Bruno Tesch, Infomail 1269, 15. November 2024
Zu einem Treffen besonderer Art kamen die Ministerpräsident:innen der Bundesländer im Oktober diesen Jahres zusammen. Anlass dieser Zusammenkunft war die Besprechung einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Aufgrund der Erfahrungen mit der Medienpolitik des NS-Staats wurde bei der Neugestaltung des Hörfunkwesens in der Bundesrepublik eine föderale Struktur zugrunde gelegt. Die 1950 gegründete Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD) setzte sich aus ursprünglich 6, heute 9 Länderanstalten zusammen, denen sich 1962 zwei überregionale Hörfunksender sowie nach Aufnahme eines Fernsehsendebetriebs 1963 auch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) als öffentliche Einrichtungen zugesellten.
Die ARD gab sich bei Gründung eine Satzung, die ein Rundfunkstaatsvertrag ergänzt. ARD und ZDF sind verwaltungstechnisch unterschiedlich strukturiert. Anders als in der zentralistischen Intendanz des ZDF, das in der von der ARD nicht erfassten Region Rheinland-Pfalz entstand, kommt in der ARD das föderalistische Moment durch die stimmberechtigten Landesanstalten, die alternierend die Geschäftsführung übernehmen, zum Tragen. Eine Autonomie besteht allerdings nur in inneren Verwaltungsangelegenheiten und Programmfragen. Der Staatsvertrag unterstellt und bindet die Rundfunkschaffenden jedoch an Budgetierung und betriebliche Weisungen, z. B. Baugenehmigungen, durch die landespolitischen Instanzen.
Als Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien, ab 2020 als Medienstaatsvertrag ausgewiesen, nimmt diese Verfassung jedoch nur den Rang eines Verwaltungsabkommens ein. Darin enthaltene Regelungen betreffen u. a. die Auftragsdefinition für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Koexistenz von öffentlich-rechtlichem und privaten Sendeanstalten, Überwachung der Medienkonzentration, Einführung und Nutzung technischer Verfahren sowie Genehmigung für Spartenprogramme.
Finanziert werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch die quartalsweise allgemeine Erhebung von Beiträgen für jeden Einzelhaushalt und Gewerbebetrieb. Das gilt per Definition auch für paketorientierte Medien wie das Internet, vorausgesetzt, damit deren Inhalte nur gleichzeitig mit ihrer Verbreitung abgerufen werden können, also als sogenannte Streamingdienste.
Per Gesetz war anfangs die Ausstrahlung drahtloser wie -gebundener Angebote in Bewegbild oder Ton unter Nutzung elektromagnetischer Schwingungen, also Hörfunk- und Fernsehtechnik, nur öffentlich-rechtlichen Betreiber:innen, d. h. lizensierten Sendeanstalten zugesichert, die auf internationalen Konferenzen Frequenzbereiche auf den Ultrakurz-, Kurz-, Mittel- und Langwellenbändern zugewiesen bekamen. Der Sendebetrieb unterlag ihrem Monopol, kontrolliert durch die ebenfalls staatliche Post.
Auf der Kopenhagener Wellenkonferenz erhielten die Siegermächte die Rundfunkfrequenzen mit den besten Ausbreitungsbedingungen. Deshalb entwickelten Fachleute von Post, Rundfunk und Industrie im Nachkriegsdeutschland die Technologien für den Wellenbereich Ultrakurzwelle (UKW).
Sender mit entsprechenden Anlagen entstanden in den westlichen Zonen unter Aufsicht der dortigen Militärverwaltungen, die daran interessiert waren, diesen Teil Deutschlands mit einem Sprachrohr an der propagandistischen Front des heraufziehenden Kalten Krieges gegen das sowjetisch besetzte Hoheitsgebiet auszurüsten. Ein besonderes Werkzeug stellte in dem Zusammenhang die Errichtung des Senders RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) dar, der unüberhörbar seine Abstrahlantennen in der aufgeteilten Frontstadt Berlin in den Ostsektor ausrichtete. Sendungen wie „Wir sprechen zur Zone“ gehörten zum langlebigen Programminventar des westlichen Rundfunks.
Der Hörfunk thronte ca. 15 Jahre lang auf dem Spitzenplatz unter den Massenmedien. Die meisten Haushalte besaßen bald nach dem Krieg wieder einen Radioempfänger. Eine Industrie mit verschiedenen privatkapitalistischen Anbieter:innen konnte sich nach Gründung der Bundesrepublik etablieren. Die marktführenden Firmen Telefunken, Mende, Saba und Grundig brachten mit ihrer seriellen Produktion von Empfangsgeräten die Sender an das Ohr der millionenfachen Hörer:innenschaft.
Eine eigens auf die Bedürfnisse nach Information über die Sendeprogramme zugeschnittene Zeitschrift hieß nicht ohne Grund ‚„Hör Zu!“ und erfreute sich einer 6-stelligen Leser:innengemeinde. Das Massenmedium der Druckerzeugnisse lag jedoch in privater Hand und soll nur an Stellen mit Berührungspunkten zu anderen Medien Erwähnung finden.
Die massenmediale optische Ergänzung zum Audiobereich bildete zunächst die Filmwirtschaft, die ausschließlich vom Privatkapital betrieben wurde. Ein Millionenpublikum strömte in die Kinos. Vor den Spielfilmen wurden in diesen regelmäßig Wochenschauen vorgeführt, die in Kurzform ausgewähltes Bildmaterial aus politischem Geschehen und kaleidoskopartiger Zusammenstellung übriger Themen zeigten.
Der Niedergang der Filmindustrie gegen Ende der 1950er Jahre ist neben hausgemachten Ursachen vor allem zurückzuführen auf den und eng verknüpft mit dem Siegeszug der Fernsehtechnik. Beide standen auf visuellem Sektor in unmittelbarer Konkurrenz zueinander.
Der etwas zögerliche Beginn des Fernsehfunks, der 1952 den Sendebetrieb aufnahm und ein Gemeinschaftsprogramm mit einem Eigenanteil der jeweiligen ARD-Sendeanstalten ausstrahlte, ist zum einen technisch begründet, zumal im Gegensatz zum Hörfunk die Bildtechnik neu angefahren werden musste, andererseits die Produktion von Endgeräten noch aufwändig war und für die Monatseinkünfte der allermeisten Bundesbürger:innen sich noch nicht in erschwinglichen Sphären bewegte.
Doch mit der Verringerung der Produktionskosten bei steigendem Einkommen änderte sich dies bald, und Fernsehgeräte wurden zum begehrten Massenartikel. 1964 erlebte der zehnmillionste Fernsehempfänger seine Anmeldung in der Bundesrepublik. Das Fernsehen eroberte damit seinen Rang als zentrales Medium für Unterhaltung und Information.
Die Vorteile gegenüber der Filmbranche waren augenfällig, denn diese war auf ein verkettetes System von Produktion, Verleih und Aufführungsstätten angewiesen.
Mit dem Fernsehen wurde den Konsument:innen nun die bequemere Möglichkeit geboten, in den eigenen vier Wänden sich über Ereignisse aus Politik, Kultur, Sport usw. tagtäglich in Echtzeit ins Bild setzen zu lassen und nicht Räumlichkeiten von Lichtspielhäusern zu kollektiver Anschauung zeitraubend aufsuchen und sich Informationskonserven in Form von Wochenschauen vorsetzen lassen zu müssen, auch wenn die anfängliche Kleinheit der Bildschirme, die mangelnde Bildauflösungsqualität der „Flimmerkiste“ und die fehlende Farbe den Bildgenuss trübten.
Durch Kostensenkung (insbesondere der Aufnahmetechnik wie Kameras) konnten außerdem auch Spielfilme für das Fernsehen produziert werden und untergruben das Unterhaltungsmonopol des Kinofilms. Durch Verwendung der magnetischen Aufzeichnung (MAZ-Technik) eröffnete sich die Möglichkeit, Sendungen zu speichern und ein Bildarchiv anzulegen, das jederzeit Material für Wiederholungen, Ausschnitte usw. bereithielt. Zudem boten die sich ausweitenden Sendezeiten Raum für verschiedene Programmformate, die sich an den Erfahrungen des Hörfunks orientierten.
Der Hörrundfunk blieb, obschon in der Publikumsgunst vom Fernsehen überholt, dennoch weiter massenhafter Bestandteil des Medienwesens. Dies gelang u. a. durch die industrielle Entwicklung von bequem tragbaren Geräten, den Kofferradios, die besonders auf Urlaubsreisen, die die bundesdeutsche Bevölkerung ab Ende der 1950er Jahre scharenweise unternahm, zum Einsatz kamen und v. a. bei Jugendlichen beliebt waren. Das konnte die stand- und maßgebundene Formgebung von Bildgeräten nicht kontern.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen behauptete seine Stellung als mediales Alphatier bis Anfang des 21. Jahrhunderts. Sie wurde auch nicht durch die 1984 an den Start gehenden Privatsender – die 1955 gegründete Station Telesaar hatte ihren Standort damals noch nicht auf deutschem Staatsgebiet – entscheidend angefochten. Dennoch bedeutete das 1981 vom Bundesverfassungsgericht ergangene 3. Rundfunkurteil zur Zulassung von privatwirtschaftlichen Unternehmen in der Bildübertragung eine folgenreiche Weichenstellung im Medienwesen.
Vom staatlichen Ausbau von Breitbandkabelnetzen profitierten v. a. die Privatsender. Technische Neuerungen bei Videosystemen für den privaten Gebrauch ließen das unmittelbare lineare Anschauen von Sendungen und damit die Bindung an das Fernsehen nicht mehr alternativlos erscheinen. Der Einzug der Digitalisierung und des Internet in die Medienwelt durchbrach schließlich die Vorherrschaft des herkömmlichen analogen Fernsehens endgültig.
Auf der Cebit-Messe 1996 senkte die Telekom-Tochter t-online den Preis für den Netzzugang erheblich. Der Ausbau der Netzkapazitäten ging wenig später rasant voran.
Mit dem Versprechen von Unabhängigkeit, selbstbestimmtem und jederzeitigem Zugriff auf vielseitigste Informationsquellen haben industrielle Entwickler:innen den Bau von Gerätestufen mit leicht transportablen Notebooks und Tablets vorangetrieben und zusammen mit den großen Internetkonzernen, die die die Datennetze beherrschen, einen gänzlichen neuen Sektor eröffnet, die so genannten „sozialen Medien“ und damit vor allem eine jugendliche Nutzer:innenklientel ködern können. Mit dieser Möglichkeit zur interaktiven Verwendung konnten weder der herkömmliche Fenseh- noch Hörfunk konkurrieren.
Zwar sehen noch 73 % der bundesrepublikanischen Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich linear fern, doch ist die tägliche Schauzeit innerhalb von 25 Jahren um ein Drittel auf 120 Minuten geschrumpft. Einen unübersehbaren Anteil an der Ausdünnung der Sehgemeinde auf der grundlegenden Nachwuchsebene hatte neben der Eröffnung anderer Zugänge zur Informationsvermittlung und der von einer medientechnisch wendig aufgestellten Industrie massivst gesponserten Lust am Ausprobieren neuer Möglichkeiten jedoch vor allem die inhaltliche und soziale Seite des Fernsehens.
Die Grundsätze des Rundfunkvertragswerks sahen einen bildungspolitischen Auftrag für die Bevölkerung vor, womit auch die Erhebung von Gebühren für die Nutzung begründet werden konnte. Besieht man sich die Programmgestaltung, so fällt seit Gründung eine Schwergängigkeit in Ohr und Auge.
Die Programme waren zur Hauptsendezeit abends befallen von der bleiernen Erblast des rückwärtsgewandten Bildungsbürger:innentums, die sich in Aufführungen von „E-(ernsthafter) Musik“ und Theaterdramen emporschwangen, während die Seichtigkeit des Seins sich in komplementärer Eintracht dazu in schlagerseligen und verquizten Unterhaltungsdarbietungen niederschlug.
Das Fernsehen übernahm dieses Schema vom Hörfunk, entdeckte zu Beginn der 1960er Jahre dann den Nervenkitzel in Form von Kriminalstories, die ab einem Jahrzehnt danach seriell produziert wurden. Im Verein mit den schon zuvor installierten Familienserien, Unterhaltungsshows und Übertragungen von Sportereignissen, die die schwerer verdauliche altbackene Erbauungskost an den Rand drängten, sorgten sie für die so genannten „Straßenfeger“. Sehbeteiligungen von über 80 % waren keine Seltenheit.
Doch die Programmkonzepte, die sich an Bewährtem orientierten, erschwerten auch durch den langatmigen Verwaltungs- und Planungsmodus die Einführung zeitgemäßerer Formate. Das galt im Besonderen für den Kinder- und Jugendbereich, der lange Zeit vernachlässigt wurde, und in dem konservative Erziehungsideale den Drang zu selbstständiger Gestaltung ausbremsten. Privatsender punkteten zudem, indem sie flexibler auf Aktualitäten reagieren konnten. Ihre Versuche, den technologischen Zeitgeist mit Formaten, die die hereinflutende Computerwelt nachahmten und mit ihnen kommentierend Schritt halten wollten, einzufangen, blieben nur kurzlebig, da sich das eigene Medium zu den neuen Technologien diskrepant statisch verhielt.
Die öffentlich-rechtlichen Sender versuchten, sich eher anpasslerisch auf die Herausforderungen einzustellen, indem sie in der Hatz um Einschaltquoten das verflachende Unterhaltungssegment der privaten Stationen, z. B. die unsäglichen „Talkshows“, nachäfften. ARD und ZDF schufen zwar als Neuerungen bereits seit den 1980er Jahren Spartenkanäle, die vornehmlich den Auftrag zur Wissens- und Interessenerweiterung erfüllen sollen, doch durch deren sendeempfangsmäßige Aussonderung sind sie auf der von den Geräteherstellerfirmen vorgefertigten Senderliste weit hinten platziert und müssen mühsam gesucht und neu einskaliert werden.
Die soziale Funktion als Familientreffpunkt mit ihrem zwanghaft integrativen Charakter hat die jüngere Generation nach Ausweichmanövern suchen lassen. Dies hat sie jedoch in eine andere Abhängigkeit einer nur scheinbaren sozialen „Community“ geführt, die aus einer Ansammlung von Individuen besteht, die durch Datenkonzerne kommerziell ausgeschlachtet wird. Die vielerorts als verlorengegangene Errungenschaft betrauerte Funktion, Fensehsendungen haben in den Folgetagen von Ausstrahlungen, obwohl separat konsumiert, gemeinsamen Gesprächsstoff bspw. unter Arbeitskolleg:innen geliefert, kann jedoch nur bedingt als soziale Verbindlichkeit anerkannt werden, denn sie hat keinen wesentlich höheren Nährwert als etwa eine Unterhaltung über die Zutaten eines Kantinenessens, weil Fernsehprogramme ohne ein wirkliches Mitspracherecht des Publikums verabreicht wurden und werden.
Fernseh- und Hörfunk teilen das Schicksal der Bedrängnis durch neue Technologien und Adaptationen mit den privaten Printmedien, auch durch gegenseitige Konkurrenz, die v. a. auf dem Gebiet der Internetdienste entbrannt ist. Mit Hilfe von rechtzeitiger Umstellung konnte jedoch bspw. das Bertelsmann-Unternehmen aus der reinen Medienbranche hinauswachsen. Bertelsmann begann als Verlag und versorgte in einem Lesering die Kundschaft mit verbilligtem Lektürestoff, wandte sich bald aber neuen Geschäftsfeldern zu. Der Konzern gab sich neue Rechtsformen, verfügt über Datensammlungen, gibt Studien zu Meinungsforschung und Wissensexpertisen in Auftrag und agiert mittlerweile auch als politische Denkfabrik.
Bereits seit Beginn erregte der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Konstruktion den Argwohn politisch konservativer Kreise. So verfolgte die CDU-Regierung Pläne, ein Gegengewicht zur ARD zu schaffen. Dies konnte sie jedoch erst 1963 mit der Etablierung einer stärker zentralistisch ausgerichteten Sendeanstalt, dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), umsetzen. Es wurde aber in den öffentlich-rechtlichen Vertrag eingebunden, hatte dennoch den Ruf, in den Führungsetagen und v. a. bei den politisch kommentierenden Programmen näher an der CDU als die in dieser Hinsicht ausgewogenere ARD zu stehen.
Mit der Wiedervereinigung wurden dann bald die Instrumente des Fernseh- und Hörfunks der DDR ausgeschaltet und verschwanden auch trotz vehementer Proteste von Seiten der Hörer:innenschaft, wie im Fall des Senders DT 64. An ihrer Stelle wurden mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im Osten zwei neue Sendeanstalten etabliert und in die ARD eingemeindet.
Über die Jahrzehnte sind nicht zuletzt auch auf Grund parteipolitischer Streitigkeiten immer wieder Änderungen an dem Rundfunkvertragswerk vorgenommen worden, das aber in seinen Grundzügen erhalten geblieben ist.
Die Kritik konservativer wie auch neoliberaler Kräfte setzt an mehreren Punkten an. Zunächst wird der Verwaltungs- und Personalaufwand gerügt. Allein die Landesrundfunkanstalten der ARD haben insgesamt rund 23.000 fest angestellte Mitarbeiter:innen, sie veranstalten elf Fernsehprogramme, 55 Hörfunkprogramme und verfügen über 16 Orchester und acht Chöre. Das Gesamtbudget der neun Anstalten beträgt pro Jahr rund 6,3 Milliarden Euro. Davon entfallen 366 Millionen Euro auf Sportrechte. Die Mitglieder der ARD sind mit etwa 100 eigenen Hörfunk- und Fernsehkorrespondent:innen an 30 Orten der Welt ständig präsent.
Der Skandal um die inzwischen geschasste RBB-Intendantin Schlesinger 2022 mit falschen Abrechnungen und Vettern- und Basenwirtschaft bot eine willkommene Angriffsfläche. Die Aufarbeitung des Falles kostete dann zusätzlich eine Million Euro und förderte weiteres Wasser auf rechtspopulistische Mühlen.
Einen besonderen Stein des Anstoßes stellt die Erhebung eines allgemeinen Beitrags zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Hör- und Fernsehfunks dar, der wegen seiner Unbeliebtheit immer wieder populistisch ausgeschlachtet werden kann. Andere Einnahmen können durch Werbeschaltungen generiert werden, die aber längst nicht zur Deckung gestiegener Produktions- und Übertragungsrechtekosten ausreichen.
Auch programmatisch wurden rechte Giftpfeile bevorzugt auf Spartensender als „unwirtschaftlicher Luxus“ und Sendeplätze für unterdrückte und diskriminierte Minderheiten als „toxische Normalisierung von Randgruppen“ abgeschossen.
Insgesamt hat sich die Unzufriedenheit mit dem ÖRR zur Gegenwart hin noch verschärft. Die Meinungen des reaktionären Lagers schwanken jedoch zwischen dem Wunsch nach Zerschlagung des ÖRR und folgen einer völligen Preisgabe der Medien an den wildwüchsigen Markt. Dem steht jedoch der Appetit auf das Equipment des ÖRR gegenüber, und damit einen eingespielten Apparat unter die eigene Fuchtel zu bekommen.
Unter den geschilderten Vorzeichen, inmitten einer krisenbehafteten Situation, fanden also die Beratungen über eine Neufassung der Mediennovelle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk statt.
Erste Resultate dieser Zusammenkunft bestätigen spürbar den Druck, der von rechts auf die verantwortlichen staatlichen Instanzen ausgeübt wird. In punkto Management werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen in kürzeren Abständen zur Auflage gemacht. Der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) soll es ermöglicht werden, finanz- und beitragsrelevante Vorgänge und Projekte zu überprüfen. Außertarifliche Vergütungen für Intendant:innen und Programmdirektor:innen sollen sich auf das „unbedingt erforderliche Maß“ beschränken.
Zur Kostendämpfung dürften bspw. Sportübertragungsrechte nicht mehr in dreistelliger Millionenhöhe genehmigt werden und sollen 5 % der Gesamtkostenaufwendungen nicht überschreiten. Es darf keine Ausweitung von Sportberichterstattung zu Lasten anderer Bereiche erfolgen.
Diese Vorschläge leuchten einigermaßen ein und dürften bei entsprechender Kontrolle auf allgemeine Zustimmung stoßen. Heikel wird es demgegenüber an Stellen, wo es zu Eingriffen in Programm- und Sendestrukturen kommen soll.
Die Verschlankung der Sendelandschaft mit konkreten Plänen zur Zusammen- bzw. gänzlichen Stilllegung von anspruchsvollen Kultur-, Wissens- sowie Kinder- und Jugendkanälen stellt eindeutig die Profitabilität über den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diskutiert wird auch die nochmalige Reduzierung des Textanteils an Beiträgen in Sendeprogrammen, v. a. im Hörfunk. Hiermit kann kritischer Journalismus mundtot gemacht werden. Parallel dazu sollen für das Fernsehen Hintergrundinformationen zu Ausstrahlungen, die auf sendeeigenen Internetportalen präsentiert werden, mit dem Hinweis auf die Beschwerden von Presseverlagen als unlautere Konkurrenz zu deren Produkten eingeschränkt werden.
Das Bekenntnis zum dualen System, in dem sich öffentlich-rechtliche in „friedlicher Koexistenz“ mit privaten Medienanbieter:innen bewegen, wurde an vorderster Stelle im Reformvorschlagsdokument bekräftigt.
In Summe stellt der Entwurf gerade in den letztgenannten Punkten ein weiteres Zugeständnis infolge des jahrelangen Legitimationsdrucks dar, den ÖRR an Marktnormen wie Quoten und Klicks zu messen. Dass es mit dem Vertragsentwurf geschafft werden könnte, sich von der Vormachtstellung der digitalen Megakonzerne wie Google zu emanzipieren, darf allerdings bezweifelt werden. Den Datenkrieg kann der ÖRR nicht nur deswegen nicht gewinnen, weil er nicht als globaler Player auftreten kann, sondern weil seine Verfasstheit ihm eine Nutzer:innendatensammlung und skrupellose kapitalistische Verwertung gar nicht erlaubt.
Der neue Medienvertrag soll Mitte 2025 in Kraft treten. Vorher müssen noch die einzelnen Landtage zustimmen.
Diesen Entwurf würden natürlich auch Revolutionär:innen ablehnen, wiewohl wir den Staatsvertrag und damit den öffentlich-rechtlichen Charakter des Rundfunks nicht kritiklos verteidigen. In seiner jetzigen bürgerlich-föderalistischen Form kann er nämlich nicht als Vorbild für die Handhabung von Medien in einer sozialistischen Gesellschaft dienen. Seine Instanzen müssten unter Arbeiter:innenkontrolle gestellt werden. Einen, wenn auch schwachen und unzureichenden Vorgeschmack auf die mögliche deutliche Steigerung seiner Beliebtheit in der Bevölkerung lieferten die Beschäftigten des ÖRR kurz vor und nach dem Untergang der DDR. Hier wurden Intendant:innen und andere Spitzen von unten gewählt.
Wir sind gegenwärtig zwar weit von den Zeiten entfernt, in denen die Gründung des ersten revolutionären Rundfunksenders Kometan in Russland im Jahr 1922 und die Schaffung eines Medienunternehmens auf deutschem Boden durch die KPD der Arbeiter:innenklasse eine unüberhörbare Stimme verlieh, aber auch heute muss die Forderung erhoben werden, dass die Arbeiter:innenbewegung einen bislang völlig fehlenden Raum im Sendebetrieb des ÖRR besetzen soll. Dass die organisierten Medienarbeiter:innen Druck aufbauen können, haben in der jüngsten Zeit verschiedene Streiks bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten bewiesen, indem sie den Ablauf und die technische Ausstattung von Sendungen beeinflussten. Für ihre Anliegen stellten die Stationen jedoch keine Mikrofone zur Verfügung. Die Unterrepräsentiertheit von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung gilt auch für die Internetmedien.
Der Dualismus von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien muss verschwinden. Die großen Medienkonzerne und Datenkraken gehören entschädigungslos enteignet und der Arbeiter:innenkontrolle unterstellt. Ihr Vermögen muss zur Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Medienbetriebs herangezogen werden.
Vieles aus dem Programmarsenal des ÖRR kann verwertet und sollte systematisch ausgeweitet werden, man denke z. B. an Forschungs- und Wissenschaftsmagazine. Dokumentationen müssten über geschichtliche und die zeitgenössischen Hauptprobleme in Politik, Wirtschaft und Umwelt methodisch aufbereitet und laufend ergänzt werden und sich am Vorbild des Wikipedia-Portals im Internet orientieren. Sie könnten eine Hauptaufgabe in Bildungseinrichtungen erfüllen. Eine berechtigte Kritik an der Vermittlung von Inhalten muss allerdings auch berücksichtigt werden, indem bspw. Nachrichten in allgemein verständlicherer Sprache herübergebracht werden sollten.
Auch lokale Berichte müssten ihren Platz im Sendegeschehen finden, um Stimmungen und Probleme vor Ort einfangen, erörtern und Abhilfe schaffen zu können. Der unschätzbare Aspekt des Internets eröffnet Raum zu einem regen Austausch gerade für die Jugend und ihre kulturell schöpferisch innovativen Ideen und könnte wirkliche soziale Medien entstehen lassen. Seine weltumspannenden Dimensionen wären in der Lage, die dem ÖRR eingeborenen Grenzen des Provinzialismus aufzusprengen.
Die mediale Internationalität ist allerdings keine so neue Erfindung. Schon 1954 wurde die Einrichtung der Eurovision im Rahmen der Europäischen Rundfunkunion zum Austausch von Fernseh- und Rundfunkprogrammen ins Leben gerufen. Von ihr wurde jedoch nur bedingt Gebrauch gemacht. Heute hat sich die deutsch-französische Kooperation in Gestalt des Senders arte gebildet. Doch all diese Projekte laufen unter bürgerlicher Vormundschaft. Dem kann die Arbeiter:innenbewegung für ihre ureigensten Interessen nur ein internationales Medienkonzept als Instrument für die gegenseitige Stärkung im Klassenkampf entgegenstellen.