Arbeiter:innenmacht

Welche Rolle spielen wir Menschen mit Migrationshintergrund in Bewegungen gegen den Rechtruck?

Dilara Lorin, Infomail 1269, 14. November 2024

Dies ist ein Kommentar von mir, welchen ich nach der Strategiekonferenz von Widersetzen formuliere, weil mich die dortigen Debatten mit vielen migrantischen Antifaschist:innen viel zum Nachdenken gebracht haben. Bei der Strategiekonferenz gab es zwar einige wichtige Inputs, in welchen es Raum geben sollte, um darüber zu diskutieren, woher der Rechtsruck stammt, warum die AfD so stark geworden ist oder welche antifeministischen Tendenzen die rechte Politik mit sich trägt. Doch wirklich diskutiert wurde nur in wenigen Veranstaltungen.

Im Workshop „Warum ist die AfD so stark? Gründe und Verlauf der Rechtsentwicklung in Deutschland“, bei dem ich selbst anwesend war, wurde zum Teil stark versucht, eine Debatte darüber zu unterbinden, wo der Rechtsruck seinen Nährboden hat, und wie dieser bekämpft werden könnte. Dabei sind es genau diese Diskussionen, die eine mögliche Bewegung gegen rechts führen muss. Genau solche Fragen müssen wir uns als Aktivist:innen stellen, wenn wir es ernst meinen mit dem Kampf dagegen.

Es lässt tief blicken, dass es einige Akteur:innen gab, die nicht darüber diskutieren wollten, wie eine Bewegung aufgebaut werden kann. Eine weitere Perspektive – also mehr als AfD-Parteitag blockieren – war für einige zu viel und wurde schnell mit „Wir sind nur eine Vernetzung, wir können hier gar nicht über längerfristige Strategien diskutieren“ abgeblockt. Dabei frage ich mich: „Wie kämpfen wir denn dann, wenn nicht über längerfristiges Nachdenken?“ Oder ist es für die meisten damit getan, wenn der AfD-Parteitag blockiert wird, sie am Abend froh und stolz nach Hause gehen und die Rechten trotzdem eigentlich nicht oder allenfalls nur symbolisch bekämpft haben? Ist es nicht unser aller Erfahrung, dass die großen Demonstrationen Anfang 2024 gegen die extreme Rechte und die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag zwar Zehntausende, teilweise sogar Hunderttausende auf die Straße gebracht haben, aber weder den Zulauf zur AfD stoppen konnten noch bleibende lokale und bundesweite Kampfstrukturen hinterließen?

Die Debatte in Leipzig erinnerte mich an die in Dresden rund um Pegida. Damals waren so viele weiße Deutsche überrascht, als Tausende auf die Straßen gingen und ihrem Rassismus freien Lauf ließen, aber wir Menschen, die diesen Rassismus seit unserer Geburt in Deutschland erlebten, ihm jeden Tag ausgeliefert sind, waren nicht ansatzweise so „überrascht“ oder „schockiert“. Einmal in der Woche gegen rechts auf die Straße zu gehen, hat unsere Lage nicht ansatzweise verbessert. Schlimmer noch, wir mussten teilweise innerhalb der Linken erklären, dass es Rassismus auch vor Pegida gab und durch diesen rechten Mob erst sichtbar für alle nicht Betroffenen gemacht wurde. Auch damals wollte niemand über längerfristige Strukturen oder eine breite Massenbewegung sprechen, die unter Migrant:innen und Geflüchteten wie in den Betrieben und in der Arbeiter:innenklasse verankert sind. Keine der größeren linken und/oder antifaschistischen Strukturen hat sich ernsthaft Gedanken gemacht, wie die migrantische Community eingebunden werden kann. Einfacher war es, „Refugees welcome“ zu sagen. Dabei entstanden mit den Besetzungen und Protestmärschen von Geflüchteten 2015 wirkliche Strukturen von Refugees, die jedoch viel zu wenig mit der Arbeiter:innenklasse und Linken verbunden wurden. Ansätze wie beispielsweise die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften bei ver.di Hamburg wurden damals vom Apparat bürokratisch unterbunden, frei nach dem Motto: „Refugees welcome, but not here.“

Es ist positiv hervorzuheben, dass in Widersetzen durch den Einsatz vieler migrantischer Aktivist:innen immer deutlicher sichtbar wurde, wir sind Teil der Struktur, wir lassen uns nicht verdrängen und werden unsere eigenen Erfahrungen und Perspektiven in den ersten Reihen verankern. In den Debatten um den migrantischen Aufruf wurde auch viel mehr über den Wunsch diskutiert, dass es längerfristige Strukturen braucht, der Rechtsruck nicht durch Blockaden alleine bekämpft wird. Und natürlich hat es mich nicht überrascht, dass hier keine/r die Debatte unterbunden hat.

Was braucht es, um mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete zu mobilisieren?

Es braucht klare Forderungen, wofür wir kämpfen: Wenn wir Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete mit zu den Demonstrationen und Blockaden bringen wollen, braucht es mehr als ein plakatives und banales „Wir sind alle gegen die AfD“. Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse, denn viele von uns haben viele von euch auf den Demos im Januar nach den Remigrationsplänen gesehen. Bei den Sprüchen gegen die AfD waren alle 300.000 anwesenden Demonstrant:innen in Berlin laut, bei solchen gegen Abschiebungen und Rassismus war das Gespräch über das Abendessen oder das Wetter doch wichtiger.

Wie sollen also Menschen, die jeden Tag auf der Straße bespuckt, in der Schule vom/von der Lehrer:in beleidigt und am Arbeits- und Wohnungsmarkt benachteiligt werden, Vertrauen in diese Demos schöpfen, wenn nicht die Interessen aller aufgegriffen werden, die von allen Formen des Rassismus betroffen sind? Denn Abschiebungen, neben Mord und Verfolgung die härteste Konsequenz des Rassismus, betreffen nur jene, die keinen deutschen oder wenigstens EU-Pass haben. Wenn wir also auch Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete in diese Aktionen einbinden wollen, müssen wir mit Forderungen klarmachen, dass wir es ernst meinen und den Rechtsruck und Rassismus nicht nur auf die AfD reduzieren, sondern auch den staatlichen Rassismus bekämpfen wollen und werden.

  1. Staatsbürger:innenrechte für alle! Bleiberecht geht nicht weit genug und ermöglicht es nicht, gleiche Rechte für jeden Menschen fordern zu können. Freie Wahl des Aufenthalts und Wohnortes in ganz Europa!
  2. Offene Grenzen und sichere Fluchtrouten! Das europäische Grenzregime muss zerschlagen werden, denn die europäischen Grenzen sind ein Massengrab.
  3. Das Recht auf Arbeit, volles politisches Betätigungsrecht für alle Migrant:innen! Öffnung der Gewerkschaften für Geflüchtete! Die Gewerkschaften als Organisation für alle Lohnabhängigen haben zumindest das Potential, den kollektiven Widerstand der Arbeiter:innenklasse zu organisieren und die Kraft, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu ändern und gemeinsam mit uns unsere Forderungen durchzusetzen. Dies muss auch genutzt werden, um auch gegen Angriffe auf Arbeitsplätze, Einkommen, soziale Absicherung und Wohnungsnot ankämpfen zu können.

Wenn Widersetzen diese oder ähnliche Forderungen aufnimmt, bietet dies eine Grundlage, für mehr als Blockaden auf die Straßen zu gehen. Es bietet die Grundlage für längerfristige Strukturen und den wirklich Aufbau einer Bewegung, die soziale Fragen mit dem Kampf gegen den Rechtsruck verbindet. Und sie bietet eine Perspektive der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes, die der Demagogie der Rechten den Boden entziehen kann.

Wir brauchen eine offene, organisierte Debatte über diese Fragen – und wir brauchen sie jetzt. Bei der Unterbindung von Debatten, die vor allem migrantischen Aktivist:innen aufstößt, geht es nicht nur darum, dass Menschen und ihre Anliegen nicht gehört werden. Es geht auch um die Durchsetzung einer bestimmten Strategie gegen rechts. Die Konzentration auf die „diskursive Entlarvung“ der AfD, der Fokus auf friedliche Demonstrationen gegen deren Parteitage geht davon aus, dass die Rechten gestoppt werden könnten, wenn sie nur als Nazis oder Rechtsextreme entlarvt würden. Dann könne auch die ganze „Zivilgesellschaft“, einschließlich CDU/CSU, FDP, der Kirchen und aller möglichen bürgerlichen Vereine ins Boot geholt werden. Und diese sollen „natürlich“ durch Debatten über längerfristige Ziele, die Wurzeln des Rechtsrucks, den Zusammenhang von Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus nicht „abgeschreckt“ werden.

In Wirklichkeit verdammt diese Strategie, die auf ein Bündnis mit der zur Zivilgesellschaft stilisierten „demokratischen“ Bourgeoisie statt eine Einheitsfront der Arbeiter:innen und rassistisch Unterdrückten setzt, die Bewegung zum Schweigen gegenüber dem staatlichen Rassismus. Sie verdammt sie dazu, keine Selbstverteidigungsstrukturen aufzubauen, die unabhängig von rassistischen Cops agieren können. Sie verbaut die Einsicht, dass der bürgerliche Staat im Kampf gegen rechts kein Verbündeter, kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems ist. Kurzum, sie verdammt die Bewegung zur Wirkungslosigkeit und zum Scheitern. Wer die Diskussion dazu unterbinden oder vertagen will, verschiebt tatsächlich den „Diskurs“ – aber nach rechts, indem die Ursachen des Rechtsrucks und die längerfristige Strategie erst gar nicht thematisiert werden. Damit schwächt man nicht die AfD, sondern den Widerstand gegen sie.

Schlussendlich habe ich es satt, immer wieder zu hören, über Strategie, Perspektiven, Strukturen oder gar eine Bewegung zu reden, komme dem gleich, eine kommunistische Partei gründen zu wollen – ja auch das wurde mehrmals von einigen Menschen auf der Konferenz so verstanden. Ich frage mich allen Ernstes, wie viele Hanaus und Hoyerswerdas Deutschland noch erleben muss, bis Leute verstehen, dass es mehr braucht, um den Rechten den Wind aus den Segeln zu entnehmen, darunter auch organisierten Schutz und militanten Antifaschismus, damit sich Nazis fürchten und Aktivist:innen ihre Angst verlieren, sich in Strukturen, wo sie ernsthaft diskutieren, vielleicht auch noch unterordnen zu müssen.

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One thought on “Welche Rolle spielen wir Menschen mit Migrationshintergrund in Bewegungen gegen den Rechtruck?”

  1. vielen Dank für Deinen aufschlussreichen Kommentar über die Herausforderungen des antifaschistischen Kampfes in WIDERSETZEN und die Notwendigkeit, längerfristige Strategien zu entwickeln. Ich möchte Dir zu Deiner Analyse gratulieren und einige Punkte hervorheben, die ich für besonders wichtig halte.

    Zunächst teile ich Deine Besorgnis über den Rechtsruck und das Erstarken der AfD in Deutschland. Deine Forderung nach einer tiefgreifenden Diskussion über die Ursachen dieses Phänomens und die Notwendigkeit, migrantische Perspektiven in den Widerstand einzubeziehen, ist von zentraler Bedeutung. Ich bin davon überzeugt, dass ein erfolgreicher Widerstand gegen rechte Tendenzen nur möglich ist, wenn wir die verschiedenen Dimensionen von Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus in unseren Analysen zusammenführen, auch in den Betrieben.

    Wie Du richtig feststellst, reichen kurzfristige Aktionen wie Blockaden und Großdemonstrationen allein nicht aus, um die strukturellen Probleme, die dem Rechtsruck zugrunde liegen, zu bekämpfen. Daher unterstütze ich Deine Forderung nach einer langfristigen strategischen Ausrichtung, die auf dem Aufbau von Bewegungen und Strukturen basiert. Eine Einheitsfront der Arbeiterklasse und der von Rassismus Betroffenen ist unabdingbar, um einen wirklichen Wandel herbeizuführen. Die Gewerkschaften tun dies meiner Meinung nach nicht.

    Außerdem kritisiere ich die Strategie, die sich auf bürgerliche Bündnisse stützt. Der bürgerliche Staat hat sich historisch nicht als Freund der Arbeiterklasse oder der migrantischen Gemeinschaften erwiesen. Deine Aussage, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht unser Verbündeter im Kampf gegen den Rechtsruck ist, entspricht auch meiner Meinung. Um effektiv gegen den Rechtsruck mobilisieren zu können, ist es notwendig, Selbstverteidigungsstrukturen aufzubauen, die unabhängig von den bestehenden Machtstrukturen agieren können.

    Ich möchte dich ermutigen, weiter für die klaren Forderungen zu kämpfen, die du aufgestellt hast, wie das Recht auf Arbeit, die Öffnung der Gewerkschaften für Flüchtlinge und die Notwendigkeit, soziale Fragen mit dem Kampf gegen den Rechtsruck zu verbinden. Diese Aspekte sind entscheidend für den Aufbau einer breiten und schlagkräftigen Bewegung.
    Als Selbstorganisation der Flüchtlinge, sind wir auch für eine gerechtere und solidarische Gesellschaft mit allen fortschrittlichen Kräften zusammenarbeitet. Lasst uns gemeinsam die notwendigen Schritte gehen, um den Rechten das Wasser abzugraben und für eine solidarische Gesellschaft einzutreten.
    Viele Grüße
    Alassa Mfouapon

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