzten Endes die zentrale Frage, um die herum die Linkspartei mit sich hadert und um die letztlich auch die Linken in der Linkspartei herumeiern. Welche Partei wollen wir eigentlich? In ihrer Praxis hat das DIE LINKE längt beantwortet hat: Sie will eine Partei der sozialen Reform sein. Praktisch führt das, solange sie stark genug ist, zu Mitverwaltung des Kapitalismus, sozialen und politischen Angriffen in Landesregierungen oder andernfalls zur Bedeutungslosigkeit.

Das Mindeste, was eine Linke in der Linkspartei tun kann, ist, diese Grundsatzfragen aufzuwerfen, weil nur so auch eine wirkliche Veränderung ihrer Praxis möglich sein wird. Mitregieren oder Revolution? Rebellisches Regieren (was nichts anderes ist als kapitalistische Mitverwaltung, not so sorry) oder Zerschlagung des bürgerlichen Staates? Während einige nun mit den Augen rollen und meinen, dass die altbackenen Worte nichts bringen, sollten an der Beantwortung dieser Grundsatzfrage Interessierte am nächsten Absatz noch dranbleiben. Denn wer kauft der Linkspartei den Mietendeckel ab, wenn er in Berlin so einfach fallengelassen wurde? Was ist die Strategie der Linkspartei, solche Errungenschaften tatsächlich zu erkämpfen? Warum ist es nicht möglich gewesen, die Durchsetzung der Volksentscheidsmehrheit für „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zur Bedingung einer Koalition zu machen, und wenn die Verhandlungen dann gescheitert wären, auf der Straße – und dann auch mit Streik – solange Druck auszuüben, bis Volksentscheid bzw. Mietendeckel umgesetzt werden?

Eben weil der Konflikt mit den Regierungssozialist:innen wie auch mit linksreformistischen Konzepten allgemein nicht ausgetragen wurde (und wird). Aber es war nicht Wagenknecht, die an den Landesregierungen Geflüchtete abgeschoben, die Umsetzung des Mietenvolksentscheids zugunsten der Koalition auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben hat. Es war nicht Wagenknecht, die verhindert hat, dass es eine massenhafte Mobilisierung gegen die 100 Mrd. für die Bundeswehr gegeben hat. Und es ist auch nicht Wagenknechts Schuld, dass die Linke zum Genozid in Palästina schweigt und noch nicht mal in irgendeiner Form sich gegen Waffenlieferungen stellt.

Solange die zentralen Fragen nicht geklärt sind, wird die Linke immer wieder in Situationen geraten, in denen sie vielleicht durch erfolgreiche Intervention in Bewegungen anwachsen mag – aber letzten Endes wieder enttäuscht, weil sie Kämpfe verrät oder erst gar nicht führt. Klaro, noch mehr Leute verlieren will niemand. Die Stimmung ist gerade eher so, dass man die Verbliebenen alle beisammen halten will aus Angst, in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen. Gleichzeitig ist allen auch klar, dass wenn sich nichts ändert, das eh passiert – und gerade schon geschieht. Deswegen kann eine der Antworten auf die Fragen, die Weber aufgeworfen hat, lauten:

Es gilt, die eigene Mitgliedschaft zu mobilisieren, die auf andere linke Kräfte zugeht und Proteste organisiert mit dem Ziel, größere Akteur:innen (wie die Gewerkschaften) in Bewegung zu bringen beispielsweise durch Anträge an diese und offene Aufforderungen. Wichtig dabei ist, den Protest durch Mitglieder und Aktive an die Orte zu tragen, wo wir uns tagtäglich aufhalten müssen: Schule, Unis und Betriebe. Zum einen, um diese Orte zu politisieren und Leute zu gewinnen, die noch nicht überzeugt sind, zum anderen, um dies zu nutzen, Streik- und Aktionskomitees aufzubauen, die als Austausch- und Entscheidungsorte der Bewegung fungieren können. In so einer entstehenden Bewegung gibt es logischerweise unterschiedliche Pole. Wer tatsächlich etwas verändern will, der scheut nicht davor zurück, das politische Streikrecht in Deutschland auf die Tagesordnung zu setzen und in Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat zu gehen. Unrealistisch? Nicht so unrealistisch wie der Glaube, dass in Zeiten der Krise zentrale Reformen und Verbesserungen einfach parlamentarisch abgenickt werden!

Niemand sollte sich dabei der Illusion hingeben, dass die Frage, zu welcher Partei DIE LINKE werden kann, noch offenbliebe. Aber die richtige Einschätzung des Charakters der Partei – und damit eine Kritik an Theorie und Praxis des rechten, Mitregierungs- wie auch linken Bewegungsreformismus – könnte wenigstens zur politischen Klärung und Formierung antikapitalistischer Genoss:innen und damit zur Zuspitzung der Auseinandersetzung beitragen – einschließlich der Vorbereitung auf ein Leben nach der Dauerexistenz in einer reformistischen Partei.

Die Linken und kämpferischen Genoss:innen in der Linkspartei müssen sich selbst ein paar Fragen stellen: Wie lange wollt Ihr noch „oppositionelle“ Sisyphusarbeit betreiben? Wie lange wollt Ihr Euch auf die „Reform“ einer schrumpfenden reformistischen Partei fokussieren, deren bürokratischen Apparat und reformistische Führungsallianzen Ihr in den letzten fast 20 Jahren keinen Schritt nach links bewegt habt? Wie lange wollt Ihr Euch noch etwas über eine Partei vormachen, wo Ihr vielleicht an einzelnen Orten neue Leute für linke Politik gewinnt, die Partei damit aber keinen Millimeter nach links zieht?

Wäre es nicht Zeit zu überlegen, ob Euer Anspruch, klassenkämpferische – ja im Falle von Organisationen wie Sozialismus von unten, marx21, Sol oder SAV „revolutionäre“ – Politik voranzubringen, in DIE LINKE einlösbar ist? Wäre es nicht höchste Zeit, statt weitere Jahre mit politischen Manövern in einer Partei zuzubringen, die auch, als sie mehr Anziehungskraft auf kämpferische, nach links gehende Schichten ausübte, sich nicht nach links bewegt hat, in eine systematische Diskussion um den Aufbau einer wirklichen Alternative zum Reformismus mit Genoss:innen inner- wie außerhalb der Partei zu treten? Wir machen den Austritt oder organisatorischen Bruch nicht zur Vorbedingung einer solchen Diskussion, aber wir halten es für unabdingbar, dass die subjektiv revolutionäre und klassenkämpferische Linke eine solche in Angriff nimmt. Denn die gesamte weltgeschichtliche Lage, Krisen, Krieg, drohende Umweltkatastrophe erfordern eine revolutionäre Antwort, nicht ein weiteres, „kleineres reformistisches Übel“.

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