Arbeiter:innenmacht

Sozialismus oder Planet B! Die Umweltbewegung antikapitalistisch machen!

Markus Lehner, Neue Internationale 242, November 2019

Wir befinden uns in einer globalen Notfallsituation – so verkündet es Greta Thunberg unermüdlich. Und sie hat Recht! Dabei hätte es nicht der unzähligen jungen Menschen bedurft, um dies zu erkennen. Seit Jahren verdichten sich die wissenschaftlichen Belege für die Anhäufung globaler ökologischer Probleme, von denen der menschenbewirkte Klimawandel nur das gravierendste ist. Es hätte gereicht, die ausführlichen Berichte des UN-Weltklimarates IPCC und seiner tausenden WissenschaftlerInnen zu lesen, um die Dramatik der Situation zu verstehen.

Inzwischen ist der Zusammenhang des Anstiegs menschenverursachter Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre (CO2, CH4, N2O,…) mit der kontinuierlichen Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur theoretisch verstanden, experimentell überprüft und durch langjährige Beobachtung bestätigt. Eine Leugnung dieses Zusammenhangs hat wissenschaftlich gesehen das Niveau der Hohlwelttheorie oder ähnlicher Hirngespinste. Damit gibt es auch sehr gut belegte Modelle über die langfristige Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur je nach weiterem Anstieg der Treibhausgasemissionen. Gegenüber dem Beginn der Industrialisierung hat sich diese mittlere Temperatur bereits um mehr als ein Grad erhöht, allerdings mit einer Tempozunahme in den letzten Jahrzehnten (jetzt bei 0,2 Grad pro Jahrzehnt).

Zunehmende Dramatik

Da der Abbau der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nur sehr langsam vor sich geht, erfordert ein Gegensteuern gegen den Erwärmungstrend immer entschiedenere Maßnahmen zur Einsparung von Nettoneuemissionen (ein Teil der Neuemissionen wird ja durch natürliche oder technische Systeme absorbiert). Wurden 2010 weltweit etwa 40 Gigatonnen CO2 netto emittiert, so erfordert die Begrenzung der mittleren Temperaturerhöhung bis 2100 auf 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit (das „Pariser Klimaziel“), dass dieser Nettobetrag bis 2030 auf unter 20 Gigatonnen und bis 2050 auf die Nettonull reduziert wird – dies allerdings immer noch mit dem Risiko von 50 %, dass der Temperaturanstieg höher liegen kann, also immer noch z. B. die 2-Grad-Grenze übersteigt.

Diese Temperaturdurchschnittswerte, ihre langfristigen Tendenzen und die so definierten Grenzwertüberlegungen sind deswegen so wichtig, da sie unmittelbar mit schwerwiegenden klimatischen Veränderungen zusammenhängen. Aufgrund der ungleichen Verteilung dieser Temperaturerhöhungen weltweit sind bestimmte Regionen härter betroffen als andere. So ist insbesondere die Veränderung der polaren Regionen dramatisch. Inzwischen schmilzt z. B. die Eisdecke im Nordpolarmeer im Monat Februar jede Dekade um 2,7 % mit zunehmender Tendenz, wobei die Durchschnittstemperatur am Nordpol mit doppelt so hoher Geschwindigkeit wie global steigt. Die Auswirkungen auf Klima, Meeresströmungen und -spiegel sind dramatisch. Die polare Erwärmung führt in subpolaren Gebieten zum Auftauen des Permafrostbodens, wodurch große Massen an zusätzlichen Treibhausgasen (z. B.Methan) freigesetzt werden. Gleichzeitig nehmen in (sub-)tropischen Regionen Dürrephänomene zu. So bewirkt die Klimaveränderung inzwischen z. B. ein periodisches Zusammenbrechen der Luftströmungen, die bisher die Dürreperioden für tropische Regenwälder abgemildert haben. Dies führt z. B. im Amazonasbecken zu einer extremen Zunahme von Waldbränden, die noch durch Agro- und Bergbauindustrie verstärkt werden. Gerade die tropischen Regenwälder, bisher einer der wichtigsten globalen CO2-Speicher, geraten immer näher an Kipppunkte, wo tendenziell große Teile davon zu versteppen drohen. Besonders was diese zentralen Ökosysteme (Polargebiete, tropische Regenwälder) anbetrifft, macht die Frage der 1,5-Grad-Grenze einen entscheidenden Unterschied aus. Bei 2 Grad wird das Risiko, die besagten Kipppunkte zu überschreiten, enorm groß.

Natürlich wird auch ein Planet mit höherem Meeresspiegel, ausgedehnten Wüsten in den tropischen Regionen, Zusammenbruch bisher für landwirtschaftliche Nutzung wichtiger Flächen usw. irgendwie weiter für Menschen bewohnbar sein. Er wird aber kaum mehr für die heutige Zahl an Menschen eine nachhaltige ökologische Basis für mehr als Subsistenz bieten. Die Klimafolgen werden Unbewohnbarkeit bestimmter Regionen, Zusammenbruch der Versorgungsbasis vieler Länder und damit Massenflucht und noch mehr „failed states“ bedeuten, samt Hungerkatastrophen und Verelendungsphänomenen. Mit anderen Worten: für einen großen Teil der Menschheit einen Rückfall in die Barbarei.

Die bis hier dargelegte Analyse werden so oder ähnlich die meisten AkteurInnen der Klimakonferenzen, auch der diesjährigen COP25 in Santiago de Chile im November, teilen (natürlich mit wichtigen Ausnahmen wie der US-Regierung, im Unterschied zum Großteil der US-KlimaforscherInnen). Doch selbst wenn sie die Begründungen und Folgeschätzungen nachvollziehen, wie die Annahme der Klimaziele auf der COP21 in Paris zeigt, so heißt dies noch lange nicht, dass die Unterzeichnerstaaten auch danach handeln. Das globale 1,5-Grad-Ziel und die auf die verschiedenen Länder heruntergebrochenen Nettoemissionsziele (z. B. hätte Deutschland bis zur Nulllinie 2050 noch ein Budget von 6,6 Gigatonnen CO2) müssten ja zu einem entsprechenden Plan für die schrittweise Reduktion je Jahrzehnt und Wirtschaftsbereich führen. Tatsächlich werden schon die Klimaziele für 2020 von fast allen Ländern krachend verfehlt und für die entscheidenden Jahre bis 2030 liegen Pläne vor, die ebensolche Lachnummern sind wie das „Klimapaket“ der deutschen Bundesregierung (bei den derzeitigen 0,8 GT jährlichen Netto-CO2-Emissionen wird man mit einer fraglichen Verteuerung der Tonne CO2-Verbrauch um 10 Euro kaum das 6,6 GT-Ziel erreichen).

Widerspruch zwischen Wissen und Inaktivität

Es fragt sich also, warum trotz besserer Einsicht ein globales Handeln für den Erhalt eines lebensgerechten Planeten nicht möglich zu sein scheint. Dieser eklatante Widerspruch hat in den letzten Jahren immer wieder zu ökologischen Protestbewegungen geführt. Auch „Fridays for Future (FFF)“ oder „Extinction Rebellion (XR)“, die sich in eine lange Kette dieser Bewegungen einreihen, gehen davon aus, dass die „Einsicht“ noch nicht genug verbreitet sei und es nur am fehlenden politischen Willen der Regierungen liegen würde, dass nicht entsprechend gehandelt wird. Es wird davon ausgegangen, dass „die Bevölkerung“ noch zu wenig aufgeklärt sei und mehr Bewegung dazu führe, dass der politische Druck auch zu entsprechenden Maßnahmen der Regierenden führen werde. Dazu kommt, dass die verbreitete grüne Ideologie (insbesondere im globalen Norden) davon ausgeht, dass die Lösungsmöglichkeiten für die ökologischen Probleme schon „technisch“ vorliegen würden und durch entsprechende „Marktanreize“ eine Verschiebung zu einem „grünen Kapitalismus“ möglich sei. Voraussetzung wäre dann nur ein globaler Konsens, eine Einsicht der wirtschaftlich Mächtigen, dass ein ökologischer Umbau der Ökonomie doch auch im Interesse ihrer langfristigen Profite liegen würde, es also so wie den „Sozialstaat“ auch einen „Green New Deal“ geben könnte.

Alle diese Ansätze verkennen, dass es nicht um eine Frage der „Einsicht“ oder des politischen Willens geht, sondern um grundlegende Zwangsgesetze des globalen Kapitalismus. Dieses System ist weder einfach „Marktwirtschaft“, noch basiert es auf „demokratischem Interessensausgleich“ oder den Entscheidungen einzelner „freier“ Individuen – und seien sie selbst mächtige KonzernführerInnen. Kapitalismus basiert auf der Aneignung fremder Arbeit in Wertform und damit darauf, dass die Verwertung von Kapital in Form der stets wachsenden Kapitalakkumulation sich als abstraktes und alles bestimmendes Gesetz der Gesellschaft aufzwingt (was immer die AkteurInnen des Kapitals als „Einzelne“ sich dabei wünschen oder denken). Die Umwelt kommt für das Kapital hierbei als externe (durch Arbeit auszubeutende) Rohstofflieferantin und als ebenfalls externe Senke für die Abfallprodukte des Verwertungsprozesses ins Spiel.

Das Verhältnis des Kapitals zur Umwelt ist daher externalisierend. Wie auch bei der privaten Hausarbeit werden die Kosten für die Beanspruchung auf die Gesamtgesellschaft (bzw. den Planeten) abgeschoben. Auf die natürlichen Regenerationsprozesse, die zwischen Rohstoffnutzung, Verbrauchsresultaten und der Wiederherstellung der Ausgangsstoffe liegen, kann das Tempo der Kapitalakkumulation nicht Rücksicht nehmen. Statt zu nachhaltiger Rohstoffnutzung tendiert das Kapital bei Verknappung von Rohstoffen oder eskalierenden Entsorgungsproblemen daher zu technischen Lösungen, die das Problem aber nur auf eine höhere Ebene heben. So in der kapitalistischen Landwirtschaft, die auf die Auslaugung der Böden durch extensive Nutzung mit dem Einsatz mineralischer Dünger vor allem aus Phosphaten und Stickstoff reagierte. Diese Intensivierung war zwar ein riesiger Fortschritt für die Ernährungssicherheit einer wachsenden Bevölkerung, andererseits aber mit bekannten ökologischen Folgen. Letztlich sind Stickstoffdünger (neben der Viehzucht) durch die resultierende Freisetzung von N2O einer der großen VerursacherInnen des Anstiegs von Treibhausgasen in der Atmosphäre.

Unmöglichkeit des „grünen“ Kapitalismus

Die Möglichkeit eines „grünen Kapitalismus“ ist daher angesichts des extraktivistischen Wesens der Kapitalakkumulation eine vollständige Irreführung. Im besten Fall sind die „Erfolge“ grüner Politik hierzulande das Resultat des Drucks von Massenbewegungen und der Verlagerung der Umweltprobleme in den globalen Süden. Die massive Verschiebung industrieller Prozesse aus den vormaligen „Industrieländern“ an billigere Standorte (mit weniger sozialen Rechten und ökologischen Auflagen) hat natürlich zu einer scheinbaren Abnahme von Umweltbelastungen im globalen Norden geführt – aber zur enormen Verschärfung von Vermüllung und Naturzerstörung in der halb-kolonialen Welt. Dazu kommt die Zunahme von Umweltbelastungen durch das enorm gestiegene Transportvolumen im „globalisierten“ Kapitalismus.

Daher ist es durchaus richtig, dass die Frage von Individualverkehr hierzulande ein verschwindender Beitrag zur Klimaveränderung ist gegenüber dem „ökologischen Fußabdruck“, den die Metropolen des Nordens insgesamt (vor allem durch die von ihnen beherrschten Konzerne) hinterlassen. Angesichts der Tatsache, dass heute in wesentlichen Bereichen wie Agro-Industrie, Rohstoffgewinnung, Chemie- und Pharmaindustrie, Stahl, Baustoffen etc. der globale Markt unter jeweils 4–5 Großkonzernen aufgeteilt ist, wundert es nicht, dass laut einer Studie des Journals „Climate Change“ (https://link.springer.com/article/10.1007/s10584-013-0986-y) nur 90 Konzerne für zwei Drittel der Treibhausemissionen weltweit verantwortlich sind.

„Climate Justice“-Bewegung

Diese systemkritischen Analysen wurden von einem anderen, schon länger bestehenden Teil der internationalen Umweltbewegung, der sich unter dem Motto „Climate Justice“ (CJ = Klimagerechtigkeit) zusammenfindet, sehr im Gegensatz zu FFF oder XR zentral thematisiert. Gegründet im Zusammenhang mit den Protesten rund um die Klimagipfel zu Beginn dieses Jahrtausends und im Zusammenwirken mit den globalen Sozialforen nahm dieses Netzwerk die Verantwortung der Konzerne und die auch ökologisch ungerechte Weltwirtschaftsordnung zentral ins Visier seiner Proteste. Insbesondere rund um die COP15 in Kopenhagen 2009 gründete sich das CJ-Netzwerk, das zu radikalen Aktionsformen gegenüber Konzernen und den Alibiverhandlungen der Regierungen in der Klimapolitik aufrief. In Deutschland sind letztlich „Ende Gelände (EG)“ bzw. die Netzwerke um die „Klimacamps“ das Resultat dieser Strömung des Klimaprotests.

Sicher ist EG mit dem Hauptslogan „System Change not Climate Change“ auf einer sehr viel richtigeren politischen Spur als FFF und XR zusammen. Auch wenn international bei CJ nicht selbstverständlich, ist die deutsche Strömung deutlich im Lager des „Antikapitalismus“ verankert. Anders als FFF und XR gibt es bei EG einen konkreten Angriffspunkt: die Energiewirtschaft und die von ihr forcierte Braunkohleverstromung als eine Hauptverursacherin von Treibhausgasemissionen hierzulande. Im Gegensatz zu XR gibt es bei EG keine Illusionen in den bürgerlichen Staat und seine Sicherheitsorgane, die im Wesentlichen Konzerninteressen schützen. Die scheinbare Radikalität von XR-Aktionen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Aktionen „zivilen Ungehorsams“ vor allem PR-Aktionen sind  („Gewinnung der Öffentlichkeit“) unter Gefährdung der eigenen AktivistInnen („Aufopferung“) und bei gleichzeitiger Zusammenarbeit mit dem Staat („PolizistInnen sind auch vom Klimawandel betroffen“, „keine die Öffentlichkeit verstörende Gewaltbilder“). Dagegen setzt EG deutlich die Tradition der notwendigen Konfrontation mit den Systemkräften und der aktiven Mobilisierung zum Widerstand fort, wie ihn die Sozialforenbewegung zu Beginn des Jahrtausends begann (so erinnern die Aktionsformen deutlich an die „Tutti Bianchi“, die Demonstrierenden in weißen Overalls, von Genua und Co.). Während sich FFF und XR vor allem in Mittelstandsmilieus des globalen Nordens „international“ organisieren, ist CJ auch im globalen Süden oder in Osteuropa in aktivistischen Milieus vernetzt. So gibt es auch von EG eine wichtige Verbindung zu den Protesten in den für den europäischen Energiesektor so wesentlichen polnischen Kohlerevieren.

Beschränkungen

So sehr EG daher gegenüber XR und FFF politisch weiter links steht, so sind auch dessen Beschränkungen zu sehen. Einerseits ist EG noch sehr viel stärker auf studentisches und linkes Milieu konzentriert und findet nur über die Vernetzung mit einigen lokalen BürgerInneninitiativen eine beschränkte Verankerung darüber hinaus. Bei FFF gibt es durch das SchülerInnenmilieu wohl die größte gesellschaftliche Breite. Außerdem haben sie eine wesentliche und für den Kapitalismus die wohl gefährlichste Kampfform „entdeckt“: den Streik. Auch wenn dies „nur“ die sehr indirekte Form des „Schulstreiks“ betrifft, so wirkt die Idee offensichtlich ansteckend. Der Vorstoß, die „globalen Klimastreiks“ (der nächste Ende November zum COP25) zu einem (wenn auch nur symbolischen) Generalstreik auch in Produktionsbereichen zu machen, geht in eine richtige Richtung. Der Druck ist offenbar groß genug, dass sich Gewerkschaftsverbände „formal“ dem Aufruf anschließen. Wie bekannt, passiert aber in Deutschland wenig, wenn nicht wirklich in den Betrieben dafür mobilisiert wird. Wie nicht verwunderlich, wird in Wirklichkeit trotz formeller Bekenntnisse („Beteiligung ja, aber nur wenn Zeitausgleich möglich“) von den Betriebsräten in den zentralen Industrien massiv gegen jeden wirklichen Streik gearbeitet. Gerade diese Auseinandersetzung in den Betrieben um die Frage des Klimastreiks und der damit verbundenen der klimaneutralen Transformation der eigenen Industrie ist aber in Wirklichkeit eine entscheidende für eine wirkliche massenhaft erzwingbare Änderung der Klimapolitik.

Anders als viele Teile der Umweltbewegung verbreiten, sind die Konzepte für eine ökologische Alternative zum gegenwärtigen extraktivistischen Kapitalismus nicht „schon alle da“ und „brauchen nur umgesetzt zu werden“. So überschlagen sich manche Umweltseminare in Schwärmereien von „konkrete Alternativen entwickeln“ jenseits jeglicher Produktionsprozesse und realer Machtverhältnisse. Tatsächlich müssen diese Alternativen in der Energiewirtschaft (z. B. Speichertechnologien), der Bauwirtschaft (z. B. klimaneutrale Baustoffe), Stahlindustrie, Landwirtschaft, Mobilitätsindustrien etc. erst im technischen Detail und der produktionsmäßigen Umsetzung mit viel Arbeitszeit und Kosten ausgearbeitet und umgesetzt werden.

Gesellschaftliche Frage

Der ökologische Umbau ist lange nicht nur eine Frage von „Entscheidungen“, sondern vor allem ein arbeitsaufwändiger Transformationsprozess, der nur gegen den schärfsten Widerstand von Kapitalinteressen und auch nur international durchgesetzt werden kann. Zu glauben, dieser könne durch „Marktanreize“ (siehe die Farce des Zertifikatehandels) oder politische Verhandlungen (siehe „Kohlekompromiss“) erzielt werden, verkennt die Dimension und die Dringlichkeit einer raschen Einleitung dieses Prozesses.

Radikaler als alle Grün-Parteien und viele Teile der Umweltbewegung zusammen hat die britische Labour Party auf ihrem letzten Parteikongress ein Programm für die Klimawende gemäß dem 1,5-Grad-Ziel beschlossen: Kernelement ist dabei, dass der darin enthaltene Transformationsplan wesentlich die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien beinhaltet, besonders des Energiesektors. Die Frage der Entwicklung von Alternativplänen zum ökologischen Umbau muss natürlich die Eigentumsfrage stellen. Wie für eine reformistische Partei wie Corbyns Labour nicht anders zu erwarten, scheitert auch dieser Ansatz an seiner nationalen Beschränktheit und der Frage des gesamtwirtschaftlichen Zusammenhangs. Dabei ist die Vergesellschaftung als internationale Aufgabe heute nicht mehr so abstrakt, wie es früher einmal schien: Wenn es nur 90 Konzerne sind, die einen Großteil des Problems international darstellen, dann ist dies, wie auch die Entwicklung eines internationalen Transformationsplans keine Utopie mehr. Zentral ist aber natürlich, dass auch verstaatlichte Großkonzerne weiterhin den Zwängen des globalen Kapitalverwertungsprozesses unterworfen sind und schnell selbst wieder gemäß der Kapitallogik funktionieren (so ist ja auch Vattenfall im Besitz des schwedischen Staates, agiert aber weltweit wie jeder andere Konzern).

Strategische Alternative

Es ist daher zentral, dass die soziale Kraft, die der Logik des Kapitals eine tatsächliche gesellschaftliche Alternative entgegenstellen kann, auch zur zentralen Akteurin in diesem ökologischen Transformationsprozess wird: die internationale ArbeiterInnenklasse. So zersplittert, politisch fragmentiert und sozial differenziert sie auch heute sein mag, so ist sie als Trägerin des gesellschaftlichen Produktionsprozesses doch die einzige soziale Kraft, die eine Umwälzung der Ökonomie weg von der Logik der Kapitalverwertung auch real vollziehen kann. Durch Produktionskontrolle und gesellschaftliche Planung kann ein Gesamtkonzept des sozialen und ökologischen Umbaus erarbeitet werden, das auch tatsächlich die ökologischen und ökonomischen Kreisläufe in Einklang bringt, bei globalem und sozialem Ausgleich der Lasten des Umbaus. Die ArbeiterInnenklasse war auch diejenige Kraft, die bisher als einzige eine schlagkräftige internationale politische Organisationen gegen die globale Macht des Kapitals hervorgebracht hat. Deswegen braucht es auch in der ökologischen Frage ein Wiederentstehen einer revolutionären Internationale.

Angesichts der tatsächlichen Situation der weltweiten ArbeiterInnenbewegung, die weit davon entfernt ist, heute für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus revolutionär zu kämpfen (was auch angesichts der ökologischen Krise notwendig wäre), müssen wir heute versuchen, die bestehenden Kämpfe der Umweltbewegung und die aufkeimenden Proteste der ArbeiterInnenbewegung rund um den anstehenden Transformationsprozess mit der weitergehenden sozialistischen Perspektive zu verbinden. Wie wenig das der Umweltbewegung rund um den Kohleausstieg gelingt, zeigt die Hilflosigkeit von EG gegenüber der politischen und ökonomischen Entwicklung in der Lausitz deutlich (siehe dazu den Artikel in dieser Ausgabe).

Es muss klar sein, dass weder das Kapital noch seine Regierung für die vom Kohleausstieg betroffenen ArbeiterInnen irgendeine Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre Zukunftsperspektiven haben – ganz so wie in allen anderen betroffenen Branchen (z. B. Automobilindustrie). Notwendig ist daher ein Programm der ArbeiterInnenkontrolle über den Umbauprozess der Industrie, das die Entwicklung von Alternativen und ökologisch sinnvollen Technologien in den Betrieben im Verbund mit der sozialen Absicherung der Beschäftigten vorantreibt. Was wir brauchen, sind keine „BürgerInnenversammlungen“, die ausgelost werden und ohne Macht über den Produktionsprozess sind (wie XR es vorhat), sondern Kontrollausschüsse und sich in der Auseinandersetzung entwickelnde ArbeiterInnenräte, die den Umbauprozess konkret durch ihre Verankerung im eigentlichen Produktionsprozess auch umsetzen können. Gerade auf Grundlage dieser Produktionskontrolle durch die Beschäftigten kann auch die Struktur in den Konzernen geschaffen werden, die eine internationale Vergesellschaftung der HauptverursacherInnen der Treibhausgasemissionen realisiert.

Eigentumsfrage

Es ist klar, dass diese Machtfrage in den Konzernen nicht ohne schweren politischen Kampf vor sich gehen kann – schon das dagegen geringe Problem der Teilnahme am globalen Klimastreik stellt ja in Deutschland die berühmte Frage des „politischen Streiks“ auf die Tagesordnung. Nur die Vorstellung davon stürzt schon sämtliche Gewerkschaftsführungen hierzulande in kollektives Entsetzen. Dieser Kampf kann nur im Kampf um eine neue Führung der ArbeiterInnenbewegung gewonnen werden wie auch in der Durchsetzung entschlossener Kampfformen gegen das Kapital. Dies wird unweigerlich auch den Kampf um die politische Macht beinhalten. Speziell auch deswegen, da eine wirkliche Klimawende auch einen demokratischen Gesamtplan des Umbaus benötigt. Es wird immer klarer, dass die Alternative entweder die Durchsetzung einer wirklich sozialistischen und ökologischen Planwirtschaft ist – oder wir müssen langsam nach einem Planet B suchen!

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