Arbeiter:innenmacht

Britannien: Warum die Regierung über das Coronavirus lügt

Jeremy Dewar, Infomail 1096, 19. März 2020 (Ursprünglich veröffentlicht auf Red Flag, 16. März 2020)

„Wir stehen vor einem globalen Notstand, und PolitikerInnen, die anscheinend nicht an die Wissenschaft glauben, gefährden uns alle. Dass diese Aussage gleichermaßen für Coronaviren und den Klimawandel gilt, sagt etwas über die Ära aus, in der wir leben.“ (New Scientist Leader: Parallele Probleme, 7.3.20)

Unsere Zeit ist in der Tat mit immer regelmäßigeren und schwereren Krisen konfrontiert – von der globalen Erwärmung über die Finanzkrise bis hin zu pandemischen Krankheiten. Doch diese globalen, sozialen Probleme werden entlang rivalisierender nationaler Linien und unter konkurrierenden kapitalistischen Eigentumsrechten behandelt.

Unsere Antwort muss ausgehend von einem internationalistischen  Standpunkt für die ArbeiterInnenklasse erfolgen. In anderen Artikeln befassen wir uns eingehender mit dem wissenschaftlichen Verständnis des Problems (und damit mit möglichen Lösungen) und der kommenden globalen Rezession, die durch die Pandemie ausgelöst wird.

Hier werden wir uns mit der kommunistischen Antwort auf die Krise befassen. Doch zunächst wollen wir die Art des Problems, soweit wir es kennen, und die unangemessenen Antworten (oder Nicht-Reaktionen) der britischen Regierung Boris Johnsons darlegen.

Covid-19

Der erste bekannte Todesfall durch das Coronavirus-2019 trat in der dritten Januarwoche in Wuhan, Provinz Hubei, ein. Die ersten Todesfälle hingen mit einem „feuchten Markt“ zusammen, wo lebende und tote Tiere nahe beieinander gehalten werden und somit Viren durch die Nahrungskette auf den Menschen überspringen können. Als erste Quelle des Virus wird eine Art Fruchtfledermaus (Hufeisennasenfledermaus) vermutet, die als Träger von Coronaviren bekannt ist.

All dies wirft Fragen über die Tierhaltung, die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie auf. Und China steht mit seinen erschreckenden Standards in allen drei Bereichen kaum allein da. Die riesigen multinationalen Agrobusiness-Konzerne sollten gezwungen werden, ihre Konten und Einrichtungen für die Kontrolle durch ArbeiterInnen (oder genauer gesagt WissenschaftlerInnen, denen die ArbeiterInnenklasse vertraut) zu öffnen. Die ArbeiterInnen sollten für das Recht auf ein Veto gegen Substandardpraktiken ohne Bestrafung oder Lohnverlust kämpfen.

Was wir über die Ausbreitung des Virus wissen, wird dadurch erschwert, dass die Anzahl der Tests in den einzelnen Ländern so unterschiedlich ist, wobei das Vereinigte Königreich und vor allem die USA am wenigsten testen. Länder, die eine überdurchschnittlich hohe Sterblichkeitsrate durch die Krankheit aufweisen wie der Iran und Italien sind also wahrscheinlich unterdurchschnittlich getestet, während Länder mit einer niedrigeren Rate, wie Südkorea, von denen wir wissen, dass sie häufiger testen, wahrscheinlich näher an der tatsächlichen Rate, etwa 1–2 %, liegen.

Aber nicht nur bleiben viele Opfer unentdeckt, versäumen möglicherweise ein frühzeitiges, lebenswichtiges Eingreifen und stecken mit Sicherheit andere an, sondern verhindern auch die Planung zur Eindämmung des Virus: wo Schulen und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen, wann und wo Reisebeschränkungen verhängt werden sollen usw. Darüber hinaus bedeutet das Fehlen von Tests, dass MitarbeiterInnen mit Symptomen sich selbst isolieren müssen, nur für den Fall, dass sie das Virus haben, was den bestehenden Personalmangel im nationalen Gesundheitswesen noch verschärft.

Wir fordern vollständiges und, wo nötig, wie auf den Intensivstationen, regelmäßiges Testen. Um der Nachfrage gerecht zu werden, müssen die Unternehmen, die solche Geräte liefern, ihren Herstellungsprozess offenlegen, damit sie an neuen oder requirierten Standorten unter staatlicher und ArbeiterInnenkontrolle  ebenfalls durchgeführt werden können.

Sobald man sich mit der Krankheit angesteckt hat, ist das Ergebnis recht unterschiedlich. Man schätzt (wir kennen die tatsächliche Zahl der Infektionen nicht), dass 80 Prozent nur leichte Symptome wie Blutandrang, Halsschmerzen, trockenen Husten und erhöhte Temperatur haben werden. Die anderen 20 Prozent müssen im Krankenhaus behandelt werden, da das Virus die Lungen angreift, was zu Atembeschwerden oder Lungenentzündung führt, und in schwereren Fällen das Herz und andere lebenswichtige Organe, die ebenfalls versagen können. Fünf Prozent benötigen eine Intensivbehandlung.

MedizinerInnen warnen davor, dass Personen mit hohem Blutdruck, Herz- oder Atemwegserkrankungen, DiabetikerInnen, ältere Menschen oder Personen mit grundlegenden Gesundheitsproblemen am anfälligsten sind. Wir können dieser Liste ohne Furcht vor Widersprüchen die Obdachlosen und Menschen in überfüllten Unterkünften, SozialhilfeempfängerInnen, Behinderte, Menschen mit unsicheren Verträgen oder Scheinselbstständige, die keine Freizeit nehmen können, usw. hinzufügen. Kurzum, all diese Opfer der Sparmaßnahmen werden wieder zu Betroffenen gemacht.

Das NHS (National Health Services; nationales Gesundheitswesen) wurde auf dem Prinzip der Gleichheit der Versorgung für alle gegründet, unabhängig von der sozialen Klasse, dem Status oder der Zahlungsfähigkeit. Es sollte nicht nur jeder getestet werden, sondern jede/r sollte in der Lage sein, sich selbst zu isolieren, ohne Verlust des erwarteten Einkommens, oder Angst vor Vertreibung oder Hunger zu haben. Krankengeld in Höhe des vollen Lohns soll es vom ersten Tag an für alle geben, die arbeiten, keine Entlassungen von Erkrankten, kostenloses Essen für die Schwachen und Mietbefreiung für die Zeit der Abriegelung oder Isolation.

Wie viele sind „nicht zu viele“?

Der britische Premier Johnson sagte auf einer Pressekonferenz am 12. März, dass „noch viel mehr Familien vor ihrer Zeit geliebte Menschen verlieren werden“. Diese gleichgültige Bemerkung könnte – und sollte – ihn wieder einholen und verfolgen. Auf der gleichen Konferenz gab der Premierminister kaum relevante und völlig unzureichende Ratschläge wie z. B. die Vermeidung von Kreuzfahrtschiffen und ausländischen Schulausflügen.

Im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen und ostasiatischen Ländern, von denen viele weniger Fälle und weniger Todesfälle haben, würde Großbritannien weder große Versammlungen verbieten noch Schulen und Universitäten schließen oder Unternehmen anweisen, von zu Hause aus zu arbeiten – oder zu schließen. Johnson behauptete, dass wir „einige Wochen vor der gefährlichsten Zeit“ stünden. Sein/e BeraterIn sagte, wir lägen vier Wochen hinter Italien zurück (was sich als Lüge herausstellte).

Am 16. März „riet“ und „verlangte“ Johnson, dass sich die Betroffenen und ihre Familien sieben Tage lang selbst isolieren sollten (bis er gezwungen war, sie in 14 Tage zu ändern: eine weitere Lüge). In den nächsten Tagen soll er diejenigen über 70 oder mit Grunderkrankungen bitten, sich zwölf Wochen lang zu isolieren. Es waren zu diesem Zeitpunkt keine Maßnahmen zur Schließung von Schulen oder zur Verschiebung großer Sportveranstaltungen angeordnet.

Doch die Tory-Regierung sagt, sie folge nur der Wissenschaft, zufälligerweise die gleiche Wissenschaft, die andere Regierungen (und sogar die erste Fußballliga!) dazu veranlasst hat, weitaus ernsthaftere Maßnahmen zu ergreifen und große Versammlungen zu verbieten, Schulen zu schließen usw. Wer hat also Recht?

Ein Vergleich von Covid-19 mit früheren Pandemien wie der Spanischen Grippe von 1918–20 oder der Schweinegrippe 2009 ist schwierig, da möglicherweise zuverlässige Daten fehlen. Aber die weitgehend unkontrollierte Pandemie nach dem Ersten Weltkrieg betraf 60 Prozent der Weltbevölkerung, wobei bis zu 2 Prozent der Bevölkerung, d. h. bis zu 50 Millionen Menschen, getötet wurden. Die Schweinegrippe, die besser eingedämmt werden konnte, betraf mindestens 25 Millionen Menschen, wobei bis zu einer halben Million Menschen getötet wurden (frühere Schätzungen wurden erheblich nach oben korrigiert).

Covid-19 ist keine Grippe. Eine Person kann sich typischerweise eine Woche lang ohne Symptome anstecken. Während dieser Zeit ist sie ansteckend. Für die Mehrheit gibt es keine auffälligen Symptome, die sie von einer grippalen oder erkältungsähnlichen Infektion unterscheiden. Wir wissen nicht, ob man überhaupt eine langfristige Immunität bekommen kann.

Der Statistiker und Blogger Tomas Pueyo hat durch den Vergleich nationaler Zeitlinien und die Markierung der wahrscheinlichen Wirkung der oben beschriebenen Sperrmaßnahmen gezeigt, dass sich die Zahl der Fälle alle zwei Tage natürlich verdoppeln wird. Aber die Sperrmaßnahmen wirken sich zumindest verzögert aus, indem sie die Infektionsrate und damit die Sterblichkeitsrate jeden Tag verlangsamen (und damit den Effekt verzögern).

Die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 ist in Britannien am 16. März von 36 auf 55 gestiegen. Die Tatsache, dass die Zahl der bekannten Fälle im gleichen Zeitraum nur um 171 gestiegen ist, zeigt, wie wenig Tests durchgeführt werden. Selbst die Regierung gibt zu, dass die tatsächliche Zahl der Fälle bei über 10.000 liegt. Aber laut ihrer Richtlinie will sie nur diejenigen testen, die bereits im Krankenhaus behandelt wurden, und damit nur etwa 20 Prozent der Gesamtzahl der Fälle erfassen.

Marodes Gesundheitssystem

Sperren und andere weniger scharfe Maßnahmen, die die sozialen Kontakte einschränken, haben gezeigt, dass die Ansteckungsrate sinkt. Es ist weithin anerkannt, dass es heute fast unmöglich ist, das Virus einfach einzudämmen und seine weltweite Ausbreitung zu stoppen. Aber indem die Krankheit sich langsamer ausbreitet und der Bedarf an fachärztlicher Versorgung über einen längeren Zeitraum gestreckt wird, können die überlasteten Gesundheitssysteme wie das nationale Gesundheitswesen, die noch immer unter jahrelangen Einsparungen und Kürzungen leiden, besser damit umgehen und Leben retten.

Eine Umfrage des Fernsehsenders Channel 4 unter tausend Gesundheitsfachleuten ergab, dass 99 Prozent der Befragten zustimmten, dass das System unter dem vorhergesehenen Druck zusammenbrechen wird. Die ÄrztInnen haben sich darüber beschwert, dass sie in die Lage versetzt werden, wie Gott zu entscheiden, welche/r PatientIn lebt und welcher stirbt. Der Binnenmarkt und die private Versicherung werden sicherlich eine Rolle spielen.

Unterdessen wurde MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens, die erschöpft, unter extremem Druck und in Gefahr sind, jeder zukünftige Urlaub verweigert. Viele sind oder werden selbst krank, doch wenn sie sich selbst isolieren, steigt die Arbeitsbelastung für andere. Kurz gesagt, das System bricht zusammen, die PatientInnen erhalten nicht die erforderliche Pflege und die Sterblichkeitsrate pro Fall steigt unaufhaltsam weiter an.

Wir brauchen eine sofortige und massive Investition in das NHS, sowohl um uns in dieser Krise zu verteidigen als auch um uns auf die nächste vorzubereiten. Die Gesundheit und Sicherheit des Gesundheitspersonals darf nicht der „Effizienz“ entgegengesetzt werden. Umfassende und häufige Tests für das Personal, ein ausreichendes Angebot an Personenschutzausrüstung, eine massive Rekrutierung von MitarbeiterInnen, Schulungen mit einem angemessenen Stipendium und eine Erhöhung der Gehälter als Ausgleich für die Abnutzung im Berufsdienst sind dringend erforderlich.

Eine angemessene Reaktion auf die Pandemie erfordert integrierte und koordinierte Gesundheitsdienste. Jahre der Privatisierung, Profitmacherei und Unterfinanzierung haben das staatliche Gesundheitswesen zerschlagen und den Boden für die private Gesundheitsversorgung bereitet. Nicht nur die Krankenhäuser, sondern die gesamte Pharma-, Medizintechnik- und Forschungsindustrie müssen verstaatlicht werden. Dies sollte ohne Entschädigung für diejenigen geschehen, die von der Krankheit profitieren, und unter ArbeiterInnenkontrolle stehen.

Kapitalistische Prioritäten

Johnsons Rede vom „Abflachen des Sombreros“, d. h. von der Umleitung der Exponentialkurve der Pandemie, ist in Wirklichkeit nur Gerede. Auch hier zeigt Tomas Pueyo, dass Verzögerungen und halbe Maßnahmen sowohl ihre Wirksamkeit verringern als auch den Höhepunkt der Ansteckung, wenn die Zahl der Todesfälle oder Genesungen ebenso hoch ist wie die Zahl der Neuerkrankungen, viel schlimmer als notwendig eintreten lassen.

Abgesehen von seiner gewohnten Missachtung der Wahrheit und der Behauptung, dass wir vier Wochen hinter Italien zurückliegen, obwohl wir nur 10 Tage entfernt sind, hat Johnson zwei Ausreden für seine träge Reaktion. Erstens sagt er, dass die britische Öffentlichkeit – das „Volk“, das er zu vertreten vorgibt –, sich nicht länger als ein paar Wochen mit Schließungsmaßnahmen abfinden wird.

Der Hauptgrund, warum die Menschen den Rat zur Selbstisolierung ignorieren (müssen), ist, dass sie zur Arbeit gehen. Es gibt viele Berichte über UnternehmerInnen, die den Beschäftigten unter Androhung von Entlassungen, schriftlichen Abmahnungen oder Lohneinbehalten anordnen, medizinische Ratschläge zu ignorieren.

Die Regierung hat nichts unternommen, um dieses eklatante Problem zu lösen. Bei jedem Schritt richtet sich der Rat an die Einzelnen. Er bittet uns, nach Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten, sich selbst zu isolieren und unnötige Reisen zu vermeiden. Wir werden für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht, wenn nur Maßnahmen, die gegen unsere KapitalistInnen durchgesetzt werden, eine Chance haben, das Virus zu stoppen.

In Krisenzeiten zeigt der Staat, für wen er wirklich regiert, und die britische Regierung hat sicherlich gezeigt, wie sklavisch sie die Profitfähigkeit von Unternehmen schützt. Sie hofft verzweifelt, dass es unserer KapitalistInnenklasse zum Preis von Hunderten oder sogar Tausenden von Menschenleben möglich sein wird, eine Krise in eine Chance zu verwandeln, wenn die britische Wirtschaft weiter in Schwung bleibt, während das übrige Europa sich abschottet. Unsere Regierung und unsere Chefs stellen ein Hindernis im Kampf gegen die Pandemie und zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dar.

„Herdenimmunität“

Johnsons zweiter Grund für die Verzögerung ist die Behauptung von Patrick Vallance, dem leitenden wissenschaftlichen Berater, dass wir nun nur eine „Herdenimmunität“ anstreben können, wenn sich bereits genügend Bevölkerung mit der Krankheit infiziert und eine natürliche Immunität entwickelt hat, um die Ansteckung zu verlangsamen und schließlich zu stoppen.

Herdenimmunität ist ein Begriff, der normalerweise zur Erläuterung der Auswirkungen von Impfstoffen gegen Krankheiten wie Masern und Polio reserviert ist. Die meisten werden geimpft und stoppen die Zirkulation der Krankheit, so dass diejenigen, die nicht geimpft werden können, geschützt sind.

Vallance hat erklärt, dass für eine Herdenimmunitätswirksamkeit unter unseren derzeitigen Bedingungen, bei denen kein Impfstoff zur Verfügung steht, mindestens 60 % der Bevölkerung infiziert sein müssten. Bei einer Hospitalisierungsrate von 20 % und einer Todesrate von mindestens 1 % würden 40 Millionen Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind, eine Hospitalisierung von 8,4 Millionen Menschen erfordern und 400.000 Todesfälle bedeuten.

Die Selbstisolierung der am meisten gefährdeten Personen mag die Auswirkungen dieses Ansatzes zwar etwas mildern, aber die Regierung lässt die Schwachen für sich selbst sorgen – sie rät ihnen, Familie und FreundInnen zu bitten, sich um ihre alltäglichen Bedürfnisse zu kümmern, statt dass der Staat die Verantwortung für ihr Wohlergehen übernimmt. In Italien und Spanien, wo energischere Maßnahmen ergriffen wurden, um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen, steigt die Zahl der Todesopfer weiter an. Der Gedanke, dass der fahrlässige Ansatz dieser Regierung wirksamer sein wird, wäre lächerlich, wenn nicht so viel auf dem Spiel stünde.

Andere WissenschaftlerInnen, darunter Anthony Costello, Professor für internationale Kindergesundheit und Direktor des University College London Institute for Global Health (Londoner Universitätsinstitut für Weltgesundheit), haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass wir noch nicht wissen, ob Covid-19 regelmäßig wie Erkältungen und Grippe mutiert. Sollte dies der Fall sein, wäre die Herdenimmunität langfristig unwirksam und kurzfristig tödlich.

Betrachtet man die wirtschaftlichen Auswirkungen der Schließung von Unternehmen und der Einschränkung von Reisen, sieht der Ansatz der „Herdenimmunität“ eher nach einer Strategie zur Minimierung der wirtschaftlichen Auswirkungen als zum Schutz der öffentlichen Gesundheit aus. Die arbeitsfähige Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht noch immer zur Arbeit, ihre Kinder gehen noch immer zur Schule und diejenigen, die als „unproduktive“ Mitglieder der Gesellschaft gelten, bleiben anfällig für Infektionen.

Stattdessen kann man durch eine möglichst rasche Verlangsamung der Ausbreitung von Covid-19 Zeit für Heilmittel und Medikamente zur Verlangsamung oder Linderung der Krankheitssymptome und natürlich für die Entwicklung eines Impfstoffs gewinnen. Auf diese Weise können die Zahlen der Todesfälle und der Infektionen gesenkt werden, während die Krankheit schließlich doch noch ausgelöscht wird.

Wie ein Glücksspieler wettet auch Johnson, dass eine kürzere und spätere Schließung der britischen Geschäfte „unserer“ Wirtschaft helfen wird, sich früher zu erholen und vielleicht sogar Marktanteile (eines viel kleineren Kuchens) zu gewinnen. Es ist ein Spiel mit unserem Leben. Er muss aufgehalten werden.

Sozialistische Lösung

Wenn man sich an das Zitat am Anfang dieses Artikels erinnert, ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass dies ein globales Problem ist. Die meisten der bisher bekannten Fälle von Infektionen sind in den nördlichen, imperialistischen Ländern zu finden, wobei einige wenige fortgeschrittene Halbkolonien wie Südkorea und der Iran ebenfalls unter Tod und Krankheit leiden. Der Fall des Irans gibt in der Tat einen Eindruck davon, wie sich diese Pandemie im globalen Süden ausbreiten kann, wo es keine modernen Gesundheitseinrichtungen gibt. Afrika hat seinen Alptraum noch nicht erlebt.

Wir leben in einer hochgradig integrierten Welt, in der Menschen, Güter und Kapital von Kontinent zu Kontinent bewegt werden. Das wird sich nicht ändern. Soziale Distanz ist keine langfristige Lösung. Zudem mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Klimawandel solche Pandemien wahrscheinlich regelmäßiger und länger anhaltend macht, wenn die Wettermuster die Ausbreitung erleichtern.

Deshalb ist es dringend notwendig, jetzt zu handeln. Zusätzlich zu den oben beschriebenen Sofortmaßnahmen müssen wir ein Aktionsprogramm mit Forderungen ausarbeiten, die nicht nur den heutigen Bedürfnissen entsprechen, sondern auch die Fähigkeit der ArbeiterInnenklasse zur Kontrolle künftiger Pandemien erhöhen. Hier sind einige der Maßnahmen, für die die ArbeiterInnen- und sozialistischen Bewegungen der Welt kämpfen sollten.

Die Gesundheitssysteme, die Pharmariesen und die Unternehmen für medizinische Ausrüstung müssen ohne Entschädigung verstaatlicht und der Kontrolle der ArbeiterInnenklasse und ihrer vertrauenswürdigen wissenschaftlichen und medizinischen BeraterInnen unterstellt werden. Ihre Ressourcen sollten zusammengelegt werden, damit wir alle Kräfte vereinen können, die in der Lage sind, Lösungen für die Krise zu finden.

Der Bau neuer Krankenhäuser muss beschleunigt und die Zahl der Betten, einschließlich der Notfallbetten, rasch wieder auf das Niveau vor der Krise von 2009 und darüber hinaus erhöht werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass die Testpackungen für alle frei verfügbar sind, damit die Selbstisolierung beobachtet werden kann. Alle Arbeitsplätze, öffentlichen Verkehrsmittel und Einrichtungen müssen gereinigt und mit Handel und anderen Einrichtungen zur Eindämmung von Infektionen ausgestattet werden. Jede/r isolierte oder in ein Krankenhaus eingelieferte ArbeiterIn sollte vom Staat den vollen Lohn oder das volle Einkommen erhalten. Von den Reichen muss eine Abgabe erhoben werden, um die Pandemiebekämpfung zu bezahlen. Wir werden nicht schon wieder für die Krise bezahlen.

Die Flug- und Bahngesellschaften haben um staatliche Rettungsaktionen gebeten. Sie wollen, dass öffentliche Gelder aus dem Gesundheitswesen abgezweigt werden, um ihre Gewinne zu sichern, und die Antwort sollte ein schallendes „Nein“ sein. Jedes Unternehmen, das pleitegeht, Entlassungen vornimmt oder die Beschäftigten nicht bezahlt, sollte unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Wo immer möglich und notwendig, sollte die Produktion auf Produkte verlagert werden, die zur Linderung der Krise für die Kranken oder diejenigen in Quarantäne benötigt werden. Es darf keine Einkommensverluste und keine erzwungene Armut als Folge von Covid-19 oder des finanziellen Abschwungs geben.

SozialistInnen unterstützen und fördern Maßnahmen, die den sozialen Kontakt und die Bewegungsfreiheit und den Kontakt der Menschen untereinander einschränken, solange diese Maßnahmen für die öffentliche Sicherheit notwendig sind, verzichten aber in keiner Weise auf unsere Rechte zu bestimmen, wie sie genutzt werden und wie lange sie dauern sollen. Die ArbeiterInnenbewegung sollte bestimmen, welche Versammlungen stattfinden sollen. Es ist eine Sache, Sportveranstaltungen zu verbieten, aber wenn es notwendig wird, zu demonstrieren oder Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, um die Regierung zu zwingen, in unserem Interesse zu handeln, sollten wir nicht daran zweifeln, dass sie das Virus als Vorwand benutzen würde, um den Widerstand zu unterdrücken.

Für Aktionskomitees zur Planung der notwendigen Maßnahmen und deren Folgen. Streiks, um Maßnahmen der öffentlichen Sicherheit zu fordern und durchzusetzen, wenn die Regierung oder die Bosse kurzfristigen Profit vor unsere Gesundheit stellen, werden notwendig sein. Gewerkschafts- und Labour Party-FührerInnen müssen gezwungen werden, solche Maßnahmen zu fordern, zumal Großdemonstrationen in naher Zukunft durchaus unerwünscht sein können. In der Tat kann es an bestimmten Punkten der sich entwickelnden Krise möglich und notwendig sein, zu verallgemeinerten politischen Streiks aufzurufen, um eine Katastrophe abzuwenden.

Wenn letztlich Nahrungsmittel oder andere Ressourcen knapp werden, wird es notwendig sein, dass die ArbeiterInnenkomitees der Gewerkschaften, der Labour-Ortsgruppen, der Betriebe, der Nachbarschaftsversammlungen, die mit den Beschäftigten der großen Einzelhandelsunternehmen einschließlich Amazons und der HafenarbeiterInnen zusammenarbeiten, die Preise festlegen, die Reichen vom Horten abhalten und sogar die Verteilung der Waren zusammen mit den Beschäftigten anderer Länder organisieren.

Wir müssen die Einstellung aller Arbeiten und Aktivitäten fordern, die nicht notwendig sind, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Ausgenommen davon wären Arbeiten im Gesundheitswesen, im Verkehrswesen, bei der Brandbekämpfung, der Nahrungsmittelproduktion, der medizinischen Forschung, der Kommunikation usw. Welche Aktivitäten für die Menschen lebenswichtig sind, welche weitergeführt werden und welche nicht – diese Fragen müssen von der arbeitenden Bevölkerung entschieden werden, nicht von den EigentümerInnen des Kapitals und ihren Regierungen.

Großbritannien und die anderen reichen Nationen sollten moderne Ausrüstung und Technologie produzieren und frei verfügbar machen sowie in Krankenhäuser und Gesundheitszentren in ärmeren Ländern investieren, die mit dem Ausbruch der Krankheit zu kämpfen haben. Sie sind froh, die natürlichen Ressourcen des globalen Südens, billige Arbeitskräfte und niedrigere Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards zu nutzen, um Kapital für sich selbst anzuhäufen. Jetzt sollten sie einen Teil ihrer Prämie zurückzahlen, um Leben zu retten, anstatt sie zu zerstören.

Bei den Bemühungen um die Entwicklung eines Impfstoffs müssen alle Forschungsergebnisse staatlicher und privater Institutionen international geteilt und koordiniert werden.

Wir müssen der Abriegelung der Staatsgrenzen für Flüchtlinge und MigrantInnen, die eine besonders unterdrückte und ausgebeutete Schicht der ArbeiterInnenklasse sind, widerstehen. Anstatt die Grenzen zu schließen und das Recht auf Asyl abzuschaffen, sollten Flüchtlinge und andere EinwanderInnen bei der Einreise getestet werden und bei Bedarf medizinische und soziale Betreuung erhalten.

Das Schlimmste, was wir tun können, ist, alles in den Händen der regierenden Konservativen Partei zu lassen. Dies ist keine Naturkatastrophe, bei der wir alle an einem Strang ziehen müssen. Sie wird durch ein System verursacht und verschlimmert, das in allen Bereichen, von der Nahrungsmittelproduktion und der Tierhaltung bis hin zur Gesundheitsfürsorge und der wissenschaftlichen Forschung, Abstriche macht. Ihre Grundlinie ist nicht, wie viele Menschen sterben, sondern wie der britische Kapitalismus überleben und gedeihen kann, zumindest im Vergleich zu anderen Nationen und der ArbeiterInnenklasse.

Wenn wir den Kampf für unmittelbare Forderungen am Arbeitsplatz und in der Gemeinschaft mit weitergehenden Forderungen verbinden können, die der KapitalistInnenklasse die Kontrolle über das Gesundheits- und Sozialsystem entziehen und die Bewältigung der Krise unter die Kontrolle der ArbeiterInnenklasse stellen, dann ist es möglich, auf der anderen Seite zu einer gesünderen, sichereren Welt aufzusteigen.

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