Stefan Katzer/Wilhelm Schulz, Neue Internationale 288, Dezember 2024 / Januar 2025
Seit einem Jahr finden Proteste gegen den anhaltenden Genozid in Gaza statt. Zahlreiche davon an deutschen Universitäten, oftmals getragen von internationalen und migrantischen Studierenden. Die Ruhe des sonst trägen, scheinbar apolitischen deutschen Universitätslebens wurde gestört. Man könnte auch in Anlehnung an die 68er-Bewegung sagen, dass versucht wird, unter die vermufften deutschen Talare (akademisches Professor:innengewand) frischen Wind zu wirbeln, man sich gegen Krieg, Waffenlieferungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit positioniert. Allgegenwärtig dabei: Repression durch die Polizei und eine Stimmung der Angst. Nun drohen Maßnahmen, die den politischen Protest an deutschen Hochschulen massiv erschweren sollen.
Kaum wurde die umstrittene „Nie wieder ist jetzt“-Resolution im Bundestag verabschiedet, steht schon die nächste, fragwürdige („Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Universitäten“) zur Debatte. Abgestimmt werden soll sie im Dezember. Was mit der im Wortlaut fortschrittlichen Zielsetzung des Kampfes gegen Antisemitismus verlautbart, mündet in einem Vorhaben, das auch genutzt werden kann, um antizionistische Jüd:innen im Kampf gegen die herrschende Politik Israels zu kriminalisieren. In zahlreichen offenen Briefen der letzten Wochen richten sich verschiedene Gruppen und Organisationen gegen dieses Vorhaben, alle weitgehend einheitlich, wenn sie sagen, dass die Resolution eine massive Einschränkung grundlegender demokratischer Rechte darstellt – allen voran der Wissenschaftsfreiheit.
So soll, was vor wenigen Monaten noch als Skandal galt, gängige Praxis werden. Nämlich dass es im Bildungs- und Wissenschaftsministerium unter Bettina Stark-Watzinger (FDP) Anstrengungen gab zu prüfen, ob man jenen, die den offenen Brief gegen die gewaltvolle Räumung der FU-Besetzung im Mai unterzeichneten, nicht einer förderrechtliche Überprüfung unterziehen und somit die Forschungsgelder entziehen könne.
Zu den Campusprotesten wird sich auch geäußert, wenn es heißt, dass Störung des Universitätsbetriebs unverzüglich mit wirksamen Strafanzeigen und Hausverboten geahndet werden soll. Auch hier gilt die IHRA-Definition als Grundlage des Kampfes gegen Jüd:innenhass an allen Hochschulen. Im Sinne diese Definition unfolgsamen Forschenden, Dozierenden und Professor:innen könnten Forschungsgelder entzogen, Studierende von der Hochschule beurlaubt oder zwangsexmatrikuliert werden. Damit werden Menschen, die sich gegen Besatzung, Apartheid und Genozid an den Palästinenser:innen einsetzen, unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt. Dies kann man nur mit massiver Einschränkung von Grundrechten gleichsetzen.
Ziel der Resolution bleibt somit, propalästinensische Stimmen im Keim zu ersticken – ein Schlag gegen die Palästinabewegung an sich. Auch wenn die Resolution juristisch nicht haltbar ist, so zeigt sie doch eine neue Entwicklungsrichtung staatlicher Ordnung, insbesondere in der vage ausformulierten engeren Zusammenarbeit mit „den Sicherheitsbehörden“.
Der Krieg in Gaza und die propalästinensische Solidaritätsbewegung gerade an deutschen Hochschulen zeigen mahnend auf das Spannungsverhältnis von Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit zur herrschenden Staatsräson. So heißt es etwa in einer Pressemitteilung, die Mitte Mai 2024 mit Blick auf die Campusbesetzungen von der Hochschulrektorenkonferenz veröffentlicht wurde: „Die Hochschulen verstehen sich als Orte der offenen Diskussion und des Dialogs. Sie nehmen die Verantwortung wahr, umfassend und wo immer möglich einen akademischen Diskussionsraum bereitzustellen. Durch entsprechende Standards und Verfahrensregeln gewährleisten sie einen Austausch auch über gesellschaftlich strittige Themen und Meinungen.“
Während dieser Abschnitt ein Bild der deutschen Hochschullandschaft als sicheren Hort des kommunikativen Handelns malt, in dem jede/r frei forschen und seine/ihre Meinung äußern kann, macht der unmittelbar darauffolgende Abschnitt deutlich, dass die sich als unparteiisch verstehenden Hochschulleitungen im Zweifel dazu bereit sind, jene Meinungen und Ansichten zu unterdrücken, die sich nicht innerhalb des vom Grundgesetz der herrschenden Klasse vorgegebenen ideologischen „Konsenses“ bewegen. So heißt es weiter: „Hochschulen sind in der Lage, zwischen wissenschaftsgeleiteten Diskussionen und solchen, die sich nicht mehr im Rahmen der Gesetze und der Verfassung bewegen, zu unterscheiden und darauf situationsangemessen zu reagieren.“ Die Universitäten beziehen ihre Legitimität als Orte der Wissenschaft somit einerseits aus dem Anspruch, nichts anderem als der Wahrheit verpflichtet zu sein. Die Untersuchungen der Macht- und Herrschaftsverhältnisse finden so in von der politischen Machtfrage losgelösten, sterilen Formen statt (Primat der Wertneutralität). Also abgelöst von der Frage, welche Klasse sie innehat, wie dazu Partei ergriffen wird bzw. diese eventuell aufgehoben werden können. Auch in diesem Sinne wirken sie herrschaftsstabilisierend und tendenziell integrativ.
Die Realität ist freilich eine andere. Während sich die Universitäten einerseits als autonome Räume des freien Gedankenaustausches verstehen, sind sie in Wahrheit eingebettet in einen gesellschaftlichen Zusammenhang, der durch den antagonistischen Klassenwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital geprägt ist. Die sich antagonistisch gegenüberstehenden Klassen ringen dabei nicht nur auf dem Feld der Politik und Ökonomie miteinander. Darüber hinaus ist der Klassenkampf auch geprägt durch eine ideologische Auseinandersetzung, einen ideologischen Klassenkampf, bei dem es wesentlich um die Deutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit von unterschiedlichen Klassenstandpunkten und im Interesse unterschiedlicher Klassen geht.
Das Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Staatsräson soll kurz anhand des Werks des Philosophen Karl Popper „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1945) besprochen werden. Diese im Zweiten Weltkrieg geschriebenen Bände richten sich gegen den sogenannten Historizismus nach Platon, Hegel, Marx (und später Freud) und mit ihnen gegen das theoretische Konzept der gesellschaftlichen Totalität, in Verteidigung der liberalen Demokratie. Ein analytisches Problem Poppers mit diesem Ansatz liegt in der Unvereinbarkeit des logisch positivistischen, sogenannten kritischen Rationalismus mit dem dialektisch-historischen Materialismus. Für Popper war nur wissenschaftlich, was falsifiziert werden konnte. Für einige Teile des Marxismus trifft dies in seinen Kategorien nicht zu, weil beispielsweise kein nicht-entfremdetes Wesen dem geknechteten und entfremdeten Menschen entgegengehalten werden kann. Nach Popper ist die bürgerliche Demokratie die einzige Herrschaftsform, die Wandel ohne Gewaltakt ermöglicht. Hierfür unternimmt er aber einen analytischen Ausschluss. Der methodologische Individualismus wird quasi zur Vorbedingung zur Teilnahme an der offenen Gesellschaft und ihrer Veränderungsfähigkeit.
Poppers ideologische Argumente müssen selbst in ihrer Historizität betrachtet werden – wiederum gegen den Willen des Autoren. Etablieren sie sich doch in den 1950er und 1960er Jahren im deutschsprachigen Raum zu einer Zeit der relativen Verbesserung der Lebensbedingungen weiter Teile der Gesellschaft imperialistischer Zentren. Diese ökonomische Expansion und damit verbundene Integrationsmöglichkeiten bestehen heute nicht. Massive staatliche Kürzungsprogramme, in Berlin schon praktisch angelaufen, an denen die Ampel u. a. zerbrach und die die nächste Bundesregierung prägen werden, bilden das Hintergrundrauschen für den schleichenden Zwang zur Staatsräson. Die Teilnahme an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird in Krisenzeiten so auch manchen liberalen Akteur:innen verwehrt.
Universitäten sind in diesem Sinne Momente eines gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs, in dem die realen politischen Machtverhältnisse darüber (mit-)entscheiden, welche gesellschaftliche Gruppe ihre Ansichten, Interessen und – im Zusammenhang mit den propalästinensischen Protesten besonders wichtig – Definitionen im Zweifel gegen andere durchsetzen kann. Dies ist auch für den politischen Kampf bedeutsam, da die wissenschaftliche Anerkennung einer bestimmten ideologischen Anschauung als wahr dieser zugleich eine besondere gesellschaftliche Legitimität als vermeintlich neutrale verleiht und anerkennt. Mithilfe der oktroyierten „Antisemitismus“auslegung drohen zugleich, studentischer Protest wie auch wissenschaftliche Kritik als unwissenschaftlich, sogar verbrecherisch verdrängt, isoliert und kollektiv unterdrückt zu werden. Zur Erinnerung: Quasi als Vorläuferin dieser Entwicklung wurde bereits 2019 die sogenannte BDS-Resolution im Bundestag verabschiedet – ebenfalls rechtlich nicht bindend.
Demzufolge ist auch die Wissenschaftsfreiheit, der man sich in Deutschland verschrieben hat, als relativ zu betrachten. So mag Artikel 5, Absatz 3 Grundgesetz behaupten, dass „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre [ …] frei“ sind. Diese Freiheit wird zwar gewährt, doch gerade in puncto Staatsräson eingeschränkt. Der Begriff Staatsräson stammt vom Philosophen Niccolò Machiavelli. Er definiert einen Bereich von Grundwerten, die durch sichernde Institutionen für die Legitimation und Funktion der herrschenden Ordnung aufrechterhalten werden müssen. Diese Werte haben Vorrang vor jedwedem anderen Interesse, werden vom Staat (notfalls mit Zwang) durchgesetzt, wofür dieser die Verletzung von Moral und Recht in Kauf nimmt. Unter die deutsche Staatsräson fallen sowohl das Existenzrecht Israels als auch die herrschenden Produktionsverhältnisse.
Uffa Jensen, Antisemitismusbeauftragter der TU Berlin, hat im „Tagesspiegel“ einen Gastbeitrag gegen die geplante Antisemitismusresolution geschrieben. Er kritisiert, dass „[d]ie Existenz von Antisemitismus an Schulen und Universitäten [dazu] dient, nun […] einen umfassenden Sicherheitsdiskurs zu etablieren.“ Er moniert, dass es keine Differenzierung zwischen Antisemitismus und möglicherweise legitimer Kritik am Staat Israel gibt. Ein Austausch dazu droht, unter dem Damoklesschwert politischer Disziplinierung statt Erkenntnisgewinns stattzufinden
Die Erfahrung, im Widerspruch zur deutschen Staatsräson zu stehen, musste auch die Philosophin Nancy Fraser machen, als die Universität Köln im April 2024 kurzfristig ihre Einladung als Gastprofessorin zurückzog. Grund: Fraser hatte bereits im November 2023 einen offenen Brief unterschrieben, der den Titel „Philosophy for Palestine“ trug. Darin verurteilten die Unterzeichner:innen den israelischen Angriff auf Gaza und den sich dort entfaltenden Genozid sowie die Unterstützung Israels durch westliche Regierungen. Sie forderten zudem einen Boykott israelischer Institutionen und nannten Israel einen Apartheidstaat. Obwohl all dies von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, hat der Rektor der Universität Köln kurz vor Beginn der Gastprofessur die Einladung an Fraser zurückgezogen, nachdem diese sich geweigert hatte, ihrerseits ihre Unterstützung des Briefes zu widerrufen (https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/deutschen-wissenschaft-erheblichen-schaden-zufuegen-nancy-fraser-ueber-ausladung-von-uni-koeln-dieser-vorgang-wird-der-92992311.html).
Fraser sieht darin völlig zu Recht einen Angriff auf die „akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und offene Diskussion“. Die Botschaft, die damit an Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt gesendet würde, laute: „Wenn du es wagst, bestimmte Ansichten zu bestimmten politischen Themen zu äußern, wirst du hier (in Deutschland) nicht willkommen sein. Eine eiskalte Wirkung auf die politische Meinungsfreiheit.“ (ebd.) Dabei ist sie nicht die Einzige, der das widerfahren ist. Darüber hinaus geriet mit der postkolonialen Theorie ein ganzer Forschungszweig in die Kritik. Vertreter:innen dieser Theorietradition wurde nach dem 7. Oktober nicht nur eine Verharmlosung des „Hamasterrors“ vorgeworfen. Ihnen wurden darüber hinaus auch antisemitische Motive unterstellt, die sich auch in der angeblichen Relativierung der Shoa ausdrückten, von führenden Vertreter:innen dieser Theorieströmung immer wieder angeblich begangen. Die antisemitischen Motive der postkolonialen Theoretiker:innen kämen aber auch darin zum Ausdruck, dass „sie Israel ebenso wie die anderen westlichen Staaten nicht als Minderheitenrechte respektierende Demokratie, sondern als Kolonialmacht und imperialen Unrechtsstaat behandeln.“ (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-westen-als-taeter-die-wurzeln-des-postkolonialen-antisemitismus-19596196.html)
An dieser Stelle können wir nur kurz das Lehrstuhlsystem und dessen Verwobenheit mit dem New Public Management der Hochschulen behandeln, einen ständischenRestbestandteil und möglicher Hort der Willkür. Hier sind Wissenschaftler:innen vom Verhältnis zu ihren akademisch Vorgesetzten (i. d. R. Professor:innen) abhängige Personen, die wiederum nach einer wissenschaftlichen Vorauswahl schlussendlich von Parlamenten bestätigt werden (Widerspruchsrecht). Die Kontrollmechanismen finden somit in einem vorselektierten elitären Kreis der Wissenschaft selbst statt. Das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft (NGA Wiss) bringt es auf den Punkt, wenn es schreibt: „Zentrale Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit kommen also nicht einfach von außen. Sie liegen in den Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems selbst.“ (https://mittelbau.net/wissenschaftsfreiheit-und-prekaritat/ , abgerufen am 30.11.24, 13:16 Uhr). Dies fällt zusammen mit einem Umbau der Universitäten im Sinne des New Public Managements zu unternehmensähnlichen Organisationen. Dass Institutionen wie die Hochschulrektor:innenkonferenz (HRK) die Verwendung der IHRA-Antisemitismusdefinition tendenziell befürwortet, kann selbst als Ausdruck der bereits vollzogenen Umwandlung der akademischen Selbstverwaltung in neoliberalen Agenturen des New Public Managements verstanden werden, in denen Hochschulpräsidien zunehmend als Unternehmensführer:innen agieren. Durch die Drittmittelfinanzierung, die als wissenschaftliches Exzellenzkriterium gilt, kann hier eine Unterordnung unter Förderrichtlinien erkennbar werden. Hier findet also eine sukzessive Unterordnung der wissenschaftlichen Erkenntnissuche unter die Ökonomisierung der Forschungsindustrie statt. Ein indirekterer Effekt dessen kann auch sein, dass sich internationale kritische Wissenschaftler:innen weniger in Deutschland bewerben werden. Einflussnahme in diesem Sinne beginnt also nicht erst mit Regierungsbeteiligung der AfD, sondern schon heute. Ohne organisierten Widerstand droht, sich die Situation eher weiter zu verschärfen. Im Übrigen ist diese Entwicklung international zu beobachten. Laut „Academic Freedom Index“ – in dem Deutschland noch relativ gut abschneidet – befinden wir uns 2023 auf dem Niveau von 1973 bezüglich der Wissenschaftsfreiheit. Das Rekordhoch war demnach 2006, also kurz vor der Finanzkrise 2007/08.
Die Lehre daraus: Universität im Kapitalismus ist kein freier Raum. Das moderne deutsche Hochschulsystem mag zwar auf dem Humboldt’schen Bildungsideal aufgebaut sein – aber nur, wenn es darum geht, das Fundament nach außen hübsch aussehen zu lassen. Ihrer Funktion nach dienen Universitäten im Kapitalismus vor allem zweierlei: a) bürgerlicher Ideologieproduktion und b) Ausbildung der Ware Arbeitskraft. Gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften sind in erster Linie Ideologieproduktionsstätten zur Legitimation der herrschenden Verhältnisse. In diesem Wissenschaftsbereich droht die Resolution, vermutlich den weitreichendsten Einfluss zu nehmen. Dabei ist auch eine wohltemperierte Kritik an der bestehenden Gesellschaft Teil dieser Legitimationsmaschinerie. Die „demokratische“, wohlmeinende, konstruktive Kritik an einzelnen Momenten des gesellschaftlichen Ganzen verleiht dem Bestehenden sogar eine besondere Legitimation, da sie zugleich den Schein verstärkt, eine freie, demokratische Gesellschaft ertrage auch Kritik an ihrer eigenen Funktionsweise. Sobald die Kritik allerdings radikal wird, d. h. das Wesen der bürgerlichen Klassengesellschaft enthüllt, ist sie den Herrschenden ein Dorn im Auge. Die Linie zwischen berechtigter und unberechtigter Kritik wird neu gezogen inmitten zunehmender Kriege, einer Neuorientierung des deutschen Imperialismus und einer auch innenpolitischen Zeitenwende.
Sicherlich, mit Veränderung und Entwicklung der Produktivkräfte haben sich Zusammensetzung der Studierendenschaft, aber auch Anforderungen an die Universitäten selbst geändert. Die Anforderungen sind anpassungsoffener (lebenslanges Lernen) und ausbildungsintensiver. Ein Ergebnis dessen ist die Zunahme des Anteils von Studierenden. Im Jahr 2022 lag diese Quote bei 56,4 %. Jedoch zeigt sich an der aktuellen Situation sehr deutlich, dass es, sobald es an die strategischen Ausrichtungen des deutschen Imperialismus geht, sehr wenig Diskussionsraum übrig bleibt.
Auch hier zeigt sich: Der gesellschaftliche Rechtsruck macht auch vor den deutschen Universitäten nicht halt. Die Angriffe auf grundlegende demokratische Rechte werden größere Konsequenzen haben. Forderungen nach Einschränkung des Streik-, Versammlungsrechts, die Wiedereinführung der Zwangsexmatrikulation wie in Berlin oder die Drohgebärde der Mittelstreichungen für unliebsame Forschende, all das bereitet künftige Angriffe weiter vor und stellt unerwünschte Personen still. Dies erfolgt auch in Reaktion auf die Öffnung der Hochschulen für breitere Bevölkerungsteile mit zunehmenden Anforderungen an deren Disziplinierung.
Sowohl Entlassungen, Repressionen der Studierenden oder beispielsweise der Umgang mit eher marginalen Theorieströmungen stoßen auch innerhalb der wissenschaftlichen Community teilweise auf Widerspruch. Zu offensichtlich ist die interessengeleitete Einmischung in den universitären Diskurs, als dass dies unwidersprochen von allen Beteiligten hingenommen würde. Diejenigen, die sich am Ideal der akademischen Selbstverwaltung orientieren, sehen in der politischen Einmischung durchaus ein Problem. Auch am Umgang mit den Protestierenden gab es einige Kritik von Universitätsangestellten, die sich statt repressiver Maßnahmen lieber einen Dialog gewünscht hätten. Die Universität ist somit immer auch ein Kampffeld, in welchem wichtige politische und ideologische Auseinandersetzungen stattfinden.
Davon dürfen wir uns aber nicht abschrecken lassen. Unsere Aufgabe besteht auch weiterhin darin, die Lügen der Herrschenden zu entlarven und der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist Aufgabe von Revolutionär:innen, eben die reaktionäre Funktion der Universitäten sichtbar zu machen und in den eigenen Argumentationen zu berücksichtigen. Während viele der Protestierenden (zurecht) geschockt sind von der Passivität ihrer deutschen Kommiliton:innen sowie reaktionären Positionen, denen viele Universitätsleitungen Raum gewähren, verbleiben sie oftmals bei moralistischen, liberalen Argumentationen. Diese huldigen jedoch einem Universitätssystem, das auch bereits früher von den totalitären Zwängen der Klassenherrschaft durchdrungen war. Eine Kritik, die nicht den Doppelcharakter der Hochschulen angreift (Ideologieschmiede und Reproduktion der sozialen Klassen), droht, die Verteidigung eines (falschen) Ideals dem Kampf um selbstbestimmte Verhältnisse vorzuziehen. Der Kampf um Ideen muss also auch mit dem um demokratische Kontrolle von unten verbunden werden.