Arbeiter:innenmacht

Leere Versprechen: SPD drischt Phrasen

Quelle: https://pixnio.com/de/objekte/rot-gruen-gelb-zahlen

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 287, November 2024

Das neue Wahlprogramm der SPD ist da und – Überraschung – sie will die Vermögensteuer wieder einführen. Darüber hinaus verspricht sie weitere reformistische Reformen. Es scheint fast so, als ob sich die Sozialdemokratie auf ihre Wurzeln besinnen möchte. Wie so oft spielt auch dieses Mal die nächste Bundestagswahl im kommenden Jahr dabei eine Rolle. Die Umfragewerte für die SPD sind schlecht, das Vertrauen in die Kompetenz der Ampel kaum noch vorhanden. Angesichts dessen werden mal wieder große Töne im Wahlprogramm gespuckt, bei denen man fast glauben könnte, dass sie sich aktuell in der Opposition befindet.

Was ist geplant?

Neben der Einführung der Vermögen- plant die SPD eine „gerechte“ Erbschafts-, eine höhere Einkommensteuer für Spitzenverdiener:innen sowie eine grundlegende Reform der Staatsverschuldungsregeln. Durch die Einkommensteuerreform sollen 95 %  aller Steuerzahler:innen entlastet werden, während de 1 % der Spitzenverdiener:innen zur Kasse gebeten werden sollen. Laut Parteichefin Saskia Esken geht es dabei um Verdienste von mehr als 15.000 Euro im Monat. Die Unternehmensteuern sollen hingegen nicht angefasst werden. Stattdessen möchte man eine „umfassende Superabschreibung und Steuerprämien für Unternehmen an Investitionen in Zukunftsbranchen und gute Arbeitsplätze am Standort Deutschland knüpfen“. Begleitet wird das ganze mit Plänen, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen, sowie einer Kaufprämie für E-Autos. Im „Vorwärts“ heißt es: „Klimaschutz kann so zum Jobmotor werden und die Grundlage legen für die nächste Dekade des wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands.“ Damit wolle man sich entschlossen auf die Seite der Beschäftigten stellen und sich für Industriearbeitsplätze vor allem in der Autobranche einsetzen.

Alter Wein, alte Schläuche

Das Gerede von der Einführung der Vermögensteuer ist jedenfalls nicht neu. Schon bei den letzten Bundestagswahlen 2021 hatte die SPD die lang vergessene Forderung der Sozialdemokratie aus der zugestaubtesten, hintersten Ecke ihres Regierungssofas hervorgekramt. Gescheitert ist sie dann angeblich an der Ampel, aber in Wirklichkeit am eigenen Unvermögen. Sie war schließlich seit 1998 mit Ausnahme der Jahre von 2009 – 2013 immer an der Regierung beteiligt, ob nun in Kombination mit den Grünen, der Union oder nun in der Ampel.

SPD als Antreiberin des Rechtsrucks

Die SPD hat somit ihre eigene  Forderungen immer wieder fallen lassen, so auch in der Ampel. Ob bei der Debatte ums Bürgergeld oder der Kindergrundsicherung. Sang, klang- und vor allem kampflos beugte man sich dem Rechtsruck. So soll der nächste Haushalt vor allem zu Lasten der ärmsten Teile der Bevölkerung ausgeglichen werden. Das Sparen beim Bürgergeld kombiniert sie mit verschärftem Rassismus gegen Geflüchtete, die angeblich eine zu große Belastung für das deutsche Sozialsystem darstellen. Während die SPD dadurch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen möchte, ist es in Wahrheit genau diese Politik der Kompromisse, der „Realpolitik“ und kapitalistischen Mitverwaltung, die den Rechtsruck der letzten Jahre befeuert hat. Diese Politik sorgte deshalb auch bei einigen Teilen innerhalb der Mitgliedschaft für Kritik. Dabei ist die bereits durchgeführte und weiter geplante Verschärfung in der Asylpolitik nur ein Punkt, an dem sich „Linke“ in der SPD reiben. Auch die von Scholz zunächst im Alleingang verkündete Zeitenwende in der Aufrüstungspolitik ist für einige von ihnen noch immer ein Stein des Anstoßes. Nicht so sehr, weil sie grundsätzlich gegen die Aufrüstung der Bundeswehr sind. Vielmehr ist ihnen klar, dass die zusätzlichen Milliarden für die Bundeswehr an anderer Stelle eingespart werden und die bereits in Angriff genommene Militarisierung immer weniger Spielraum für klassische reformistische Politik lässt. Die nun vorgestellten Steuerpläne der Parteiführung zielen letztlich auch darauf ab, die eigenen Reihen vor der nächsten Wahl geschlossen zu halten. Was danach passiert, weiß letztlich auch der „linke Flügel“: Ähnlich wie die Finanztransaktions- wird auch die  (Wieder-)Einführung der Vermögensteuer geräuschlos entsorgt werden. Das Ganze scheint System zu haben. Oder vielleicht kann sich Cum-Ex-Olaf nach der Wahl auch einfach nicht mehr daran erinnern, was er vor der Wahl versprochen hat?

Initiative „Eintreten für Würde“

Der vergessliche Kanzler wird uns jedenfalls noch lange in Erinnerung bleiben. Und das nicht nur als Kanzler der Zeitenwende, sondern auch als einer, der Kriegsverbrechen finanziell unterstützt und ideologisch legitimiert hat. Und natürlich als Olaf „Abschiebekanzler“ Scholz. Mit der Debatte um das Sicherheitspaket Anfang Oktober gab es einen offenen Brief, der dezidierte Kritik am Kurs des Kanzlers übte. Unterzeichnet von rund 35 Abgeordneten, mehr als 13.000 Unterstützer:innen und mehreren Jusos-Verbänden heißt es darin: „Die SPD darf nie die menschenfeindlichen Narrative und Positionen rechter Parteien aufgreifen und damit normalisieren.“ Auch wenn der Brief  eine richtige Initiative darstellt, so bleibt er letzten Endes ein rein moralischer Appell. Statt die Kürzungspolitik offen anzugreifen und alternative Forderungen auszuformulieren, wird an das Gewissen der Sozialdemokratie appelliert. Doch ohne systematischen fraktionellen Ausdruck wird er ohne Konsequenzen verpuffen. Das zeigen nicht nur die Erinnerungen an Kühnerts NoGroKo-Kampagne, sondern auch Scholz’ Reaktion auf den Brief, der einfach behauptete, dass die Kritik letztlich seinen Kurs bestätige – schließlich ginge es beim Sicherheitspaket darum, Menschen zu schützen.

Unrealistische Realpolitik

Dass das jedoch nicht der Fall ist, ist offensichtlich. Die SPD macht Politik für das Kapital, hat aber noch immer soziale Wurzeln in den schweren Bataillonen der deutschen Industriearbeiter:innenschaft – um deren Arbeitsbedingungen und -plätze es in den nächsten Jahren gehen wird. Einerseits muss sie dem Kapital etwas abringen, um der Arbeiter:innenklasse im Gegenzug etwas anbieten zu können; das Sterbebett der Sozialdemokratie ist immerhin noch warm. Das erklärt auch ihre (erneute) Rückkehr zur Losung der Vermögensteuer und Floskeln nach Entlastung von 95 % der Bevölkerung.

Denn ihre Funktion als führende Regierungs- und bürgerliche Arbeiter:innenpartei ist nicht zu unterschätzen. Ihre enge Verbindung mit der DGB-Bürokratie und die dadurch ausgeübte Kontrolle über zentrale Sektoren der Klasse bildet für das deutsche Kapital auch einen Vorteil bei der Durchsetzung der geplanten „Transformation“. Mit dem Erstarken der AfD wird sie auch – wie wir in Brandenburg gesehen haben – als taktische Alternative gesehen oder, wie bei der letzten Bundestagswahl, auch mal als kleineres Übel gegenüber einer orientierungslosen CDU. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten in Zeiten der kapitalistischen Krise, des ausbleibenden Wirtschaftswachstums deutlich geringer, um diese „Abfederungspolitik“ ausreichend aufrechtzuerhalten. Wer glaubt, dass man in Zeiten der Krise auf Parlamentsebene einfach eine Vermögensteuer durchsetzen kann, der hat mehr Eier an den Kopf verdient als Franziska Giffey beim Berliner Ersten Mai 2022. Solche Projekte können nur ernsthaft durchgesetzt werden, wenn man sie erkämpft – und das wird eine SPD an der Regierung nicht tun.

Deshalb kommt es schon jetzt darauf an, eine Kraft aufzubauen, die solche und weitere Verbesserungen im Interesse der gesamten Klasse im Zweifel auch gegen eine SPD-Regierung erkämpfen kann. Hierfür ist es notwendig, sich von reformistischen Illusionen ebenso zu befreien wie von der erdrückenden Sozialpartner:innenschaft, welche die Gegenseite ohnehin längst aufgekündigt hat. Das organisierte Eintreten innerhalb der Gewerkschaften für eine neue, klassenkämpferische Ausrichtung muss ein Teil dessen sein. Darüber hinaus müssen die ökonomischen (Abwehr-)Schlachten aber auch mit dem Ringen gegen Rassismus und für echten Klimaschutz verbunden werden, um dem Rechtsruck mit einer fortschrittlichen, sozialistischen Perspektive begegnen zu können.

Nachsatz: Den Stecker ziehen: Gibt es ein vorzeitiges Aus der Ampel?

Fortschreitender Zerfall statt Fortschrittskoalition, so könnte man die Regierungszeit der Ampelkoalition zusammenfassen. Klar, sie hatte es auch nicht einfach: inmitten von Krieg, Rezession und folglich Verteilungskrise lässt sich eben das Gönnerhafte nicht leicht verwirklichen. Zumindest nicht, wenn man sich darauf beschränkt, Realpolitik im Parlament zu betreiben. Alle beteiligten Regierungsparteien haben deutlich an Zustimmung verloren und mit inneren Fliehkräften zu kämpfen. Die Grünen, die ihren Erfolg der letzten Wahl durch die Umweltbewegung, die so nicht mehr existiert, zu verdanken haben, mussten durch den eingeschlagenen Rechtskurs einen Teil ihrer Jugendorganisation gehen lassen sowie ihre Vorsitzenden. Am deutlichsten schlägt sich der Konflikt aber in der FPD nieder. Schließlich droht sie, am ehesten nicht nur aus der Regierung, sondern mal wieder aus dem Bundestag zu fliegen. Bereits auf dem Parteitag im Januar 2024 gab es eine deutliche Verschiebung nach rechts. Gleichzeitig werden die Stimmen nach einem Ausstieg aus der Koalition größer. Die sogenannte Initiative „Weckruf FREIHEIT“ forderte nicht nur die Rückkehr zur „wirklich liberalen Politik“, sondern auch im September den Rücktritt von Lindner, wenn er nicht aus der Ampel zurücktrete. Über riesige Unterstützung mag sie nicht verfügen, sie zeigt aber die Risse in der Partei deutlich. Dies erklärt mitunter auch die ultimative Haltung des Finanzministers und Parteivorsitzenden, wenn er (je nach Nachrichtenportal) zitiert wird, er wolle entweder bis zum 21. Dezember oder schon jetzt im Herbst eine klare Ansage bezüglich des Haushalts bekommen. So sagte er im Podcast der BILD-Zeitung: „Eine Regierung muss sich immer die Frage stellen, ob sie den Anforderungen der Zeit genügt“. Diese berichtete ebenfalls – voreilig? –, er bereite sich auf ein Misstrauensvotum und vorgezogene Neuwahlen bis zum 9. März nächsten Jahres vor. Ob dies an der Stelle die Wunschfantasien der Springerpresse sein mögen oder es sich um eine mediale Kampagne handelt, um Druck auf die Koalitionspartner:innen auszuüben, sei dahingestellt. Es zeigt aber deutlich, dass die Spannungen innerhalb der Regierung zunehmen und die Koalition am seidenen Faden hängt.

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