Martin Eickhoff. Infomail 1079, 5. Dezember 2019
Schon am frühen Morgen des 30. November versuchten hunderte DemonstrantInnen und Gruppierungen der radikalen Linken, darunter auch GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht, den Zugang zum AfD-Bundesparteitag zu blockieren. Die Blockierenden wurden jedoch sehr schnell von den Bullen gekesselt, so dass bis auf verbale Auseinandersetzungen nicht mehr an Protest möglich war.
An der Protestdemonstration und Kundgebung beteiligten sich knapp 20.000 Menschen. Getragen und politisch dominiert wurden sie von reformistischen, gewerkschaftlichen und bürgerlichen Organisationen. Die Reden der VertreterInnen von Gewerkschaften, Parteien, verschiedenster Verbände und Gruppen sowie der Kirchen gingen freilich über moralische Empörung nicht hinaus, blieben inhaltsleer und in der Regel auf einzelne Phrasen beschränkt. Nicht Klassenkampf, sondern die „Einheit der Demokratie“, von CDU bis zur Linkspartei, bildete den Grundtenor.
Zunächst mag ein falscher Eindruck entstehen. Mit Andreas Kalbitz wurde zwar nur einer der führenden VertreterInnen des „Flügels“ in den neuen Bundesvorstand gewählt, aber die Macht des rechts-nationalistischen, völkischen Lagers zeigte sich mehr als nur durch die Wahl eines ihrer ExponiertInnen. Beispielsweise wurde Alice Weidel ohne eine/n GegenkandidatIn mit 76 Prozent der Stimmen zur stellvertretenden Sprecherin gewählt, was unmöglich gewesen wäre ohne den Burgfrieden, den sie mit Höcke schloss. Darüber hinaus trat auch sie schon bei der neurechten Kaderschmiede, dem Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek in Schnellroda, auf.
Auch der weit rechts stehende Bundstagsabgeordnete Stephan Protschka aus Niederbayern hat seine Wiederwahl als Beisitzer im Bundesvorstand den Stimmen des „Flügels“ zu verdanken. Welch Geistes Kind Protschka ist, zeigt allein schon, dass er in Polen – gemeinsam mit der NPD-Jugendorganisation – ein geschichtsrevisionistisches Denkmal für Wehrmachtssoldaten und Freikorpskämpfer mitfinanzierte.
Freuen konnten sich Höcke und seine rechten KameradInnen über den Erfolg von Stephan Brandner. In Braunschweig hetzte der Bundestagsabgeordnete, der vor kurzem seinen Posten als Sprecher des Bundestagsrechtsausschusses verlor, gegen „SozialfaschistInnen“ in Richtung der SozialdemokratInnen. Für seine Abwahl machte er eine angebliche „Nationale Front“ aller Parteien gegen die AfD verantwortlich. Eine weiterer „Opfermythos“ wurde so geboren. VertreterInnen des scheinbar gemäßigten Lagers wie z. B. Albrecht Glaser oder Kay Gottschalk fielen bei den Wahlen durch. So manche Karrierepläne von „Gemäßigten“ endeten abrupt.
Am Parteitag hat sich einmal mehr gezeigt, wie tief im Rechtsextremismus die Parteibasis mittlerweile angekommen ist. Vor der Wahl des Vorstands ging es um die Besetzung des Bundesschiedsgerichts. Die Parteigerichte sind Mittel des Machtkampfes in der AfD – erst recht, seit immer häufiger Ausschlussverfahren angestrengt werden, die dem rechten Lager suspekt sind.
Beim ersten Wahlgang ließen die Delegierten Ines Oppel, die bisherige Parteischiedsgerichtsvorsitzende, durchfallen. Sie wurde allerdings später mit mageren 52,1 Prozent doch noch gewählt.
An den Kräfteverhältnissen in der Partei hat sich seit dem letzten Parteitag vor zwei Jahren in Hannover nicht viel verändert. Die AfD ist in Braunschweig nicht weiter nach rechts gerückt – aber der bereits 2017 vollzogene Rechtsruck hat sich konsolidiert. Alleine kann der offen völkische „Flügel“ zwar nichts durchsetzen, jedoch kann er teilweise benötigte Zweidrittelmehrheiten kippen und so vermeintlich „zu liberale“ Positionen ausbremsen.
Betont wurde einerseits die Bereitschaft weiter Teile der Partei, mit dem „Flügel“ zusammenzuarbeiten, und auch bei den vorgeblich „Moderaten“, über mögliche „Verfehlungen“ derjenigen im eigenen Lager großzügig hinwegzusehen, die sich öffentlich „entschuldigten“. Andererseits soll sich die AfD „gemäßigter“ geben, um sich als mögliche Koalitionspartnerin der CDU/CSU ins Spiel zu bringen – eine Ausrichtung, die nicht nur rechtspopulistische Elemente, sondern letztlich auch „Der Flügel“ teilen.
Bei der Wahl zum Parteivorsitzenden (Bundessprecher) setzten sich Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg und der sächsische Malermeister Tino Chrupalla durch; Überraschungen blieben aus. Mit großer Mehrheit wurde Alexander Gauland zum Ehrenvorsitzenden gewählt – und bleibt somit weiter Mitglied des Bundesvorstandes und Strippenzieher.
Nicht minder wichtig als die Verschiebungen in der AfD selbst werden freilich die politischen Entwicklungen im bürgerlichen Lager für die Zukunft der Partei sein. Die Krise der EU, die inneren Gegensätze und der Niedergang der Unionsparteien können und werden – siehe den Vorstoß etlicher sächsischer ParteifunktionärInnen – bei Teilen der Union den Ruf nach einer Änderung der Haltung gegenüber der AfD lauter werden lassen. Die öffentliche „Mäßigung“ der RechtspopulistInnen entspricht daher nicht nur einer politischen Vorleistung, sie soll auch den Druck auf CDU/CSU erhöhen, so dass die AfD als einzige Möglichkeit zur Bildung einer aggressiven, konservativ geführten und neo-liberal ausgerichteten Regierung verbleibt.
Daher ist auch die Fokussierung auf den „Flügel“ in der Kritik an der AfD politisch verkürzt, ja problematisch. Von der AfD geht eine Gefahr nicht nur durch ein erstarkendes rechtes, völkisches und teilweise faschistisches Element aus. Eine nicht minder große, angesichts der tiefen Krise der EU womöglich viel unmittelbarere Gefahr geht von den „Gemäßigten“ aus. Sie stehen als JuniorpartnerInnen einer CDU-geführten Bundesregierung für eine politische Neuausrichtung des deutschen Imperialismus parat.
Im Kampf gegen die rassistische rechtspopulistische Partei dürfen wir daher nicht nur auf den „Flügel“ achten, sondern wir müssen die AfD als Ganze sehen. Gegen deren Angriffe, Aufmärsche ist antifaschistischer Selbstschutz notwendig, um sich zu organisieren.
Es kommt aber vor allem darauf an, die Ursachen für das Wachstum und die Konsolidierung der AfD selbst in Blick zu nehmen, um ArbeiterInnen und Arbeitslose aus ihrer WählerInnenschaft herauszubrechen. Dazu reichen Mobilisierungen gegen die AfD nicht aus. Es bedarf einer glaubwürdigen und entschlossenen Politik der Gewerkschaften und der gesamten ArbeiterInnenbewegung in den Betrieben und auf der Straße gegen die drohenden und laufenden Angriffe, für Mindestlohn, Rente, gegen Mietwucher und Massenarmut. Nur so kann die soziale und chauvinistische Demagogie der Partei wirksam bekämpft werden.