Arbeiter:innenmacht

Stückwerk Pflegepolitik

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Oktober 2018

Der Pflegenotstand spitzt sich zu. Bis zum Jahr 2015 werden 4 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen sein. Die Zahl der Pflegefachkräfte müsste bis dahin um 44 % steigen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) konnten sich bis zum 30.6.2018 nicht auf Personaluntergrenzen auf sog. pflegesensitiven Stationen einigen, die Anfang 2019 in Kraft treten sollten. Laut einer Gesetzesänderung von 2017 müsste jetzt eigentlich das Bundesgesundheitsministerium eine Verordnung dazu erlassen. Wahrscheinlicher ist aber eine Zwangsschlichtung.

Eine Einbeziehung von PatientInnenorganisationen und Gewerkschaften in die Verhandlungen erfolgte nicht. Für die Ermittlung der Untergrenzen sollen die personell am schlechtesten besetzten 25 % der Krankenhäuser als Maßstab bestimmt werden – eher ein Anreiz zum Stellenabbau in den übrigen 75 % als zur Personalaufstockung! GKV und DKG haben sich zudem nur auf 6 Fachabteilungen mit Untergrenzen einigen können.

Koalitionsvertrag und Spahns „Reformen“

Der Entwurf des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes (PpSG) des Bundesgesundheitsministers Spahn von Ende August sieht sogar nur 4 vor! Ver.di bemängelt außerdem, dass die Quote für Hilfskräfte zu hoch sei und für den Nachweis der Einhaltung der Mindestbesetzung nur ein monatlicher Durchschnittswert reichen soll.

Das Grundlagenwerk der Koalition sieht für die Altenpflege eine gesetzlich geregelte Personalbemessung vor. Ein Sofortprogramm soll zeitnah 8.000 Stellen schaffen, Spahn kündigte 13.000 an. In 13.000 Einrichtungen fehlen 63.000! Gibt’s denn wenigstens bessere Löhne? Tarifverträge sollen flächendeckend zur Geltung kommen. Es fehlt aber jede Angabe, welcher Leittarifvertag zugrunde liegen und wie er für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Ver.di verhandelt seit 28. September mit nichtkirchlichen Trägern der Altenhilfe. Sollen Caritas und Diakonie davon ausgenommen werden?

Für die Krankenhauspflege will der Koalitionsvertrag Untergrenzen auf alle bettenführenden Bereiche anwenden. Eine politische Regelung ist nicht vorgesehen. Wie viele Stellen geschaffen werden sollen, darüber schweigt die GroKo sich ganz aus. Pflegewissenschaftler Michael Simon errechnet einen Bedarf von 100.000.

Finanzierung

Die Krankenhausinvestitionen, von den Ländern zu tragen, sollen lediglich „deutlich erhöht“ werden. Woher die Mittel kommen sollen, wird nicht gesagt. Steuererhöhungen werden aber ausgeschlossen!

Das PpSG will zwar bis Mitte 2020 die Pflegepersonalkosten aus den DRGs herausnehmen, jedoch ohne Personalbemessungsgrenzen. In einem komplizierten bürokratischen Verfahren sollen vielmehr ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Pflegeaufwands das Verhältnis von Personal zu vorgegebenen Kostengrößen ermittelt und „schlechte“ Kliniken mit Abschlägen bestraft werden.

Es ist zu befürchten, dass selbst etwaige geringfügige Verbesserungen wie zukünftige vollständige Finanzierung von Tarifsteigerungen, Ausbildungskosten und (viele zu wenigen) neu eingestellten Pflegekräfte im Jahr 2019 durch die Krankenkassen von den Versicherten, also Lohnabhängigen und RentnerInnen, aufzubringen sein werden.

Die Pflegeversicherung übernimmt als Teilversicherung nur einen Kostenanteil, den Rest zahlen HeimbewohnerInnen bzw. Angehörige. Ein dringend notwendiger Umbau zu einer Pflegevollversicherung, eine GKV-Versicherungspflicht für alle bei Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen, eine Besteuerung der Gewinne und Vermögen – all dies ist nicht angedacht.

Ein Umbau des Gesundheitswesens mittels Umverteilung von oben nach unten fehlt vollständig. Der Pflegenotstand wird so nicht bekämpft, sondern festgeschrieben!

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