Martin Suchanek, Neue Internationale 201, Juli/August 2015, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015
Die Krise des NaO-Prozesses ist offensichtlich. Wenn es auch sonst wenig Einigkeit geben mag – dass der Prozess schon länger in der Krise ist, darüber gibt es wohl wenig Dissens.
Damit ist es mit der Einigkeit auch vorbei. Trotz beachtlicher politischer Initiativen ist der Prozess an einem Scheideweg angelangt. Ende 2013 war die NaO durch die Verabschiedung eines Gründungs-Manifests und im Februar 2014 durch die Gründung der Berliner NaO als Ortsgruppe von einer Aufbruchstimmung geprägt.
In Berlin und auch bundesweit erlangte die NaO eine gewisse Ausstrahlungskraft. Sie wuchs nicht nur in Berlin und einzelnen Städten, sie konnte auch über ihre formelle Größe hinaus andere Strömungen in Diskussion ziehen oder wurde von diesen als Referenzpunkt betrachtet – und sei es durch die Notwendigkeit der Abgrenzung.
Die positiven Seiten zeigten sich in der Annahme eines vorläufigen Manifests und der darin enthaltenen Verpflichtung, auf eine revolutionäre Vereinigung hinzuarbeiten. Der strömungsübergreifende Charakter der NaO wurde nicht als Ziel an sich, sondern als Mittel zur Schaffung einer größeren, schlagkräftigeren revolutionären, anti-kapitalistischen Organisation betrachtet.
So heißt es im NaO-Manifest: “Dieses Manifest stellt die Grundlage für das Handeln der NAO, die Basis für unseren Aufbau dar. Es ist jedoch noch weit davon entfernt, ein Programm einer revolutionären Organisation darzustellen, in der die politischen Differenzen der jeweiligen Strömungen überwunden wären. Die Erfahrungen der antikapitalistischen Organisationen in anderen Ländern haben gezeigt, dass Differenzen nicht totgeschwiegen oder hinter Formelkompromissen versteckt werden dürfen. Gerade in einer Umbruchperiode werden Anti-KapitalistInnen rasch vor politische und programmatische Fragen gestellt, die in Zeiten längerfristig relativ stabiler Entwicklung in weiter Ferne schienen.
Eine Aufgabe der NAO wird sein, an der Diskussion und Überwindung dieser Differenzen und an der Ausarbeitung eines Aktionsprogramms zu arbeiten. Für uns steht diese Arbeit nicht im Gegensatz zur gemeinsamen Praxis und zum Aufbau – vielmehr sollen und können diese einander wechselseitig befruchten.“ (Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, www.nao-prozess.de)
Auf die Gründung der NaO erfolgten unserer Meinung nach wichtige politische und praktische Initiativen und Fortschritte.
Diese Liste ließe sich fortsetzen. Wichtig ist es jedoch zu sehen, worin die Ursachen für die aktuelle Krise der NaO liegen.
Sie erklärt sich z.T. aus der geringen Dynamik des Klassenkampfs in Deutschland, die es erschwert, eine neue anti-kapitalistische revolutionäre Organisation zu schaffen, zumal der größte Teil der „radikalen Linken“ politisch nach rechts ging. Nicht nur die Linkspartei steht dafür, sondern auch ein großer Teil des „postautonomen Spektrums“.
Die politischen Schritte vorwärts, v.a. die Positionen zur Ukraine und zu Griechenland, rückten auch die Differenzen in der NaO in den Vordergrund. Von Beginn an standen der RSB (aber auch die ISL, also beide Sektionen der sog. „Vierten Internationale“) dem Aufbau einer aktiven Mitgliederorganisation und der verbindlichen Teilnahme der Mitglieder der NaO-Gruppen an deren vereinbarten Aktivitäten, vorsichtig ausgedrückt, skeptisch gegenüber.
Die Bildung der NaO Berlin bedeutete aber auch, dass eine Ortsgruppe und eine Koordinierung geschaffen wurden, die nur aufgebaut werden können, wenn sich die NaO zu wichtigen politischen Fragen laufend positioniert. Nur so kann sie gemeinsame Handlungsfähigkeit erzielen und zugleich auch einen Schritt zur Überwindung politischer Differenzen und Herstellung von Gemeinsamkeiten leisten.
Dieser Prozess ist unvermeidlich immer auch mit der Möglichkeit des Gegenteils – der Verfestigung von Differenzen und des Bruchs – verbunden. Es gibt zu ihm aber keine realistische Alternative, es sei denn, man betrachtet Inaktivität und Schweigen als solche.
Daher entwickelten sich die Berliner NaO und deren Koordinierung praktisch bundesweit zur maßgeblichen Gruppierung. Andere Ortsgruppen folgten entweder deren politischen Initiativen oder verhielten sich mehr oder minder passiv.
In jedem Fall spitzen sich die Konflikte in der NaO massiv zu. In der Frage der Ukraine oder Griechenlands, der Haltung zum Maidan oder zum Widerstand gegen das Kiewer Regime, zur Anel-Koalition und zur Frage der ArbeiterInnenregierung in Griechenland vertreten die GenossInnen von Arbeitermacht und Revolution einen klaren, proletarischen Klassenstandpunkt – ISL/RSB, wie die ganze „Vierte Internationale“, jedoch nicht.
Hier handelt es sich nicht um „Stilfragen“ oder Fragen von mehr oder weniger Rücksichtnahme, sondern um grundlegende Klassenpositionen, wo es auch keinen Spielraum für Kompromisse geben kann. Da die NaO-Mehrheit in den grundlegenden politischen Fragen eine linke Position einnahm, stimmen ISL und RSB beim NaO-Aufbau mit den Füßen ab. Statt eine Auseinandersetzung zu suchen, wichen sie den politischen Fragen aus.
Die Krise der NaO liege ihrer Meinung nach nicht in den grundlegenden Differenzen, wo sich die NaO eben für diese oder jene Richtung entscheiden muss, sondern in der „Dominanz“ der GAM und von REVOLUTION, in deren „Stil“.
Ginge es nur darum, wären die Probleme der NaO leicht zu lösen. In Wirklichkeit ist damit eine weitere, grundlegende Differenz verbunden, die wir nicht nur zu ISL/RSB, sondern auch zu den GenossInnen der ARAB und etlichen aus der ehemaligen SIB in der NaO haben. Es geht darum, worin eigentlich das Ziel des Prozesses besteht, was aus der NaO schließlich werden soll?
Für uns war immer klar (und wir haben das immer klar formuliert): Die NaO ist ein Mittel zum Zweck beim Aufbau einer größeren revolutionären Organisation auf Basis eines revolutionären Programms.
Programm und Aktivität sind dabei für uns nicht entgegengesetzt, sondern ergänzen sich. Letztlich muss aber die NAO ihren Wert darin behaupten, ob sie eine richtige politische Orientierung liefern kann und mit dieser auch auf andere Milieus, Gruppen, Umgruppierungsprojekte einwirkt und so eine breitere Umgruppierung voranbringt.
Der rechte Flügel der NaO sieht das anders. Er hat sich vor kurzem als Strömung „NaO Wolken“ formiert, praktisch eine Anti-GAM/REVO-Fraktion.
Die politische Grundlage der „Wolken“ ist rein negativ. Bei allen Unterschieden wollen sie keine politisch ausgewiesene, genuin revolutionäre Organisation. Die meisten von ihnen wollen weniger „Aktivismus“, also eine weitere Reduktion des öffentlichen Profils der NaO. Und sie wollen gar keinen ernsthaften Versuch der Überwindung politischer Differenzen. Statt dessen beschwören sie den „politischen Kompromiss, die Suche nach Konsens“. Man müsse das „Gemeinsame“ vor das „Trennende“ stellen.
Diese Formeln erwiesen sich anhand jeder wichtigen aktuellen politischen Frage als leer, als vollkommen unzureichend. Jede politische Organisation braucht zu grundlegenden Fragen wie zu Kernfragen des Klassenkampfes eine einheitliche Position. Der Versuch, in einer tiefen Krisenperiode diese Fragen durch „Formelkompromisse“ oder durch die Beschränkung auf einige Aktionslosungen zu lösen, bedeutet unvermeidlich, dass eine solche Organisation den an sie objektiv gestellten Anforderungen nicht gerecht werden und auch keine revolutionäre, anti-kapitalistische Alternative zum Reformismus entwickeln kann.
Das verweist auf die Kerndifferenz mit den NaO Wolken. Sie wollen eine „plurale“, breite, antikapitalistische Organisation, die kein revolutionäres Programm hat und das auch gar nicht anstreben soll. Die politische Vereinheitlichung eines Umgruppierungsprozesses, dessen Bestandteile aus unterschiedlichen Traditionen und Strömungen kommen, halten sie für unmöglich. Programmatische Klarheit würde zur Verengung führen.
Das Gegenteil ist richtig. Der Verzicht auf politische Klärung führt inhaltlich unwillkürlich zur Anpassung an den Reformismus, allenfalls zu einer schwankenden zentristischen Politik, die im „extremsten“ Fall ultra-linke Abenteuer mit biederer Routine verbinden mag. Eine solche Ausrichtung würde unwillkürlich zum Scheitern der NaO führen und den Bruch mit der im Manifest der NaO enthaltenen Idee bedeuten, eine revolutionäre Organisation auf Basis eines gemeinsamen Aktionsprogramms zu schaffen.
Dieser Weg mag, ja wird über eine ganze Reihe von Vermittlungsschritten führen – sein Ziel erreichen kann er nur, wenn er aktive politische Außenorientierung mit programmatischer Klärung verbindet.