Arbeiter:innenmacht

AfD-Parteitag in Riesa trotz Polizeigewalt erheblich verzögert – Wie weiter?

Jona Everdeen, Infomail 1273, 13. Januar 2025

Mit bis zu 30.000 Teilnehmer:innen waren die Proteste gegen den AfD-Parteitag in Riesa erneut riesig. Auch erzielten sie, noch deutlicher als im vergangenen Sommer in Essen, reale Wirkung: Der Parteitag der rechtspopulistischen Partei konnte erst mit mehr als zweistündiger Verspätung anfangen und auch zu diesem Zeitpunkt fehlten noch zahlreiche Delegierte, darunter auch die Vorsitzende Alice Weidel. Als Gruppe Arbeiter:innenmacht nahmen wir gemeinsam mit der Jugendorganisation REVOLUTION an den zahlreichen Blockaden und Protesten in Riesa teil.

Mobilisierung und Proteste

Auch wenn die Proteste insgesamt kleiner ausfielen als in Essen (70.000), war die Mobilisierung doch ein mindestens ebenso großer Erfolg. Anders als Essen, das im Herzen einer der größten Stadtagglomerationen Europas liegt und sehr gute Verkehrsanbindungen hat, befindet sich das 30.000 Einwohner:innen-Städtchen Riesa mitten in der sächsischen Provinz und Regionalzüge nach Leipzig oder Dresden fahren jeweils einmal stündlich. Die AfD hatte diesen Ort ausgesucht in der Hoffnung, dass sie hier ihre Ruhe vor größeren Gegenprotesten haben würde. So wie es 2022 auch der Fall war, wo der Parteitag bereits dort abgehalten wurde und lediglich kleine Gegenproteste von einigen hundert Teilnehmer:innen stattfanden, die Weidel und Co. nicht groß störten. Doch diesmal erfüllte sich diese Hoffnung für die AfD nicht. Im Gegenteil, es wurde für sie noch schlimmer als in Essen.

Besonders hervorzuheben ist auch, dass zwar die Zahl der Demoteilnehmer:innen, verursacht durch Lage und vermutlich auch Jahreszeit, deutlich geringer war als in Essen, aber sogar mehr Menschen an den Blockaden teilnahmen! Insgesamt waren es wohl ungefähr 10.000 Menschen, die sich der AfD in den Weg setzten und stellten und den Ablauf des Parteitages dieses Mal mit über zwei Stunden signifikant verzögerten.

Dabei widersetzten die Aktivist:innen sich nicht nur erfolgreich der Kälte und dem Wind, sondern auch der Polizei, die versuchte, den Parteitag der Rechten mit allen Mitteln zu ermöglichen. Massiv wurden Pfefferspray und Polizeiknüppel genutzt. Einzelne Cops setzten sogar Hunde ohne Maulkorb direkt gegen Protestierende ein. Besonders für Aufmerksamkeit sorgt, dass Linkspartei- MdL Nam Duy Nguyen, der offen erkenntlich als parlamentarischer Beobachter vor Ort war, von einem Polizisten bewusstlos geschlagen wurde. Solidarität an dieser Stelle!

Doch trotz dieser Gewalt, ohne die das Abhalten eines AfD-Parteitags in Riesa unmöglich gewesen wäre, kann der Protest ganz klar als erfolgreich bilanziert werden. Nicht nur in der Ruhrmetropole Essen, sondern auch im ostdeutschen Hinterland, das viele in der AfD gerne als ihre Homezone betrachten, müssen sich die Rechtspopulist:innen darauf einstellen, auf erhebliche Gegenwehr zu stoßen.

Doch was machte die Partei überhaupt selber in ihrer Halle, während davor tausende Kundgebungsteilnehmer:innen protestierten oder Musiker:innen und Bands wie Pöbel MC oder ZSK lauschten?

Und die AfD?

So kurz vor der Wahl war bei der AfD alles darauf ausgelegt, Einheit zu demonstrieren unter der „großen Vorsitzenden“ und Kanzlerkandidatin Alice Weidel, die mit ihrer zentralen Rede, umgeben von je 8 Deutschlandflaggen auf beiden Seiten, den Parteitag dominierte. Die Flügelkämpfe traten in den Hintergrund und werden es wohl auch in näherer Zukunft weiter tun. Gelöst sind sie jedoch sicher nicht.

Gleichzeitig ging auch Weidel selber viel offensiver und aggressiver in den Wahlkampfmodus, als man es sonst von ihr kennt, die tendenziell dafür steht, die AfD als scheinbar „moderate“ Partei rechts der CDU, mit der diese bitte einfach mal im gemeinsamen Interesse der deutschen Nation koalieren soll, darzustellen. Auf ihrer Parteitagsrede war davon wenig zu hören. Stattdessen wetterte Weidel lautstark gegen die „Windräder der Schande“, die sie alle abreißen wolle. Eine Partei, die die Windkraft mutwillig zerstören will, um die irrationalen Wünsche von kleinbürgerlichen und rückständigen Schichen aus der ostdeutschen und bayrischen Provinz zu erfüllen, mag vielleicht auch bei einigen Unternehmerschichten ankommen, das Gros des deutschen Kapitals hält das eher für einen weiteren Grund, Abstand von der AfD zu nehmen. Doch dass solche Aussagen letztlich keinen Bestand bei einer etwaigen zukünftigen Regierungsbeteiligung haben werden, dürfte jedoch sowohl diesem als auch der AfD selber klar sein.

Was dem deutschen Kapital, oder zumindest den zentralen Teilen davon, weitaus besser gefallen dürfte, ist, dass die AfD das Bürgergeld abschaffen will. Auch soll bei der geisteswissenschaftlichen Bildung gespart werden („Gender Studies abschaffen und Professor:innen entlassen“) und alle Migrant:innen sollen rausgeschmissen werden, die man nicht effektiv ausbeuten kann. So deutete Weidel nämlich den Begriff der „Remigration“ um, und nahm ihn dabei ins Wahlprogramm auf.

Doch während man in guter alter rechtspopulistischer Manier v. a. gegen die direkte Rivalin um viele ländliche und kleinstädtische Stimmen, die CDU unter Friedrich Merz schoss, gab es auch Aspekte, die recht klar darauf abzielen, dass man trotz der artikulierten Kompromisslosigkeit anpassungsfähig genug ist, um dann vielleicht doch einmal mit der CDU zusammen eine Regierung bilden zu können. So entschied man sich, nach einer Diskussion, dafür, dass man das Abtreibungsrecht nicht weiter verschärfen, sondern lediglich den jetzigen Stand gegen „Angriffe von links“ verteidigen wolle.

Auch bemerkenswert ist, dass die Auflösung der unabhängigen Parteijugend Junge Alternative bzw. die komplette Trennung von dieser nun offiziell ist. Stattdessen soll eine neue Jugendorganisation namens Junge Patrioten gegründet werden, die direkt der Parteidisziplin untersteht. Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass die Junge Alternative nicht nur als „gesichert rechtsextrem“ gilt, sondern auch regelmäßig aktiv mit faschistischen Organisationen zusammenarbeitet, zusammen demonstriert und deren Mitglieder Aussagen treffen, die nicht zu der von Weidel und Co. gewünschten Selbstdarstellung passen. Dabei geht es nicht um grundlegende inhaltliche Einwände, sondern darum, dass die Partei selbst stärker zentralisiert und vereinheitlich werden soll.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Weidel als Vorsitzende sich bestätigen konnte und auch ihre innerparteiliche Position gestärkt hat. Gleichzeitig stellte der Parteitag zwar auch zu guten Teilen einen Akt des populistischen Wahlkampfes dar, kann aber nicht als generelle Abkehr von Weidels Linie betrachtet werden, die AfD mittelfristig zur Koalitionspartnerin der CDU zu schmücken, auch wenn man jetzt aus taktischen Gründen kräftig gegen diese schoss.

Folgen aus Riesa

Auch wenn wir uns natürlich darüber freuen können, dass es bei Alice Weidel mit der guten deutschen Pünktlichkeit nicht geklappt hat, muss doch klar sein, dass es nicht ausreicht, bloß mit großen Aktionen AfD-Parteitage zu stören. Es muss eine tatsächliche Antwort gefunden werden, mit der man die rechtspopulistische Partei nicht nur nerven, sondern besiegen kann. Dazu braucht es eine Einheitsfront der gesamten Arbeiter:innenklasse und ihrer Organisationen.

Deutlicher als Essen waren Blockaden und die zentrale Kundgebung von der politischen Linken geprägt, das heißt von Linkspartei, SDS und [’solid] sowie von der radikalen Linken. Auch gewerkschaftliche Delegationen und selbst die SPD waren sichtbar, ein bisschen auch die Grünen. Darüber hinaus viele antirassistische und antifaschistische Bündnisse und verschiedene Gruppierungen und Spektren der radikalen Linken. Kurzum, es waren wichtige Organisationen und Gruppierungen vertreten, die Teil eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen rechts sein sollen, präsent. Palästinafahnen waren zwar sichtbar, aber generell war die Mobilisierung migrantischer Organisationen zu gering – auch, weil Teile der organisierenden Kräfte nicht aktiv auf solche Gruppierungen zugehen wollten oder wollen.

Das offen bürgerliche Spektrum der ohnedies fiktiven „Brandmauer“ gegen rechts war in Riesa, anders als in Essen, als sich auch der CDU-Oberbürgermeister als demokratische Hürde für die AfD hinstellte, nicht zu sehen. Kein Wunder! Die CDU-Spitzenpolitikerin Klöckner biedert sich in einem mittlerweile gelöschten Post den AfD-Wähler:innen damit an, dass sie gar nicht AfD wählen müssten, um ihre Politik zu erhalten, sondern dass das auch die CDU biete. Der FPD-Vorsitzende Lindner wirbt dafür, mehr Musk und Milei zu wagen und ärgert sich wohl darüber, dass Weidel und nicht er über eine Stunde mit dem X-Chef vor Millionen palavern durfte.

Was es dagegen braucht, ist eine Aktionseinheit, eine starke und entschlossene Bewegung der Arbeiter:innen gegen die AfD, deren Aufstieg schon jetzt für sie gravierende Folgen trägt, die sich bei einer Regierungsbeteiligung noch massiv verschärfen würden.

Allerdings darf es nicht bei der Verurteilung der AfD stehenbleiben. Wer sich auf die „Einheit der Demokrat:innen“ verlässt, ist verlassen. Diese stoppt die Rechten nicht, sondern bereitet ihnen vielmehr durch imperialistische Außenpolitik, deutsche Staatsräson, Aufrüstung und Rassismus sowie eine Politik des sozialen Kahlschlags den Boden.

Entsprechend muss sich die Bewegung auch gegen den ganzen Mist richten, gegen die bürgerliche Politik, die durch die chronische Krise des Kapitalismus immer rechter wird, immer rechter werden muss, um die Macht des deutschen Kapitals zu erhalten. Wer die AfD langfristig stoppen und ihre Politik dauerhaft verhindern will, muss das tun als Teil eines Kampfes gegen die kapitalistische Ordnung und das imperialistische Weltsystem als Ganzes!

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