Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1079, 5. Dezember 2019
Die Beteiligung am Solidaritätsmarsch der Studierenden am Freitag, den 29. November, war sehr beeindruckend mit Demonstrationen in 55 Städten. Zu den wichtigsten Forderungen gehörten die Beendigung der Schikanen gegen StudentInnen, die Entfernung von Militärpersonal vom Campus und das Recht, Studierendenverbände und -gewerkschaften zu organisieren.
Bezeichnenderweise wurden auch Losungen erhoben, die sozialistische Lösungen fordern.
Pakistan befindet sich derzeit in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds hat zu Inflation und Arbeitslosigkeit sowie zu einem Anstieg von Hunger und Armut geführt. Mit zunehmender Verschlechterung der Bedingungen nimmt die Zahl der Revolten zu und die Bewegungen nehmen Fahrt auf. Bildungseinrichtungen sind von Vetternwirtschaft und Korruption, schlechter Bildung und selbst dem Mangel an grundlegenden Einrichtungen wie sauberem Trinkwasser und Toiletten geprägt. Die Schwere der Probleme verschärft sich, wenn man den Geschlechteraspekt betrachtet. Die Mehrheit der Mädchen aus ArbeiterInnenfamilien findet sich nicht nur der höheren, sondern oft sogar der elementaren Bildung beraubt.
Darüber hinaus streiten die herrschenden Klassen nicht nur untereinander, sondern versuchen auch, sich mit der größeren Wirtschaftskrise herumzuschlagen, die durch die Rettungsaktion des IWF verschärft wurde. Kurz gesagt, es existiert eine große Regierungskrise, und in dieser Situation reift das Potenzial für einen Massenaufstand. Der Solidaritätsmarsch der Studierenden, die Streiks der Großen Gesundheitsallianz und der EnergiearbeiterInnen von WAPDA (Wasser- und Strombehörde), unter anderen, sowie die Mobilisierungen der PaschtunInnenschutzbewegung, PTM, sind Ausdruck dieses Potenzials.
In dem Maße wie die Regierung schwächer wird, nehmen ihre Aktionen einen zunehmend defensiven und barbarischen Charakter an. Zuerst vertrieben GesetzeshüterInnen Alamgir Wazir, einen ehemaligen Studenten der Punjab University, der auch als Vorsitzender des PaschtunInnenrates fungierte, aus den Räumlichkeiten der Universität. Er ist auch der Neffe des Nationalratsmitglieds und PTM-Chefs Ali Wazir. Er war auf den Campus gekommen, um seinen Bachelor-Abschluss in Geschlechterforschung von der Universität zu holen, und übernachtete in der Campus-Herberge im Zimmer seines Cousins. Er richtete sich auch an den Solidaritätsmarsch der Studierenden am 29. November und kritisierte den Staat dafür, Urdu als gemeinsame Sprache im ganzen Land durchzusetzen und militärische Operationen durchzuführen, die zur Ermordung von PaschtunInnen führten. Nachdem Alamgir Wazir abgeholt worden war, organisierte der PaschtunInnenrat einen Protest vor dem Haus des Vizekanzlers der Punjab Universität. Die Polizei stellte ihn am 2. Dezember vor ein Gericht, und er wurde für 14 Tage in Untersuchungshaft genommen.
In Lahore hat die Polizei auch ein Verfahren gegen die OrganisatorInnen des studentischen Solidaritätsmarschs eingeleitet, darunter Alamgir Wazir, Ammar Ali Jan, Tariq Farooq, Iqbal LaLa (der Vater von Mashal Khan, einem Schüler der Abdul Wali Khan Universität in Mardan, der wegen Blasphemievorwürfen gelyncht wurde), sowie „250-300 nicht identifizierte TeilnehmerInnen“. Die Polizei hat den Fall im Namen des Staates aufgenommen, weil die StudentInnen provokante Reden und Slogans gegen den Staat und seine Institutionen gehalten hätten. Die Polizei sagte, dass sie auch die anderen an dem Fall beteiligten Personen festnehmen werde.
Darüber hinaus gibt es Berichte, dass die Punjab Universität die Zulassung einer Studentin aus Wasiristan, die eine Cousine eines Studentenaktivisten ist, aufgehoben hat. Die Aufhebung ihrer Zulassung und die willkürliche Verhaftung von Alamgir Wazir zeigen den rassistischen Charakter eines Staates, in dem PaschtunInnen zu den häufigsten Zielen rassistisch motivierter Kontrollen gehören. Der Staat macht jedoch nicht bei der Erstellung von rassistischen Profilen Halt, sondern richtet sich gegen jede/n, der/die den Status quo in Frage stellt, unabhängig von Rasse/Ethnizität.
Tage vor dem Marsch der Studierenden beendete die Punjab University das Aufbaustudium eines der OrganisatorInnen, Hasnain Jameel, der Master-of-Philosophy-Student der Politikwissenschaft ist (MPhil: Abschluss eines Forschungsstudiums auch außerhalb der Philosophischen Fakultät). Er wurde darüber informiert, dass sein Abschluss aberkannt wurde und ihm der Zugang zur Universität untersagt ist. Ebenso verbot die Regierung vor dem Marsch alle politischen Aktivitäten der StudentInnen in der belutschischen Provinz und verlieh den Sicherheitsbehörden umfassende Befugnisse, um die Teilnahme der StudentInnen an jeder Art von öffentlicher Versammlung zu verhindern.
Trotz all dieser Hürden stellte der studentische Solidaritätsmarsch immer noch einen Erfolg dar. Die Reaktion des Staates auf die Forderung der StudentInnen nach nichts anderem als ihrem demokratischen Recht auf gewerkschaftlicher Organisierung und auf ein Ende von Belästigung und Militarisierung bestätigt diesen Erfolg. Die Organisation im Vorfeld des Marsches zeigte auch, wie viel Energie in der pakistanischen Jugend gegen die Frustrationen eines zerfallenden kapitalistischen Systems steckt. Die Beteiligung und der Umfang der Proteste waren weitaus größer als im Marsch des Vorjahres. Mit Ausnahme des Sektierertums einiger weniger, wie der International Marxist Tendency, unterstützten fast alle großen linken Gruppen den Marsch und nahmen daran teil.
Ein Kontingent von proletarischen und der unteren Mittelschicht angehörenden Menschen mit Flaggen der Pakistanischen Volkspartei (PPP) nahm ebenfalls am Marsch teil. Es ist wichtig zu überlegen, wie wir mit solchen Entwicklungen umgehen sollten, denn trotz ihrer Unterstützung für eine bürgerliche Partei haben sich diese Schichten eindeutig mit den Zielen des Marsches identifiziert. Wir brauchen ein sozialistisches Programm, das diesen Teilen angeboten wird, wenn sie an unseren Veranstaltungen teilnehmen. Sein Zweck wäre es, ihnen zu zeigen, wie das Programm ihrer jetzigen Partei ihre Interessen nicht verteidigt und verteidigen kann. Wir kämpfen für die Führung der ArbeiterInnenklasse in der regierungsfeindlichen Bewegung auf der Grundlage unseres sozialistischen Programms, und das kann nicht geschehen, ohne die rivalisierenden KonkurrentInnen für dieselbe Führung zu kritisieren. Mit der richtigen Art von Politik können wir diejenigen Schichten gewinnen, deren historisches Interesse im Sturz des Kapitalismus liegt, was die PPP nie erreichen kann.
Eine der wichtigsten Errungenschaften des diesjährigen Marsches war, dass die StudentInnen zeigten, wie wichtig es ist, wieder zu lernen, wie man organisiert. Sie hielten öffentliche Versammlungen auf dem Campus ab. Sie hängten Poster auf den Straßen auf. In Lahore mobilisierten sie beim Faiz-Festival (Musik-, Kunst- und Literaturfest) und ließen sich nicht von absurder Kritik aus den reaktionären Teilen der Gesellschaft abschrecken. In vielen Bereichen versuchten die StudentInnen, in ArbeiterInnenviertel und Quartiere der unteren Mittelschicht zu gehen und sprachen mit den Menschen dort, um sie zum Protest einzuladen.
Kurz gesagt, die Mobilisierungen haben gezeigt, dass große Proteste entstehen, wenn wir lernen, wie man sie organisiert. Die Menschen schwärmen nicht einfach zu Protesten in Massenzahlen, weil jemand ein Facebook-Event erstellt oder darüber getwittert hat. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, Menschen twittern, twittern zurück und teilen Dinge, weil sie sehen, wie andere vor Ort organisieren.
Gleichzeitig sahen wir, wie der Premierminister und andere MinisterInnen der derzeitigen von der PTI (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) geführten Regierung versuchten, die augenblickliche Gelegenheit zu ergreifen, indem sie scheinbar zugunsten von studentischen Gewerkschaften twitterten. Wir haben auch gesehen, wie Bilawal Bhutto Zardari von der PPP die Anstrengung eines Prozesses gegen die VeranstalterInnen des studentischen Marsches verurteilt hat. Murtaza Wahab, Rechtsberater des Ministerpräsidenten im Sindh, Murad Ali Shah, sagte Anfang der Woche, dass er die Wiederherstellung der StudentInnenschaftsgremien in der Provinz genehmigt hat. Er sagte weiter, dass die Regierung von Sindh im Prinzip beschlossen hat, studentische Verbände in Bildungseinrichtungen der Provinz wieder in Kraft zu setzen. Auch wenn dies nur ein Versuch ist, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen, verkörpert es einen wichtigen Sieg für die studentische Bewegung.
Die PTI ist im Zentrum in der Regierung, während die PPP seit langem die Leitung der Sindh-Versammlung innehat. Auf typische neoliberale Weise versuchen beide bürgerlichen Parteien, eine Bewegung zu kooptieren, die aus der Mobilisierung an der Basis entstanden ist. Dies wirft die Frage auf, in welche Richtung sich die StudentInnenbewegung sowohl unter den Bedrohungen des Staates als auch unter den Versuchen von Teilen der Bourgeoisie und der Mittelschichten entwickeln wird, die gegenwärtige Gelegenheit beim Schopf zu packen? Wenn wir die Wünsche derjenigen StudentInnen, die Losungen für ein „Surkh Asia“ (Rotes Asien) skandiert haben, wirklich wahr machen wollen, dann müssen wir uns dieser Frage bewusst sein und eine eigene Strategie entwickeln.
Wir fordern: