Arbeiter:innenmacht

Britannien: Lügen als Vorwand für rechtsextreme rassistische Hassorgie nach den Kindermorden von Southport

Jeremy Dewar, Infomail 1261, 2. August 2024

Wenige Stunden nach einer Mahnwache am 30. Juli für die Familien der Opfer eines mörderischen Messerangriffs auf Kinder in Southport, Sefton in Merseyside, stürmte ein Mob rechtsextremer Schläger:innen die Stadt. Sie griffen eine örtliche Moschee mit einem Hagel von Steinen und Ziegeln an und skandierten Slogans wie „No Surrender“ (Keine Kapitulation) und „England till I die“ (England bis in den Tod).

Die Küstenstadt stand bereits unter dem Schock der Ermordung von drei jungen Mädchen und der schweren Verletzungen von acht weiteren Kindern und zwei Erwachsenen bei einem offenbar willkürlichen Angriff eines Teenagers aus dem nahe gelegenen Dorf Banks.

Doch anstatt Zeit zum Trauern zu haben und sich auf Unterstützungsbotschaften zu konzentrieren, mussten die Familien auch mit den rassistischen Hasstariaden und Mobs in ihrer Stadt fertigwerden.

Lügen

Was wir über den Verdächtigen wissen, ist, dass er ein 17-jähriger Mann ist, der in Cardiff als Sohn eines aus Ruanda geflüchteten Ehepaars geboren wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er ein Muslim ist; Ruanda ist ein überwiegend katholisches Land, eine ehemalige belgische Kolonie.

Dies hielt einen Schwarm etablierter rechtsextremer Rassist:innen und Frauenfeind:innen nicht davon ab, sofort rassistische Lügen zu verbreiten, um einen Mob aufzuwiegeln. Tommy Robinson, der Schauspieler Lawrence Fox, Andrew Tate und ein Social-Media-Portal, das sich Channel 3 nennt, verbreiteten die Lügen und schürten die Flammen.

Sie behaupteten fälschlicherweise, der Angreifer heiße Ali Al-Shakati und sei im Jahr 2023 mit einem kleinen Boot nach Großbritannien gekommen. Tate, der derzeit in Rumänien wegen Vergewaltigung und Sexhandel angeklagt ist, rief die Menschen dazu auf, angesichts der Bedrohung durch „illegale Migrant:Innen“ „aufzuwachen“.

Robinson behauptete, die „Behörden“ versuchten, die Öffentlichkeit zu „manipulieren“, indem sie Einzelheiten über den Angreifer unterdrückten. Nigel Farage, britischer Abgeordneter der Reformpartei für Clacton, Essex, griff die Desinformation auf und schrieb: „Ich frage mich, ob uns die Wahrheit vorenthalten wird“, wobei er den Vorfall mit der Ermordung eines Soldaten in der vergangenen Woche in Verbindung brachte: „Unser Land wird zerstört, unsere Werte werden vernichtet und die Öffentlichkeit steht kurz vor einer Revolte.“

Robinsons Verbündeter Daniel Thomas führte den Aufruf an, nach Southport zu kommen: „Jede Stadt muss in die Luft gehen. Seid vorbereitet. Seid bereit. Das müssen wir. Es muss in verschiedenen Städten losgehen. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir die Nase voll haben.“ Nach den Ausschreitungen verteidigte Robinson den rassistischen Mob: „Bevor irgendjemand anfängt, die wütenden englischen Männer in Southport zu verurteilen, fragt euch doch mal, was ihr verdammt noch mal von ihnen erwartet. Nennt sie nicht Hooligans, ihre Wut ist berechtigt.“

Als Farages Äußerungen in den Medien kritisiert wurden, verteidigte Robinson ihn mit den Worten: „Ich habe euch gesagt, heute bin ich es, morgen seid ihr es. Diese falschen Anschuldigungen gegen euch sind das, womit ich seit über einem Jahrzehnt konfrontiert bin“.

Aufschwung der Rechten

Dies ist kein einmaliger Vorfall. Robinson und Mark Collett, der Anführer der offen faschistischen Patriotic Alliance, wurden beide wegen der Verbreitung von Falschnachrichten verurteilt, mit denen sie Muslim:innen die Schuld an Gräueltaten in die Schuhe schoben. Am Samstag, den 27. Juli, nur drei Tage zuvor, marschierten über 30.000 Rassist:innen, darunter ein nicht sehr verborgener faschistischer Kern, durch London.

Dort hörten sie Robinson sagen: „Genug ist genug, wir haben einen Schlussstrich gezogen. Wir werden nicht mehr ersetzt“, womit er sich auf die „Great Displacement Theory“ bezog, ein bekanntes faschistisches Märchen, das besagt, die weiße christliche Kultur werde durch muslimische Migrant:innen ausgehöhlt.

Das Ziel von Robinson und Co. ist es, die Menschen gegen alle Muslim:innen (und alle People of Colour) aufzuwiegeln und eine Massenbewegung von auf der Straße mobilisierten, gewalttätigen Rechten zu schaffen, während sie das Narrativ über Migration weiter nach rechts verschieben. Kein Wunder, dass sie sich über den Aufruhr, den sie am Dienstag ausgelöst haben, so sehr freuen.

Auf der gleichen Demonstration hoben alle die Hand, als sie gefragt wurden, wer für Reform, die ehemalige Brexit-Partei, gestimmt habe. Das ist der rassistische Kern der gesamten Brexit-Kampagne, der offen zur Schau gestellt wird. Die faschistische Rechte nutzt jetzt die giftige Kombination aus klein-englischem Chauvinismus und offenem Rassismus des Brexit aus, um eine Straßenkampfbewegung zu rekrutieren und neu aufzubauen. Der Unterschied zwischen heute und 2010 ist, dass die Rassist:innen vier Millionen Stimmen und Abgeordnete im Parlament haben, die bereit sind, ihr Gift zu verstärken und legitimieren.

Die Arbeiter:innenbewegung

Die neue Labour-Regierung ist verwundbar. Premierminister Keir Starmer wurde sogar verhöhnt, als er nach den Morden einen kurzen Besuch in Southport abstattete. Innenministerin Yvette Cooper hat eine Gratwanderung vollzogen. Die Labour-Partei will einerseits die muslimischen Wähler:innen besänftigen, die bei den letzten Parlamentswahlen die Labour-Partei gemieden haben, und andererseits diejenigen zufriedenstellen, die die Labour-Partei zugunsten von Farages Reform UK verlassen haben und ein „hartes Vorgehen“ gegen Migrant:innen fordern.

Einerseits hat sie alle Flüge von abgeschobenen Asylbewerber:innen nach Ruanda gestoppt und den Abschiebekahn Bibby Stockholm geschlossen, einen sichtbaren wunden Punkt der Antimigrationspolitik der Tories. Andererseits hat sie einen „Sommerblitz von Razzien gegen illegale Einwander:innen“ angeordnet, um zu signalisieren, dass Labour die Tory-Botschaft, Großbritannien sei ein „feindliches Umfeld“ für diejenigen, die eine sichere Zukunft im Vereinigten Königreich suchen, im Wesentlichen aufrechterhalten wird.

Aber auch die extreme Linke hat eindeutig noch viel zu tun. Ende Juni brachte Robinson, der einst Anführer der berüchtigten English Defence League (Englische Verteidigungsliga) war, 5.000 Rassist:innen ins Zentrum von London. Die SWP-Organisation Stand Up To Racism (Aufstehen gegen Rassismus) konnte nur 300 Teilnehmer:innen zu einer Gegendemonstration mobilisieren. Einen Monat später mobilisierte SUTR 5.000, eine Verbesserung, aber immer noch weit, weit weniger als Robinsons 30.000 oder mehr.

Gleichzeitig zog die trans+ Pride-Demo Zehntausende an, doppelt so viele wie im letzten Jahr, was zum großen Teil auf die verstärkten Angriffe des Staates auf trans Rechte zurückzuführen ist, aber auch auf die Zunahme von Aktivist:innen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken.

Zahlen sind nicht unerheblich. Die Gewerkschaften, die am Samstag mit über 50 Bannern auf der Demo vertreten waren, müssen gezwungen werden, mehr ihrer Mitglieder und Funktionär:innen auf die Straße zu bringen. Zu lange haben sich SUTR wie auch Stop the War (Stoppt den Krieg) damit begnügt, die finanzielle Unterstützung der Gewerkschaften zu erhalten, ohne Aktionen zu fordern.

In jeder Stadt und an jedem Arbeitsplatz müssen Aktivist:innen eine Kampagne gegen die Rechtsextremen führen, ihre Mythen über Migrant:innen entlarven und ihre Arbeitskolleg:innen auffordern, sie in die Schranken zu weisen.

Aber es gibt noch zwei weitere Dinge, die wir tun müssen. Erstens müssen wir von der Labour-Regierung verlangen, dass sie ihren eigenen Schlussstrich zieht und erklärt, dass alle Migrant:innen und Flüchtlinge hier willkommen sind.

Die Arbeiter:innenklasse in Großbritannien ist seit langem eine multinationale, multiethnische Klasse mit einer starken Tradition antirassistischer und antifaschistischer Kampagnen. Die islamfeindlichen Angriffe auf muslimische Gemeinschaften unter dem Vorwand des Krieges gegen den Terror und die Kriminalisierung von Flüchtlingen, die beide unter der New-Labour-Regierung institutionalisiert wurden, schufen die Voraussetzungen für eine neue Generation von Rassist:innen, die die Wut der Bevölkerung über Arbeitslosigkeit und die Zerstörung von Arbeitsplätzen, öffentlichen Diensten und Gemeinden ausnutzen.

Kampagnengruppen und vor allem die Gewerkschaften müssen von der Labour-Partei verlangen, dass sie nicht nur die Kriminalisierung von Flüchtlingen und so genannten illegalen Einwander:innen beendet, sondern auch schnellstens Häuser baut, den staatlichen Gesundheitsdienst saniert und Arbeitsplätze für alle bereitstellt, die hier leben oder hier leben wollen. Dies war in der Tat die Botschaft, die der frühere Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn auf der antirassistischen Kundgebung am Samstag vermittelte.

Zweitens müssen antifaschistische Demonstrationen einen Massencharakter annehmen und von einer Selbstverteidigungsorganisation geschützt werden, die der lokalen Arbeiter:innenbewegung gegenüber verantwortlich ist. Die Notwendigkeit einer organisierten Selbstverteidigung wird an Bedeutung gewinnen, wenn die Faschist:innen versuchen, Provokationen in multiethnischen Gebieten zu organisieren, weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass uns eine institutionell rassistische Polizei schützt.

Dies ist eine Aufgabe für Gewerkschafter:innen an der Basis und antirassistische Aktivist:innen. Die Labour-Minister:innen mögen zwar gegen die Organisator:innen rechtsextremer Gewalt vorgehen, gleichzeitig aber weiterhin rassistische Töne in Bezug auf gegen Migration anschlagen, um Teile der Wähler:innenschaft zu beschwichtigen, die auf die rassistischen Lügen hereingefallen sind; die Gewerkschaftsführer:innen werden nicht über Worte hinausgehen; die Polizei wird eher rassistisch unterdrückte Minderheiten angreifen, wie bei dem jüngsten Vorfall in Manchester, und das Demonstrationsrecht der extremen Rechten schützen, als ihre Proteste zu unterbinden.

Aber um dies zu erreichen, müssen wir über die Methoden hinausgehen, die die Socialist Workers Party und ihre jüngste Front, Stand Up to Racism, jahrzehntelang angewandt haben, d. h. die Methoden des Widerstands auf das beschränken, was für die Gewerkschaftsführer:innen, die Labour-Abgeordneten und die liberalen antirassistischen Organisationen akzeptabel ist.

Gegen die Entwicklung einer faschistischen Straßenbewegung brauchen wir massenhafte, kämpferische Mobilisierungen, die in der Lage sind, unsere Wohnviertel zu verteidigen und die Faschist:innen von den Straßen zu vertreiben. Gegen den Aufstieg einer rechtsextremen Partei, die bereit ist, mit Gewalt auf der Straße zu kokettieren, um die Arbeiter:innenklasse zu spalten, müssen wir eine politische Alternative aufbauen; eine, die Kapitalismus und Imperialismus als den Feinde aller arbeitenden Menschen benennt – und den Klassenkampf für den Sozialismus als die notwendige Lösung. Andernfalls wird die Arbeiter:innenklasse, wie Trotzki in den 1930er Jahren warnte, für den unvermeidlichen Verrat des Reformismus mit der wachsenden Bedrohung durch den Faschismus bezahlen.

  • Schluss mit rassistischen Angriffen – Rechtsextreme runter von unseren Straßen
  • Für die Selbstverteidigung der Arbeiter:innen gegen den Faschismus
  • Niemand ist illegal: Freizügigkeit und gleiche Rechte für alle.
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