Arbeiter:innenmacht

Österreich: Zu den faschistischen Übergriffen in Favoriten und dem Angriff auf das EKH

Mo Sedlak, Infomail 1109, 30. Juni 2020

In den vergangenen Wochen wurden immer wieder feministische Kundgebungen, die von kurdischen Frauenorganisationen mitorganisiert wurden, von FaschistInnen angegriffen. Mittwoch den 24. Juli eskalierte die Situation in Wien Favoriten dann – um die hundert junge Männer attackierten eine Kundgebung gegen Morde an Frauen in Österreich und der Türkei und verfolgten die TeilnehmerInnen zum besetzten Ernst-Kirchweger-Haus (EKH). In den Tagen danach kam es immer wieder zu bewaffneten Angriffen auf solidarische DemonstrantInnen. Die lange schwelende Gefahr türkischer FaschistInnen und ihrer breiten UnterstützerInnenbasis ist damit plötzlich zu einem entscheidenden Kampf für InternationalistInnen und AntifaschistInnen geworden.

Die AngreiferInnen

Die AngreiferInnen sind vor allem junge Männer, die die Symbole der faschistischen MHP, ihrer islamistischen Abspaltung BBP und sogar des IS zeigen. Ein Beitrag auf dem „Mosaikblog“ weist darauf hin, dass diese immer näher an den türkischen Diktator Erdogan heranrücken und vor allem seine KritikerInnen angreifen. Vor allem im zehnten Bezirk werden aber auch generell Linke und politisch aktive Frauen attackiert, die FaschistInnen beanspruchen die Gegend um den Reumannplatz im 10. Bezirk als ihr Territorium. Das wurde schon am 1. Mai klar, als eine Kundgebung von türkischen, kurdischen und österreichischen Linken umzingelt wurde.

Der STANDARD schreibt, dass die faschistischen und islamistischen Gruppen in etwa 25 Vereinen organisiert sind, die der MHP und ihren Abspaltungen zuzuordnen sind. Sie sind in der Lage, sehr schnell recht viele Jugendliche zu mobilisieren, mit einer Mischung aus rechtsradikaler Ideologie und einem Versprechen auf Action. Daraus ergeben sich die vielen kleinen und größeren Angriffe aus dem Hinterhalt und auf Seitenstraßen, ebenso wie die schnellen Rückzüge in Wohngegenden und Parks.

EU finanziert, Türkei bombardiert

Die Angriffe erfolgen nicht zufällig nur wenige Tage, nachdem die Türkei am 15. Juni eine neue Offensive gegen die KurdInnen in Südkurdistan (Nordirak) begonnen hat. Nach den Angriffen auf Rojava und dem Einmarsch in Afrin (kurdisch: Êfrin) im letzten Jahr begannen Regimetruppen das autonome Flüchtlingslager in Mexmûr und die jesidischen Dörfer im Sengal zu bombardieren. Seitdem kurdische Truppen aus Rojava (YPG/YPJ) und dem türkisch besetzten Teil Kurdistans (HPG) den geplanten Genozid durch den IS an der jesidischen Minderheit verhindert hatten, gelten diese in den Augen des türkischen Regimes als PKK-Verbündete. Diese Angriffe erfolgen offensichtlich in Absprache mit der NATO, in der die Türkei Mitglied ist, und mit den Geldmitteln des schmutzigen EU-„Flüchtlingsdeals“. Sie reihen sich ein in eine Vernichtungsstrategie des türkischen Regimes gegen die nationale Befreiung der KurdInnen genauso wie gegen die türkische Linke.

Fast gleichzeitig begann übrigens auch das iranische Regime, gegen KämpferInnen und ZivilistInnen in Ostkurdistan vorzugehen). Der Großteil der kurdischen Gebiete wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt und mit Flugzeugen und Artillerie bombardiert. Auch die erste türkische Offensive in Südkurdistan wurde wohl von iranischem Artilleriefeuer begleitet.

Um den anti-kurdischen Rassismus und die Bestrebungen in Richtung „Großtürkei“ können sich auch die FaschistInnen der MHP und deren islamistische Abspaltungen sammeln. Bei den FaschistInnen gilt ja, dass wer sich durchsetzt oft Recht hat, und so wird Erdogan zur Führerfigur und seit Neuerem sogar offiziell zum Koalitionspartner.

Der internationale Charakter der anti-kurdischen Offensive, die Rolle europäischer Rüstungskonzerne und der EU-Gelder an die Türkei wurde bereits auf einer Demonstration gegen das Bombardement am vorigen Samstag auf der Mariahilfer Straße betont. „Türkische Armee raus aus Kurdistan“ und „Deutsche Panzer raus aus Kurdistan“ wurden dort gerufen.

Kämpfe und Polizeigewalt

Von Mittwoch bis Samstag kam es zu täglichen Solidaritätsaktionen im Bezirk. Das angegriffene EKH und sein Nebengebäude sind seit bald 30 Jahren das Zentrum autonomer, türkischer und kurdischer Linker im Bezirk. Nach einer nervenaufreibenden Demonstration am Donnerstag, die in jeder Seitenstraße teilweise mit Messern und Schlagstöcken angegriffen wurde, versuchten die FaschistInnen spätnachts sogar das Haus anzuzünden. Und schon da richtete sich die Reaktion der Polizei gegen die linken DemonstrantInnen. Faschistische Angriffe wurden durchgelassen, aber AntifaschistInnen die sich mit Händen und Füßen zur Wehr setzten attackiert.

Am Freitag setzte die Polizei die AntifaschistInnen schließlich nach einem massiven Angriff drei Stunden in einem Kessel fest, der derweil mit Flaschen beworfen wurde. Nach Abschluss der Demonstration am Hauptbahnhof wurden nur Zehnergruppen hinausgelassen, von denen einige in Überzahl überfallen wurden, es kam zu schweren Verletzungen. Am Samstag schließlich ließ es sich die Polizei nicht nehmen nach Abschluss der Demonstration zur türkischen Botschaft im vierten Bezirk noch 30 AntifaschistInnen zu kesseln, durch solidarischen Druck anderer AktivistInnen wurden diese aber wieder freigelassen. Auch österreichische Rechte konnten ungestört die Demonstration provozieren. Selbst wenn es nicht die Identitären oder klassische Stiernackennazis sind, stellt sich die Wiener Polizei verlässlich auf Seite der FaschistInnen.

Tatsächlich sind die Angriffe aber nichts Neues. Auf der Demonstration am Samstag berichtete eine Sprecherin des internationalistischen Frauenbündnis, das am 24. Juni am Keplerplatz angegriffen worden war, dass davor schon Kundgebungen im 17. und 20. Bezirk zum ziel faschistischer Mobilisierungen geworden waren.

Rassistische Antworten

Wie nicht anders zu erwarten warfen sich die rechtspopulistische FPÖ und die Strache-Abspaltung sofort auf das Thema. Sie schrieben einen „Ausländerkonflikt“ herbei und forderten schnelle Abschiebungen sowie den Rücktritt der Grünen Vizebürgermeisterin Hebein, die sich auf einer Solidaritätsaktion blicken hatte lassen. Aber auch aus der SPÖ kamen die Forderungen nach Abschiebungen vor den Solidaritätsbekundungen mit AntifaschistInnen, zum Beispiel vom Landtagsabgeordneten Peko Baxant). Die regierende ÖVP hat sich voll auf FPÖ-Linie eingeschossen, spricht von „Integrationsversagen“ und „ausländischen Konflikten“.

AntifaschistInnen müssen allen Aspekten dieser Argumentation entschieden entgegentreten. Erstens handelt es sich hier um einen politischen Konflikt, keine „ethnischen Auseinandersetzungen“. An den Angriffen beteiligen sich auch Jugendliche und FaschistInnen ohne Bezug auf die Türkei, angegriffen werden KurdInnen, TürkInnen und ÖsterreicherInnen gleichermaßen. Zweitens versuchen ÖVP, FPÖ und auch SPÖ-nahe „Intellektuelle“ wie Robert Misik beide Seiten gleichzusetzen, während für uns klar ist, wo wir stehen.

Aber vielleicht am wichtigsten, ist das Erstarken türkischer FaschistInnen in Favoriten ein österreichisches Phänomen. Es ist die österreichische Regierung, die sich für Milliarden an Erdogan eingesetzt hat, damit dieser Geflüchtete an der Reise nach Europa hindert. Die Zusammenarbeit mit den Vereinen von AKP, MHP und BBP findet durch österreichische Stellen statt, ebenso wie die Kriminalisierung kurdischer und türkischer Oppositioneller. Aber auch die ständige Ausgrenzung von migrantischen und armen Jugendlichen in Favoriten, die es den FaschistInnen erlaubt sich als scheinbarer Gegenpol aufzustellen ist österreichische Politik. Wenn wir gegen die FaschistInnen kämpfen, müssen wir auch die Regierungen angreifen, die sie hervorgebracht haben.

Widerstand

Mehrere Diskussionsbeiträge der letzten Tage haben darauf hingewiesen, dass die Zusammensetzung der AngreiferInnen nicht so eindeutig ist. Anscheinend stellen organisierte FaschistInnen die Minderheit, aber unorganisierte und an den Rand gedrängte Jugendliche die Mehrheit der AngreiferInnen. Damit müssen sich Linke in Wien ernsthaft auseinandersetzen.

Aber die Antwort auf faschistische Gewalt kann nicht sozialarbeiterisch sein. Das haben die blutigen Erfahrungen aus dem Deutschland der 1990er-Jahre, wo sich eine mörderische Neonaziszene um Jugendzentren und „akzeptierende Jugendarbeit“ aufgestellt hat, leider gezeigt. Die konkrete Aufgabe von AntifaschistInnen ist es, uns selbst und unsere GenossInnen zu schützen. Das gelingt am besten wenn Demonstrationen durchgesetzt, unsere Zentren verteidigt und Angriffe zurückgeschlagen werden. Nur der physische Beweis, dass sie die Macht eben nicht haben, bringt FaschistInnen von weiteren Angriffen ab.

Dafür braucht es in erster Linie ernst gemeinte internationalistische Solidarität. Der radikalen wie der reformistischen Linken ist es, bis auf Ausnahmen, in den ersten Tagen nicht gelungen stark zu den Protesten zu mobilisieren. Das muss sich ändern.

Aus einem solidarischen Bündnis müssen organisierte Selbstverteidigungsstrukturen aufgebaut werden. Nur so können wir unsere Demonstrationen gegen FaschistInnen und Polizei schützen, aber auch im Grätzl gegen Angriffe und faschistische Zusammenrottungen vorgehen. Die versuchte Stürmung des EKH, die massiven Angriffe um den Reumannplatz und Übergriffe wie am Hauptbahnhof dürfen sich nicht wiederholen, und auf die Polizei ist bewiesenermaßen kein Verlass.

Außerdem müssen wir es schaffen, die Ursachen des Problems frontal anzugreifen. Das bedeutet einen internationalistischen Widerstand gegen die Angriffe der NATO und ihre ProfiteurInnen in Europa und Österreich. Aber auch dem rassistischen Ausschluss und der wirtschaftlichen Misere in den Wiener Außenbezirken müssen wir ein klar antikapitalistisches Programm entgegenstellen. Das würde den FaschistInnen ihre SympathisantInnenbasis dauerhaft entziehen.

Schließlich ist es selbstverständlich, dass wir uns mit dem politischen Kampf der KurdInnen um nationale Befreiung und Autonomie solidarisieren. Relativierungen oder ein vages „Ablehnen von jedem Nationalismus“ bedeutet hier auf der Seite der UnterdrückerInnen zu stehen. Bijî Berxwedana Kurdistan – es lebe der Widerstand in Kurdistan!

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