Arbeiter:innenmacht

Frankreich: Nieder mit der Krankheit des Kapitalismus!

Marc Lassalle, Infomail 1097, 31. März 2020

„Wir befinden uns im Krieg. Die gesamte Aktion der Regierung und des Parlaments sollte nun auf die Bekämpfung der Epidemie ausgerichtet werden.(…) Wir befinden uns im Krieg. Die Nation wird ihre Söhne und Töchter unterstützen, die als medizinische Fachleute in den Städten und in den Krankenhäusern an der Front sind. Wir sind ihnen die Mittel und den Schutz schuldig“.

Mit martialischen Tönen, die sich vage an den reaktionären Premierminister Clemenceau während des Ersten Weltkriegs anlehnten, appellierte Präsident Macron in den letzten zehn Tagen mehrmals an die französische Nation und kündigte die besonderen Bewegungsbeschränkungen an, um die Epidemie zu stoppen. Doch trotz ihrer Schwere können seine Worte kaum eine Realität verbergen, die sich von seiner Erzählung ganz erheblich unterscheidet.

Regierung

Erstens ist die Kriegsmetapher natürlich eine reine Propagandafiktion. Nein, es ist kein Krieg. Es ist die Pandemie, vor der die WHO und andere SpezialistInnen die Regierungen der Welt seit Jahrzehnten gewarnt haben. Was haben sie getan, um sich darauf vorzubereiten? Schlimmer als nichts.

Monatelang hat die Regierung die Schwere der Krankheit geleugnet. Bis Ende Februar glaubten die meisten Menschen den Medien und dachten, es handele sich um kaum mehr als eine Art Grippe. Als ob sie das noch einmal betonen wollte, bestand die Regierung darauf, den ersten Wahlgang der Kommunalwahlen am 15. März zu organisieren. Dies war trotz der sich häufenden Beweise und Empfehlungen völlig verrückt, da es die Verbreitung des Virus dramatisch steigern würde.

Ein weiterer Beweis ist das schiere Fehlen von Schutzmasken in Frankreich. Im Jahr 2011 gab es noch etwa eine Milliarde Masken auf Lager. Dann entschied die Regierung, dass es zu teuer sei, diesen Bestand zu halten, und gab die Verantwortung angeblich an lokale Organisationen ab. In der Folge verschwand der Bestand, und heute müssen sogar ÄrztInnen schutzlos an die „Front“ gehen, ganz zu schweigen von den ArbeiterInnen in den Geschäften, im Transportsektor usw. All dies wurde durch eine Nebelwand der Propaganda verdeckt, die behauptete, dass Masken nicht wirklich so nützlich seien und dass es ausreiche, sich nur die Hände zu waschen. Heute versucht die französische Regierung jedoch krampfhaft, etwa 100 Millionen Masken aus China zu kaufen, was kaum für einen Monat ausreichen wird.

Dasselbe gilt für die Virentests. Während die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, zu testen, zu testen und abermals zu testen, ist das französische System völlig überfordert und kann nur etwa 2.000 Tests pro Tag durchführen, während Deutschland ein Mehrfaches davon absolvieren kann und Südkorea bereits einen guten Bruchteil der Bevölkerung getestet hat.

Natürlich sind die ÄrztInnen und das Pflegepersonal empört, denn dies ist nur ein weiteres Zeichen für die schrecklichen Folgen der neoliberalen Politik, die seit Jahrzehnten von rechten und linken Regierungen auf diesem Sektor betrieben wird.

Die Zahl der Krankenhausbetten, die jetzt so kostbar erscheinen, ging zwischen 1982 und 2013 von 612.898 auf 428.987 zurück, ein Rückgang um 30 Prozent als Folge einer Reihe von Reformen, die den gesamten Sektor umstrukturierten und nur durch den Willen zur Reduzierung des Staatshaushalts diktiert wurden. In Paris und in allen Regionen wurden Krankenhäuser geschlossen, weil sie als „nicht rentabel“ eingestuft wurden. Wo sie doch offen blieben, war dies oft nur das Ergebnis langer Kämpfe der ArbeiterInnen und der lokalen Bevölkerung.

Seit mehr als einem Jahr streikt das Personal der Notaufnahmen und fordert die Einstellung von mehr Krankenpflegekräften und ÄrztInnen sowie Lohnerhöhungen. Tatsächlich sind die Krankenhäuser bei jeder Grippeepidemie überfordert. Infolgedessen sieht sich das französische System nun mit der Pandemie konfrontiert, die den Osten des Landes und die Pariser Region besonders schwer getroffen hat, ohne die notwendige Schutzausrüstung, entwaffnet und geschwächt durch die Regierung selbst.

Der öffentliche medizinische Forschungssektor hat den Mangel an Finanzmitteln für die Untersuchung dieser speziellen Art von Virus angeprangert. Der Privatsektor hat sie nie als attraktive Option betrachtet, wahrscheinlich weil solche Krankheiten lange Zeit die  halbkoloniale Welt trafen, die für die Damen und Herren der Pharmakonzerne kaum der Mühe wert waren. Um das Jahr 2000, insbesondere mit dem Aufkommen von SARS, wurde im öffentlichen Sektor eine gewisse Forschung über Behandlungen und Impfungen begonnen. Nach dem Abklingen der Epidemie wurde all dies jedoch aufgrund mangelnder Mittel und des dürftigen Interesses der medizinischen Behörden eingestellt. Da SARS dem Coronavirus ähnlich ist, gingen wertvolle Jahre verloren, um sich auf diese neue Epidemie vorzubereiten.

ArbeiterInnenklasse

Natürlich soll die Kriegsrhetorik der Regierung in Wirklichkeit nur dazu dienen, abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen. Oder wie Macron es ausdrückt: „Wenn man sich auf einen Krieg einlässt, muss man sich ganz und gar engagieren, man muss sich in Einheit mobilisieren“. Unheilvoller Weise war eine der ersten Aktionen dieses „Krieges“ eine Flut von 25 Dekreten zur Deregulierung der ArbeiterInnenrechte: Der Arbeitstag wurde auf 12 Stunden (von 10) erhöht, die Arbeitswoche kann bis zu 60 Stunden (von 48) betragen, die Ruhezeit wird auf 9 Stunden (gegenüber 11 heute) reduziert, und all dies bis Dezember 2020. Die klare Absicht besteht darin, die ArbeiterInnen am Ende der „Sperrzeit“ überauszubeuten, damit die Bosse einen Teil ihrer Gewinne zurückerhalten können. In der Tat werden die massiven Refinanzierungspakete, die die Regierung den Bossen versprochen hat, und das Programm der Verstaatlichungen enorme Kosten für die ArbeiterInnenklasse verursachen. Wie 2008 sollen sie die Hauptlast einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung und der Kürzungen des Sozialsystems und Einschränkungen der Arbeitsrechte tragen.

Auf Initiative der radikalen Linken (NPA, Nouveau Parti anticapitaliste, SUD, Solidaires Unitaires Démocratiques) analysiert ein interessanter Appell aktiver GewerkschafterInnen und AktivistInnen der sozialen Bewegungen die Situation und kritisiert die Regierung. Er enthält eine Reihe von Forderungen, die wir voll und ganz unterstützen können:

  • die sofortige Einstellung aller Unternehmen, die für das Funktionieren der Gesellschaft nicht unerlässlich sind;
  • eine massive und sofortige Finanzspritze für das Gesundheitssystem;
  • Verstaatlichung der pharmazeutischen Industrie;
  • sofortige und groß angelegte Öffnung von Unterkünften für Obdachlose und die sogenannten Sans-Papiers, die keine offiziellen Dokumente besitzen;
  • Schließung von Zentren für amtlich Internierte;
  • die Befreiung eines Maximums von Gefangenen aus den überfüllten Gefängnissen.

Dieser Appell schließt jedoch mit einer utopischen Note. „Teilung des Reichtums angesichts von Covid-19. Die Zeit von Covid sollte nicht eine Zeit der Angst, der Ausgrenzung und des repressiven Staates sein. Sie sollte im Gegenteil eine Zeit der Solidarität sein, eine Zeit der Organisation der Gesellschaft selbst, um unsere eigene Solidarität durchzusetzen und zu verwirklichen. Wir sollten TrägerInnen von Forderungen, Initiativen zur Kontrolle und Neuorganisation der Gesellschaft, zur sanitären und sozialen Dringlichkeit sein“.

Gegen all dies haben der Kapitalismus und sein Staat den Krieg erklärt, und sie werden zum bösartigsten Widerstand fähig sein. Die ArbeiterInnenklasse sollte nicht von einem friedlichen Prozess träumen, sondern ihre Waffen des Klassenkampfes vorbereiten und zu den ernsthaftesten Maßnahmen bereit sein, einschließlich des Generalstreiks, der Revolte und der Machtergreifung, um ihre Eroberungen zu verteidigen und ihre eigene Neuordnung der Gesellschaft durchzusetzen.

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