Arbeiter:innenmacht

Massive Angriffe auf Arbeitsplätze: Was sollen linke Gewerkschafter:innen tun?

Mattis Molde, Neue Internationale 287, November 2024

VW kündigt Massenentlassungen und Werksschließungen an. Der Konzernvorstand hält drastische Einschnitte für notwendig und hat die bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung für den Markenbereich VW aufgekündigt. Das ist ein Schlag gegen den bestorganisierten und -bezahlten Teil der Arbeiter:innenklasse. Treffen soll er alle.

Eine genaue Zahl für Entlassungen wurde noch immer nicht genannt, aber es geht wohl um weit über zehntausend Stellen; Personalabbau von einigen Tausend wäre schon schlimm genug, aber auch mit Abfindungen etc. regelbar. Mindestens drei Werksschließungen drohen, ganze Städte und Regionen in den Ruin zu treiben. Besonders gefährdet ist der Standort Osnabrück. Die Aufkündigung der Beschäftigungssicherung stellt die gesamten bisherigen Gepflogenheiten des Umgangs zwischen Unternehmen und Arbeiter:innen in dieser als privilegiert geltenden Branche in Frage.

Personalabbau ist überall in der Industrie ein Thema, Sparprogramme sind es auch. Es gibt in Deutschland eine Wirtschaftskrise, die besonders die Industrie betrifft und noch spezieller die Autoindustrie. Neu ist, dass über Entlassungen und Werksschließungen bei einem der großen drei deutschen Endhersteller – VW, BMW, Daimler – geredet wird, die schon lange nicht mehr davon betroffen waren. Bei VW in Deutschland gab es seit 30 Jahren keine. Bei Werken von ausländischen Konzernen wie Ford oder Opel ist das anders und erst recht bei den Autozulieferunternehmen. Auch die großen deutschen Konzerne dieser Sparte, die zugleich alle globale Bedeutung haben (Bosch, Continental und Mahle) machen seit der Coronakrise verschärft Werke dicht und schrecken nicht vor Massenentlassungen zurück. ZF hat diese lange vermieden, aber vor kurzem auch den Abbau von 14.000 Arbeitsplätzen angekündigt.

Werksschließungen und Arbeitsplatzvernichtung gibt es nicht nur in der Autoindustrie, sondern auch bei den Großkonzernen von Stahl und Chemie sowie in vielen kleineren Betrieben. Aber aus gutem Grund schauen alle auf VW und die anderen Autobauer:innen, denn hier sind die Gewerkschaften, genauer die IG Metall, richtig stark: Viele Mitglieder, hoher Organisationsgrad, überall Betriebsräte und Tarifverträge. Zugleich stellen die Konzerne auch den Kern der deutschen Sozialpartner:innenschaft und Klassenkollaboration auf betrieblicher Ebene dar. Gerade bei VW ist die Kooperation mit dem Management sehr eng. Einerseits gab es eine Beschäftigungsgarantie. Im Gegenzug halfen Betriebsrat und Gewerkschaft der Firma ständig beim Sparen – was allerdings zu einem schleichenden Arbeitsplatzabbau durch Nichtbesetzung freier Stellen führte und oft auf Kosten von Leiharbeitskräften, Werkverträgler:innen und Zulieferer:innen ging und geht.

Miese Bilanz der IG Metall

In letzter Zeit hat die IG Metall alle Auseinandersetzungen um Betriebsschließungen krachend verloren. Ford Saarlouis wird im November 2025 dicht gemacht; der Sozialtarifvertrag dazu wurde im Februar diesen Jahres unterzeichnet. Ebenso wurde das Stahlröhrenwerk Valourec in Düsseldorf und Mülheim 2023 geschlossen. Auch etliche Betriebe der Autozulieferer Bosch, Continental und Mahle wurde stillgelegt, andere verkleinert oder verkauft.

In einigen wenigen Fällen (Voith Sonthofen im Jahr 2020, GKN Driveline Zwickau 2023) hat die IG Metall gestreikt, aber nur für einen Sozialtarifvertrag, das heißt für bessere Abfindungen bei Entlassung. Sie beugt sich hier dem reaktionären deutschen Streikrecht, das Arbeitskämpfe nur für „tarifierbare“ Ziele zulässt. Sie fordert auch keine Aufhebung dieser Einschränkungen, ja nicht einmal eine Ausweitung des Streikrechts. Im Gegenteil: In anderen Fällen hat der Gewerkschaftsapparat sogar die Streiks für einen Sozialtarif gegen den Willen der Belegschaft verhindert (z. B. Bosch Bietigheim).

In der Vergangenheit vor 15 – 20 Jahren hatte es einige Fällen gegeben, wo die Belegschaften selbst unerklärte Streiks und Betriebsbesetzungen begannen – am bekanntesten immer noch Opel Bochum. Damals, am 14. Oktober 2004, also vor 20 Jahren, legten die Beschäftigen für 6 Tage den Betrieb in einem wilden Streik lahm und entfachten eine bundesweite Solidarität unter den Lohnabhängigen und in der Linken.

Die wenigen Streiks und Besetzungen der letzten Jahre hingegen verliefen unter dem Radar der bürgerlichen Öffentlichkeit, aber auch der Linken. Das erleichterte die Beschränkung dieser Auseinandersetzungen gemäß dem Willen der Gewerkschaftsbürokratie zusätzlich. So wurden bei diesen Kämpfen die anderen Belegschaften des jeweiligen Konzerns überhaupt nicht einbezogen, von Betriebsräten und Gewerkschaftssekretär:innen wurden die anderen Betriebsräte sogar gewarnt, dass der Kampf ohnedies verlorengehen würde oder die Schließung sogar ihr Gutes hätte, weil sie die Überlebensbedingungen des „eigenen“ Werkes verbessern würde. Anschließend hat die Bürokratie alles getan, um ihre Prophezeihung zu erfüllen, dass der so isolierte Kampf scheitern würde.

Das galt besonders für die Streiks, die wie in Bochum gegen den Willen der Bürokrat:innen stattfanden, aber letztlich auch dort, wo die IG Metall den Streik führte, um ihn dann zu isolieren und in die Sackgasse des Sozialtarifs zu lenken, wie bei Voith Sonthofen. Der Vorstand in Frankfurt genehmigte damals zwar den Streik, im Aufsichtsrat hatten IG Metall-Vertret:innen aber der Schließung schon zugestimmt. Als 2.000 Menschen aus dem Allgäu zum Stammsitz des Unternehmens nach Heidenheim fuhren, ließen sich weder Vertreter:innen der IG Metall noch des Betriebsrats blicken; der Termin war nicht einmal auf der Webseite des IGM-Büros Aalen-Heidenheim veröffentlicht worden.

Natürlich haben sich die örtlichen Sekretär:innen im Allgäu oder in Zwickau prima eingesetzt, natürlich kamen dann Leute, die schöne Reden hielten, aber es gab nie einen Plan, wie ein umfassender Druck auf den Gegner, einen kleinen, aber internationalen Konzern, aufgebaut werden könnte, der diesen in die Knie zwingen könnte.

Partner:innenschaft

Die IG–Metall-Bürokratie hat 20 Jahre lang aus den verloren Kämpfen die Folgerung gezogen und verbreitet, dass nur der sozialpartner:innenschaftliche Weg weiterhilft: Standortsicherungs- oder Zukunftstarifverträge, enge Kooperation mit dem Kapital, gemeinsame Suche nach neuen Marktnischen und Einsparmöglichkeiten.

Die „Erfolge“ dieser Strategie waren, dass nach der Krise 2008 – 2010 die deutsche Metallindustrie schnell wieder hochfahren konnte, weil sie auf Kurzarbeit gesetzt hatte statt auf Entlasssungen und Kämpfe zur Verteidigung von Einkommen und Arbeitsbedingungen. Die Folge waren Werksschließungen im Ausland, vor allem in Westeuropa. Insgesamt brachte die Standortsicherung mit ihrem Verzicht auf betriebliche Leistungen, Verschieben von Tariferhöhungen oder unbezahlter Mehrarbeit Geschenke, also höhere Profite für die Unternehmen. Zugleich wurden die Beschäftigten verstärkt in Konkurrenz gesetzt zu denen anderer Großunternehmen, aber auch in anderen Betrieben des gleichen Konzerns, manchmal im Inland, oft im Ausland.

Im Einverständnis wurden Produktionsteile ausgegliedert, fremdvergeben, verkauft oder stillgelegt, also die Löhne an diesen Arbeitsplätzen eingespart oder gesenkt. Diese „Erfolge“, die für das Kapital Profit brachten und für die Arbeiter:innenklasse insgesamt Lohn- und Arbeitsplatzverluste bedeuteten, haben die gewerkschaftliche Solidarität total ruiniert. Wenn heute die Arbeiter:innen bei Audi in Brüssel kämpfen, dann ist das vielen Metallkolleg:innen an deutschen Standorten ein Schulterzucken wert. Nicht nur, weil die IG Metall ihrer Pflicht nicht nachkommt, solche Solidarität zu organisieren, sondern vor allem, weil sie in den letzten 20 Jahren massiv daran gearbeitet hat, ein Bewusstsein zu bilden, dass solche Solidarität schädlich sei oder im besten Fall nichts bringe. Nur eine Minderheit der Belegschaften hält gegen diese Entsolidarisierung, die im übrigen natürlich auch den Boden für verstärkten Chauvinismus und Rassismus unter den Lohnabhängigen bereitet hat.

Die Krise ist da!

Die Klassenkollaboration und „Partnerschaft“ mit dem Kapital hat in den letzten Jahren der Gewerkschaftsspitze jedoch eine gewisse Stabilität erlaubt. Teilweise konnte die IG Metall sogar ihren Organisationsgrad erhöhen. Der Grund dafür liegt in der jahrelang überlegenen Konkurrenzfähigkeit des deutschen Großkapitals gerade in der Autoindustrie. Daher verfügte sie über Möglichkeiten wie extreme Arbeitsproduktivität, Arbeitsintensität und eine damit verbundene trotz vergleichsweise hoher Löhne weit überdurchschnittliche Ausbeutungsrate, kombiniert mit den Extraprofiten und der Monopolstellung auf dem Weltmarkt die Aufrechterhaltung eines, wenn auch zunehmend prekärer werdenden Klassenkompromisses.

Damit ist jetzt Schluss. Innerhalb der IG Metall gibt es dazu unterschiedlichste Erklärungen: Die Transformation zur E-Mobilität wäre falsch oder zu spät oder zu übereilt. Die Produktion in Deutschland sei zu teuer. Der Staat würde sich nicht ausreichend für „unsere“ Unternehmen ins Zeug legen. Und dergleichen mehr.

Dass die aktuelle Krise etwas mit den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, mit der verschärften internationalen Konkurrenz und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu tun hat – davon wollen die Bürokratien der IG Metall wie auch die Konzernbetriebsräte nichts wissen. Und zwar deshalb, weil sie letztlich selbst daran mitwirken, die Belegschaften fit für den Konkurrenzkampf zu machen oder zu halten. Für sie zeigen Rezession, Umstrukturierung, Umweltkrise oder zunehmende Kriege nicht, dass dieses System untauglich für die Menschheit ist, sondern dass „wir“, also das deutsche Kapital und der deutsche Staat, dabei gewinnen sollen. Nur so hätten die Lohnabhängigen eine Chance, im Gefolge „ihrer“ Unternehmen beim globalen Verteilungskampf einigermaßen über die Runden zu kommen.

Diese Auffassung – da sollten wir uns nicht vormachen – teilt wahrscheinlich eine Mehrheit der Beschäftigten. Doch sie stehen auch vor einem gigantischen Widerspruch. Obwohl sie über Jahrzehnte ihren „Teil“ geleistet, Verzicht geübt haben, immer mehr für ihre Löhne leisten mussten und die meisten mit mehr oder weniger schweren Berufskrankheiten in die (Früh-)Rente gehen müssen, droht ihnen nun das Aus.

Wir müssen als klassenkämpferische, politisch bewusste Gewerkschafter:innen in dieser Lage an zwei Momenten ansetzen, die wenigstens eine Chance bieten, aus der aktuellen Misere rauszukommen. Erstens müssen wir am Willen, der Wut und Empörung all jener Metallerinnen und Metaller, aller Beschäftigten ansetzen, die sich nicht zum Opfer dieser Krise machen lassen und Widerstand leisten wollen. Zweitens müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den Arbeiter:innen die wirklichen Ursachen für die Krise zu erklären, deutlich zu machen, dass nationalistische und betriebliche Standortpolitik nicht nur zur kompletten Entsolidarisierung führt, sondern auch in die eigene Niederlage.

Und die IG Metall?

Politisch bedeutet das, die Wut und den Kampf gegen das Kapital zu richten. Diejenigen, die die Entscheidungen in den Unternehmern gefällt haben, um mit unserer Arbeit Milliarden Profite zu machen, dürfen jetzt nicht für weitere Profite unsere Löhne und Arbeitsplätze angreifen!

Die IG Metall wäre eigentlich dazu da, die Kraft der 2 Millionen Mitglieder dafür zu bündeln, also breite betriebsübergreifende Diskussionen in der Gewerkschaft zu beginnen, wie jede Schließung und Entlassung bekämpft werden kann!

Aber die Bürokratie macht dazu von sich aus keinerlei Anstalten. Im Gegenteil: Bei VW hat sie sofort nach der Verkündung des Angriffs neue Verhandlungen gefordert und damit begonnen. Solche finden auf der Basis der Ziele des Kapitals statt: Die Kosten müssen gesenkt werden, die 16 Milliarden an die Aktionär:innen werden nicht in Frage gestellt, im Gegenteil, die Profite müssen steigen.

Nach dem Autogipfel hat die IG Metall ein Forderungspaket vorgelegt, dass keine einzige konkrete Forderung an die Autokonzerne enthält, sondern nur eine blumige Ermahnung, mit dem Abbau innezuhalten, und das Angebot zur Vertiefung der Partner:innenschaft. In einer Presseerklärung vom 23. September werden jede Menge konkrete Forderungen an die Regierung nach noch mehr Subventionen für die Industrie erhoben, die ohnedies mit die meisten im Lande kassiert. Umgekehrt findet sich darin kein Wort zur Konversion der Produktion zu klimafreundlicher Mobilität, zur Enteignung von bedrohten Werken, keine Drohung mit Kampf, keine Angebote an die Klimabewegung, kein Verweis auf die Klimaziele und die Nichterfüllung durch die Autoindustrie. Noch nicht mal die Drohung, dass bei Werksschließungen Subventionen zurückgezahlt werden müssten, erhebt die IG Metall.

Was müssen wir tun?

Mit dem Angriff auf VW hat das Kapital den Klassenkampf sichtbar verschärft. Damit wurde auch die Sozialpartner:innenschaft schwer beschädigt. Auch wenn jetzt natürlich alle samt Regierung sich bemühen, in diesen Rahmen zurückzukehren, es wird klarer, dass das keine „Partner:innen“ sind, sondern die Beschäftigten die Verlierer:innen.

Jetzt kommt es darauf an, bei Protesten und Aktionstagen in den Betrieben und in der Tarifrunde eine andere Perspektive aufzuzeigen als das Unterwerfungsverhalten der IG- Metall-Bürokratie:

1. Kampf um jeden Arbeitsplatz!

  • Kein Lohnverzicht durch einen drohenden miesen Abschluss in der Tarifrunde und Verzicht auf betriebliche Leistungen bzw. Zulagen angesichts von 10 – 15 % Reallohnverlust in den letzten 6 Jahren!
  • Das Einfachste (und Legale) ist, in der Tarifrunde einen Streik vorzubereiten und mit diesem die Kampfkraft auch gegen die betrieblichen Angriffe zu stärken!
  • Arbeitszeitverkürzung nicht als selbstbezahlte Kurzarbeit, wie bei T-ZUG oder dem Transformationsgeld, sondern als Verteilung der Arbeitszeit über die ganze Branche bei vollem Lohn!

2. Kein Vertrauen in die Bürokrat:innen!

  • Sie werden ihre Verhandlungen mit leichtem Mobilsierungsdruck begleiten, aber Aktionen immer unterordnen und stoppen bei kleinsten Andeutungen von Verhandlungsbereitschaft der Gegenseite.
  • Also: Aktions- und Streikkomitees, gewählt auf Belegschaftsversammlungen, rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar!
  • Linke, kämpferische Gewerkschafter:innen und vor allem diejenigen, die bei den Kämpfen vor 10 – 30 Jahren dabei waren, müssen heute helfen, auf die Tricks und Manöver der Bürokratie vorzubereiten und dazu ihre Erfahrungen einbringen. Bürokrat:innen können nur durch Aktionen und Mobilisierung unter Druck geraten, als Gewerkschaft zu handeln, ohne ihnen aber auch nur einen Funken Vertrauen zu schenken. Mit der Bürokratie wo möglich, gegen sie wo nötig!

Um ihr Paroli bieten zu können, müssen sich die verschiedensten linken, klassenkämpferischen und oppositionellen Kräfte in der IG Metall koordinieren und als organisierte Opposition agieren. Als erster Schritt dazu müsste ein bundesweiter, spektrenübergreifender Ratschlag organisiert werden.

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Vom Widerstand zur Befreiung

Für ein freies, demokratisches, sozialistisches Palästina!

Broschüre, A4, 48 Seiten, 3,- Euro

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht