Martin Suchanek, Infomail 1153, 17. Juni 2021
Die Berliner Polizei räumt wieder einmal. Seit Jahren sind ihr die besetzten Häuser in der Rigaer Straße 94, in der Liebigstr. 34 und viele andere wie Wohn- und Kulturprojekte ein Dorn im Auge. Längst ist der rot-rot-grüne Senat von der Politik der faktischen Legalisierung und Befriedung von Besetzungen abgerückt, wie sie in den 1990er Jahren durchgeführt wurde.
Unter dem fadenscheinigen Vorwand einer Brandschutzprüfung konnten die HauseigentümerInnen der Rigaer – die in London ansässige Lafone Investments Limited, die über weitere Firmen und Treuhandkonstruktionen zu einem Berliner Privateigentümer und Immobilienhai führt – einen massiven Polizeieinsatz erzwingen. Dass es sich bei der Prüfung um einen bloßen Vorwand handelt, war schon immer klar, wurde aber am 17. Juni noch einmal deutlich, als das Angebot der BewohnerInnen ausgeschlagen wurde, den Brandschutzprüfer ohne Polizei ins Haus zu lassen.
Das Ziel wird damit nur noch einmal unterstrichen: die Räumung des Hauses mit allen Mitteln. Genau aus diesem Grund wird die Rigaer Straße seit Monaten, ja Jahren regelmäßig zum polizeilichen Sperrgebiet erklärt. Demonstration und Versammlungen werden tagelang verboten – und diese faktische Militarisierung der Auseinandersetzung durch Polizei, Senat und Gerichte wird dann den BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen in die Schuhe geschoben, die ihre Vertreibung nicht einfach hinnehmen wollen.
Die EinwohnerInnen wehren sich – wie die vieler anderer besetzter Häuser – seit Jahren. Ihr Widerstand ist zweifellos berechtigt und verdient die Unterstützung der gesamten Linken, der MieterInnenproteste und –bewegung, der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung.
Die beabsichtigte Räumung praktisch aller besetzten Häuser und Projekte in Berlin und die Diffamierung ihre BewohnerInnen und VerteidigerInnen als „Kriminelle“ muss im Gesamtzusammenhang der Privatisierungen, der zunehmenden Spekulation, der Immobilienblase an den Börsen und der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes verstanden werden. Der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße bildet einen Bestandteil dieser Entwicklung, die zu stetigen Mietpreissteigerungen und Verdrängung hunderttausender Menschen führt.
Die Hetze der bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus, der PolizeivertreterInnen und natürlich der Immobilienwirtschaft bringt letztlich nur deren Klassenstandpunkt und -hass zum Ausdruck. Kriminell agieren nicht die BesetzerInnen, die verdrängt werden sollen und sich wehren, sondern diejenigen, die deren Verdrängung, Räumung und Kriminalisierung fordern.
Ob AfD, CDU oder FDP: Sie alle singen im Chor mit der Berliner Presse das Lied der Freiheit der Rendite, fordern ein immer härteres Durchgreifen. Der rot-rot-grüne Senat erweist sich dabei wieder einmal als treuer Erfüllungsgehilfe dieser Kapitale. Voraus marschiert dabei SPD-Innensenator Geisel. Als Mini-Noske gibt er den Einpeitscher und Taktgeber: Was die bürgerliche Opposition fordere, setze er ohnedies längst schon um. Solange der Mann der Polizeitruppe vorsteht, können die Reichen in Ruhe reicher werden. „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez“, lässt der Innensenator verlauten. Hier spricht einer, der sich auskennt mit dem Drangsalieren von AnwohnerInnen. Denn: Was sind schon brennende Reifen gegen die Räumung von Häusern, Verdrängung tausender MieterInnen durch die Spekulation? Was bedeutet es schon, einen Farbbeutel oder einen Stein auf die Straße zu werfen, wenn tausende MieterInnen aufs Pflaster geworfen werden?
Von dem Innensenator kann die grüne Bezirkbürgermeisterin Herrmann in Sachen Umkehrung von Tatsachen noch lernen. Sie ist bestürzt über Gewalt und Chaos einer Minderheit. Gemeint hat sie damit jedoch nicht die Polizei, die die Straßen besetzt hält, sondern die Menschen, die sich gegen die Räumung wehren.
Ansonsten gehen Jusos, die verbliebenen Linken bei den Grünen und die Linkspartei derweil auf politische Tauchstation. Sie agieren nach dem Pontius-Pilatus-Prinzip und waschen ihre Hände in Unschuld. Gegen Geisel, die Polizei und die Pressehetze wollen sie nichts sagen, um nicht die imaginäre „Mitte“ zu verprellen oder gar kurz vor den Wahlen einen Koalitionskrach so zu riskieren. Umgekehrt wollen sie die UnterstützerInnen und SympathisantInnen der Rigaer Straße nicht als WählerInnen verprellen. Diese feige Stillhaltepolitik ist selbst ein politischer Skandal. Sie macht es den Geisels leicht, den Einbruch der Polizei mit Kettensägen und Rammböcken als „normalste Sache der Welt“ hinzustellen.
Damit Geisel, seine Polizei und Immobilienlobby, deren Profite sie sichern, nicht durchkommen, bedürfen die BewohnerInnen der Rigaer 94 und alle anderen von der Räumung bedrohter Häuser und Projekte unserer Solidarität.
Ohne Massenunterstützung wird es kaum möglich sein, dass der Widerstand gegen das paramilitärische Aufgebot der Polizei, gegen den vereinten Justiz- und Verwaltungsapparat auf Dauer siegen kann. Unterstützt daher die Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen mit der Rigaer 94 heute und an den kommenden Tagen!
Zugleich brauchen wir eine breite Solidaritätsbewegung, die alle MieterInnenbündnisse und Kampagnen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen und die Gewerkschaften umfasst. Vor allem aber sind die Linkspartei und alle Senatsparteien, die ständig vorgeben, sich für die Belange der MieterInnen einzusetzen, gefordert, den Geisels und Hermanns in den Arm zu fallen und aufzuhören, als verlängerter Arm von HauseigentümerInnen und Kapitalinteressen zu agieren.
Sofortiger Stopp der Räumung und Rückzug aller Polizeieinheiten! Aufhebung aller Demonstrations- und Versammlungsverbote!