Arbeiter:innenmacht

Wehret den Anfängen! Nein zum Kabinett Merz! Jetzt den Widerstand gegen die Generaloffensive organisieren!

CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons / Michael Lucan

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 290, April 2025

Der nächste Bundeskanzler wird Friedrich Merz. Er wird eine neue große Koalition aus Union und SPD anführen. Geht es nach Aussagen von Vertreter:innen der sondierenden und verhandelnden Parteien, so ist dies eine Gewissheit – vielleicht sogar eine baldige. Es ist jedenfalls bereits jetzt das Programm der kommenden Regierung, das die politischen Verhältnisse der letzten Wochen prägt.

So sind die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD abgeschlossen. Am 18. März hat der alte Bundestag noch kurz vor der Einberufung des neuen schnell mit einer Zweidrittelmehrheit von SPD, Union und Grünen die Schuldenbremse reformiert. Sie wurde für Staat und Kapital zum Hindernis, um Deutschland kriegstauglich zu machen und ein wirtschaftsfreundliches Infrastrukturprogramm zu schnüren. Die Abstimmung war essenziell, um die Haushaltsplanung auf eine neue Grundlage zu stellen, ohne sich bereits jetzt konkret auf die anstehenden Kürzungen festzulegen.

Was wurde bereits vereinbart?

Am 8. März stellten Union und SPD ihr gemeinsames Sondierungspapier vor, mit dem sie nun in die Koalitionsverhandlungen getreten sind. Bis Ostern wollen die Koalitionär:innen sich verständigt haben, um schnellstmöglich eine neue Regierung zu formen. Am 25. März traf sich der neue Bundestag zu seiner ersten konstituierenden Sitzung.

Das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD umfasst elf Seiten und behandelt zentrale Themenbereiche wie Finanzierung, Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Migration sowie weitere ausgewählte Vorhaben.

Wirtschaft

Die Investitionspakete in die Infrastruktur sind mit dem Gedanken eines sogenannten Investitionshebels gestrickt. Damit soll für Public-private-Partnership-Vorhaben privates Kapital angezogen werden, das sich an den Infrastrukturinvestitionen beteiligen soll, genannt sind hier u. a. Wohnungsbau und Energieinfrastruktur. Selbstverständlich finden derartige Investitionen unter anhaltender Renditeerwartung statt und führen mittelfristig tendenziell zu einem Verfall der Infrastruktur oder massiver Teuerung. Besprochen wird auch die massive Ansiedlung von strategischen Industrien, was als Teil einer Tendenz zur Renationalisierung globaler Wertschöpfungsketten verstanden werden muss. Das betrifft die altbekannten Bereiche von Halbleiterindustrien, Batteriefertigung, Wasserstoff und der Pharmaindustrie. Die Automobilindustrie soll dabei gestärkt werden. Im Zentrum des Sondierungspapiers steht dabei das E-Auto, doch die Wirklichkeit kündigt eine intensivierte Verschmelzung von Teilen der Automobil- mit der Waffenindustrie an. Anders als die unilateralistisch agierenden USA plant die Regierung die Ausweitung von Freihandelsabkommen zwischen Regionen an, wie beispielsweise die Umsetzung von Mercosur.

Arbeit und Soziales

Bei Arbeit und Soziales sieht es düster aus. Das Papier beginnt hier unter dem Titel „Fördern und Fordern“ mit der Wiedereinführung des Sanktionssystems beim Bürger:innengeld,  begleitet und begründet mit der Lüge vom großen in- und ausländischen Sozialleistungsmissbrauch. Während hier die finanzamtlichen Befugnisse ausgeweitet werden sollen, auch bezogen auf Schwarzarbeit, finden sich keine Aussagen zu Vermögens- und weiteren Unternehmensteuern. Die auf Kosten der Armen und Arbeiter:innen durch Teuerung, Mietwucher und Ausbeutung reich Gewordenen dürften es auch weiterhin bleiben. Das Papier verspricht eine umfassende Pflegereform, ohne dies genauer zu beschreiben, Veränderung der Höchstarbeitszeit von einem täglichen auf ein wöchentliches Maß, wodurch in der Regel eine Flexibilisierung zulasten der Arbeitenden erwirkt wird. Der Mindestlohn soll im kommenden Jahr auf 15 Euro erhöht werden. Das CDU-Grundsatzprogramm spricht von einer Anhebung des Renteneintrittsalters, das schließt das Sondierungspapier aus. Stattdessen soll die sogenannte Aktivrente gefördert werden, was Altersarmut kaschieren soll und andererseits aufgrund der weitgehenden Steuerbefreiung ein weiteres Arbeitskräftepotenzial fürs Kapital schafft, was unter geringen Lohnnebenkosten arbeiten kann.

Weitere ausgewählte Vorhaben sind unter anderem die Verlängerung der Mietpreisbremse um zwei Jahre, das stumpfeste Messer im Besteckkasten des Mieter:innenschutzes. Das Deutschlandticket wird mal erwähnt, aber was damit passiert, bleibt offen.

Migration

Bei Flucht und Migration droht eine neue Qualität an Angriffen. Die nächste Regierung plant Abweisungen an den Landesgrenzen, wenn auch in Absprache mit den Nachbarländern. Der Familiennachzug soll auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden. Auch das Wort einer „Rückführungsoffensive“ findet sich im Papier. Ein Teil dessen ist die asylrechtliche Verschärfung vom „Amtsermittlungsgrundsatz“ zum „Beibringungsgrundsatz“. Das mag nebensächlich klingen, aber es verändert die Einholverpflichtung von Seiten des jeweiligen Amtes zur beidseitigen Verantwortung. Einfach gesagt: Wer nicht bei Flucht alle nötigen Dokumente dauerhaft dabei hat und schlussendlich behält, dem/r kann trotz berechtigten Schutzstatus’ die Abschiebung drohen. Als Teil dessen soll der Rechtsbeistand bei Abschiebungen gestrichen werden, die Bundespolizei erhält Rechte zur Anordnung von Abschiebehaft und die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten soll erweitert werden. Generell soll das freiwillige Aufnahmeprogramm der Bundesrepublik eingestellt werden. Die jährliche Obergrenze von Flüchtenden über die Westbalkan-Route wird mit 25.000 Personen beziffert. Migrant:innen sollen sogenannte Integrationsvereinbarungen abschließen, deren Einhaltungspflicht ihre Rechte bestimmt.

Allgemein droht der antimuslimische Rassismus, dem Sondierungspapier nach, zuzunehmen. Bei Vorliegen einer doppelten Staatsbürger:innenschaft sollen die Maßnahmen zum Entzug der deutschen ausgeweitet werden, falls es sich um „Terrorunterstützer[…], Antisemiten und Extremisten [ handelt], die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen“ (Sondierungspapier, Zeile 36 ff.) Verschiedene Organisationen für und in Teilen von Migrant:innen und Geflüchtete/n haben sich bereits gegen die Sondierungsergebnisse ausgesprochen. Hier ist eine rassistische Brot-und-Seife-Politik gegenüber Geflüchteten zu erkennen. Die Zurückweisungen an Grenzen sind ein Türöffner für Pushbacks auch an inneren EU-Grenzen.

Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt?

Der alte Bundestag hat am 18. März in seiner letzten beschließenden Sitzung mit einer Zweidrittelmehrheit aus SPD, Union und Grünen ein Sondervermögen beschlossen, eine Abstimmung im Bundesrat fand am 21. März statt. Es sollen Schulden in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen über zwölf Jahre aufgenommen werden. Zusätzlich wurde die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und die Länder gelockert.

Letztere können demnach künftig jährlich Kredite im Volumen von 0,35 % des Länder-BIPs aufnehmen, wie bereits auf Bundesebene möglich. Für Rüstungsausgaben entfällt ab Ausgaben von über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich die Bindung an die Schuldenbremse. Damit plant die nächste Bundesregierung, den Anteil für Rüstungsausgaben auf 3,5 % zu erhöhen – das wäre eine Verdreifachung der Ausgaben verglichen mit dem Jahr 2017.

Im Bundestag stimmten 512 für und 206 gegen die Reformierung der Schuldenbremse, bei 15 nicht abgegebenen Stimmen. 489 Stimmen waren nötig. Von den 520 Stimmen, die die Grünen, die SPD und die Union ineinander vereinen, stimmten drei explizit gegen die Reform der Schuldenbremse. Für die CDU stand Mario Czaja, der ehemalige Generalsekretär der Partei, auf der alten Linie der Union, aus der SPD Jan Dieren und von den Grünen Canan Bayram. Alle argumentierten mit der Frage der Generationengerechtigkeit, stellten sich aber nicht gegen das milliardenschwere Aufrüstungsprogramm.

Der Bundesrat hat dem nun ebenfalls zugestimmt. Folglich kann in der Logik parlamentarischer Demokratie nur noch die Justiz das Vorhaben kassieren. Schlussendlich hat sie den Klagen von AfD und Linkspartei in der Form, dass der alte Bundestag dies beschließen kann, widersprochen, den Inhalt dabei aber explizit aus der Bewertung ausgeschlossen.

Im Bundesrat brauchten die Union, Grünen und SPD aber mindestens 47 der 69 ordentlichen Stimmen, um die Reform durchzubekommen. Die nötigen Stimmen hatten sie, als die CSU in Bayern die Freien Wähler für die Zustimmung gewonnen hatte, nachdem dort fast eine Regierungskrise gedroht hatte. Sören Pellmann wusste bei der Frage im Bundestag selbst nicht, wie sich Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern (rot-rot) oder Bremen (rot-grün-rot) verhalten wird. Und so geschah es dann auch, dass beide Länder dem Beschluss zustimmten. Der Bundesrat hat also über die Bundestagsabstimmung hinaus noch Unterstützer:innen aus den Freien Wählern und der Linken mobilisiert. Nur Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz stimmten dagegen.

Damit hat Die Linke auf parlamentarischem Wege ihre fundamentale Ablehnung von Krediten für Aufrüstung, Krieg und Militarismus aufgegeben. Die Regierungssozialist:innen konnten ihren Offenbarungseid leisten und zeigen, dass sie im Zweifel die Treue zur Koalition und nicht gegenüber ihrem Programm beibehalten. Auch Gregor Gysi wartete bei der Eröffnung des Bundestages mit einer Rede auf, die u. a. eine Zweistaatenlösung in Palästina und eine offene Diskussion zur Aktienrente forderte. Hierin zeigt sich aber auch die fundamentale Schwäche der Linken als pluralistische linke Partei, in der Teile der Partei sowohl zum Protest gegen das Maßnahmenpaket aufrufen als auch selbigem zustimmen. Letztendlich sind das unvereinbare Positionen. Sofern beide in einer Partei bleiben können, setzt sich die Strategie „linkes Zünglein an der Waage“ der Mitverwaltung des kapitalistischen Elends durch.

Ist damit alles bezahlt?

Bisher wird nur eines deutlich: Die Koalitionär:innen haben sich einen zeitlichen Puffer verschafft, um künftige Investitionsvorhaben zu planen, ohne ihr massives Kürzungsprogramm fixieren zu müssen. Die bürgerlichen Ökonom:innen, wie beim Economist und der Financial Times, jubeln. Letztere titelt sogar von einem „Mondlande-Event“, das angeblich ein Prozent jährlich zusätzliches Wirtschaftswachstum bedeuten werde.

Einen konjunkturellen Einfluss wollen wir nicht grundsätzlich abstreiten, jedoch finden hier keine Investitionen im Sinne einer Neuzusammensetzung der Produktivkräfte statt, sondern eine massive Verschuldung für Waffen – die an und für sich keinerlei produktive Wirkung auf den Kapitalkreislauf haben. Sie bereiten im höchsten, zynischsten Sinn die massive Vernichtung lebendigen wie vergegenständlichten Kapitals vor – Tod und Zerstörung.

Vor dem Kriege sind Investitionen in die Kriegswirtschaft im engeren Sinne mittelfristige Inflationstreiberinnen. Daher dürfen Investitionspaket und Sondierungspapier nicht darüber hinwegtäuschen, was das Kabinett Merz ausmachen wird: eines des massiven Ausverkaufs staatlicher Infrastruktur, der Privatisierung und Zerstörung öffentlicher Fürsorge, eines Konjunkturprogramms fürs Kapital, eines Angriffes auf Arbeits- und einer Offensive gegen demokratische Rechte.

DGB und Die Linke

Anja Piel, Vorstandsmitglied des DGB, hat sich kurz nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers verhalten positiv geäußert. Sie begrüßt die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus und die geplante Sicherung der Gesundheitsversorgung. Piel warnt vor der Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit anstelle einer täglichen und der Wiedereinführung des Sanktionssystems. Zu den anderen Fragen schweigt der DGB bisher, auch wenn er angesichts der Debatten zum Sondervermögen, das er begrüßt, von einer Verhältnismäßigkeit zwischen Rüstungs- und Infrastrukturinvestitionen schwafelt. Die Vorstände der größten organisierten Kraft der Arbeiter:innenbewegung kündigen hier bereits an, dass sie nicht in die Offensive gegenüber der Regierung rassistischer Spaltung, neuer Aufrüstung und erstarkenden Autoritarismus’ treten wollen. Das Sondierungspapier wirbt beispielsweise bei der Implementierung von KI-Techniken für die Sozialpartnerschaft. Hierin zeigt sich deutlich, dass die SPD darauf abzielt, den Widerstand in den Gewerkschaften möglichst gering zu halten. Anja Piel erfüllt in diesem Sinne ihre Rolle als treue Gewerkschaftsbürokratin und bietet der kommenden Regierung Beratung statt Kampf an.

Die Linke befindet sich in einem Härtetest unter dem Brennglas. Ihre Mitgliedschaft hat sich in den letzten Monaten nahezu verdoppelt. Die zehntausenden Neumitglieder und reaktivierten Alten hegen die Hoffnung in die Partei, dass diese der gegenwärtigen Entwicklung etwas entgegenstellen wird. Diese richtet sich wesentlich gegen den Aufstieg der AfD, aber auch gegen den Rechtsruck der restlichen Parteien. Sie haben Die Linke als einen Faktor nicht nur im Parlament, sondern auf der Straße und in den Kiezen kennengelernt. Doch statt daran anzusetzen, beschränkte sich die Partei auf den Klageweg, um dann als Teil der Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern für das Sondervermögen zu stimmen. Die Parteilinken müssen dagegen den offenen politischen Kampf führen. Dabei machen wir uns wenig Illusionen, handelt es sich doch bei den verschiedenen Strömungen in der Linken nicht um gänzlich neue Erscheinungen. So haben Strömungen wie die Bewegungslinke, AKL, SL, die AG Betrieb und Gewerkschaft in der Vergangenheit mehrfach gegen Verrat aus den eigenen Reihen revoltiert, aber dagegen keine Fraktionen aufgebaut.

Was brauchen wir?

Die Regierung Merz wird eine weitere Verschärfung darstellen – eine Verschärfung, der Die Linke und der DGB im ersten möglichen Moment halbgaren Widerstand oder überhaupt keinen entgegenstellten. Zugleich sammelt sich unter der Wähler:innenschaft der Linken die relativ größte Gruppe der Aufrüstungsgegner:innen. Wollen sie von Die Linke einen wahrhaften Antimilitarismus, so werden sie diesen in der Partei erkämpfen müssen.

Und auch was die Tarifrunde im öffentlichen Dienst angeht, so zeigt diese deutlich, dass sich die Beschäftigten bei Bund, Ländern und Kommunen auf harte Kampfauseinandersetzungen vorbereiten müssen – und sich dabei nicht auf ihre Führung verlassen können, die nun schlichten will. Auch hier führt der Widerstand gegen Merz zunächst über einen Kampf gegen die Bürokratie.

Um diesen aufzubauen, brauchen wir die breitest mögliche Mobilisierung von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung und sozial Unterdrückter. Diese entsteht aber nicht aus dem Nichts und wo es sie gibt, bleibt sie zumeist nur punktuell. Jedoch finden rund um Die Linke und ihre Intervention in die Gewerkschaften in den nächsten Monaten verschiedene Konferenzen statt, wie etwa Anfang Mai die Konferenz zur gewerkschaftlichen Erneuerung in Berlin oder die der Bewegungslinken.

Als Revolutionär:innen müssen wir dort ein Programm des Klassenkampfes vorlegen, das nicht die Verantwortung für bürgerliche Krisen und Kriege übernimmt, sondern die Verstaatlichung der Produktion unter Kontrolle der Beschäftigten erkämpft, wo Betriebe insolvent gehen sollten. Ein Programm, das nicht versucht, „unsere Nation“ zu rüsten, sondern unsere Klasse. Denn es ist der deutsche Imperialismus, der eigenständig und kriegsfähig sein will, um seinen Platz an der Sonne weiter zu bewahren, während der US-Imperialismus unter Trump auf dem Reißbrett die Welt unter den Großmächten neu aufteilen will. Die Liebknecht’sche Lösung ist so aktuell wie eh und je: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Krieg den herrschenden Verhältnissen! Wir brauchen eine Antikrisenbewegung, die die Angriffe nicht als zufällig, sondern als systematisch versteht und darauf antwortet.

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