Dave Stockton, Infomail 1116, 2. September 2020
In Kenosha, Wisconsin, wurde am Sonntag, dem 23. August, um 17.00 Uhr Jacob Blake beim Einsteigen in sein Auto von einem Polizeibeamten, Rusten Sheskey, sieben Mal in den Rücken geschossen. Blakes drei Kinder saßen auf dem Rücksitz des Wagens und wurden ZeugInnen des schrecklichen Ereignisses. Wie durch ein Wunder überlebte er, doch die Schüsse durchtrennten sein Rückenmark und zertrümmerten Wirbel. Black ist von der Taille abwärts gelähmt, wahrscheinlich lebenslang.
Als ob dies noch nicht genug wäre, haben ihn die BeamtInnen, nachdem er in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht wurde und immer noch um sein Leben kämpfte, mit Handschellen an sein Bett gefesselt, obwohl er keines Verbrechens angeklagt worden war. Der mutmaßliche Täter hingegen wurde bei vollem Gehalt suspendiert und noch nicht angeklagt. Die übliche Straflosigkeit, die KillerpolizistInnen genießen, könnte sich durchaus wiederholen.
Wie bei der Ermordung von George Floyd am 25. Mai signalisiert die Polizei von Kenosha hiermit, dass sie die Stadt ohne jeglichen Respekt vor der rechtlichen Gleichheit der BürgerInnen, insbesondere von Schwarzen und People of Colour, regiert. Nichts, so scheint es, wird diese „legalisierten“ Lynchmorde aufhalten können.
Natürlich löste dies im Zusammenhang mit der neu belebten Bewegung „Black Lives Matter“ seit der Ermordung Floyds mehrere Nächte militanter Straßenproteste aus, in denen Fahrzeuge und das Bezirksgerichtsgebäude von Kenosha in Brand gesteckt wurden. Die Polizei begegnete den DemonstrantInnen mit Tränengas und Gasgrananten. Wie üblich prangerten die VertreterInnen der Republikanischen Partei die Gewalt der Protestierenden an, nicht aber die der Polizei, während die Mitglieder der Demokratischen Partei und die älteren „offiziellen“ Spitzen der Gemeinde zum „Frieden“ aufriefen. Wie kann es angesichts eines solch eklatanten Beispiels von Ungerechtigkeit Frieden geben?
Der demokratische Bürgermeister John Martin Antaramian zeigte, auf wessen Seite er wirklich steht, und forderte die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei mit mehreren großen gepanzerten so genannten Bearcat-Polizeifahrzeugen an, die mit Long Range Acoustic Devices, d. h. ohrenbetäubenden Sirenen, ausgestattet waren und Gummigeschosse abfeuerten.
Der demokratische Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, entsandte die Nationalgarde des Bundesstaates Wisconsin, rief den Ausnahmezustand aus und begrüßte sogar das Angebot von US-Präsident Trump, Bundespolizei in die Stadt zu entsenden. Dies geschah trotz Trumps wiederholter Verleumdungen demokratischer Bundesstaaten und Städte wegen der Unruhen, die durch die Killer-Polizei allein provoziert wurden. Darüber hinaus hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden rückgratlos die „Gewalt auf der rechten und linken Seite“ verurteilt. All dies ist ein weiterer Beweis für die Nutzlosigkeit dieser zweiten Partei der Wall Street für die Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse.
Als sich die Nachricht von dem Aufstand verbreitete, mobilisierten schwer bewaffnete weiße RassistInnen, die Kenosha-Milizen und die „Stolzen Jungs“, auf die Straßen der Stadt und fungierten de facto als Polizeihilfstruppen. Es gibt Videoaufnahmen von PolizistInnen, die freundliche Gespräche mit ihnen führen und ihnen Wasser anbieten, wobei ein/e PolizistIn über einen Lautsprecher sagt: „Wir schätzen euch Jungs, das tun wir wirklich“.
Einer der Miliz-SympathisantInnen, der 17-jährige Kyle Rittenhouse, erschoss zwei Demonstranten, Anthony Huber, 26, und Joseph Rosenbaum, 36, beide unbewaffnet, und verwundete einen dritten, Gaige Grosskreutz, einen freiwilligen Straßenmediziner. Rittenhouse wurde von PolizeibeamtInnen mit seinem um die Brust geschlungenen AR-15-Sturmgewehr vom Tatort unbehelligt weggelassen. Er wurde erst später, meilenweit entfernt in seinem Heimatort Antioch, Illinois, festgenommen.
Sofort eilten prominente Trump-AnhängerInnen zu seiner Verteidigung. Paul Gosar, ein republikanisches Mitglied des US-Repräsentantenhauses aus Arizona, twitterte: „100 % gerechtfertigte Selbstverteidigung. Versuchen Sie nicht, einem Mann eine Waffe wegzunehmen, oder Sie müssen die Konsequenzen tragen“ und schloss mit der Drohung: „Die Kriminellen hier: Die Kommunalverwaltung von Kenosha, die Nacht für Nacht die Unruhen, Brände und Plünderungen zulässt. Bewaffnete BürgerInnen, die sich selbst verteidigen, werden das Vakuum füllen“.
In einem Fox-News-Fernsehinterview in der Nacht der Schüsse auf Blake erklärte der US-Justizminister William Barr, dass einige der VertreterInnen der Demokratischen Partei, die ihn vor zwei Wochen bei einer Kongressanhörung befragten, RevolutionärInnen seien, die den amerikanischen Kapitalismus zu stürzen suchen und mit TerroristInnen im Bunde stehen.
Am Tag vor den Morden in Kenosha erschien ein Ehepaar aus St. Louis, Missouri, das einen friedlichen „Black Lives Matter“-Protest bedroht hatte, der an ihrer Villa vorbeizog, mit einem Video-Redebeitrag auf dem republikanischen Nationalkongress und unterstützte Trumps Botschaft, dass die BLM-Proteste eine Bedrohung der amerikanischen Lebensweise sind, gegen die sie sich mit automatischen Waffen in der Hand verteidigen müssen. Dann, nach den Morden, postete Fox News-Moderator Tucker Carlson auf Twitter: „Wie schockiert sind wir, dass 17-Jährige mit Gewehren beschlossen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, als niemand sonst es tat?“
Trump konzentriert seine Kampagne zunehmend auf die Behauptung, dass Amerika vor einer finsteren, weit linken Verschwörung steht, für die Joe Biden und Kamala Harris nur Marionetten sind. In einem Interview für Fox News behauptete er, dass Flugzeugladungen von gewalttätigen „Black Lives Matter“-DemonstrantInnen durch das Land geflogen würden, bezahlt von einer Clique reicher Leute, „Leute, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. Menschen, die in den dunklen Schatten stehen“ und dass „es Menschen sind, die die Straßen kontrollieren“.
Trump wiederholt eine Kampagne, die von QAnon, einer bizarren rechtsgerichteten Website über Verschwörungstheorien, geführt wird. Er hat auch die gleiche rassistische „Geburts“-Lüge verbreitet, die er gegen Obama unterstützte, nämlich dass Kamala Harris nicht in den USA geboren sei. Es scheint, dass er sich zu solchem Schmutz herablassen wird, um seine erzreaktionäre Basis zu motivieren und mobilisieren.
Es stimmt, in „normalen“ Zeiten, d. h. in Zeiten kapitalistischer Stabilität, wären solche Ideen als Hirngespinste von Verrückten am Rande des Wahnsinns abgetan worden. Aber jetzt, wo die USA nicht nur am Beginn eines großen wirtschaftlichen Einbruchs, einer Klimakatastrophe und inmitten der SARS-CoV-2-Pandemie stehen, die von der Trump-Regierung so kriminell schlecht gemanagt wurde, sondern auch vor dem Handelskrieg, den sie mit dem kapitalistischen China angezettelt haben, erscheinen selbst solche Ideen einer verrückt gewordenen Mittelschicht vernünftig.
Trump hat effektiv angedeutet, dass er diese „Strategie der Spannung“ mit Hilfe der Polizei und seiner rechtsextremen Hilfskräfte bis zur Wahl aufrechterhalten wird. Wenn er verliert, wird er sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen, und erklären, es sei festgelegt worden. Sieg oder Niederlage, amerikanische ArbeiterInnen, Schwarze, People of Colour, FeministInnen, LGBTIAQ-AktivistInnen stehen vor einem seit vielen Jahren nicht erlebten Konflikt, den Keimen eines amerikanischen Faschismus.
Trump ging auf Twitter und behauptete, er habe mit dem demokratischen Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, gesprochen und würde „die Bundespolizei und die Nationalgarde … zur Wiederherstellung von GESETZ und ORDNUNG“ schicken! Er fügte hinzu, dass er am 2. September Kenosha besuchen werde, um dies zu überwachen. Und um seine Provokation noch zu verstärken, hat er Rittenhouse verteidigt und unverschämter Weise geschrieben, dass die Doppelmorde in Notwehr geschahen. „Ich vermute, er war in sehr großen Schwierigkeiten … er wäre wahrscheinlich getötet worden.“
Es ist zu hoffen, dass AntirassistInnen, AntifaschistInnen und rassistisch Unterdrückte von nah und fern, die sich angemessen gegen FaschistInnen und PolizistInnen schützen, ihm einen gebührenden Empfang bereiten.
Dies alles unterstreicht schließlich die dringende Notwendigkeit für die an den Bewegungen beteiligten fortschrittlichen Kräfte, ihre eigene, von den DemokratInnen unabhängige Partei aufzubauen. Es muss eine Partei sein, die nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch auf den Straßen, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen aktiv ist. Es muss eine Partei sein, deren militante Speerspitze die weißen RassistInnen und FaschistInnen dorthin zurückdrängen kann, von wo aus Trump sie herbeigerufen hat.
In der gegenwärtigen politischen Krise, die seit den 1960er und 1970er Jahren beispiellos ist, müssen wir sagen: