Martin Suchanek, Infomail 1265, 27. September 2024
Die 56. Kammer des Berliner Arbeitsgerichts untersagte vor wenigen Stunden den lange vorbereiteten Berliner Kita-Streik.
Die Gewerkschaften ver.di und GEW fordern für die rund 7.600 Beschäftigten der fünf Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin einen Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung. Ähnlich wie Entlastungstarifverträge, die die Gewerkschaften in Krankenhäusern z. B. in Berlin und NRW durchsetzen konnten, fordern sie mehr Freizeit oder Geld bei hoher Belastung.
Seit Monaten weigert sich der Berliner Senat, über diese Forderungen überhaupt nur zu verhandeln. Ähnlich wie bei den Lehrer:innen der Stadt, die seit Jahren für ein solches Abkommen kämpfen, verweigern CDU und SPD, überhaupt mit den Gewerkschaften zu reden. Berlin sei schließlich nicht zuständig, die Gewerkschaften müssten sich an die Tarifgemeinschaft der Länder wenden.
Das Arbeitsgericht folgte in seinem Skandalurteil faktisch dem Berliner Senat und begründete lt. RBB das Streikverbot mit zwei Punkten. Erstens würde in Berlin noch Friedenspflicht bestehen, weil der TV-L aus dem Jahr 2023 noch wirke. Zweitens drohe dem Land, sollte es sich auf Verhandlungen einlassen, dass es von der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen würde, und das müsse es nicht riskieren.
Diese Begründungen sind geradezu grotesk. Über Monate weigerte sich der Berliner Senat, über die Überlastung und Unterfinanzierung der Berliner Kita-Eigenbetreibe überhaupt nur zu reden. Auch etliche gut mobilisierte Warnstreiks ließen die Stadtverwaltung kalt. Daher entschlossen sich die Beschäftigten weiterzugehen und stimmten in der Urabstimmung mit überwältigender Mehrheit – 91,7 % der ver.di-Mitglieder und 82 % der GEW-Mitglieder – für den unbefristeten Streik.
Geradezu grotesk mutet an dieser Stelle die Aussage des Vorsitzenden des Arbeitsgerichts an, er sehe eine „Möglichkeit, sich zu einigen, ohne zu eskalieren“ (https://www.morgenpost.de/berlin/article407349882/kita-streik-berlin-gericht-stopp-verdi-verliert-urteil.html). Wie eine Einigung überhaupt erzielt werden könnte, wenn der Senat lt. Gericht erst gar nicht „riskieren“ müsse zu verhandeln, bleibt das Geheimnis dieses Richters. Nicht minder logisch rätselhaft ist die Begründung, dass ver.di und GEW im Kampf für einen gar nicht existierenden Tarifvertrag an die Friedenspflicht aus einem anderen gebunden wären. Faktisch läuft das Urteil, sollte es in der Berufung bestätigt werden, auf ein Streikverbot für einen Tarifvertrag Entlastung in Berlin hinaus. Und sollte das Bestand haben, so stünden auch andere Kämpfe unter dem Damoklesschwert des Verbots.
So abstrus die Begründung, so klar der Klassenstandpunkt des Gerichts. Mit dem Urteil stellt sich das Arbeitsgericht offen und klar auf die Seite des Senats (und natürlich auch aller Länder), denen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten keinen Cent wert ist. Es reiht sich dabei ein in die Hetze des Senats, der bürgerlichen Presse, aber auch der Berliner Elternvereinigung und der Caritas, die den Beschäftigten, die seit Jahren an Überlastung leiden, jedes Recht absprechen, gegen ihren Arbeit„geber“ ihre Interessen effektiv zu vertreten. Das Verbot verdeutlicht aber auch, wo die „unabhängige“ Justiz in Wirklichkeit steht – auf Seiten von Staat und Kapital. Der aktuelle Rechtsruck und der Abbau demokratischer Rechte drückt sich nicht zuletzt auch in der Rechtspraxis der Arbeitsgerichte aus. Auch wenn es sicher berechtigt ist, in Berufung zu gehen, so müssen wir in der kommenden Periode auch mit einer restriktiveren, unternehmensfreundlicheren Rechtsprechung rechnen müssen.
Die Gewerkschaften und ihre Mitglieder brauchen unser aller Solidarität. Es reicht nicht, auf eine etwaige Revision des Urteils vor Gericht zu warten. Ver.di und GEW müssen jetzt den Protest, den Widerstand gegen das Skandalurteil organisieren. Die Personalräte und Gewerkschaften sollten Versammlungen in den Kitas einberufen, um über die Lage und die nächsten Kampfschritte zu diskutieren und zu beschließen. Dabei ist es notwendig, die Eltern sowie andere Gewerkschaften einzubeziehen und Solidaritätsstrukturen/Komitees aufzubauen – denn es ist klar, der Arbeitskampf und die Auseinandersetzung werden nicht nur vor Gericht beinhart werden.
Die Beschäftigten in den privaten Trägern dürfen nicht passiv bleiben, sondern müssen sich gerade angesichts des Skandalurteils solidarisieren. Die Eltern dürfen sich nicht als Druckmittel des Senats missbrauchen lassen, sondern sollten Unterstützungskomitees in enger Verbindung mit ihrer Kita aufbauen. Darüber hinaus braucht es auch eine öffentliche Kampagne von GEW, ver.di, Elternvereinigungen sowie allen DGB-Gewerkschaften, den Lügen und Diffamierungen des Senats, der bürgerlichen Medien und Berliner Skandaljustiz entgegenzutreten.
Damit der Kampf erfolgreich und für viele andere Kita-Beschäftigten eine Inspiration werden kann, muss er auch auf eine breite Basis gestellt werden. Es reicht nicht, wenn er nur von Hauptamtlichen und Funktionär:innen organisiert wird. Es braucht regelmäßige Versammlungen in den 282 städtischen Einrichtungen, die Aktionsausschüsse und gewerkschaftsübergreifende Streikleitungen wählen, die der Basis verantwortlich sind und für ganz Berlin zusammengeführt werden. So kann sichergestellt werden, dass die Streikenden nicht nur ihre Führung kontrollieren, sondern auch nur die weitere Kampftaktik entscheiden, so dass diese mit aller nötigen Konsequenz, Entschlossenheit und breiten Unterstützung geführt werden kann.