Tobi Hansen, Infomail 974, 24. November 2017
Während in Deutschlands Medien das Scheitern der Sondierung und damit eine drohende „Unregierbarkeit“ diskutiert werden, fallen wirkliche Skandale unter den Tisch – keine Sondersendung, kein Brennpunkt, kein ZDF spezial, die für einen Fall, der die realen Probleme und Missstände in diesem Land zeigt, auch nur eine Minute Sendezeit aufwenden.
Dass für Hartz-IV-EmpfängerInnen oft die Unterstützung nicht zum Leben reicht, setzen wir als bekannt voraus. Dass es mit den meisten anderen Sozialleistungen auch nicht leicht ist, „über die Runden“ zu kommen, wissen selbst die bürgerlichen ClaqueurInnen des Privatfernsehens. Nur in den Arbeitsämtern gibt es dazu wohl andere Ansichten.
Wegen ihrer Armut sind sie auf Tafeln angewiesen. Ohne diese hätten viele Menschen nicht einmal das Notwendigste. Oder sie müssen Pfandflaschen sammeln oder betteln. Dies tat ein Hartz-IV- Empfänger in Dortmund.
Einige Medien haben darüber berichtet, wie das Arbeitsamt auf ihn aufmerksam wurde. Egal ob ihn ein Sachbearbeiter gesehen hat oder ob er angeschwärzt wurde, Fakt bleibt, dass die „Agentur für Arbeit“ (Arge) daraufhin das Betteln als zusätzliches Einkommen angesehen hat.
Michael Hansen wurde aufgefordert, seine „Einnahmen“ aufzuführen, ein Einnahmebuch vorzulegen. Außerdem soll auch seine Bedarfsgemeinschaft ihre Ausgaben offenlegen. Die Arge Dortmund wertet Betteln somit als Gewerbe, der Hartz-IV-Empfänger wird dadurch als „Selbstständiger“ betrachtet, der seine Einnahmen verrechnen soll. Das heißt, seine Bezüge werden gekürzt.
Das Zwangssystem Hartz IV zeigt sich hier wieder einmal von seiner realen Seite. Während die BezieherInnen oft als faul dargestellt werden, zeigt dieser Fall, dass Armut mit Sanktionen belegt wird. Die Arge Dortmund ist der Meinung, dass 409 Euro als Regelsatz ein „auskömmliches Einkommen“ sind. Gut zu wissen, dass dies SachbearbeiterInnen feststellen, von denen niemand mit weniger als 1800 Euro netto aus der Arge nach Hause geht. Die Bedarfsgemeinschaft erhält als Regelsatz 760 Euro plus Miete. Von diesem Satz wurden Michael Hansen seit August monatlich 300 Euro abgezogen. Damit ist die Bedarfsgemeinschaft jetzt auf das Betteln angewiesen, so läuft der Armutskreislauf des Hartz-IV-Systems.
In Niedersachsen führte ein ähnlicher Fall 2009 zu größeren Protesten. Die Arge in Göttingen handelte ähnlich wie die Dortmunder. Durch Proteste war das dem Landesministerium jedoch zu peinlich und die Behörde wurde zurückgepfiffen. Dieses Verhalten der Armutsverwaltung zeigt auf, zu welchem asozialen Vorgehen dieses System fähig ist. Werden künftig auch PfandsammlerInnen verfolgt und gezwungen, Quittungen für ihre „Erlöse“ vorzulegen? Sollen die Besuche der Tafel mit Hartz IV verrechnet werden?
Währenddessen zeigen „Panama“ und „Paradise Papers“, wie einfach die Besitzenden und Reichen ihr Geld verstecken können, wie sie selbst versuchen, jeden Cent Steuern zu vermeiden. So wurden beim „Cum-Ex“-Skandal vor allem von Banken und Konzernen satte 31 Mrd. Euro am Fiskus vorbeigeschleust. Der Organisator dieser Operation, Hanno Berger, wird jetzt vom FDP-Spitzenfunktionär Kubicki vor Gericht verteidigt. Wer den Hartz-IV-Empfänger Hansen verteidigen wird, steht in den Sternen. Klar ist aber, wer sich für ihn einsetzen sollte.
Die Linkspartei, die Gewerkschaften, die SPD können hier Farbe bekennen, statt die „soziale Gerechtigkeit“ bloß auf Wahlplakaten und im luftleeren Raum zu beschwören. Schließlich sollten sie in der Lage sein, das Vorgehen der Dortmunder Arge nicht nur zu skandalisieren, sondern wenigstens in diesem Fall die Armutsverwaltung in ihre Schranken zu weisen.
Ansonsten droht der Volksmund recht zu behalten, heißt es so treffend doch: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“