Arbeiter:innenmacht

Hände weg vom Libanon!

Martin Suchanek, Infomail 1261, 31. Juli 2024

Nachdem am 27. Juli zwölf junge Fußballspieler bei einem Raketenangriff auf das drusische Dorf Madschdal Schams auf den besetzten Golanhöhen ums Leben gekommen waren, nutzte Israel diese Tragödie sofort als Vorwand, um einen verheerenden Angriff auf die Hisbollahkräfte im Libanon anzudrohen.

In einer frühmorgendlichen Sitzung seines Sicherheitskabinetts am 29. Juli ermächtigten der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant zu einem groß angelegten Militärschlag gegen die Hisbollah. Sie können über den Zeitpunkt und das Ausmaß des Angriffs entscheiden. Israel führt bereits seit Monaten begrenzte Militärschläge gegen die Hisbollah durch. Ein Vergeltungsschlag, der weit über diese hinausgeht, könnte nun eine erhebliche Ausweitung des Krieges in der Region auslösen. Zur Zeit ist unklar, ob der Angriff auf einen Vorort von Beirut, bei dem Fuad Schukr, eine hochrangiger Funktionär der Hisbollah, getötet wurde, als solcher gilt oder vielmehr den Auftakt zu einer größeren Militäroperation bildet.

Vorwände

Die zionistische Regierung beeilte sich jedenfalls, aus der Tragödie Nutzen zu ziehen, indem sie die Hisbollah beschuldigte, die die Verantwortung bestritt. Das israelische Kabinett weigerte sich, eine internationale Untersuchungskommission in dem Land zuzulassen und deren Ergebnisse abzuwarten. Die drusischen Dorfbewohner:innen erklärten gegenüber den Medien, dass sie vor allem eine israelische Eskalation und einen regionalen Krieg fürchten, der ihnen noch mehr Leid bringen könnte. Sie verjagten wütend Minister der Regierung, darunter den Faschisten Bezalel Smotrich (Finanzminster und zuständig für den Siedlungsausbau im Westjordanland), die zu den Beerdigungen kamen, um ihre Trauer auszunutzen.

Die Regierung Netanjahu sucht eindeutig einen Vorwand für die Eskalation. Dabei verfolgt sie mehrere Ziele. Erstens will sie von ihren laufenden Kriegsverbrechen und dem Völkermord im Gazastreifen sowie der Terrorisierung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland durch rechte Siedler:innen und die Armee ablenken.

Zweitens versucht sie, durch die Behauptung, dass der Angriff der Hisbollah und der Drohnenangriff der (jemenitischen) Huthi auf Tel Aviv(-Jaffa) eine qualitative Steigerung der existenziellen Bedrohung Israels darstellen, das angeschlagene Bild einer belagerten „Demokratie“ wiederzubeleben, die sich gegen die „Einkreisung“ durch ihre Feind:innen verteidige.

Die israelische Regierung und ihre westlichen Verbündeten sind sich bewusst, dass diese Rechtfertigung weltweit, auch in Europa und Nordamerika, immer weniger greift.

Aber auch wenn Netanjahus westliche Verbündete selbst eine Ausweitung des Krieges befürchten und ebenfalls auf eine Beendigung des Gemetzels in Gaza drängen, weiß seine Regierung, dass sie sich nicht bewegen werden, um einen brutalen Vergeltungsschlag zu verhindern, der als Selbstverteidigung „gerechtfertigt“ wird. Schließlich bombardieren die Vereinigten Staaten auch die Huthis, weil sie Schiffe von Israels Verbündeten im Golf von Aden angegriffen haben. Wie kann Israel da also das Recht auf Vergeltung abgesprochen werden?

So kann eine Eskalation des Konflikts mit der Hisbollah ausgenutzt werden, um den westlichen Druck auf eine Verhandlungslösung für den Gazastreifen zu verzögern. Netanjahu könnte auch auf einen Wahlsieg Trumps setzen, der wie das israelische Kabinett unter einer „Friedenslösung“ im Wesentlichen eine vollständige Kapitulation der Hamas und des palästinensischen Volkes versteht.

Drittens hat die Eskalation für Netanjahu auch eine innenpolitische Funktion. Gegen die wachsenden Proteste, auch aus der israelischen Bevölkerung, setzt er auf die Aufrechterhaltung der Spannung, um den Krieg und den Völkermord an den Palästinenser:innen zu rechtfertigen, indem er den zionistischen Staat als ein belagertes Land darstellt, das ständig von Feind:innen aus dem Iran, Jemen oder Libanon angegriffen wird. Netanjahu weiß, dass der Appell an die „Einheit der Nation“, an die vorherrschende zionistische Ideologie der Mehrheit der israelischen Opposition, ein probates Mittel ist, diese zu schwächen oder zu demobilisieren.

Reaktionäres Abenteuer

Um ihre Ziele zu erreichen, spielt die Regierung Netanjahu bewusst mit der Gefahr eines regionalen Krieges. Sie will zwar keinen weiteren Libanonkrieg wie 2006, spielt aber mit dem Feuer.

Gerade weil es seit Monaten einen ständigen, wenn auch begrenzten, Raketenbeschuss zwischen Israel und der Hisbollah gibt, wird, ja muss ein israelischer Angriff eine neue Stufe erreichen, die Hisbollah schmerzhaft und öffentlich treffen. Dies wird nicht nur zahlreiche tote Kämpfer:innen, sondern wahrscheinlich auch viele tote Zivilist:innen bedeuten. Israel spekuliert möglicherweise damit, dass die Hisbollah sich auf Vergeltungsmaßnahmen auf niedrigerem Niveau beschränkt, vielleicht durch die Vermittlung des französischen Imperialismus oder anderer Verbündeter Israels, die der Hisbollah eine gewisse Entschädigung für ihre Zurückhaltung anbieten könnten.

Das zionistische Regime setzt bei seinem reaktionären Abenteuer vor allem darauf, dass die Hisbollah und die libanesische Bevölkerung einen regionalen Krieg und dessen unkalkulierbare Risiken mehr fürchten als das eine israelischen Vergeltungsschlag.

Auch der barbarische, völkermörderische Krieg gegen die Palästinenser:innen dient dem mörderischen Netanjahu-Regime als Drohung. Wer sich mit aller Macht gegen Israel, die stärkste, vom Westen schwer bewaffnete und finanziell unterstützte Militärmacht, zur Wehr setzt, muss selbst befürchten, mit einem gnadenlosen Krieg überzogen zu werden. Das gilt vor allem für die Luftüberlegenheit des zionistischen Staates. Weder der Iran noch Syrien und schon gar nicht der Jemen oder Libanon können ihm militärisch auf dieser Ebene etwas entgegensetzen. Auch in Gaza demonstriert die israelische Armee täglich, was eine Besatzung bedeuten kann.

Charakter des Krieges

Diese Asymmetrie verweist aber auch auf den Charakter der Konflikte und Kriege Israels. Es handelt sich um Konflikte bzw. Kriege zwischen einem Unterdrückungsstaat, der auf der Vertreibung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes beruht und gleichzeitig die Rolle eines politischen Gendarmen für den westlichen Imperialismus erfüllt, der die Staaten der Region gespalten, in Angst vor Angriffen hält und gegeneinander aufhetzt.

So wie die Unterdrückung der Palästinenser:innen innerhalb seiner Grenzen der Festigung der zionistischen Herrschaft dient, dienen Israels Angriffe auf andere Staaten oder politische Bewegungen in ihnen letztlich der Festigung einer reaktionären imperialistischen Ordnung, die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht, und der Rolle Israels in dieser.

Bei diesen Kriegen geht es nicht darum, die jüdischen Menschen in aller Welt vor Antisemitismus zu schützen, der nur als ideologischer Deckmantel dient, um immer mehr Kriege und Unterdrückung zu rechtfertigen. Es geht nicht um Selbstverteidigung, sondern um Expansion und (präventive) Unterwerfung all jener, die sich dem Imperialismus und Zionismus in den Weg stellen. Jeder Sieg Israels stärkt letztlich diese reaktionäre Ordnung.

Es bedeutet aber auch, dass wir das Recht der Hisbollah und aller Widerstandskräfte im Libanon verteidigen, sich einem zionistischen Angriff zu widersetzen. Das hat nichts mit politischer Unterstützung für die Hisbollah zu tun. Vielmehr lehnen wir ihr Programm und ihre Ziele (und auch die aller anderen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte im Libanon) entschieden ab. Wir bekämpfen ihre islamistische, kleinbürgerliche und konterrevolutionäre Ideologie und Politik, wie sie sich besonders in Syrien gezeigt hat.

Aber bei den israelischen Angriffen geht es darum, die Hisbollah und das gesamte libanesische Volk für ihre Unterstützung der Palästinenser:innen zu bestrafen und ein Exempel zu statuieren, wozu das führt. Der Widerstand dagegen ist legitim und verdient Unterstützung der internationalen Arbeiter:innenklasse und Linken. Im Falle eines ausgewachsenen Krieges zwischen Israel und libanesischen oder Hisbollah-geführten Kräften muss die Arbeiter:innenklasse weltweit für die Niederlage Israels und den Sieg des Widerstands eintreten.

Unmittelbar geht es darum, dass wir uns dem Kriegsabenteuer der israelischen Regierung mit allen Mitteln widersetzen, um ihrem angedrohten Vergeltungsschlag entgegenzutreten. Deshalb müssen wir die Bewegung der Solidarität mit Palästina und gegen den Völkermord weltweit weiter stärken und aufbauen und die Gewerkschaften und reformistischen Parteien in den mit Israel verbündeten Ländern zur Mobilisierung zwingen. Wir plädieren für einen vollständigen Stopp der Waffenlieferungen und jeglicher Unterstützung für Israel sowie für einen weltweiten Arbeiter:innenboykott.

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