Mattis Molde, Infomail 1269, 13. November 2024
7 % Lohnerhöhung für eine Laufzeit von 12 Monaten hatte die IG Metall gefordert. Ihre Vertreter:innen haben die Forderung ausführlich begründet und auf Hunderten Warnstreikaktionen wurde das mit Reden und Sprechchören bekräftigt. Jetzt hat die Verhandlungskommission einen Abschluss vorgelegt, der sehr weit von den 7 % entfernt ist.
Nach einer Einmalzahlung von 600 Euro bis zum 1. Februar 2025 steigen die Monatsentgelte ab April 2025 um 2 Prozent, sowie um weitere 3,1 Prozent ab dem 1. April 2026 – bei einer Laufzeit von 25 Monaten, bis zum 31. Oktober 2026.
Es ist völlig klar, dass diese Erhöhungen weder die Preissteigerungen der letzten Jahre noch die zu erwartenden ausgleichen. Aber schauen wir genauer hin: Solche zusammengesetzten Vereinbarungen sind schwer zu beurteilen und genau das sollen sie auch sein. Wenn ein Tarifvertrag 12 Monate läuft, die Steigerung x ab dem ersten Tag wirkt, dann sind sowohl die Steigerungsrate einfach zu beurteilen als auch das Volumen: Die Gesamtlohnsumme von diesem Jahr ist um x % höher als ein Jahr davor.
Es ist klar, dass die Tariflöhne am Ende der Laufzeit 5,16 % höher liegen als zu Beginn. Diese Steigerung muss aber auf 25 statt 12 Monate verteilt werden. Das bringt eine Steigerung pro 12 Monate von 2,48 % – statt 7 %.
Beim Vergleich des tatsächlich gezahlten Entgeltvolumens sieht es noch schlechter aus: Im ersten Jahr der Laufzeit – also den 12 Monaten, für die 7 % gefordert worden waren – steigt die Summe der 12 Monatsentgelte ( 6 mal 0, 6mal 2 %) um 1 % + 600 Euro an. Im zweiten Jahr der Laufzeit sieht es mit einem etwa 3,6 % höheren Volumen als dem jetzigen Einkommensniveau leicht besser aus. Aber der Trend setzt sich fort: Schon seit dem Jahr 2018 blieben die tabellenwirksamen Entgelterhöhungen um mehr als 10 Prozent hinter der Inflation zurück. Derzeit beträgt diese 2,0 %, ohne Nahrungsmittel und Energie (Kerninflation) 2,9 %, letztere soll aber auf 2,4 % fallen.
Weiterhin steigt die Sonderzahlung „Tarifliches Zusatzgeld“ (T-Zug B) im Jahr 2026 von 18,5 auf 26,5 Prozent des Eckentgelts. Es handelt sich um einen Betrag, der für alle Beschäftigten gleich ist und deshalb als „soziale Komponente“ gilt. Konkret bedeutet das eine Erhöhung um etwa 270 Euro pro Jahr. Anders als eine Erhöhung der Monatslohntabellen hat eine solche Steigerung keinen Einfluss auf Schicht-, Überstundenzulagen oder die anderen Sonderzahlungen (Weihnachts-, Urlaubsgeld, T-Zug A, Transformationsgeld). Alle diese Sonder- und Einmalzahlungen werden auch nicht bei Transferleistungen berücksichtigt, also bei Kranken-, Arbeitslosen-, Elterngeld. Das haben im letzten Jahr viele bitter erfahren, als die steuerfreien Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro zu einem dicken Loch beim Kranken- und Elterngeld führten.
Die Erhöhung von 140 Euro im Februar für die 230.000 Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie sowie weitere 3,1 % im Folgejahr sind tatsächlich noch das Beste an diesem Abschluss, der insgesamt einen heftigen Reallohnverlust bringt.
Die Gewerkschaftsspitze jubelt über dieses Ergebnis. „Passgenau“ nennt es die Tarifvorständin Boguslawski und behauptet, es „sichert die Löhne, hilft der Binnenkonjunktur“. Boguslawski oder auch die Vorsitzende Benner lügen und sie wissen das. Noch vor zwei Wochen hatte Benner erklärt, dass die Beschäftigten in den letzten Jahren große Opfer gebracht hätten, die jetzt kompensiert werden müssten. Diese wurden in den Tarifrunden erbracht, deren Ergebnis die damaligen Vorstandsmitglieder ebenso bejubelten wie Benner und Boguslawski heute.
„Passgenau“ ist dieser Vertrag nur fürs Kapital. Es wurde sogar noch vereinbart, dass Abweichungen und Differenzierungen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten möglich sind, wenn die Nettoumsatzrendite von Unternehmen unter 2,3 Prozent sinkt. Oder anders gesagt, den Unternehmen werden Profite garantiert, die höher sind als die Lohnsteigerungen der Beschäftigten, wenn man die Volumina betrachtet.
Die Krönung der Unterordnung unter die Bedürfnisse derer, die mit unserer Arbeitskraft Milliarden Gewinne machen, ist die „ Sozialpartnererklärung für den Industriestandort“ gemeinsam mit Gesamtmetall. Sie beginnt mit den Worten: „Der Industriestandort Deutschland ist in Gefahr. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Dauerstillstand.“
Und weiter: „Mit dem Tarifabschluss haben die Tarifvertragsparteien ihre Verantwortung übernommen und eine Lösung gefunden, die sowohl den Interessen der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten gerecht wird.“ Was eigentlich ganz deutlich macht, dass es nie das Ziel der Gewerkschaftsführung war, die 7 % durchzusetzen, den Reallohn zu sichern oder „es den Arbeitgebern mal richtig zu zeigen“, wie es in unzähligen Formulierungen gerade in den Warnstreiks verkündet worden war. Sie glaubt eben doch, dass „Lohnverzicht Arbeitsplätze rettet“, auch wenn das so oft auf den Kundgebungen bestritten wurde.
Aber die Rettung der deutschen Industrie hängt an der Regierung: „Betriebe leiden unter hohen Energiekosten, unklaren politischen Rahmenbedingungen und überbordender Bürokratie. Zur Lösung der strukturellen Standortthemen erwarten die Tarifvertragsparteien von der Politik schnellstmöglich, die richtigen Weichen zu stellen, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich zu verbessern.“
Das ist ganz die Sprache des Kapitals, auch wenn sich die IG Metall schon seit 2 – 3 Jahren den Kampf für niedrige Energiekosten auf die Fahnen geschrieben hat: Lange hat die deutsche Industrie von billigem russischen Erdgas profitiert. Der Ukrainekrieg, von Russland begonnen, von USA und Britannien erwünscht, vom ganzen Westen mit Sanktionen verschärft, ist in der Tat ein Faktor für die Krise der deutschen Industrie. Verschärft werden die Energiekosten durch die Energiewende zu mehr Strom statt Gas, was im Kapitalsprech – wie alle Einschränkungen der Freiheit, die Umwelt zu versauen – mit „unklaren politischen Rahmenbedingungen und überbordender Bürokratie“ gemeint ist. „Unklar“ deshalb, weil die Kapitalist:innen weiterhin erwarten, dass eine neue Regierung mit dem ganzen Unsinn einer „grünen Industrie“ Schluss macht. Und zwar so schnell wie möglich. Bis dahin sollen laut IG Metall und Gesamtmetall die normalen Verbraucher:innen die Energiesubvention der Großindustrie finanzieren.
Was in der Erklärung nicht steht, ist das, was die IG Metall tatsächlich im Interesse der Belegschaften fordern müsste: Verstaatlichung der Energiewirtschaft, Schluss mit der Aufrüstung, entschädigungslose Enteignung aller Metallbetriebe, die entlassen oder Werke schließen, und Fortführung unter Arbeiter:innenkontrolle…
Und so steht die Partner:innenschaft mit dem deutschen Kapital gegen die „Feind:innen“, mit denen „wir“ im „internationalen Wettbewerb stehen“, also die Kapitalist:innen und die Arbeitenden im Ausland. Je enger die Sozialpartner:innenschaft, desto nationalistischer wird sie.
Erstmal gilt die Vereinbarung nur in den „Pilotbezirken“ Küste und Bayern, die aber natürlich noch durch die Tarifkommissionen und in den anderen Tarifgebieten formal nachvollzogen werden muss. Aber das wird ohne große Korrekturen durchgehen.
Der Vorstand hat schon bei der Aufstellung der Forderung bewiesen, dass ihm die Befragung der Mitglieder nur ein lästiges Ritual ist, das vage an die Zeit erinnert, als die aufzustellenden Forderungen noch in den Betrieben, Vertrauensleutekörpern und auf Funktionärskonferenzen diskutiert wurden. Die Mitglieder durften sich befragen lassen, beschlossen wurde der Vorschlag der Vorsitzenden.
Bei den Verhandlungen in Hamburg saßen der Vorstand der IG Metall sowie der von Gesamtmetall dabei und das bedeutet immer, dass in dieser Verhandlung ein bundesweiter Abschluss gefunden werden sollte.
Die Tarifkommissionsmitglieder werden einmütig zustimmen. Das funktioniert einmal mit dem Argument, dass eine Ablehnung des Vorschlags hieße, in den Streik zu gehen, und der passenden Zusatzbegründung, warum „wir“ das nicht können oder wollen. Eine Person, die eine Ablehnung vorschlägt, wird dann gerne direkt demagogisch angegriffen. Beispielsweise, indem ihr vorgeworfen wird, dass sie in „ihrem“ Betrieb nicht wirklich was zu melden habe und dieser ja überhaupt kein Kampfbetrieb wäre. Stärker noch als diese Argumente zählt die Tatsache, dass seit rund 20 Jahren die Mitglieder der Tarifkommissionen der IG Metall nicht frei gewählt werden. Nur die Ortsvorstände, die ihrerseits von den lokalen Abteilungen des bürokratischen Apparats politisch dominiert werden, können überhaupt Kandidat:innen vorschlagen.
Es ist offensichtlich, dass die Führung der IG Metall diesen schnellen und schlechten Abschluss so wollte, wie sie ihn vollzogen hat. Sie sieht ihre Aufgabe darin, an der Seite der Regierung für die Interessen der herrschenden Klasse zu kämpfen – für die bestmögliche Positionierung dieser im globalen Kampf der imperialistischen Mächte, der sich immer mehr in Richtung Krieg verschärft.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass es noch zusätzliche Gründe gab, den Prozess zu beschleunigen. Das Ende der Regierung Scholz soll nicht noch durch Klassenkampf geprägt werden, noch nicht mal in kontrollierter und ritualisierter Form wie dieser Tarifrunde.
Schon gar nicht sollen Kämpfe gegen Entlassungen, die ja nicht nur bei VW, aber besonders dort anstehen, durch eine offene Tarifrunde die Möglichkeit erhalten, sich zu verschärfen. In der Tarifrunde können Aktionen genutzt werden, um auch Forderungen gegen Entlassungen zu verbreiten und vertreten. Die Option Streik ist da. Es gäbe gute Möglichkeiten, sich betriebsübergreifend zu verbinden. Mit dem Abschluss wurde selbst der bescheidenen Möglichkeit dieser Verbindung ein Riegel vorgeschoben.
Die IG-Metall-Bürokratie will alle diese Möglichkeiten dichtmachen, um dann die Proteste gegen die zu erwartenden Angriffe des Kapitals – und die Pläne bei VW sind die Ankündigung eines Generalangriffs auf alle Metaller:innen und die ganze Klasse – in kontrollierten Bahnen abzuwickeln – im Interesse des Sozialpartners. Und sie hält damit auch noch der Regierung den Rücken frei, egal ob diese noch von Scholz oder bald wahrscheinlich von Merz geführt wird.
Das Spiel der Bürokratie scheint zu funktionieren, sie scheint alles unter Kontrolle zu haben. Trotzdem sollten alle, die diesen Abschluss für schlecht halten, versuchen, diese Ablehnung gemeinsam mit anderen zu bekräftigen. Hunderte haben sofort nach der Bekanntgabe in den sozialen Medien ihre Empörung gezeigt. Aber das hilft nicht weiter. Es ist nötig, wieder Basisstrukturen in der IG Metall aufzubauen, die der Bürokratie, die alles steuert, in den Arm fallen können.
Ein erster Schritt bestünde darin, Vertrauensleuteversammlungen zur organisieren und Resolutionen einzubringen, die den Abschluss ablehnen. Wo es keine Vertrauensleute gibt, kann man Unterschriften unter einen Protestbrief sammeln. Außerdem sollten klassenkämpferische Gewerkschafter:innen Betriebsversammlungen zum Ergebnis, zur wirtschaftlichen und politischen Lage sowie zu drohendem Personalabbau einfordern, um dort koordiniert ihre Kritik und Vorschläge für einen gemeinsamen Abwehrkampf einzubringen, zur Diskussion zu stellen und andere Beschäftigte für eine klassenkämpferische Politik zu gewinnen.
Es ist aus mehreren Gründen nötig, sich dafür überbetrieblich zu verbinden. Einmal, um stärker zu werden, und zweitens, um sich politisch mit der Vorgehensweise und dem Charakter der Bürokratie auseinanderzusetzen und gegen ihre Tricks und Manöver zu bewaffnen. Drittens kann der aktuelle rollende Angriff auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen einzelbetrieblich letztlich nicht gestoppt werden, sondern erfordert einen gemeinsamen branchenweiten und internationalen Kampf. Es gibt einen Ansatzpunkt für eine Vernetzung oppositioneller Kräfte in der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG). Da gibt es auch die Erfahrung, wie man taktisch vorgehen und die Fallen der Bürokrat:innen erkennen kann.
Es ist nötig, sich mit der Krise zu befassen, die tatsächlich eine des ganzen kapitalistischen Systems ist und gerade deshalb auch nicht mit paar staatlichen Subventionen gelöst werden kann. Denn diese Krise beschert uns nicht nur schlechte Tarifabschlüsse, sondern verlorene Arbeitsplätze, Angriff auf Sozialleistungen und Kriegsvorbereitung.
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Ein politisches Reisetagebuch
Südamerika: Politik, Gesellschaft und Natur
Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen
One thought on “IG Metall: Niederlage mit Ansage”