Susanne Kühn, Neue Internationale 223, Oktober 2017
Wenige Tage vor der Bundestagswahl mobilisierte ver.di bundesweit gegen den Pflegenotstand.
In Bremen beteiligten sich 150 PflegerInnen aus 6 Krankenhäusern sowie Azubis und AltenpflegerInnen an einer Demonstration vom DGB-Haus zum Rathaus. Dort wurde die Resolution der „Bremer Krankenhaus- und Pflegevollversammlung“ vom 20.9. verlesen, an der KollegInnen aus verschiedenen Krankenhäusern, Betriebsräte, ver.di-Sekretäre sowie VertreterInnen linker Organisationen (SAV und GAM) teilgenommen hatten. In der Erklärung heißt es unter anderem:
„Die Dauerbelastung in der Pflege, Altenpflege und für alle Krankenhausbeschäftigten ist durch massiven Personalabbau in den letzten Jahren unerträglich geworden. Die Beschäftigten werden krank oder kündigen. Sie können diesem permanenten Druck nicht mehr standhalten. Nicht nur für uns, sondern für alle Patient*innen und Pflegebedürftigen ist diese Situation stark gesundheitsgefährdend!“
Gefordert werden unter anderem:
„Sofort 1600 neue Stellen in Bremer Krankenhäusern.
Schaffung von neuen Stellen in der ambulanten Pflege.
Schaffung von neuen Stellen in der Altenpflege und einen weiteren Ausbau der Fachkraftquote von jetzt 50 % auf 100 %, Qualifizierungsmöglichkeiten für alle anderen Kolleg*innen.
Mehr Qualität in der Ausbildung – verbindliche Praxisanleitung sicherstellen.
Keine Anrechnung von Auszubildenden auf die Schichtbesetzungen.
Eine gesetzlich oder tariflich geregelte Personalbemessung – verbindliche Personalschlüssel (Patient*in zu Pflegekraft) für alle Bereiche sowie verbindliche und einklagbare Maßnahmen, wenn diese nicht eingehalten werden.
Keine Privatisierungen. Das Gesundheitssystem gehört in öffentliche Hand. Rekommunalisierung privatisierter Häuser und ausgegliederter Bereiche“.
Am 10./11. Oktober und am 24./25. Oktober sollen in Bremen und anderen Städten weitere Aktionstage folgen.
In Hamburg gingen am selben Tag bis zu 300 Menschen auf die Straße. Der Demonstrationszug setzte sich mit bis zu 300 TeilnehmerInnen am Asklepios (größter Privatbetreiber)-Krankenhaus Sankt Georg in Bewegung und endete auf dem Rathausmarkt. Aufgerufen hatte das „Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“.
Dessen Mitglieder schilderten aus erster Hand die unhaltbare Situation für Belegschaften und PatientInnen in ihren Betrieben und forderten, die Unterdeckung von 160.000 Fehlstellen bundesweit, davon allein 12.000 in Hamburg im Pflegebereich durch planvolle Maßnahmen schnellstens und gut ausgebildet zu beheben. Die Berufe sollten von den Arbeitsbedingungen und Löhnen her ansprechend gemacht werden. Das Profitprinzip bei privaten und öffentlichen Krankenhäusern mit Personaleinsparung und die Abrechnung nach Fallpauschalen wurden als Ursachen für das Elend genannt.
Auch die hygienisch unzumutbaren Verhältnisse mit vielen Todesfolgen (12 am Tag) wurden angeprangert. Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Harms sprach auch. Der Bezirk Hamburg war erst in letzter Sekunde auf den Bündniszug aufgesprungen. Auf der Webseite fand sich kein Hinweis auf die Demo und die Streikaktionen in anderen Städten, neben der Berliner Charité u. a. Freiburg, Würzburg, Lohr, Dachau, Günzburg und Wismar. Von dort war eigens eine Abordnung nach HH zur Demo erschienen. Ihre temperamentvolle Ansprache sorgte ebenso wie der Rap-Beitrag von Holger Burner für die Stimmungshöhepunkte.
In Berlin fanden die Aktionen schon am 19. September statt. Sie standen ganz im Zeichen des Streiks an der Charité (Universitätskliniken), der bis zum 22.9. lief. Eine Einigung im Kampf um mehr Personal und vor allem die Kontrolle der Umsetzung von diesbezüglichen Tarifbeschlüssen scheitert am erbitterten Widerstand der Krankenhausleitung, so dass weiter Arbeiterkämpfe zu erwarten sind.
Ohne den Demonstrationszug und Streik an der Charité wäre die Kundgebung in Berlin jedoch mau ausgefallen. So versammelten sich an die 500 KollegInnen und UnterstützerInnen, wobei der größte Teil aus den Unikliniken kam.
Wie in Bremen, Hamburg und Freiburg verteilten GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht auch in Berlin ein Flugblatt mit dem Titel „Der Druck muss raus! Erfolgsrezept – Streik!“ , das den Kampf für bessere Plege in den Kontext des Gesamtinteresses aller Beschäftigten einordnete:
„ Der Kampf für ein an den Interessen von Beschäftigten und PatientInnen orientiertes Gesundheitswesen ist ein Kampf, der uns alle angeht und der politisch, nicht nur als Tarifkampf, geführt werden muss. Deshalb ist die Durchsetzung der Forderungen im Charité-Streik auch ein erster Schritt beim notwendigen radikalen Umbau des Gesundheitssektors und der Altenpflege. Schenken wird uns das auch die nächste Regierung nicht. Notwendig ist dazu ein politischer Massenstreik.“